TE Vfgh Erkenntnis 2002/9/23 B1556/99

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Veröffentlicht am 23.09.2002
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Index

83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
AbfallnachweisV
AbfallwirtschaftsG §2 Abs8a, Abs8b
AbfallwirtschaftsG §13 Abs1

Leitsatz

Ausreichende Determinierung einer Bestimmung des Abfallwirtschaftsgesetzes über die Meldepflicht hinsichtlich Altöl; Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Geldstrafe über ein Vorstandsmitglied einer Bau- und Siedlungsgenossenschaft wegen Verletzung der Meldepflicht infolge Verkennung der Rechtslage in einem entscheidenden Punkt

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2143,68 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien erkannte den nunmehrigen Beschwerdeführer als Mitglied des Vorstandes, sohin als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaft "Frieden" registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 für schuldig, dass diese Gesellschaft vom 15. Juli 1997 bis 11. März 1998 ihrer Meldepflicht gemäß §13 Abs1 Abfallwirtschaftsgesetz in Verbindung mit §4 Abfallnachweisverordnung nicht nachgekommen ist. Nach diesen Bestimmungen ist binnen drei Monaten ab Aufnahme einer Tätigkeit, bei der gefährliche Abfälle anfallen, diese dem Landeshauptmann von Wien zu melden. Bei der Verwaltung des Wohnhauses in 1010 Wien, Kühgasse 2, durch diese Gesellschaft sei zumindest am 14. April 1997 gefährlicher Abfall gemäß der Verordnung über die Festsetzung gefährlicher Abfälle, BGBl. Nr. 49/1991, in Verbindung mit der ÖNORM S 2101 bzw. Verordnung über die Festsetzung von gefährlichen Abfällen und Problemstoffen (Festsetzungsverordnung 1997), BGBl. Nr. 227/1997, in Verbindung mit ÖNORM 2100, nämlich 200 kg sonstige Öl-Wassergemische (Schlüsselnummer 54408), angefallen. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß §39 Abs1 litc Z5 und 7 in Verbindung mit §13 Abs1 Abfallwirtschaftsgesetz und §4 Abfallnachweisverordnung eine Geldstrafe in Höhe von S 10.000,-, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 5 Tagen verhängt. In der Begründung wurde zur objektiven Tatseite nur ausgeführt, dass das strafbare Verhalten aufgrund eigener dienstlicher Wahrnehmung eines Organs des Magistrats zur Anzeige gebracht worden sei und ein von einer [von der Gesellschaft beauftragten] auf Abflussdienste spezialisierten Reinigungsfirma ausgestellter Begleitschein für gefährlichen Abfall und Öl (gem. §§5-7 Abfallnachweisverordnung) vorliege, aus dem sich der Anfall der bei den Reinigungsarbeiten hervorgekommenen Stoffe ergebe. Auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass sich in dem von der Genossenschaft verwalteten Wohnhaus eine Garage zur Abstellung von Kraftfahrzeugen für die in der Wohnanlage vorhandenen privaten Haushalte befinde, wobei zum Sammeln von Regen- und Schneewässern sowie von Straßenstaub in dieser Garage sieben Auffanggruben im Ausmaß von 50 x 50 x 40 cm eingerichtet sind, die etwa zwei Mal jährlich durch Absaugen gereinigt werden, wurde hinsichtlich der Subsumtion unter die Meldepflicht nicht näher eingegangen.

2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien gab der dagegen erhobenen Berufung nur insofern Folge, als er mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Juli 1999 die verhängte Geldstrafe auf S 5.000,- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 2 Tage und 12 Stunden herabsetzte und feststellte:

"Aufgrund der aktenkundig dokumentierten Abfallbeseitigung [...] ist im Sinne des Schuldspruches davon auszugehen, daß eine [der] Meldepflicht des §13 Abs1 des Abfallwirtschaftsgesetzes 1998, BGBl. Nr. 325/1990 idF BGBl. Nr. I/151/1998 vorgelegen hat."

Nach Ausführungen zum objektiven Abfallbegriff wird festgestellt, dass es für den subjektiven Abfallbegriff nicht auf zivilrechtliche Eigentumsverhältnisse sondern allein auf die faktische Verfügungsgewalt ankomme. Zum Abfallbesitzerbegriff zitiert der Bescheid die Ausführungen von Heinz Mayer, Zur Gesetzmäßigkeit der "Baurestmassenverordnung", in ecolex 1994, 128:

"Vielmehr ist es geboten, das AWG daraufhin zu untersuchen, für welche Personen es Pflichten begründet; Unternimmt man dies, so stößt man in unmittelbarem systematischem Zusammenhang mit §11 auf ausdrückliche Anordnungen, wer bestimmte Pflichten zu tragen hat. §13 Abs1 AWG verpflichtet den, der eine bestimmte Tätigkeit ausübt, bei der bestimmte Abfälle anfallen, der Behörde die Aufnahme seiner Tätigkeit zu melden. §14 Abs1 verpflichtet ebenfalls den, der eine Tätigkeit ausübt, bei der bestimmte Abfälle anfallen, Aufzeichnungen zu führen; zur Führung von Aufzeichnungen ist auch verpflichtet, wer bestimmte Abfälle sammelt oder behandelt (vgl. für Sammler und Behandler zB. auch §§15 f AWG). Abfallsammler und Abfallbehandler sind im §2 AWG definiert; so heißt es im §2 Abs9 AWG, daß Abfallsammler ist, wer Abfälle abholt oder entgegennimmt. §2 Abs10 AWG definiert als Abfallbehandler den, der Abfälle verwertet, ablagert oder sonst behandelt.

Bezieht man diese Überlegungen in die Auslegung des §11 Abs3 AWG ein, so kann man zunächst feststellen, daß diese Bestimmung den Verordnungsgeber ermächtigt, anzuordnen, welche Materialien jedenfalls einer getrennten Sammlung, Lagerung und Behandlung zuzuführen sind. Genauer bedeutet dies im Hinblick auf §2 Abs9 und 10 AWG, daß die Materialien einer getrennten Abholung und einer getrennten Verwertung zuzuführen sind. Wer kommt außer dem Abfallsammler und dem Abfallbehandler als Träger der Pflicht des 'Zuführens' gem §11 Abs3 AWG in Betracht?

Ein Blick in die Materialien des AWG läßt die Frage klar beantworten; in den Erläuterungen zur RV (Fußnote 3: 1274 BlgNr 17. GP) heißt es auf Seite 32:

'Klarzustellen ist, daß im Abfallwirtschaftsgesetz nach wie vor Pflichten für Erzeuger, Sammler und Behandler von Abfällen vorgesehen sind, ein Definitionsbedarf aber nur für Sammler und Behandler besteht.'

Daraus kann zunächst einmal abgeleitet werden (arg: 'nach wie vor'), daß die Pflichten des AWG die Personen treffen, die schon im Zeitpunkt der Erlassung des AWG entsprechende Verpflichtungen hatten; die Erläuterungen nennen diese auch: die Erzeuger, Sammler und Behandler. Dabei wurde der Begriff (der Erzeuger offenbar als nicht weiter erklärungsbedürftig angesehen. Damit kann man davon ausgehen, daß dieser Begriff so verstanden werden kann, wie er nach den Vorschriften, die durch das AWG ersetzt wurden, definiert war; maßgeblich ist sohin das SonderabfallG (Fußnote 4: §42 Abs1 Z1 AWG). Nach diesem war Sonderabfallerzeuger, wer eine der im §1 Abs1 SonderabfallG genannten Tätigkeiten ausübt, 'bei welcher Sonderabfälle anfallen' (Fußnote 5: §3 Abs2 SonderabfallG).

Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zweierlei: Das AWG zielt im wesentlichen auf die Festlegung von Pflichten für Erzeuger, Sammler und Behandler ab; diese Begriffe sind im Sinne der früheren Rechtslage nach dem SonderabfallG zu verstehen. Das SonderabfallG kannte für die drei Gruppen von Verpflichteten einen Überbegriff, nämlich den des 'Sonderabfallbesitzers'. Der Begriff des Abfallbesitzers findet im §17 Abs3 AWG Anwendung. Man muß - da der Begriff des Abfallbesitzers im AWG nicht eigens definiert wird - auch davon ausgehen, daß das AWG, wenn es vom 'Besitzer' spricht, Erzeuger, Sammler und Behandler meint. Von diesem Verständnis geht auch die AbfallnachweisV (Fußnote 6: BGBl 1991/65) aus; in dieser ist nicht nur der Besitzer, sondern auch der Erzeuger im wesentlichen so definiert, wie er im SonderabfallG definiert war.

Ein Blick auf die Systematik des AWG und auf seine Entstehungsgeschichte führt zum Ergebnis, daß die in diesem Gesetz normierten Verpflichtungen - soweit nicht erkennbar etwas anders angeordnet ist (vgl. zB §18 Abs2) - die Abfallbesitzer treffen; darunter sind die Erzeuger, Sammler und Behandler zu verstehen. ..."

Die belangte Behörde schloss sich diesen Ausführungen an und nahm an, dass die Hausverwaltung Erzeuger und Besitzer gefährlicher Abfälle war.

3. Die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde behauptet die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Einhaltung des Rückwirkungsverbotes (Art7 EMRK) und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzwidrigen Verordnung.

Sie führt erneut aus, dass die Hausverwaltung ein Reinigungsunternehmen mit der Reinigung der Garage und Entsorgung des angefallenen Sand-/Schlammgemisches beauftragt und der Wohnungsgemeinschaft dafür Rechnung gelegt habe. Die Hausverwalterin übe daher keine Tätigkeit aus, die die Meldepflicht des §13 Abs1 AWG iVm §4 ANVO auslöse. Hätte der Gesetzgeber auch Hausverwalter verpflichten wollen, hätte er dies klar zum Ausdruck bringen müssen. Insofern verstoße die Strafnorm mangels Bestimmtheit gegen Art18 B-VG. Es zeige die Begründung der belangten Behörde, dass sich aus der Norm des §13 AWG die Strafbarkeit des Hausverwalters nicht erklären lasse. Erst die - hier nicht anzuwendende - Novelle 1998 habe dem Bestimmtheitsgebot Rechnung getragen und in die Legaldefinition des §13 Abs1 AWG den "Abfallerzeuger" aufgenommen. Unter der Unbestimmtheit leide auch die Bestimmung des §4 ANVO, die erst durch die Neufassung des §13 AWG die notwendige Determinierung erfahre. Soweit der bekämpfte Bescheid sich auf die zum Zeitpunkt des Ausspruches der Strafe geltende Fassung stütze, verstoße die belangte Behörde gegen das Rückwirkungsverbot von Strafnormen.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

5. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst erstattete auf Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme, in der es ausführt, dass die Norm den Kreis der Verpflichteten auch schon vor der Novelle 1998 klar geregelt habe. Zweifel, ob sich die Verhaltensnorm an den Abfallerzeuger richte, seien durch die Einführung des §2 Abs8a AWG durch die EU-Novelle 1996 beseitigt worden. Die Definition des Abfallerzeugers ergebe sich bereits aus §2 Abs1 und 3 der Abfallnachweisverordnung. Somit sei die Rechtslage bereits seit 1991 klar verständlich. Abgesehen davon, sei zum Zeitpunkt der Tat §13 Abs1 AWG in der Stammfassung in Geltung gestanden und dieser habe das Tatbildmerkmal des "Abfallerzeugers" noch nicht enthalten, somit sei es ausreichend zu klären, ob die Person eine "Tätigkeit ausgeübt" habe, bei der Altöle (in einer bestimmten Menge) oder gefährliche Abfälle "angefallen" seien.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1.1. Die Verordnung des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie über die Nachweispflicht für Abfälle (Altöle) (Abfallnachweisverordnung), BGBl. Nr. 65/1991 lautet auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§2

[...]

(3) Erzeuger von gefährlichen Abfällen oder Altölen ist, wer eine Tätigkeit ausübt, bei welcher gefährliche Abfälle oder Altöle anfallen und nicht als Sammler oder Behandler von gefährlichen Abfällen oder Altölen tätig ist.

[...]

Meldepflicht der Erzeuger von gefährlichen Abfällen und Altölen

§4. (1) Erzeuger von gefährlichen Abfällen oder Altölen, bei denen Altöle (§21 des Abfallwirtschaftsgesetzes) in einer Jahresmenge von mindestens 200 Liter oder gefährliche Abfälle (§2 Abs5 des Abfallwirtschaftsgesetzes) anfallen, haben diesen Umstand binnen drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit dem Landeshauptmann des Landes, in dem die gefährlichen Abfälle oder Altöle anfallen, unter Verwendung des Formblattes gemäß Anlage 1 zu melden."

1.2. Durch die EU-Novelle 1996 zum Abfallwirtschaftsgesetz, BGBl. Nr. 434/1996 wurde in §2 folgender Abs8a eingefügt:

"(8a) Abfall(erst)erzeuger im Sinne dieses Bundesgesetzes ist jede natürliche oder juristische Person, durch deren Tätigkeit Abfälle angefallen sind."

1.3. Die sonstigen zum Zeitpunkt der Tat geltenden Bestimmungen des Abfallwirtschaftsgesetzes - AWG, BGBl. Nr. 325/1990 lauten bzw. lauteten:

"Private Haushalte, vergleichbare Einrichtungen

§12

[...]

(4) Private Haushalte, vergleichbare Einrichtungen und gemäß §125 BAO nicht buchführungspflichtige land- und forstwirtschaftliche Betriebe unterliegen hinsichtlich der bei ihnen anfallenden Problemstoffe, Altöle und sonstigen Abfälle nicht den §§13, 14 und 17 bis 20 dieses Bundesgesetzes. Für nicht gemäß §125 BAO buchführungspflichtige land- und forstwirtschaftliche Betriebe gelten hinsichtlich gefährlicher Abfälle dann nicht die §§13, 14 und 17 bis 20 dieses Bundesgesetzes, wenn diese gefährlichen Abfälle einem rücknahmebefugten Unternehmen im Sinne des §15 Abs2 Z3 übergeben werden.

[...]

Meldepflicht

§13. (1) Wer eine Tätigkeit ausübt, bei der Altöle in einer Jahresmenge von mindestens 200 Liter oder gefährliche Abfälle (§2 Abs5) anfallen, hat diesen Umstand oder eine nicht bloß unwesentliche Änderung im Anfall dieser Abfälle, sofern sie nicht Altstoffe sind, oder Altöle binnen drei Monaten nach der Aufnahme der Tätigkeit oder nach der Änderung dem Landeshauptmann zu melden. Die Meldung hat Art, Menge, Herkunft und Verbleib der gefährlichen Abfälle und Altöle zu umfassen. Die Einstellung der Tätigkeit gemäß Abs1 ist dem Landeshauptmann unverzüglich schriftlich anzuzeigen. Die im ersten Satz geregelte Pflicht bezieht sich nicht auf die Gemeinden (Gemeindeverbände) hinsichtlich der Sammlung von Problemstoffen, wenn sie diese selbst durchführen."

Durch die Abfallwirtschaftsgesetz-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 151/1998, wurde §13 neu gefasst, und die Bestimmung des §2 Abs8b AWG eingefügt, die sowohl zum Zeitpunkt der Entscheidung des Magistrates als auch des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien in Geltung standen:

"§2

[...]

(8b) Abfallbesitzer ist

1. der Erzeuger der Abfälle oder Altöle oder

2. die natürliche oder juristische Person, in deren Besitz sich die Abfälle oder Altöle befinden.

[...]

§13. (1) Ein Abfallerzeuger (§2 Abs8a), bei dem Altöle in einer Jahresmenge von mindestens 200 Liter oder gefährliche Abfälle (§2 Abs5) wiederkehrend, mindestens einmal jährlich, anfallen, hat diesen Umstand binnen drei Monaten nach der Aufnahme der Tätigkeit dem Landeshauptmann zu melden. Zuständig ist der Landeshauptmann, in dessen Bundesland die gefährlichen Abfälle oder Altöle erstmals anfallen. Die Meldung hat unter Angabe der allgemeinen Firmendaten, einschließlich der Branchenbeschreibung, zu erfolgen. Änderungen dieser Daten sowie die Einstellung der Tätigkeit sind innerhalb von drei Monaten zu melden. Diese Verpflichtungen gelten nicht für Abfallsammler und -behandler gemäß §15 Abs1.

[...]"

2.1. Zur Präjudizialität:

Der Verfassungsgerichtshof erkennt gemäß Art140 Abs1 erster Satz B-VG über die Verfassungswidrigkeit eines Bundes- oder Landesgesetzes von Amts wegen, sofern er ein solches Gesetz in einer Rechtssache anzuwenden hätte. Im Sinne dieser Verfassungsnorm sind bei einem vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren jene gesetzlichen Bestimmungen präjudiziell, die von der belangten Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides in denkmöglicher Weise - wenn auch vielleicht zu Unrecht - angewendet wurden (z.B. VfSlg. 14.078/1995) oder die die belangte Behörde anzuwenden verpflichtet war (z.B. VfSlg. 10.617/1985, 11.752/1988). Somit begründet nicht nur die Verpflichtung zur Anwendung, sondern auch die faktische Anwendung die Präjudizialität. Im letzten Fall muss allerdings - wie bereits ausgeführt - der Sachverhalt der angewendeten Gesetzesnorm zumindest denkmöglich subsumierbar sein (vgl. VfSlg. 4625/1963, 5373/1966, VfGH vom 28. Februar 2002, B781/00).

Wie bereits dargelegt, hat der Magistrat der Stadt Wien §13 Abs1 AWG in der Stammfassung angewendet. Der UVS hat - ohne nähere Begründung - §13 Abs1 in der Fassung der AWG-Novelle 1998 tatsächlich und denkmöglicherweise angewendet, weshalb die Bestimmung jedenfalls in der Fassung der AWG-Novelle 1998 präjudiziell ist. Dass - wie die späteren Ausführungen zeigen - der UVS allein bei der Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides auch die Stammfassung hätte anwenden müssen, führt nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (zur Präjudizialität einer Bestimmung im Falle eines bloßen Kassationsbescheides vgl. VfSlg. 13.555/1993) dazu, dass der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall diese Bestimmung auch in der Stammfassung anzuwenden hätte, weshalb §13 Abs1 AWG auch in der Stammfassung präjudiziell ist.

2.2. Dem Vorwurf, dass §13 Abs1 AWG in der Stammfassung nicht geeignet sei, den Kreis der Verpflichteten ausreichend bestimmt darzustellen und daher verfassungswidrig sei - wobei die Beschwerde selbst davon ausgeht, dass §13 Abs1 in der Fassung nach der AWG-Novelle 1998 iVm den ergänzenden Begriffsbestimmungen des §2 AWG "ein klar verständlicher Inhalt verliehen wird" - hält der Verfassungsgerichtshof folgendes entgegen:

Der Verfassungsgerichtshof - wie auch der Beschwerdeführer - hegt gegen die Bestimmung in der Fassung nach der AWG-Novelle 1998 unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgebotes (Art18 B-VG) keine Bedenken. Die Verwendung so genannter unbestimmter Gesetzesbegriffe - wie sie sich in §13 Abs1 AWG finden - durch den Gesetzgeber, die durch eine unscharfe Abgrenzung gekennzeichnet sind, ist hiebei dann zulässig und mit Art18 B-VG vereinbar, wenn die Begriffe einen soweit bestimmbaren Inhalt haben, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach richten kann und die Anwendung solcher unbestimmter Rechtsbegriffe durch die Behörde auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden kann (vgl. VfSlg. 11.776/1988, 15.447/1999). Der Begriff "Abfallerzeuger [...], bei dem Altöle [...] anfallen", ist jedenfalls einer Auslegung zugänglich. Der Verfassungsgerichtshof hegt jedoch auch gegen die Bestimmung in der Stammfassung keine Bedenken, da sie iVm §2 Abs8a, eingeführt durch BGBl. Nr. 434/1996 und der Abfallnachweisverordnung ebenso an Hand derselben Begriffe - wie unter Punkt 2.3. näher ausgeführt - ausgelegt werden kann.

2.3. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen käme eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985) nur dann in Frage, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte oder wenn bei der Bescheiderlassung Willkür geübt wurde: Willkürliches Verhalten kann unter anderem darin bestehen, dass der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage mit den Rechtsvorschriften in besonderem Maß in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 12.001/1989, 14.840/1997).

Dies ist aus folgenden Überlegungen der Fall:

Es kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde §13 Abs1 iVm §2 Abs8a und 8b AWG in der Fassung der AWG-Novelle 1998, die am 1. Oktober 1998 in Kraft traten, gemäß §1 Abs2 Verwaltungsstrafgesetz zurecht angewendet hat oder ob sie §13 Abs1 in der Stammfassung, BGBl. Nr. 325/1990 iVm §2 Abs8a, eingeführt durch BGBl. Nr. 434/1996 und iVm der Abfallnachweisverordnung anwenden hätte müssen, da das der Hausverwaltung vorgeworfene Verhalten unter keines der beiden Tatbilder subsumiert werden kann.

Sowohl gemäß §13 Abs1 iVm §2 Abs8a und 8b AWG in der Fassung der AWG-Novelle 1998 als auch gemäß §13 Abs1 in der Stammfassung, BGBl. Nr. 325/1990 iVm §2 Abs8a, eingeführt durch BGBl. Nr. 434/1996 und iVm der Abfallnachweisverordnung ist der Abfallerzeuger - das ist jede natürliche oder juristische Person, durch deren Tätigkeit gefährliche Abfälle (§2 Abs5 AWG) bzw. Altöle (§13 Abs1 AWG, §4 Abs1 der Abfallnachweisverordnung) in einer bestimmten Menge anfallen - strafbar. In der Fassung vor der AWG-Novelle 1998 ergibt sich das Tatbild erst in einer Zusammenschau mehrerer Bestimmungen. Wenn §13 Abs1 AWG in der Stammfassung den Kreis der von der Meldepflicht Betroffenen durch die Ausübung einer Tätigkeit abgrenzt, bei der Altöle in einer Jahresmenge von mindestens 200 Liter oder gefährliche Abfälle (§2 Abs5) anfallen, so präzisiert dies die Abfallnachweisverordnung (§2 Abs3 und §4 Abs1) und §2 Abs8a AWG dahingehend, dass ausschließlich Erzeuger von gefährlichen Abfällen und Altöl in einer bestimmten Menge Adressaten der Meldeverpflichtung sind. In der Fassung nach der AWG-Novelle 1998 ergibt sich das Tatbild hingegen unmittelbar aus §13 Abs1 AWG, konkretisiert durch eine Umschreibung der Häufigkeit des Anfallens der Abfälle und Altöle (wiederkehrend, mindestens einmal jährlich).

Wenn eine Hausverwaltung eine Garagenreinigung, für die der Wohnungsgemeinschaft Rechnung gelegt wird, in Auftrag gibt, so kann dieses Verhalten der Vorschrift weder dem Wortlaut nach noch unter Zuhilfenahme einer zulässigen verfassungsrechtlich gebotenenen Auslegung (vgl. zum Verstoß gegen Art7 EMRK im Falle einer extensiven Auslegung eines Strafgesetzes in malam partem VfSlg. 8904/1980) dem §13 Abs1 AWG unterstellt werden; einerseits sind die im Eigentum privater Haushalte stehenden, in der Garage abgestellten Pkw einzeln gemäß §12 AWG (vor und nach der AWG-Novelle 1998) gerade von der Meldepflicht ausgenommen, andererseits "fallen" die Abfälle nicht durch die Tätigkeit der Hausverwaltung "an" sondern - wie der UVS Wien in einem späteren Erkenntnis auch zutreffend ausführte - aufgrund der Garagennutzung durch die Hausbewohner.

Die belangte Behörde geht davon aus, dass "aufgrund der aktenkundig dokumentierten Abfallbeseitigung [...] im Sinne des Schuldspruches davon auszugehen [ist], daß eine [der] Meldepflicht des §13 Abs1 des Abfallwirtschaftsgesetzes 1998, BGBl. Nr. 325/1990 idF BGBl. Nr. I/151/1998 vorgelegen hat. Das Vorliegen dieses Tatbestandelementes ist durch dienstliche Wahrnehmungen als erwiesen anzusehen und durch die Ausführungen des Berufungswerbers im wesentlichen bestätigt." Sie hat der Begründung ihrer Entscheidung in keiner Weise den Wortlaut des §13 Abs1 AWG (vor der AWG-Novelle 1998 - iVm den bereits zitierten Bestimmungen) zugrunde gelegt und sich mit Ausführungen zum objektiven und subjektiven Abfallbegriff und einem ausführlichen Zitat von H. M., Zur Gesetzmäßigkeit der "Baurestmassenverordnung", in ecolex 1994, 128, aus dem für den gegenständlichen Fall nichts zu gewinnen ist, begnügt. Die Behörde hat sich auch nicht mit der gemäß §13 Abs1 AWG nach der AWG-Novelle 1998 notwendigen Feststellung auseinandergesetzt, wie oft gefährliche Abfälle bei der Hausverwaltung anfallen.

2.4. Der UVS Wien (vgl. ZUV 2000, UVS 48-W) hat selbst im Erkenntnis vom 31. März 2000, UVS-06/46/00026/99 festgestellt, dass bei einer Garagenreinigung keine Meldepflicht der Hausverwaltung gemäß §13 Abs1 AWG besteht, da diesbezüglich die Abfallerzeugereigenschaft nicht erfüllt ist:

"Die Rechtsvorschrift des §13 Abs1 AWG zielt in erster Linie darauf ab, den zuständigen Behörden einen Überblick über jene Institutionen und Betriebe zu verschaffen, durch deren Tätigkeit gefährliche Abfälle anfallen. Dieses Ziel lässt sich nur dann erreichen, wenn nicht schlechthin jeder Betrieb oder jede Einrichtung, wo zufällig oder vereinzelt gefährliche Abfälle anfallen - wie dies im Übrigen auch bei jedem privaten Haushalt der Fall ist -, eine Meldung erstatten, sondern nur jene Einrichtungen und Betriebe, deren Tätigkeit das Anfallen von gefährlichen Abfällen geradezu typisch mit sich bringt. Ausdrücklich ausgenommen von der Meldepflicht gemäß §13 Abs1 AWG sind daher private Haushalte sowie vergleichbare Einrichtungen (siehe §12 Abs4 AWG).

Eine Hausverwaltung, die alle paar Jahre den Auftrag zur Reinigung der Garage einer Wohnhausanlage erteilt, kann nicht als Erzeuger gefährlicher Abfälle iSd §13 Abs1 iVm §2 Abs8a AWG qualifiziert werden, auch wenn bei der Garagenreinigung gefährliche Abfälle (hier: ca 200 Liter eines Öl-Wassergemisches mit leichten Benzinspuren) anfallen, 'fallen' doch diese durch die Benützung der Garage seitens der Hausbewohner 'an', deren Verhalten dem Bereich des privaten Haushaltes zuzuordnen und daher gemäß §12 Abs4 AWG vom Anwendungsbereich des §13 Abs1 AWG ausgenommen ist, bzw 'fallen' diese gefährlichen Abfälle überhaupt erst mit der Reinigung 'an', weil davor zwar eine mit Öl- und Benzinresten kontaminierte Schmutzschicht, aber noch kein Öl-Wassergemisch vorhanden ist, sodass allenfalls die Reinigungsfirma selbst als jenes Unternehmen anzusehen ist, bei dessen Tätigkeit gefährliche Abfälle anfallen. Für die Annahme einer Verpflichtung der Hausverwaltung zur Erstattung von Meldungen gemäß §13 Abs1 AWG iVm §4 Abfallnachweisverordnung fehlt es daher an der Eigenschaft der Hausverwaltung als 'Ausübender einer Tätigkeit, bei der gefährliche Abfälle anfallen' (Fassung des §13 Abs1 AWG in der im Tatzeitraum maßgeblichen Fassung vor der Novelle 1998) bzw an der 'Abfallerzeugereigenschaft' (geltende Fassung des §13 Abs1 iVm §2 Abs8a AWG)."

2.5. Damit hat die belangte Behörde in einem entscheidenden Punkt die Rechtslage in einem solchen Maße verkannt, dass der angefochtene Bescheid mit einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz belastet ist.

3. Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 327,- €

und eine Eingabegebühr in der Höhe von 181,68 € enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Determinierungsgebot, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B1556.1999

Dokumentnummer

JFT_09979077_99B01556_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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