TE Vwgh Erkenntnis 2006/12/21 2005/20/0611

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Veröffentlicht am 21.12.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des D in W, geboren 1985, vertreten durch Dr. Sabine Kellner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. September 2005, Zl. 235.643/0-VI/17/03, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 5. November 1985 geborene Beschwerdeführer, ein aus einem kleinen Ort (Yafa) nahe Kirkuk stammender Staatsangehöriger des Irak und sunnitischer Kurde, reiste am 4. Juli 2002 (damals sechzehnjährig) in das Bundesgebiet ein und beantragte am nächsten Tag die Gewährung von Asyl. Zur Begründung brachte der Beschwerdeführer zunächst schriftlich und dann bei der Vernehmung am 16. September 2002 vor, ein gleichaltriger Freund sei am 28. Mai 2002 beim Schwimmen in einem Fluss ertrunken, während der Beschwerdeführer am Ufer gesessen sei. Der Beschwerdeführer werde vom Vater dieses Freundes, einem beim Sicherheitsdienst tätigen schiitischen Araber, für den Tod seines Sohnes - zu Unrecht - verantwortlich gemacht. Die Familie des Freundes habe sogar behauptet, dass der Beschwerdeführer ihn getötet habe, und sie habe angekündigt, dass der Beschwerdeführer "im Gefängnis lande". Das sei für einen hohen Polizeibeamten im Staatsdienst kein Problem und als Kurde hätte der Beschwerdeführer kaum Chancen sich zu verteidigen. Deshalb habe der Beschwerdeführer den Irak verlassen. Mittlerweile sei gegen den Beschwerdeführer auch ein Haftbefehl erlassen worden, der dem Bundesasylamt in der Folge auch vorgelegt wurde.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 14. Februar 2003 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 - AsylG ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 AsylG stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak nicht zulässig sei (Spruchpunkt II) und gewährte gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III).

Die gegen Spruchpunkt I erhobene Berufung wies die belangte Behörde nach Durchführung einer Verhandlung am 19. August 2005 mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. September 2005 gemäß § 7 AsylG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Die belangte Behörde begründete die Bestätigung der Abweisung des Asylantrages zunächst damit, dass nicht festgestellt werden könne, der Beschwerdeführer habe den Irak aus den von ihm angegebenen Gründen verlassen. Die belangte Behörde vertrat dazu im Rahmen der Beweiswürdigung die Auffassung, die Aussagen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen vor beiden Asylbehörden stimmten in den wesentlichen Punkten zwar überein. Dennoch sei "das Gesamtvorbringen" des Beschwerdeführers "schon allein aufgrund der Äußerungen des Sachverständigen zur vorgelegten Urkunde in Zweifel zu ziehen."

Diese Begründung ist schon deshalb nicht geeignet, die Annahme der Unglaubwürdigkeit des gesamten Vorbringens zu tragen, weil der in der Berufungsverhandlung bestellte länderkundliche Sachverständige - mit näheren, allerdings nur auf seine langjährige Erfahrung als Dolmetsch gestützten Plausibilitätsüberlegungen - lediglich zu dem Ergebnis gekommen war, er könne die "Authentizität bzw. Echtheit" des vorgelegten Haftbefehles nicht bestätigen. Das ließe somit nur den Schluss zu, dass dieser Urkunde kein Beweiswert beizumessen sei. Ohne ergänzende - in der Berufung auch ausdrücklich beantragte - Prüfung des Haftbefehles durch einen hiefür fachkundigen Sachverständigen könnten daraus weitergehende beweiswürdigende Folgerungen nicht schlüssig gezogen werden. Mangels anderer Argumente für die angenommene Unglaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer - nach Ansicht der belangten Behörde in den wesentlichen Punkten übereinstimmend - vorgetragenen Fluchtgründe fehlt im angefochtenen Bescheid somit eine nachvollziehbare Beweiswürdigung.

2. Die belangte Behörde nahm in der rechtlichen Beurteilung aber auch eine Eventualbegründung für den Fall vor, dass man das "Gesamtvorbringen als wahr bewertet", und meinte, es sei unter keinem in der FlKonv angeführten Grund subsumierbar.

Eine nähere Begründung dieser Auffassung ist dem angefochtenen Bescheid allerdings nicht zu entnehmen. Die Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Familie des Freundes dürfte zwar nicht an die vom Beschwerdeführer angesprochene und in der Beschwerde in den Vordergrund gerückte unterschiedliche Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit der beiden Familien (schiitische Araber bzw. sunnitische Kurden) anknüpfen, zumal nach dem Vorbringen in der Berufung dafür "möglicherweise ... Wut, Trauer, Rache oder ähnliche Gefühle" ausschlaggebend gewesen seien. Die belangte Behörde ist aber nicht darauf eingegangen, dass der Beschwerdeführer aus der Position des Vaters des Freundes beim Sicherheitsdienst einerseits und der Stellung seiner Familie als Kurden einfacher Herkunft andererseits abgeleitet hatte, er könne deshalb in einem Strafverfahren den Nachweis seiner Unschuld nicht erbringen. Das wäre - so schon die Berufung zutreffend - nicht aus dem Blickwinkel eines westlichen Rechtsstaates, sondern des absoluten Regimes von Saddam Hussein zu betrachten gewesen. Dabei wäre auch auf die Ausführungen des Sachverständigen Bedacht zu nehmen gewesen, dass der Beschwerdeführer aus einem (unter der Verwaltung des Zentraliraks gestandenen) von Saddam Hussein arabisierten kurdischen Gebiet stammt (vgl. zur Abgrenzung zwischen legitimer Strafverfolgung und asylrelevanter Verfolgung zuletzt das hg. Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0538, mit weiteren Hinweisen; zur Verweigerung staatlichen Schutzes aus einem Konventionsgrund siehe die Nachweise in dem hg. Erkenntnis vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0406).

Da dieser Gesichtspunkt mit dem Sachverständigen nicht ausdrücklich erörtert wurde, kann aus dessen pauschaler Einschätzung, er sehe aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers "keine Indizien dafür, dass er aus politischen oder religiösen Gründen im Falle der Rückkehr Probleme haben würde", für diese Frage nichts gewonnen werden. Gleiches gilt für den Hinweis im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführer habe in der Berufungsverhandlung eine Verfolgungshandlung aus politischen und/oder religiösen Gründen "dezidiert" ausgeschlossen. Ob die durch den Sturz des Regimes von Saddam Hussein bewirkten Änderungen nachhaltige Auswirkungen auf das vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgungsszenario hätten, wurde im Übrigen weder in der Berufungsverhandlung noch im angefochtenen Bescheid thematisiert.

3. Die belangte Behörde stellte schließlich noch fest, dem Beschwerdeführer sei ein Aufenthalt in den "großen Kurdenstädten der drei Nordprovinzen" zumutbar, wo er "mit Sicherheit ohne Gefahr von politischer Seite her leben könnte" und wegen der "derzeit ausgezeichneten wirtschaftlichen Lage das Allernotwendigste zum Überleben hätte". Auch das stützte die belangte Behörde auf die Ausführungen des länderkundlichen Sachverständigen, die sich auf seine Beobachtungen und ihm zugegangene Informationen bei einem kurz vor der Verhandlung beendeten Aufenthalt im Nordirak, der allerdings nicht näher spezifiziert wurde, gründeten.

Dazu ist zunächst zu bemerken, dass der Beschwerdeführer nicht aus den genannten Provinzen im Nordirak stammt. Ungeachtet dessen ging die belangte Behörde von der Zumutbarkeit eines Aufenthaltes in einer der großen Städte dieses Landesteiles aus und unterstellte damit der Sache nach das Bestehen einer internen Fluchtalternative für den Beschwerdeführer, ohne sich mit deren Voraussetzungen - auch vor dem Hintergrund des allfälligen Bestehens eines Haftbefehles - im angefochtenen Bescheid im Einzelnen zu befassen (vgl. dazu grundlegend Punkt 4.1. und 4.2. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 9. November 2004, Zl. 2003/01/0534, wo unter anderem auf das hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zlen. 2003/01/0210, 0213 bis 0216, verwiesen wird). Im Übrigen ist UNHCR-Positionspapieren zu Rückkehrmöglichkeiten für irakische Flüchtlinge (vgl. für den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa jenes vom September 2005, Seite 2 erster Punkt iVm Seite 3) zu entnehmen, dass eine interne Fluchtalternative im Nordirak für die damals aktuellen Verhältnisse nur dann angenommen werden konnte, wenn der Asylwerber dort über maßgebliche soziale Verbindungen, insbesondere familiäre Anknüpfungspunkte, verfügte. In diesem Sinne sind wohl auch die Ausführungen des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung zu verstehen, wonach die kurdischen Großfamilien ein soziales Auffangnetz bilden und ihre verarmten Angehörigen unterstützen. Auch darauf ist die belangte Behörde nicht eingegangen.

Der angefochtene Bescheid war angesichts dieser Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VWGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 21. Dezember 2006

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2005200611.X00

Im RIS seit

08.02.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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