TE OGH 2001/1/17 6Ob318/00h

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Veröffentlicht am 17.01.2001
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Monika L*****, vertreten durch Dr. Michael Sallinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dr. Hermann R*****, vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 129.840 S und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 26. September 2000, GZ 1 R 193/00t-27, womit über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 4. Juli 2000, GZ 10 Cg 193/99v-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 8.112 S (darin 1.352 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der beklagte Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde stellte bei der Klägerin eine chronische Mandelentzündung und einen Stimmbandpolypen fest. Die Klägerin war mit einer Tonsillektomie einverstanden. Nach der vom Beklagten am 7. 1. 1997 durchgeführten Operation konnte die Klägerin bis Anfang März 1997 nicht sprechen. Logopädische Behandlungen hatten wenig Erfolg. Erst mit einer Operation an einer Klinik für plastische Chirurgie wurde ein gutes Resultat erzielt und das ursprüngliche Sprechvermögen der Klägerin wiederhergestellt. Die Klägerin hatte schon vor der Operation einen verkürzten Gaumensegel. Der dadurch bewirkte unvollständige Nasen-Rachenabschluss führt beim Sprechen zu einem "offenen Näseln", das bei vergrößerten Gaumenmandeln aber nicht auffällig ist. Meist tritt das "Näseln" erst nach Entfernen der "maskierenden" vergrößerten Mandeln auf. Eine Mandeloperation kann also ein "Näseln" als bleibende Operationsfolge bewirken, dies allerdings nur mit einer Häufigkeit von bis zu 0,1 %. Bei der Klägerin trat diese bleibende Folge auf, die aber durch die plastische Operation behoben werden konnte. Der Beklagte hatte die Klägerin vor der von ihm durchgeführten Operation nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, dass sie einen angeborenen zu kurzen Gaumensegel haben und die Mandelentfernung in diesem Fall zu einem bleibenden "Näseln" führen könnte. Die Klägerin war Reisebüroangestellte, sie hatte häufig mit Kunden zu sprechen und musste auch Telefondienst verrichten.

Die Klägerin begehrt den Ersatz der nach der Operation angefallenen Kosten für Arztbesuche, Arzthonorare, Fahrtspesen, Logopädiebetreuung uä sowie Schmerzengeld für die bis zu ihrer Wiederherstellung aufgetretenen physischen und psychischen Schmerzen. Sie begehrte überdies die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle Schäden auf Grund der Operation vom 7. 1. 1997. Bei entsprechender Aufklärung durch den Beklagten wäre es nie zu der Operation gekommen.

Der Beklagte wandte ein, dass die Operation wegen der wiederkehrenden Halsschmerzen und der Heiserkeit der Klägerin dringlich gewesen sei und unbedingt durchgeführt habe werden müssen. Er habe die Klägerin ausreichend aufgeklärt.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren teilweise statt und wies das Mehrbegehren und das Feststellungsbegehren ab. Es stellte fest, dass dem Beklagten die Angst der Klägerin vor einer Operation aufgefallen war und dass er deshalb davon abgesehen habe, die Klägerin über die Möglichkeit des "Näselns" als Operationsfolge aufmerksam zu machen. Bei einer entsprechenden Aufklärung hätte die Klägerin die Operation nicht durchführen lassen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, dass der Arzt auf die typischen Risken einer Operation besonders hinweisen müsse, wobei es auf eine in Prozenten auszudrückende geringe Wahrscheinlichkeit nicht ankomme. Ob eine Operationsfolge typisch sei, hänge nicht von der Komplikationshäufigkeit ab, sie müsse aber erheblich und damit geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Die eingetretene Folge sei eine typische, wenn auch äußerst seltene Operationsfolge, die sogar mit einem Sprachverlust verbunden sein könne, sodass eine Aufklärung für die Entscheidung des Patienten zur Zustimmung zur Operation notwendig gewesen sei, insbesondere weil die Operation nicht akut medizinisch indiziert gewesen sei. Der Arzt oder der Krankenhausträger hätten zu beweisen, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff gegeben hätte. Hier stehe fest, dass sich die Klägerin bei entsprechender Aufklärung nicht operieren hätte lassen. Der Beklagte habe die Angst der Klägerin vor der Operation erkannt. Dennoch hätte er sie aufzuklären gehabt, weil die Operation nicht dringend geboten gewesen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht mit der oberstgerichtlichen Entscheidung JBl 1983, 373 harmoniere (dort sei die Aufklärungspflicht des Arztes bei einer Kropfoperation über eine mögliche Stimmbandlähmung der psychisch labilen und erregten Patienten verneint worden).

Mit seiner Revision beantragt der Beklagte die Abänderung dahin, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Das angefochtene Urteil steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung JBl 1983, 373 [Holzer] = SZ 55/114. Dort wurde zwar eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Arztes, der einen Kropf operativ entfernt, die Patientin aber nicht über den dann auch eingetretenen Risikofall einer Stimmbandlähmung aufgeklärt hatte, verneint. Der Eingriff war aber damals auf Grund des Gesundheitszustandes der Patientin dringend geboten. Sie hatte unter Atemnot gelitten und befürchtete objektiv auch zu Recht die Entstehung eines Krebses. Nach dem Sachverständigengutachten war von einer mit 20 % zu veranschlagenden konkreten Todesgefahr auszugehen. Diese Umstände sind mit dem hier zu beurteilenden Sachverhalt einer medizinisch zwar indizierten, aber nicht dringlichen Mandeloperation nicht zu vergleichen. Der Beklagte geht in seiner Revision selbst von keiner besonderen Dringlichkeit der Operation aus, steht aber auf dem Standpunkt, dass er wegen des festgestellten Leidens der chronischen Mandelentzündung und deren äußerst schlechten Einflusses auf den Gesamtzustand der Klägerin sowie wegen ihrer ihm bekannten Angst vor einer Operation die Aufklärung über die äußerst unwahrscheinliche, wenn auch für die Operation typische Folge des Auftretens eines "Näselns" unterlassen habe dürfen. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsansicht im Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur zutreffend verneint:

Auf typische Risken einer Operation ist unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit vom Arzt hinzuweisen, also auch dann, wenn der Eintritt einer Komplikation sehr selten ist (SZ 67/9; 4 Ob 335/98p = JBl 1999, 531) und die negative Folge erheblich ist (JBl 1995, 453). Der Patient soll nicht von der einer Operation anhaftenden, auch bei Anwendung der allergrößten Sorgfalt nicht mit Sicherheit vermeidbaren typischen, wenn auch selten auftretenden Eingriffsfolge überrascht werden. Zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz, dass die Aufklärung umso umfassender sein muss, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (JBl 1999, 531 uva). Nur bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat (SZ 59/18), ist die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen (1 Ob 2318/96f = RdM 1997, 90). Insbesondere ein ängstlicher Patient soll nicht durch die Aufklärung über selten verwirklichte Operationsrisken beunruhigt und dazu veranlasst werden, eine dringliche Operation nicht vornehmen zu lassen (so schon SZ 55/114). Nach diesen Grundsätzen kann sich der Beklagte nicht auf die von ihm festgestellte Ängstlichkeit der Klägerin berufen, weil die Operation keine dringliche war. Auch für ängstliche, der Vernunft (vgl § 1297 ABGB) aber keineswegs beraubte Personen gilt in diesem Fall, dass sie selbst die Abwägung vornehmen sollen, ob sie trotz des statistisch unwahrscheinlichen Risikos die geplante Operation vornehmen lassen oder aber mit den bisherigen Beschwerden weiterleben möchten. Diese Abwägung setzt aber eine umfassende ärztliche Aufklärung auch über ganz selten auftretende Operationsfolgen voraus.Auf typische Risken einer Operation ist unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit vom Arzt hinzuweisen, also auch dann, wenn der Eintritt einer Komplikation sehr selten ist (SZ 67/9; 4 Ob 335/98p = JBl 1999, 531) und die negative Folge erheblich ist (JBl 1995, 453). Der Patient soll nicht von der einer Operation anhaftenden, auch bei Anwendung der allergrößten Sorgfalt nicht mit Sicherheit vermeidbaren typischen, wenn auch selten auftretenden Eingriffsfolge überrascht werden. Zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Grundsatz, dass die Aufklärung umso umfassender sein muss, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist (JBl 1999, 531 uva). Nur bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat (SZ 59/18), ist die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen (1 Ob 2318/96f = RdM 1997, 90). Insbesondere ein ängstlicher Patient soll nicht durch die Aufklärung über selten verwirklichte Operationsrisken beunruhigt und dazu veranlasst werden, eine dringliche Operation nicht vornehmen zu lassen (so schon SZ 55/114). Nach diesen Grundsätzen kann sich der Beklagte nicht auf die von ihm festgestellte Ängstlichkeit der Klägerin berufen, weil die Operation keine dringliche war. Auch für ängstliche, der Vernunft vergleiche Paragraph 1297, ABGB) aber keineswegs beraubte Personen gilt in diesem Fall, dass sie selbst die Abwägung vornehmen sollen, ob sie trotz des statistisch unwahrscheinlichen Risikos die geplante Operation vornehmen lassen oder aber mit den bisherigen Beschwerden weiterleben möchten. Diese Abwägung setzt aber eine umfassende ärztliche Aufklärung auch über ganz selten auftretende Operationsfolgen voraus.

Wie sich zeigt, ist das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 1 ZPO liegen daher nicht vor.Wie sich zeigt, ist das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision nach Paragraph 502, Absatz eins, ZPO liegen daher nicht vor.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung steht nur der einfache Einheitssatz zu, der verzeichnete dreifache nur im Berufungsverfahren (§ 23 RATG).Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den Paragraphen 41 und 50 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung steht nur der einfache Einheitssatz zu, der verzeichnete dreifache nur im Berufungsverfahren (Paragraph 23, RATG).

Anmerkung

E60467 06A03180

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2001:0060OB00318.00H.0117.000

Dokumentnummer

JJT_20010117_OGH0002_0060OB00318_00H0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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