Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der beim Landesgericht Feldkirch zu FN 64433f eingetragenen Hermann P***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in L*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Verhängung von Zwangsstrafen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 24. November 2000, GZ 3 R 191/00p-64, womit der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 13. Juni 2000, GZ 15 Fr 3828/00x-53, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
2. Die Anträge auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichtes Wels, auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 BVG vor dem Verfassungsgerichtshof und auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung werden zurückgewiesen.2. Die Anträge auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften über das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichtes Wels, auf Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Artikel 89, Absatz 2, in Verbindung mit Artikel 140, BVG vor dem Verfassungsgerichtshof und auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht hatte die vertretungsbefugten Organe der Gesellschaft mehrmals erfolglos aufgefordert, den Jahresabschluss zum 31. 12. 1997 offenzulegen. Es verhängte schließlich die anlässlich der Aufforderung angedrohten Zwangsstrafen von je 10.000 S und forderte neuerlich unter Androhung weiterer Zwangsstrafen zur Vorlage des Jahresabschlusses auf. Der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH leistete das Erstgericht nicht Folge.
Das Rekursgericht hatte zunächst den Rekurs der Gesellschaft mangels Beschwer zurückgewiesen und den Rekursen der Geschäftsführer nicht Folge gegeben. Mit Beschluss vom 23. 10. 2000, 6 Ob 214/00i, hat der erkennende Senat dem Revisionsrekurs der Gesellschaft Folge gegeben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Gesellschaft aus der Überlegung aufgetragen, auch der Gesellschaft komme Beteiligtenstellung und Rechtsmittelbefugnis im Zwangsstrafenverfahren zu. Den Revisionsrekurs der Geschäftsführer hat der erkennende Senat zugleich unter Hinweis auf die bereits mehrfach vertretene Auffassung zurückgewiesen, wonach keine Bedenken gegen die Gemeinschaftsrechtskonformität oder die Verfassungsmäßigkeit der Offenlegungsvorschriften des HGB bestünden und Bilanz- und Publizitätsrichtlinie nicht durch nachfolgende Richtlinien und Verordnungen derogiert seien.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs der Gesellschaft nicht Folge; es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Gesellschaft (wie bereits in ihrem gemeinsam mit den Gesellschaftern erhobenen Revisionsrekurs) die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof sowie die Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung, die "Aufhebung der im Instanzenzug ergangenen Beschlüsse" und die Einstellung des Zwangsstrafenverfahrens und zudem nunmehr auch hilfsweise, das Verfahren auszusetzen, bis der EuGH über das inzwischen vom Landesgericht Wels gestellte Vorabentscheidungsersuchen entschieden hat. Die Revisionsrekurswerberin regt ferner an, dem EuGH die im Revisionsrekurs aufgezeigten Fragen der Primär- und EG-Grundrechtskonformität der Ersten und Vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht zur Rechtsfrage Stellung genommen hat, ob ein in einem anhängigen Zwangsstrafenverfahren eingeleitetes Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH die Aussetzung der übrigen (bei anderen Gerichten) anhängigen ähnlichen oder gleichen Verfahren bis zur Vorabentscheidung erforderlich macht. Er ist jedoch insgesamt unberechtigt.
Der EuGH entscheidet im Vorabentscheidungsverfahren über die Gültigkeit oder die Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Sein Urteil bindet das nationale Vorlagegericht. Es entfaltet aber über den Ausgangsrechtsstreit hinaus eine rechtliche Bindungswirkung dahin, dass alle Gerichte der Mitgliedstaaten die vom EuGH vorgenommene Auslegung oder seine Feststellung der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes zu beachten haben (Niedermühlbichler, Verfahren vor dem EuG und EuGH Rz 298). Das Gemeinschaftsrecht sieht zwar keine formelle "erga omnes Wirkung" der EuGH-Entscheidungen vor. Die über den konkreten Einzelfall (Anlassfall) hinausreichende Präjudizwirkung ist aber aus zahlreichen Entscheidungen des EuGH abzuleiten (Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 80 mwN; Dauses, Handbuch des Eu-Wirtschaftsrechtes Rz 137;
Hakenberg/Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem EuGH2 64). Vorabentscheidungen des EuGH haben grundsätzlich die zeitliche Wirkung ex tunc (Dauses aaO Rz 127; Hakenberg aaO; Schima aaO 83;
Niedermühlbichler aaO Rz 299), es sei denn, der EuGH beschränkt in seinem Spruch die zeitliche Zurückwirkung.
Eine Verpflichtung der Gerichte, ihr Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH im gleichgelagerten, schon anhängigen Vorabentscheidungsverfahren zu unterbrechen, ist aus dieser Wirkung der Vorabentscheidungen jedoch nicht ableitbar. Die gegenteilige Ansicht führte zu dem Ergebnis, dass schon das Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichtes für alle übrigen Gerichte dahin bindend wäre, sich der Rechtsansicht des Anfragegerichtes anzuschließen, also selbst eine Anfrage an den EuGH zu richten, jedenfalls aber keine meritorische Entscheidung zu treffen, sondern das Verfahren auszusetzen. Die von einem Höchstgericht zu lösende Rechtsfrage, ob eine Vorlagepflicht im Sinn des Art 177 EG-Vertrag (jetzt Art 234 EG) besteht, hätte dann ein untergeordnetes Gericht für die Zeit bis zur Entscheidung des EuGH bindend entschieden. Für eine derart weitreichende Unterbrechungswirkung fehlt jede Rechtsgrundlage im Gemeinschaftsrecht, in der Judikatur des EuGH und im nationalen österreichischen Recht. § 90a GOG verbietet lediglich eine Sachentscheidung des anfragenden Gerichtes bis zum Einlangen der Vorabentscheidung. Demgegenüber führte die Annahme einer Unterbrechungspflicht dazu, schon der Anfrage eines nationalen Gerichtes die Präjudiz- und Bindungswirkung zuzuerkennen, die erst der Entscheidung des EuGH zukommt (ebenso 6 Ob 336/00f).Eine Verpflichtung der Gerichte, ihr Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH im gleichgelagerten, schon anhängigen Vorabentscheidungsverfahren zu unterbrechen, ist aus dieser Wirkung der Vorabentscheidungen jedoch nicht ableitbar. Die gegenteilige Ansicht führte zu dem Ergebnis, dass schon das Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichtes für alle übrigen Gerichte dahin bindend wäre, sich der Rechtsansicht des Anfragegerichtes anzuschließen, also selbst eine Anfrage an den EuGH zu richten, jedenfalls aber keine meritorische Entscheidung zu treffen, sondern das Verfahren auszusetzen. Die von einem Höchstgericht zu lösende Rechtsfrage, ob eine Vorlagepflicht im Sinn des Artikel 177, EG-Vertrag (jetzt Artikel 234, EG) besteht, hätte dann ein untergeordnetes Gericht für die Zeit bis zur Entscheidung des EuGH bindend entschieden. Für eine derart weitreichende Unterbrechungswirkung fehlt jede Rechtsgrundlage im Gemeinschaftsrecht, in der Judikatur des EuGH und im nationalen österreichischen Recht. Paragraph 90 a, GOG verbietet lediglich eine Sachentscheidung des anfragenden Gerichtes bis zum Einlangen der Vorabentscheidung. Demgegenüber führte die Annahme einer Unterbrechungspflicht dazu, schon der Anfrage eines nationalen Gerichtes die Präjudiz- und Bindungswirkung zuzuerkennen, die erst der Entscheidung des EuGH zukommt (ebenso 6 Ob 336/00f).
Der erkennende Senat geht nach wie vor davon aus, dass der EuGH in seinem "Daihatsu-Urteil" das Sekundärrecht der Richtlinien geprüft und danach als vertrags- und grundrechtskonform beurteilt hat. Dem Rechtsvertreter der Gesellschaft ist diese Rechtsprechung, auf die in der Entscheidung 6 Ob 214/00i Bezug genommen und die bereits teilweise veröffentlicht wurde, bekannt. Ein weiteres Eingehen auf die Ausführungen des Revisionsrekurses der Gesellschaft, die weitgehend inhaltsgleich mit jenen des bereits zu 6 Ob 214/00i und auch 6 Ob 215/00m behandelten Revisionsrekurses der Geschäftsführer sind, erübrigt sich daher. Wie dort bereits ausgeführt, sieht der Senat weiterhin keine Veranlassung, der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH näherzutreten oder den Verfassungsgerichtshof mit der Frage der Verfassungskonformität der Offenlegungsvorschriften zu befassen.
Wie der Senat ebenfalls bereits mehrfach und insbesondere auch in den Entscheidungen 6 Ob 214/00i und 6 Ob 215/00m ausgesprochen hat, besteht kein Anlass, eine mündliche Verhandlung abzuhalten.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt der Rechtsmittelwerberin kein Antragsrecht auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zu (JBl 1994, 57; EvBl 1999/69 ua), sodass ihr diesbezüglich ausdrücklich gestellter Antrag zurückzuweisen war.
Da ihr ebenso die Antragslegitimation zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH fehlt (6 Ob 126/00y mwN uva), steht ihr umso weniger das Recht zu, die Aussetzung des sie betreffenden Verfahrens bis zur Entscheidung des von einem anderen Gericht und in einem anderen Verfahren angerufenen EuGH zu begehren. Deshalb war auch der hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag zurückzuweisen.
Anmerkung
E60825 06A00061European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2001:0060OB00006.01B.0117.000Dokumentnummer
JJT_20010117_OGH0002_0060OB00006_01B0000_000