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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §15;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in R, geboren 1978, vertreten durch Dr. Richard Soyer, Mag. Wilfried Embacher und Mag. Josef Bischof, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Februar 2004, Zl. 219.190/0-IV/44/00, betreffend §§ 7, 8 und 15 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus Feni stammender Staatsangehöriger von Bangladesh, reiste am 21. April 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 26. April 2000 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Juli 2000 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei seit 1994 Mitglied der Jatyatabady-Jubodal, eines Jugendflügels der Bangladesh Nationalist Party (BNP), gewesen. Er habe an mehreren Parteikundgebungen und Demonstrationen teilgenommen, zuletzt oft gegen die Awami-Regierung, die nie etwas gegen Joynal Abedin Hazari - den Abgeordneten des Heimatdistrikts des Beschwerdeführers - unternommen habe. Hazari unterhalte eine ca. 20.000 Mann starke Truppe bewaffneter Privatpersonen, die Schutzgelder von Klein- und Großunternehmern kassiere. Gegen diese Truppe seien die Polizeiorgane machtlos. Anzeigen der Partei des Beschwerdeführers habe die Polizei nicht entgegengenommen, weil die Polizisten um ihren Job fürchten würden. Der Beschwerdeführer sei seit Juli 1999 von Hazaris Leuten gesucht worden, weil er oft gegen ihn demonstriert habe. Leute, die gegen Hazari demonstrierten, würden systematisch vertrieben oder getötet. Nach einer Demonstration seien von Mitgliedern der Chatra-League (der Studentenorganisation der Awami-League) Molotow-Cocktails gegen die Tür des Beschwerdeführers geworfen worden, man habe ihn aufgefordert, vor die Tür zu treten und er habe dabei auch Schüsse gehört. Obwohl er schließlich seinen Heimatort verlassen und sich in Dhaka aufgehalten habe, sei er auch dort von Hazaris Männern gesucht worden. In Dhaka habe er von Verwandten erfahren, dass ihn die Polizei in Feni mit Haftbefehl suche, weil ihm zwei Morde, die tatsächlich aber von Hazaris Leuten begangen worden seien, zur Last gelegt würden. Die Eltern der Opfer seien von der Hazari-Truppe aus politischer Rache falsch informiert worden und hätten ihn angezeigt. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er, dass ihn die Polizei festnehme und der Hazari-Truppe übergebe.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 8. September 2000 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bangladesh zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 25. November 2003 wies die belangte Behörde die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 7, 8 AsylG ebenso wie den Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG ab. Sie traf Feststellungen zur allgemeinen Situation in Bangladesh. Weiters stellte sie fest, dass der Beschwerdeführer aus dem Distrikt Feni stamme, Mitglied der Jugendorganisation der BNP gewesen sei und im Jahr 1999 an Demonstrationen gegen den der damaligen Regierungspartei Awami-League angehörenden lokalen Parlamentsabgeordneten Joynal Hazari teilgenommen habe, der mit Unterstützung durch eine "Privatarmee" strafbare Handlungen begangen und politische Gegner verfolgt habe. Es werde nicht festgestellt, dass gegen den Beschwerdeführer auf Betreiben der Organisation des Hazari falsche Strafanzeigen wegen Mordes in zwei Fällen erstattet worden seien und der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr gefährdet wäre, durch die Bande des Hazari getötet oder auf Grund falscher Anzeigen verurteilt zu werden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei widersprüchlich gewesen. Vor dem Bundesasylamt habe er nämlich angegeben, von den Anzeigen in Dhaka durch seine Verwandten erfahren zu haben, nachdem er Feni zuvor deshalb verlassen habe, weil Angehörige der Chatra-League gegen ihn in seinem Haus einen Angriff mit Molotow-Cocktails verübt hätten. Hingegen habe er in der Berufungsverhandlung angegeben, dass er von diesen Anzeigen in Feni durch einen Parteikollegen erfahren habe. Auf diesbezüglichen Vorhalt habe er angegeben, dass der Parteikollege ein entfernter Verwandter gewesen sei. Auch habe der Beschwerdeführer unterschiedlich dargestellt, wo und wann er von den Anzeigen erfahren habe; vor dem Bundesasylamt habe er "Dhaka, im Juli 1999", vor der belangten Behörde hingegen "Feni, im Oktober 1999" angegeben. Er habe auch keine Beweismittel für die Strafverfahren vorgelegt. Da Hazari durch seine Schlägertruppe mit massiver Gewalt gegen politische Gegner vorgegangen sei, erscheine es auch nicht nachvollziehbar, warum gerade gegen den Beschwerdeführer "vergleichsweise subtil angelegte Maßnahmen" durch Erstattung falscher Anzeigen gerichtet werden sollten. Unabhängig davon sei in Bangladesh mittlerweile durch das Ergebnis der Parlamentswahlen vom Oktober 2001 - nunmehr habe die BNP, deren Jugendorganisation der Beschwerdeführer angehört habe, Regierungsverantwortung - sowie in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers durch die Flucht Hazaris ins Ausland und die gegen ihn erfolgten Strafverfolgungsmaßnahmen eine grundlegende Änderung der Umstände eingetreten. Gegen Hazari und seine Anhänger in der Provinz Feni werde mittlerweile auch durch die seinerzeit an der Regierungsverantwortung befindliche Awami-League innerparteilich vorgegangen. Hazari verfüge daher nicht mehr über jene Machtbefugnisse, die er während der Innehabung des Abgeordnetenmandates und unter Einsatz einer "Privatarmee" noch zum Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer Bangladesh verlassen habe, ausgeübt habe. Selbst wenn man von den Angaben des Beschwerdeführers ausginge, wäre es ihm möglich, in einem Strafverfahren seine Unschuld darzutun, da es nach seinen eigenen Angaben keine Zeugen und Sachbeweise für seine Beteiligung an den ihm vorgeworfenen Delikten gebe. Eine korrekte Verfahrensführung wäre jedenfalls in den höheren Instanzen der Gerichtsbarkeit gewährleistet, da die dort tätigen Richter auf ihre Unabhängigkeit achten und selbständig handeln würden. In der Begründung ihrer Entscheidung nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer wegen der Stellung seines Asylantrages und einer Rückführung nach Bangladesh keine Sanktionen zu erwarten habe, auch könnte er in keine ausweglose Lebenssituation geraten, zumal er - offensichtlich gesund und arbeitsfähig - Unterstützung durch seine Verwandten finden könnte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer Mitglied der Jugendorganisation der BNP gewesen sei und an Demonstrationen gegen Joynal Hazari teilgenommen habe. Hingegen wertete die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach gegen ihn auf Betreiben der kriminellen Organisation des Hazari falsche Strafanzeigen wegen Mordes in zwei Fällen erstattet worden seien, als unglaubwürdig, dies im Wesentlichen deshalb, weil der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben dazu gemacht habe, von welchen Personen, wo und wann er von den Anzeigen erfahren habe. Die Beschwerde wendet sich zu Recht gegen die Schlüssigkeit dieser Beweiswürdigung der belangten Behörde:
Zunächst kann der von der belangten Behörde erblickte Widerspruch in den zeitlichen Angaben dem Vorbringen des Beschwerdeführers - vor dem Bundesasylamt habe er angegeben, im Juli 1999, vor der belangten Behörde, im Oktober 1999 von den Anzeigen erfahren zu haben - nicht entnommen werden, zumal er in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt nicht behauptet hat, im Juli 1999 von gegen ihn erstatteten Anzeigen erfahren zu haben. Vielmehr gab er in dieser Einvernahme auf die Frage, ob er (auch) mit den Sicherheitsbehörden Probleme gehabt habe, an, bis zum Juli 1999 keine Probleme mit der Polizei gehabt, aber während seines Aufenthaltes in Dhaka - der Beschwerdeführer hatte bereits zum Fluchtweg angegeben, Feni im Oktober 1999 verlassen zu haben und nach Dhaka gefahren zu sein - von Verwandten erfahren zu haben, dass die Polizei ihn in Feni mit Haftbefehl gesucht hätte; die Eltern der Opfer hätten ihn angezeigt.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer laut der Niederschrift des Bundesasylamtes vom 18. Juli 2000 einen "Haftbefehl" und "Anzeigen" erwähnt hat. Dies ist insofern von Bedeutung, als die belangte Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu angeblich gegen ihn erstatteten Anzeigen bzw. zum Vorliegen eines Haftbefehles wesentliche Bedeutung für die Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit beigemessen hat. Bei entsprechender Berücksichtigung des Unterschiedes zwischen einer bloßen Anzeige einerseits und einem Haftbefehl andererseits besteht der von der belangten Behörde gesehene Widerspruch in den Angaben des Beschwerdeführers, wo er von den "Strafanzeigen" erfahren habe, nicht. Er gab in der Berufungsverhandlung nämlich an, er habe, nachdem er "die Anzeige zur Kenntnis genommen" habe, Feni im Oktober 1999 verlassen (Letzteres hatte er schon vor dem Bundesasylamt vorgebracht), während er vor dem Bundesasylamt und nochmals in der Berufungsergänzung vom 5. Oktober 2000 vorgebracht hatte, in Dhaka vom Haftbefehl erfahren zu haben.
Auch das weitere Argument der belangten Behörde, es sei nicht nachvollziehbar, dass Hazari durch seine Schlägertruppe mit massiver Gewalt gegen politische Gegner vorgegangen sei, gegen den Beschwerdeführer aber "vergleichsweise subtil angelegte Maßnahmen" durch Erstattung falscher Anzeigen gesetzt habe, ist insofern nicht stichhaltig, als der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt auf die Frage, wie er realisiert habe, dass man ihm nach dem Leben trachte, auch angab - und dies in der Berufungsverhandlung wiederholte -, dass nach einer Demonstration mehrere Mitglieder der Chatra-League (der Studentenorganisation der Awami-League) zu ihm nach Hause gekommen seien, Molotow-Cocktails gegen die Tür geworfen, seinen Namen gerufen und ihn aufgefordert hätten, vor die Tür zu treten; dabei habe er auch Schüsse gehört.
Dass der Beschwerdeführer schließlich vor dem Bundesasylamt angab, von den "Strafanzeigen" durch seine Verwandten erfahren zu haben, in der Berufungsverhandlung hingegen zunächst "Parteikollegen" als Informanten nannte, vermag für sich allein die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht schlüssig zu begründen, zumal der Beschwerdeführer für diese Angaben auch eine nicht von vornherein unplausible Erklärung geben konnte.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides erschöpft sich aber nicht in den dargestellten Ausführungen zur Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers, sondern ergänzt für den Fall der Glaubwürdigkeit, dass es ihm möglich wäre, in einem Strafverfahren seine Unschuld darzutun, weil es keine Zeugen und Sachbeweise für seine Beteiligung an den Delikten gebe; eine korrekte Verfahrensführung wäre jedenfalls in den höheren Instanzen der Gerichtsbarkeit gewährleistet, da die dort tätigen Richter auf ihre Unabhängigkeit achten und selbständig agieren würden.
Die Beschwerde hält dieser Annahme Länderberichte entgegen, denen zufolge die unteren Gerichtsinstanzen als Teil der Exekutive deren Einfluss unterliegen würden und korrupt seien; Korruption innerhalb der Polizei und mangelnde Transparenz polizeilicher Ermittlungen würden Gerechtigkeit in vielen Fällen verzögern oder vereiteln (U.S. Department of State, Bangladesh Country Reports on Human Rights Practices 2002, 31. März 2003; BBC News, Report slates Bangladesh police, 6. November 2003). Zahlreiche - selbst schwerste - Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte würden nur selten disziplinarrechtlich verfolgt; Sicherheitskräfte würden außergerichtliche Tötungen begehen; Todesfälle in Haft hätten sich im Vergleich zu 2001 mehr als verdoppelt; die Polizei wende routinemäßig Folter, Prügel und andere Formen von Missbrauch bei der Einvernahme von Verdächtigen an (UK Home Office, Bangladesh Country Report, Oktober 2003). Der Beschwerdeführer weist weiters darauf hin, dass die gegen ihn gerichteten Anzeigen von den Eltern der Mordopfer erstattet worden seien, sodass die Behörden - trotz des in Bangladesh während des gegenständlichen Asylverfahrens erfolgten politischen Machtwechsels - "keinen Grund haben, die Anzeige als schlicht politisch motiviert abzutun"; es könne nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer nicht (auch) Gefahr von polizeilicher Seite drohe, etwa durch Einflussnahme regionaler Awami-League-Aktivisten; auch sei nicht gesichert, dass er ein Rechtsmittel gegen ein allfälliges Strafurteil ergreifen könne.
Mit diesem Vorbringen tritt die Beschwerde auch der Eventualbegründung des angefochtenen Bescheides erfolgreich entgegen, zumal sich diese mit einer Gefährdung des Beschwerdeführers durch die bengalische Polizei nicht auseinander gesetzt, sondern lediglich darauf verwiesen hat, dass Hazari als ins Ausland geflüchteter Straftäter nicht mehr über seine früheren Machtbefugnisse verfüge. Die Asylrelevanz der dem Beschwerdeführer im Falle einer - auf Grund des gegen ihn bestehenden Haftbefehls erfolgten - Festnahme in polizeilichem Gewahrsam drohenden Maßnahmen, die einen Bezug zum Asylgrund der politischen Gesinnung aufweisen, kann - auch unter Berücksichtigung der Lageänderung in Bangladesh - nicht von vornherein verneint werden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. Dezember 2006
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2004200061.X00Im RIS seit
07.02.2007