Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des C in S, geboren 1982, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Mai 2004, Zl. 240.334/1-II/04/04, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 5. September 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl, wozu er vor dem Bundesasylamt am 8. Mai 2003 und am 10. Juni 2003 einvernommen wurde. Bei der Einvernahme am 8. Mai 2003 gab er an, in der Türkei wegen Unterstützung der PKK und deshalb, weil seine Brüder kurdische Freiheitskämpfer gewesen seien, verfolgt worden zu sein. Das Protokoll über die Einvernahme am 10. Juni 2003 enthielt zwar einleitend den Satz, die nachfolgenden Angaben stammten vom Beschwerdeführer; es gab im weiteren Text aber das Vorbringen eines Asylwerbers aus dem Irak wieder, der in der irakischen Armee gedient habe, im Februar 2003 aus seinem Herkunftsland Irak nach Syrien geflohen und von dort aus im April 2003 nach Österreich gekommen sei.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 und 3 Asylgesetz 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei fest. In der Begründung dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, er habe sich bei der zweiten Einvernahme "als Pseudoiraker ausgegeben" und behauptet, er wäre in der Armee Saddam Husseins ausgebildet worden und hätte "im Irak fungiert". Vergleiche man seine "sämtlichen Vorbringen miteinander", so komme man "unweigerlich zum Ergebnis, dass diese vorgeschützten Sachverhalte nichts miteinander zu tun haben. Es handelt sich dabei ganz offensichtlich um erfundene Geschichten."
Am 24. Juni 2003 erhob der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. Juni 2003 Berufung und stellte einen Antrag auf Erlassung einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a AVG sowie Anträge auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, Abänderung des Bescheides dahingehend, dass dem Beschwerdeführer Asyl gewährt werde, Aufhebung des Bescheides und Rückverweisung der Rechtssache an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung sowie Abänderung der Feststellung nach § 8 AsylG dahingehend, dass das Refoulement des Beschwerdeführers in die Türkei unzulässig sei. Begründend führte er aus, dass der Beschwerdeführer die im Bescheid als Ergebnis der Einvernahme am 10. Juni 2003 wiedergegebenen Angaben nicht gemacht habe. Es müsse bei dieser Einvernahme zu einer Verwechslung von Niederschriften gekommen sein, sodass die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes auf einem vom Beschwerdeführer nicht vorgebrachten Sachverhalt beruhe.
Nach einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. Juli 2003 über die Einzelheiten der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgung in der Türkei wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2003 "gemäß § 64a" AVG "in Verbindung mit § 6 Z 2 und 3 AsylG 1997" dem "Antrag auf Berufungsvorentscheidung stattgegeben und der Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. Juni 2002 (gemeint: 2003) ... nach einer Verfahrensberichtigung erlassen mit folgendem Spruch". In dem an diese Formulierung anschließenden Spruch des Bescheides wurde I. der Asylantrag vom 6. September 2002 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. In der Begründung wurde u.a. dargelegt, beim "Generieren der Niederschrift" (gemeint: am 10. Juni 2003) sei es "durch einen dienstzugeteilten Organwalter des Bundesasylamtes zu einer Verwechslung von Aktenteilen gekommen und wurde Ihnen irrtümlich eine Niederschrift zur Vidierung vorgelegt, die von einem anderen Antragsteller ... stammte. Diese Niederschrift wurde schließlich im weiteren Prozess von dem zur Entscheidung approbierten Organwalter dem nunmehr bekämpften Bescheid zugrundegelegt, so dass die Entscheidung fehlgeleitet wurde."
Mit Schriftsatz vom 5. August 2003 erhob der weiterhin anwaltlich vertretene Beschwerdeführer "Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Außenstelle Salzburg vom 9.7.2003, zugestellt am 25.7.2003". In dieser Berufung setzte er sich unter der Überschrift "Verfahrensverletzung des angefochtenen Bescheides" ausführlich mit der in der Berufungsvorentscheidung vom 9. Juli 2003 vorgenommenen Beweiswürdigung des Bundesasylamtes auseinander und bemängelte weiters das Fehlen von "Ermittlungen in Bezug auf die Abschiebesituation des (Beschwerdeführers)". Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und stellte die folgenden Berufungsanträge:
"1. es möge der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert werden, dass dem (Beschwerdeführer) Asyl gewährt wird;
2. es möge der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache an die Behörde I. Instanz zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen werden;
3. es möge der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt II dahingehend abgeändert werden, dass festgestellt wird, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des (Beschwerdeführers) in die Türkei gem. § 8 AsylG unzulässig ist".
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die "Berufung des CY (Beschwerdeführer) vom 5.8.2003 gegen die Berufungsvorentscheidung des Bundesasylamtes vom 9.7.2003, Zl (...) im Grunde des § 64a AVG als unzulässig zurückgewiesen".
Begründend führte die belangte Behörde aus, die ausdrücklich so bezeichnete Berufung vom 5. August 2003 nenne einleitend eindeutig den "Bescheid des Bundesasylamtes ... vom 9.7.2003, zugestellt am 25.7.2003", enthalte die "Anfechtungserklärung", wonach der oben genannte Bescheid angefochten werde, und schließe, nach ausführlicher Darstellung der "Verfahrensverletzung des angefochtenen Bescheides", mit den oben wiedergegebenen Berufungsanträgen. Es sei angesichts des Umstandes, dass der von einer zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten, rechtskundigen Person verfasste Schriftsatz vom 5. August 2003 nicht nur einmal, etwa irrtümlich, ausdrücklich als "Berufung" bezeichnet sei, sondern auch in seinem gesamten übrigen Erscheinungsbild eindeutig den Charakter einer Berufung gegen den -
ebenfalls ausdrücklich bezeichneten - Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2003 trage, ausgeschlossen, diesen Schriftsatz, etwa im Wege des § 13 Abs. 3 AVG, in einen Vorlageantrag im Sinne des § 64a Abs. 2 AVG umzudeuten, zumal dieser gerade nicht zu einer - eindeutig einzig angestrebten - Überprüfung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2003, sondern zu einer Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung über die Berufung vom 24. Juni 2003 gegen den Bescheid vom 19. Juni 2003, also zu einem anderen Verfahrensgegenstand, geführt hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde wirft Rechtsfragen auf, mit denen sich der Verwaltungsgerichtshof in dem in wesentlichen Punkten ähnlichen, mit dem hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2003/20/0438, erledigten Fall bereits auseinander gesetzt hat. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf das genannte Erkenntnis verwiesen, wobei nur hinzuzufügen ist, dass auch im vorliegenden Fall die Partei - bei verständiger Würdigung insbesondere des Primärantrages in der von der belangten Behörde zurückgewiesenen "Berufung" - eine Entscheidung in der Sache des Verwaltungsverfahrens durch die Berufungsbehörde begehrt hatte, was als Reaktion auf die Berufungsvorentscheidung unter den Umständen dieses Falles als Vorlageantrag zu werten war. Dass in der "Berufung" auf die in der Berufungsvorentscheidung, anders als im Fall des Vorerkenntnisses, erstmals enthaltene Auseinandersetzung des Bundesasylamtes mit den näheren Fluchtgründen des Beschwerdeführers und auf die Ergebnisse der zu diesem Zweck durchgeführten weiteren Einvernahme eingegangen wurde, kann hier zu keinem anderen Ergebnis führen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 21. Dezember 2006
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004200158.X00Im RIS seit
19.02.2007