TE OGH 2000/12/12 14Os68/00

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Veröffentlicht am 12.12.2000
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Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krauss als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Adolf Petrus H***** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 10. September 1999, GZ 13d Vr 446/96-91, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Adolf Petrus H***** des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Bad Sch***** und G***** mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung die Ehegatten Doris und Herbert A***** durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, wodurch diese am Vermögen in einem 500.000 S übersteigenden Betrag geschädigt wurden, und zwar

1) am 29. und 30. September (richtig:) 1994 durch die Behauptung, er werde das von ihnen im Hinblick auf eine geplante Beteiligung der Doris A***** an der zu erwerbenden S***** GmbH zur Verfügung gestellte Geld "zum Ankauf der GmbH" sowie zur Finanzierung der notwendigen Renovierungs- und Umbauarbeiten am Hotel, gegebenenfalls zum Ankauf weiterer Objekte und Liegenschaften, jeweils nach vorheriger Absprache, verwenden und die im Eigentum der Hotel S***** GmbH stehenden Liegenschaften unbelastet lassen, zur Aufnahme eines Kredites in der Höhe von 14,000.000 S und Überweisung dieses Betrages auf sein Privatkonto bei der Volksbank ***** (Schaden 14,000.000 S);

2) am 7. Oktober 1994 durch die Behauptung, im Rahmen der von ihm in die Wege geleiteten Umschuldung der Ehegatten A***** von der ***** Sparkasse ***** zur Volksbank ***** sei es erforderlich, noch am selben Tag einen Geldbetrag von 4,000.000 S bei der ***** Sparkasse *****, Zweigstelle W*****, zur Einzahlung zu bringen, die Doris A***** zur Ausfolgung eines Geldbetrages von 4,000.000 S (Schaden 4,000.000 S).

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit auf die Gründe der Z 1, 2, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde.

Er macht dabei unter der Z 1 mit Recht geltend, dass die an der Entscheidung des Schöffengerichtes beteiligte Richterin Mag. Gerlinde H***** ausgeschlossen gewesen sei, weil sie im Vorverfahren durch die Erlassung eines Beschlagnahmebefehls am 6. Mai 1997 (ON 15) als Untersuchungsrichterin tätig geworden war. Davon habe er erst nach Zustellung der Urteilsausfertigung durch Einsichtnahme in die aus diesem Anlass zwecks Verfassung des Rechtsmittels beigeschafften (vollständigen) Aktenkopien Kenntnis erlangt.

Rechtliche Beurteilung

Prozessuale Voraussetzung für die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes ist, dass der die Nichtigkeit begründende Tatumstand dem Beschwerdeführer noch vor oder während der Hauptverhandlung bekannt und von ihm nicht gleich beim Beginne der Hauptverhandlung oder sofort, nachdem er in dessen Kenntnis gelangt war, geltend gemacht wurde. Diese Rügepflicht soll insbesondere den Missbrauch verhindern, dass Verfahrensbeteiligte, die bereits Kenntnis von der Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters an der Hauptverhandlung haben, vorerst den Fortgang des Beweisverfahrens beobachtend abwarten und erst dann, allenfalls überhaupt erst angesichts eines missliebigen Urteils den Verfahrensmangel geltend machen und solcherart über ein Rechtsmittel eine Verfahrenserneuerung erwirken.

Die Kenntnis von dem die Nichtigkeit bewirkenden Tatumstand ist - wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (insb 11 Os 151/96, vgl auch SSt 48/74 und 12 Os 62/99) - auf jeweils im Einzelfall zu prüfende objektive Kriterien abzustellen, nämlich im gegebenen Konnex auf die Zugänglichkeit des relevanten Tatsachensubstrats, wenn auch nicht auf das darauf basierende individuell unterschiedliche, letztlich unüberprüfbare tatsächliche Erfassen der sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen. Umgekehrt darf bei der erforderlichen verfassungskonformen Auslegung (Grundrecht auf ein Verfahren vor einem "unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht" nach Art 6 Abs 1 EMRK; vgl dazu das Erkenntnis des EGMR vom 25. Feber 1992, Nr 54/1990/245/216, im Fall Pfeifer und Plankl gegen Österreich [ÖJZ-MRK 1992/21 S 455]) die durch die Rügepflicht bewirkte Einschränkung des in Rede stehenden Nichtigkeitsgrundes nicht so weit gehen, dass sie einer Vereitelung der Geltendmachung nahekommt, indem für das Merkmal der "Kenntnis" ein zu großzügiger Maßstab angelegt oder gar auf ein "Bekanntseinmüssen" abgestellt wird.Die Kenntnis von dem die Nichtigkeit bewirkenden Tatumstand ist - wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (insb 11 Os 151/96, vergleiche auch SSt 48/74 und 12 Os 62/99) - auf jeweils im Einzelfall zu prüfende objektive Kriterien abzustellen, nämlich im gegebenen Konnex auf die Zugänglichkeit des relevanten Tatsachensubstrats, wenn auch nicht auf das darauf basierende individuell unterschiedliche, letztlich unüberprüfbare tatsächliche Erfassen der sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen. Umgekehrt darf bei der erforderlichen verfassungskonformen Auslegung (Grundrecht auf ein Verfahren vor einem "unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht" nach Art 6 Abs 1 EMRK; vergleiche dazu das Erkenntnis des EGMR vom 25. Feber 1992, Nr 54/1990/245/216, im Fall Pfeifer und Plankl gegen Österreich [ÖJZ-MRK 1992/21 S 455]) die durch die Rügepflicht bewirkte Einschränkung des in Rede stehenden Nichtigkeitsgrundes nicht so weit gehen, dass sie einer Vereitelung der Geltendmachung nahekommt, indem für das Merkmal der "Kenntnis" ein zu großzügiger Maßstab angelegt oder gar auf ein "Bekanntseinmüssen" abgestellt wird.

Im vorliegenden Fall war der Name der den Beschlagnahmebefehl erlassenden und in der Folge beisitzenden Richterin Mag. Gerlinde H***** jedenfalls aus dem Antrags- und Verfügungsbogen nicht ersichtlich, weil die betreffenden Verfügungen mit ihrer unleserlichen Paraphe unterfertigt waren (AV-Bogen S 1e). Die Urschrift des Beschlagnahmebefehls (ON 15) hinwieder trägt zwar ihre Vollunterschrift, doch ist der Familienname nur deshalb (mit Mühe) lesbar, weil er durch die nachfolgenden Hauptverhandlungsprotokolle bekannt geworden ist.

Am 4. Mai 1998, also kurz vor der ersten Hauptverhandlung, ließ der damalige Verteidiger Dr. Albin O***** ersichtlich durch eine(n) Kanzleiangestellte(n) namens "Herzog" Akteneinsicht nehmen und 302 Seiten Aktenkopien anfertigen (AV-Bogen S 1l und II/ON 41, S 357 verso). Die Akten umfassten zum damaligen Zeitpunkt 2 Bände mit insgesamt 1073 Seiten. Es steht daher keineswegs fest, dass auch die Urschrift des Beschlagnahmbefehls (ON 15) mitkopiert und solcherart überhaupt dem Verteidiger zugänglich geworden ist.

Dass Dr. O***** oder seinem Nachfolger, dem nunmehrigen Verteidiger Dr. K***** in Kenntnis des Namens der Beisitzerin (auf Grund der Hauptverhandlungsprotokolle) noch vor der letzten Hauptverhandlung am 10. September 1999 (ON 87) nochmals der gesamte (bis dahin 6 Bände umfassende) Akt zur Einsicht zur Verfügung gestanden wäre, ist nicht aktenkundig. Vielmehr wurden Ersuchen Dris. O*****, die Akten dem Bezirksgericht Villach zwecks Einsicht durch ihn zu übermitteln (ON 45, 48 ud 49) nach der Aktenlage keiner Erledigung zugeführt.

Schließlich lassen sich auch aus der Tatsache, dass dem Angeklagten persönlich eine Ausfertigung des Beschlagnahmebefehls (wohl versehen mit der Namensstampiglie Magris. H*****) am 23. Mai 1997 ausgefolgt worden ist (II/S 31), Schlüsse auf die rechtzeitige Kenntnis der Ausschließung der beisitzenden Richterin nicht ziehen, denn es liegen keine belegbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Ausfertigung einem der erst später einschreitenden Verteidiger zugekommen, oder dass der Angeklagte selbst den Namen der Beisitzerin kannte und daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen in der Lage gewesen wäre. Da somit keine objektiven Kriterien vorhanden sind, die auf eine schon vor oder zumindest während der Hauptverhandlung vorgelegene Kenntnis des Verteidigers hinweisen, dass die beisitzende Richterin als Untersuchungsrichterin eingeschritten war, steht die unterlassene Rügepflicht dem Aufgreifen der hier vorliegenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1 StPO nicht im Weg.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher wie im Spruch zu erkennen, ohne dass auf die geltend gemachten weiteren Nichtigkeitsgründe einzugehen war.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Textnummer

E60303

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0140OS00068..1212.000

Im RIS seit

11.01.2001

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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