TE Vfgh Erkenntnis 2002/9/24 B150/01

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Veröffentlicht am 24.09.2002
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs2
EMRK 7. ZP Art2
DSt 1990 §16
RL-BA 1977 §8

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen versuchter Beeinflussung einer Zeugin; keine Bedenken gegen das Strafausmaß

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 16. Oktober 2000 wurde der Berufung des Kammeranwaltes gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien Folge gegeben und das Erkenntnis des Disziplinarrates, mit dem der Beschwerdeführer vom Vorwurf eines Disziplinarvergehens freigesprochen wurde, aufgehoben. Der Beschwerdeführer wurde für schuldig erkannt, er habe am 18. Oktober 1997 die (damals) in England in Haft befindliche Elisabeth N unter dem Vorwand aufgesucht, sie über ihre Rechte als Zeugin zu belehren, wobei er sie darauf hingewiesen habe, daß sie sich möglicherweise in persönlicher Gefahr befinde, weil sie Mitglieder eines internationalen Drogenrings belastet habe. Dem Beschwerdeführer wurde wegen Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes die Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer eines Jahres untersagt.

1.2. Die OBDK ging dabei von folgendem - bereits vom Disziplinarrat festgestellten - Sachverhalt aus:

"Nach den wesentlichen Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses war der Disziplinarbeschuldigte gewählter Verteidiger des Srecko K, gegen welchen zu [es folgt die Geschäftszahl] des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen des Verdachtes des Verbrechens nach §28 SMG anhängig war. In dem bezeichneten Verfahren wurde Srecko K unter anderem vorgeworfen, mehrere hundert Kilogramm Haschisch von Holland nach Österreich durch Drogenkuriere eingeführt zu haben, wobei einer dieser Kuriere Elisabeth N, welche sich in England in Strafhaft befand, war. Der Disziplinarbeschuldigte suchte am 18. Oktober 1997 Elisabeth N in der Strafhaft auf, wobei er seinen Besuch damit begründete, Elisabeth N über ihre Entschlagungsrechte als Zeugin und ihr Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigte zu belehren. Unter Verwendung des Gesetzestextes belehrte er sie auch darüber. Der Disziplinarbeschuldigte ließ sich nach einem längeren Gespräch mit Elisabeth N von dieser zwei von ihm vorbereitete Erklärungen ... unterfertigen, wobei sie eine davon handschriftlich korrigierte. Er hatte die Absicht die Erklärungen bei Gericht vorzulegen. Er wollte erreichen, dass sämtliche Aussagen der Elisabeth N im Strafverfahren gegen seinen Mandanten nicht verwendet werden dürfen. Er übergab ihr Kopien der Erklärungen. ... Der Disziplinarbeschuldigte erörterte mit [Elisabeth] N, dass sie sich deswegen möglicherweise in persönlicher Gefahr befinde, weil sie durch bereits abgelegte Aussagen Mitglieder eines internationalen Drogenringes belastet hatte. Er war sich darüber im klaren, das [Elisabeth] N als Zeugin in Betracht kommen könnte, die nicht nur sich selbst, sondern auch zahlreiche Drogendealer und Drogenorganisationen massiv belastete."

1.3. Die OBDK würdigte in rechtlicher Hinsicht den Sachverhalt dahingehend, daß der Beschwerdeführer mit dem Aufsuchen der in Strafhaft in England befindlichen Elisabeth N erreichen wollte, daß sämtliche Aussagen im Strafverfahren gegen seinen Mandanten Srecko K nicht verwendet werden. Nach Auffassung der belangten Behörde wollte der Beschwerdeführer dabei nicht nur eine abstrakte Rechtsbelehrung erteilen, sondern habe mit einer als Zeugin in Betracht kommenden Person über Aussageinhalte und die möglichen Folgen einer Aussage gesprochen. Das Vorgehen des Beschwerdeführers wäre - so die belangte Behörde - "von der Absicht getragen, die Verwendung von Aussagen der [Elisabeth] N in einem gegen seinen Mandanten geführten Strafverfahren rechtlich zu verhindern". Die OBDK erblickte in diesem Verhalten einen Verstoß gegen §8 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977).

2. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetz- und verfassungswidrigen Verordnungsbestimmung (nämlich des §8 RL-BA 1977) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. §8 RL-BA 1977 lautet:

"Der Rechtsanwalt hat im Verkehr mit Personen, die als Zeugen in Betracht kommen, alles zu unterlassen, was auch nur den Anschein einer Beeinflussung hervorruft."

Der Verfassungsgerichtshof hegt angesichts des vorliegenden Beschwerdefalles, in dem der Beschwerdeführer eine potentielle Zeugin in einem Gefängnis in England aufsuchte, um sie davon zu überzeugen, daß ihre Aussagen nicht in einem Strafprozeß gegen seinen Mandanten verwendet werden, keine Bedenken gegen die Gesetz- und (indirekt) Verfassungsmäßigkeit des §8 RL-BA 1977.

1.2. Da auch die Bestimmung des §16 Abs6 DSt 1990 über die Strafzumessung keinen verfassungsrechtlichten Bedenken begegnet (vgl. etwa VfSlg. 16009/2000 mwH auf die Rspr.) wurde der Beschwerdeführer daher nicht wegen Anwendung einer gesetz- und verfassungswidrigen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1.1. Der Beschwerdeführer wirft auch dem Vollzug eine Verletzung des durch Art6 Abs2 EMRK gewährleisteten Recht auf Unschuldsvermutung vor.

2.1.2. Doch auch dieser Vorwurf ist unbegründet, weil von einer dem Art6 Abs2 EMRK widersprechenden Beweislastumkehr zu Lasten des Beschwerdeführers im vorliegenden Verfahren nicht die Rede sein kann: Die OBDK hat den bereits vom Disziplinarrat festgestellten Sachverhalt in der Hinsicht gewürdigt, daß der Beschwerdeführer die Verwendung von Aussagen der Elisabeth N verhindern und damit die Zeugin beeinflussen wollte. Da auch sonst im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof keine Anhaltspunkte hervorgekommen sind, die die Annahme rechtfertigen würden, das Verfahren vor der OBDK sei nicht in rechtsstaatlicher Weise durchgeführt worden, etwa weil die belangte Behörde schon von vornherein von einer Vermutung des Vorliegens einer strafbaren Handlung ausgegangen sei, wurde der Beschwerdeführer nicht in seinem gemäß Art6 Abs2 EMRK gewährleisteten Recht verletzt.

2.2. Der Beschwerdeführer erblickt im Umstand, daß er erst in der 2. Instanz zu einer Disziplinarstrafe verurteilt wurde und ihm deswegen keine ordentlichen Rechtsmittel dagegen mehr offen stehen, eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte. Er verkennt dabei bereits, daß gemäß Art2 Abs2 des 7. ZPEMRK bei einem Freispruch in der ersten Instanz ein ordentliches Rechtsmittel gegen einen verurteilenden Bescheid der 2. Instanz verfassungsrechtlich nicht geboten ist (ganz abgesehen davon, daß ihm auch der Weg zum Verfassungsgerichtshof offen steht, vgl. VfGH 8.3.2002, B1755/00), sodaß der Beschwerdeführer nicht in dem gemäß Art2 des 7. ZPEMRK gewährleisteten Recht verletzt wurde.

2.3. Auch trifft der unter dem Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren erhobene Vorwurf des Beschwerdeführers, er wurde durch den angefochtenen Bescheid wegen eines Verhaltens verurteilt, welches nicht Gegenstand des Einleitungsbeschlusses war, nicht zu. Bereits im Einleitungsbeschluß wurde ihm der Vorwurf gemacht, die in England in Haft befindliche Elisabeth N unter dem Vorwand aufgesucht zu haben, sie über ihre Rechte als Zeugin zu belehren und darauf hingewiesen zu haben, daß es für ihre "Situation und Gesundheit" besser wäre, nicht auszusagen. Damit konnte sich der Beschwerdeführer - dem Zweck des Einleitungsbeschlusses entsprechend (VfSlg. 9425/1982) - über die Anschuldigungspunkte (die im übrigen auch im Laufe des Disziplinarverfahrens nicht erweitert wurden) die nötige Klarheit verschaffen. Wenn der Beschwerdeführer bemängelt, daß der Spruch des Einleitungsbeschlusses sich nicht vollständig mit dem verurteilenden Spruch des angefochtenen Bescheides deckt, verkennt er die Funktion des Einleitungsbeschlusses als prozeßleitende Verfügung, die den Gegenstand des Disziplinarverfahrens vorläufig festlegt (VfSlg. 15841/2000).

Der Beschwerdeführer wurde nicht in dem durch Art6 EMRK gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

2.4.1. Unter dem Titel des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe §8 RL-BA 1977 deswegen willkürlich ausgelegt, weil in der bloßen "Belehrung" der Zeugin, sich der Aussage im Strafverfahren gegen seinen Mandanten zu entschlagen, noch keine Einflußnahme auf den späteren Inhalt einer Zeugenaussage zu erblicken sei. Auch vermögen die aufgenommenen Beweise und die darauf gegründeten Feststellungen der belangten Behörde die im Spruch des angefochtenen Bescheides als erwiesen angenommene Tat nicht zu decken. Im übrigen wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde bezüglich des verhängten Strafausmaßes eine exzessive Vorgehensweise vor.

2.4.2. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen (vgl. Punkt II.1) könnte der Beschwerdeführer im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur dann verletzt sein, wenn die belangte Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

2.4.3. Keiner dieser Mängel liegt jedoch vor. Die OBDK gab in der ausführlichen Begründung ihres Bescheides - wenn auch nach Meinung des Beschwerdeführers unzutreffend - alle ihr tragend erscheinenden Erwägungen eingehend wieder: Wenn die belangte Behörde daher aufgrund des im Disziplinarverfahren durchgeführten - und aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden - Beweisverfahrens zur Auffassung gelangt, daß der Beschwerdeführer nicht bloß die Zeugin über ihre Rechte belehren oder sie auf eine möglicherweise bestehende persönliche Gefahr für die Zeugin aufmerksam machen wollte, sondern darüber hinaus zu verhindern beabsichtigte, daß bereits getätigte Aussagen der Zeugin zu einem späteren Zeitpunkt in einem Strafprozeß gegen seinen Mandanten verwendet werden, kann ihr keine willkürliche Subsumtion des festgestellten Sachverhaltes unter §8 RL-BA 1977 vorgeworfen werden. Die beschwerdeführende Partei brachte nichts vor, was diese Wertung des angefochtenen Bescheids ernsthaft in Frage stellen und erschüttern könnte. Ob die Beweiswürdigung, aufgrund derer die belangte Behörde zu ihren Feststellungen gelangte, in jeder Hinsicht richtig war bzw. ob generell das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn, wie hier, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z4 B-VG nicht zulässig ist (zB VfSlg. 9456/1982, 10565/1985, 11754/1988, 13419/1993, 16009/2000).

Nichts anderes gilt auch für die geübte Kritik am Ausmaß der verhängten Strafe: Es werden nur Fragen der richtigen Anwendung des einfachen Gesetzes angesprochen. Der Verfassungsgerichtshof vermag angesichts der Schwere der disziplinären Verfehlung, sowie des Erschwerungsgrundes dreier weiterer, noch nicht getilgter disziplinärer Verurteilungen, in der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer eines Jahres (noch) keinen Ermessensexzeß iS einer willkürlichen Anwendung des §16 Abs6 DSt 1990 iVm. den §§32 ff StGB zu erkennen (vgl. in diesem Zusammenhang auch VfSlg. 13340/1993, 13419/1993).

Der Beschwerdeführer wurde nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2.5. Zur behaupteten Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Freiheit der Erwerbsbetätigung:

2.5.1. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Freiheit der Erwerbsbetätigung nur verletzen, wenn die belangte Behörde das Gesetz oder die Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (zB VfSlg. 10370/1985, 11470/1987).

2.5.2. Daß dem angefochtenen Bescheid keine derart gravierenden Vollzugsfehler anzulasten sind, ergibt sich aus dem schon bisher unter Punkt II.2. Gesagten.

Der Beschwerdeführer wurde nicht in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt.

3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B150.2001

Dokumentnummer

JFT_09979076_01B00150_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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