TE OGH 2000/11/28 Bsw32869/96

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.2000
beobachten
merken

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Rösslhuber gegen Österreich, Urteil vom 28.11.2000, Bsw. 32869/96.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Rösslhuber gegen Österreich, Urteil vom 28.11.2000, Bsw. 32869/96.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Überlange Dauer eines Strafverfahrens. Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Artikel 6, Absatz eins, EMRK - Überlange Dauer eines Strafverfahrens. Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ATS 100.000,- für immateriellen Schaden (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: ATS 100.000,- für immateriellen Schaden (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Am 29.6.1989 wurden vom LG Salzburg gegen den Bf. und 34 andere Personen Vorerhebungen iZm. der sog. "WEB-Affäre" eingeleitet, die ein Netzwerk von über 300 Gesellschaften betraf. Ein spezielles Computerprogramm musste eingerichtet werden, um mit dieser umfassenden Datenmenge zurechtzukommen. Am 4.8.1995 wurde die Anklageschrift gegen den Bf. und acht Mitangeklagte eingebracht. Ein dagegen erhobener Einspruch war erfolglos. Am 16.9.1996 begann die Hauptverhandlung vor einem Schöffengericht des LG Salzburg. Die vom Bf. gestellten Ablehnungsanträge gegen die zwei Berufsrichter und mehrere Sachverständige waren allesamt erfolglos. Am 14.6.1999 wurde der Bf. wegen Untreue zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Inzwischen hatte der VfGH nach einer Beschwerde zweier Mitangeklagter des Bf. die vierwöchige Rechtsmittelausführungsfrist des § 285 (1) StPO als verfassungswidrig aufgehoben.Am 29.6.1989 wurden vom LG Salzburg gegen den Bf. und 34 andere Personen Vorerhebungen iZm. der sog. "WEB-Affäre" eingeleitet, die ein Netzwerk von über 300 Gesellschaften betraf. Ein spezielles Computerprogramm musste eingerichtet werden, um mit dieser umfassenden Datenmenge zurechtzukommen. Am 4.8.1995 wurde die Anklageschrift gegen den Bf. und acht Mitangeklagte eingebracht. Ein dagegen erhobener Einspruch war erfolglos. Am 16.9.1996 begann die Hauptverhandlung vor einem Schöffengericht des LG Salzburg. Die vom Bf. gestellten Ablehnungsanträge gegen die zwei Berufsrichter und mehrere Sachverständige waren allesamt erfolglos. Am 14.6.1999 wurde der Bf. wegen Untreue zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Inzwischen hatte der VfGH nach einer Beschwerde zweier Mitangeklagter des Bf. die vierwöchige Rechtsmittelausführungsfrist des Paragraph 285, (1) StPO als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Bf. erhob am 14.7.2000 eine Berufung. Die letzte Information, die dem GH zugegangen war jene, dass der Bf. eine Nichtigkeitsbeschwerde vorbereitet, die bis zum vom LG Salzburg festgesetzten Datum am 16.11.2000 eingebracht werden musste.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer beurteilt sich nach den Umständen des Falles und nach den in der Rspr. des GH entwickelten Kriterien. Das sind die Komplexität des Falles, das Verhalten des Bf. und das Verhalten der Behörden.

Das Verfahren wurde am 29.6.1989 eingeleitet. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Bf. am 16.6.2000, also beinahe 11 Jahre später, zugestellt. Das gegenständliche Verfahren war wegen der großen Anzahl der in die Angelegenheit verwickelten verdächtigen Personen und Gesellschaften, des großen Aktenumfangs und der Notwendigkeit der Erstellung eines speziellen Computerprogramms außergewöhnlich komplex. Dieser Meinung war auch der VfGH, als er die in § 285 (1) StPO vierwöchige Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerden aufgehoben hatte (Anm.: Erk. vom 16.3.2000, NL 2000, 75). Die außergewöhnliche Komplexität eines Falles reicht für sich allein jedoch nicht aus, um eine derart beträchtliche Verfahrensdauer zu rechtfertigen. Der Bf. hat während des Vorverfahrens keine Anträge eingebracht. Während des Hauptverfahrens lehnte er jedoch sowohl Richter wie auch Sachverständige wegen Befangenheit ab. Es kann jedoch nicht gesagt werden, dass der Bf. substantiell zu dieser Verfahrensdauer beigetragen hat.Das Verfahren wurde am 29.6.1989 eingeleitet. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Bf. am 16.6.2000, also beinahe 11 Jahre später, zugestellt. Das gegenständliche Verfahren war wegen der großen Anzahl der in die Angelegenheit verwickelten verdächtigen Personen und Gesellschaften, des großen Aktenumfangs und der Notwendigkeit der Erstellung eines speziellen Computerprogramms außergewöhnlich komplex. Dieser Meinung war auch der VfGH, als er die in Paragraph 285, (1) StPO vierwöchige Frist zur Ausführung von Nichtigkeitsbeschwerden aufgehoben hatte Anmerkung, Erk. vom 16.3.2000, NL 2000, 75). Die außergewöhnliche Komplexität eines Falles reicht für sich allein jedoch nicht aus, um eine derart beträchtliche Verfahrensdauer zu rechtfertigen. Der Bf. hat während des Vorverfahrens keine Anträge eingebracht. Während des Hauptverfahrens lehnte er jedoch sowohl Richter wie auch Sachverständige wegen Befangenheit ab. Es kann jedoch nicht gesagt werden, dass der Bf. substantiell zu dieser Verfahrensdauer beigetragen hat.

Dem GH sind die Probleme der Staaten bei der Durchführung von Strafverfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität sehr wohl bewusst. Dennoch ist eine Verfahrensdauer wie im vorliegenden Fall, der nach 11 Jahren und 4 Monaten noch immer nicht durch die zweite Instanz entschieden wurde, nicht angemessen iSv. Art 6 (1) EMRK. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).Dem GH sind die Probleme der Staaten bei der Durchführung von Strafverfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität sehr wohl bewusst. Dennoch ist eine Verfahrensdauer wie im vorliegenden Fall, der nach 11 Jahren und 4 Monaten noch immer nicht durch die zweite Instanz entschieden wurde, nicht angemessen iSv. Artikel 6, (1) EMRK. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:

ATS 100.000,-- für immateriellen Schaden (einstimmig).

Anm.: Vgl. den vom GH zitierten Fall Péllissier & Sassi/F, Urteil v. 25.3.1999 (= NL 1999, 66 = EuGRZ 1999, 323 = ÖJZ 1999, 905).Anmerkung, Vgl. den vom GH zitierten Fall Péllissier & Sassi/F, Urteil v. 25.3.1999 (= NL 1999, 66 = EuGRZ 1999, 323 = ÖJZ 1999, 905).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 28.11.2000, Bsw. 32869/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2000, 234) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/00_6/Rösslhuber.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00323 Bsw32869.96-U

Dokumentnummer

JJT_20001128_AUSL000_000BSW32869_9600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten