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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des F in L, geboren 1982, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Mai 2004, Zl. 234.099/11-VIII/40/04, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus Sulaimaniya stammender irakischer Staatsangehöriger, reiste am 23. Dezember 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am nächsten Tag die Gewährung von Asyl.
Diesen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 22. November 2002 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 - AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 AsylG stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die gegen Spruchpunkt I. erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Mai 2004 gemäß § 7 AsylG ab. Die belangte Behörde erachtete die (im Bescheid wörtlich wiedergegebenen) Angaben des Beschwerdeführers in den mündlichen Berufungsverhandlungen am 9. April 2003 und am 21. April 2004 für glaubwürdig und traf - diesem Vorbringen im Wesentlichen entsprechend - folgende Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
"1. Der Berufungswerber, dessen Identität nicht feststeht, ist Kurde und lebte im Norden des Irak. Er reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet und brachte am 24.12.2001 beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein.
2. Der Berufungswerber arbeitete in einem Jugendzentrum im Norden des Irak, das von einer französischen Hilfsorganisation unterstützt wurde. Im Jugendzentrum wurden Computerkurse angeboten und männliche und weibliche Jugendliche nahmen gemeinsam an Ausbildungskursen teil. Dies war der Ansar Al Islam, einer Untergruppe der Islamischen Bewegung, nicht recht. Man wollte das Gedankengut der Islamischen Bewegung auch im Jugendzentrum verbreiten. Im Jahr 1998 erfolgte seitens der Ansar Al Islam ein Bombenattentat auf das Jugendzentrum.
Im Sommer 2000 wurde der Berufungswerber auf einen Stützpunkt der Ansar Al Islam eingeladen. Es wurde ihm gedroht, dass man etwas gegen ihn unternehmen werde, sollte er weiterhin für das Jugendzentrum arbeiten. Der Berufungswerber wurde danach mehrmals bedroht. Einmal wurde bei seinen Eltern nach ihm gesucht, der Berufungswerber hielt sich jedoch zufälligerweise bei einem Freund auf.
Der Berufungswerber reiste in den Iran, danach in die Türkei, von wo aus er Anfang 2001 in den Irak abgeschoben wurde. Er blieb zunächst zwei Monate lang bei Bekannten in Dohuk. Danach reiste er in seine Heimatstadt, wohnte jedoch nicht bei seinen Eltern, sondern bei Verwandten. Als er im Sommer 2001 einmal seine Eltern besuchen wollte, wäre der Berufungswerber beinahe erwischt worden. Nach September/Oktober 2001 verließ der Berufungswerber den Irak."
In einem dritten Punkt verwies die belangte Behörde zur "allgemeinen Lage im Irak unter besonderer Berücksichtigung der Kurden im Nordirak" auf diesbezügliche, schon zuvor im Bescheid wörtlich wiedergegebene "Feststellungen" beim zweiten Verhandlungstermin.
Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den festgestellten Sachverhalt mit folgenden fallbezogenen Ausführungen:
"Das Vorbringen des Berufungswerbers bezüglich jener Gründe, die zu seiner Ausreise geführt haben, war glaubwürdig. Der Berufungswerber hat jedoch weder glaubhaft machen können, noch wäre aufgrund des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen, dass dem Berufungswerber aktuell asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 7 AsylG droht.
Festzuhalten ist, dass in Folge der durch den Sturz Saddam Husseins nachhaltig veränderten Situation im Irak nicht davon auszugehen ist, dass der Berufungswerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Ansar Al Islam zu befürchten hat. Der Berufungswerber ist Kurde, stammt aus dem Norden des Irak, wo die Lage zwar unsicher, aber nicht ganz so extrem ist wie im Zentralirak, und der Berufungswerber ist keine bekannte Persönlichkeit. In Anbetracht der chaotischen Situation im Irak ist es nicht wahrscheinlich, dass die Ansar Al Islam alleine wegen der ehemaligen Tätigkeit des Berufungswerbers in einem Jugendzentrum ein konkretes Interesse hat, den Berufungswerber zu verfolgen. Dem Berufungswerber ist zuzustimmen, dass auch die Ansar Al Islam derzeit für Terrorakte und Anschläge im Irak verantwortlich gemacht wird. Dass der Berufungswerber jederzeit auf Grund der allgemein unsicheren Situation, ebenso wie jeder andere Iraker, einem Terrorakt irgendeiner radikalen Gruppierung, die damit zwar politische Interessen verfolgt, den Anschlag aber nicht gegen die individuelle Person des Berufungswerbers richtet, zum Opfer fallen könnte, wurde bereits in den Bescheiden des Bundesasylamtes (Bescheid vom 22.11.2002 Spruchpunkt II bzw. Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG bis 27.04.2005) berücksichtigt."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Beschwerde wendet sich mit Recht gegen die wiedergegebene Beurteilung der belangten Behörde im Rahmen der Rechtsausführungen in Bezug auf das Nichtbestehen einer aktuellen asylrelevanten Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer und bemängelt zutreffend die dafür maßgebliche Annahme, es sei nicht wahrscheinlich, dass die Ansar Al Islam ein konkretes Interesse am Beschwerdeführer "alleine" wegen seiner ehemaligen Tätigkeit in einem Jugendzentrum habe. Das begründete die belangte Behörde einerseits damit, dass der Beschwerdeführer "keine bekannte Persönlichkeit" sei, und andererseits mit der "chaotischen Situation im Irak".
Beim ersten Gesichtspunkt wird offenbar unterstellt, dass sich die der Ansar Al Islam zugeschriebenen Terrorakte und Anschläge nur gegen "bekannte Persönlichkeiten" im Sinne von hochrangige Vertreter jener Gruppierungen, die von dieser islamistischen Organisation bekämpft werden, richten. Dafür fehlt aber im angefochtenen Bescheid eine sachverhaltsmäßige Grundlage. Die belangten Behörde ging bei ihren Feststellungen zum Bestehen eines "erheblich erhöhten Gewaltpotentials" zwar von "der fortdauernden Anwesenheit extremistischer Kräfte und anhaltender Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppierungen" im Irak aus und erwähnte im zuletzt genannten Zusammenhang auch "im Gebiet um Mossul und kürzlich in der Stadt Erbil verübte Anschläge", die ein Indiz für die Existenz extremistischer Gewalt auch im Nordirak seien. Eine konkrete Auseinandersetzung mit der Ansar Al Islam - insbesondere ihrer Struktur und Ziele und ihrer Involvierung in Gewaltakte im Nordirak - und eine Befassung mit der Frage, gegen wen sich ihre Aktionen richten, hat die belangte Behörde aber unterlassen (siehe dazu etwa aus jüngerer Zeit die UNHCR Country of Origin Information Iraq - Oktober 2005, Seite 66 ff). Ohne derartige Feststellungen lässt sich aber auch die weitere Annahme der belangten Behörde, die (zu ergänzen:) lokalen Zellen der Ansar Al Islam in der Heimatregion des Beschwerdeführers hätten "wegen der chaotischen Zustände" das Interesse am Beschwerdeführer bei dessen hypothetischer Rückkehr dorthin mittlerweile verloren, obwohl sie - nach dem von der belangten Behörde zugrundegelegten Vorbringen - auf das Jugendzentrum einen Bombenanschlag verübt, danach den Beschwerdeführer persönlich mehrfach bedroht, nach ihm gesucht und kurz vor seiner Ausreise auch "beinahe erwischt" hätten, nicht nachvollziehen. Gleiches gilt schließlich auch für den Hinweis auf die "nachhaltig veränderte Situation im Irak" durch den Sturz des Regimes von Saddam Hussein, weil die belangte Behörde eine schlüssige Begründung schuldig bleibt, weshalb das einen (dauerhaften) Haltungswandel der Ansar Al Islam gegenüber Personen wie dem Beschwerdeführer nach sich gezogen haben soll.
Der angefochtene Bescheid war angesichts dieser Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VWGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. Dezember 2006
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004200258.X00Im RIS seit
08.02.2007