Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hildegard L*****, vertreten durch Dr. Herbert Rabitsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Johann L*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lenneis, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts (Streitwert S 144.000) infolge Revision und Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen das Urteil bzw den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungs- bzw Rekursgericht vom 6. Oktober 2000, GZ 12 R 83/00i, 12 R 84/00m-41, womit das Urteil und der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 6. März 2000, GZ 12 Cg 15/99k-33 und 34, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt bzw beschlossen:
Spruch
Weder der Revision noch dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 16.740 (darin S 2.790 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisions- und Revisionsrekursverfahrens zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die 1938 zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe ist aufrecht, die häusliche Gemeinschaft aber bereits seit 1966 aufgelöst. Das vom Beklagten vor dem Erstgericht wegen behaupteter schwerer Eheverfehlungen der Klägerin zu AZ 15 Cg 124/84 anhängig gemachte Scheidungsverfahren ruht seit dem Jahre 1984. In einem zu AZ 5 C 163/98f des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien anhängigen Verfahren begehrt der Beklagte ebenfalls die Scheidung seiner Ehe mit der Klägerin. In diesem Verfahren machte er ursprünglich auch ein Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe geltend, doch ließ er diesen Klagsgrund aus prozessökonomischen Gründen fallen und stützte sein Rechtsgestaltungsbegehren nur mehr auf den Umstand der 1966 erfolgten Auflösung der ehelichen Gemeinschaft. In einem zu AZ 2 C 20/90m des Bezirksgerichts Floridsdorf geführten Verfahren begehrte die Klägerin vom Beklagten letztlich einen monatlichen Unterhalt von S 2.500. Dieses Klagebegehren wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin in den Siebziger- und Achtzigerjahren dermaßen schwere Eheverfehlungen gegen den Beklagten begangen habe, dass ihr Unterhaltsanspruch verwirkt sei. Die von der Klägerin gegen das bestätigende Berufungsurteil erhobene außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen.
Die Klägerin begehrt nunmehr einen monatlichen Unterhalt von S 4.000 ab 1. 10. 1998. Der Beklagte habe ein wesentlich höheres Einkommen als sie und lukriere überdies Zinsen aus Sparguthaben. Sie müsse altersbedingt betreut werden und sei auf Grund ihres Gesundheitszustands nicht mehr in der Lage, sich selbst zu erhalten; eine Berufstätigkeit sei ihr nicht mehr zumutbar. Die Klägerin habe jahrzehntelang im Unternehmen des Beklagten gearbeitet; dieser habe es verabsäumt, sie bei der Wiener Gebietskrankenkasse anzumelden. Schließlich habe sie auch die gemeinsame Tochter großgezogen. Die Gewährung des begehrten Unterhalts entspreche daher dem Gebot der Billigkeit. Wenngleich sie durch die in den Siebziger- und Achtzigerjahren begangenen schweren Eheverfehlungen den Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zunächst verwirkt habe, sei dieser Anspruch wieder aufgelebt, weil der Beklagte der Klägerin allfällige Ehescheidungsgründe verziehen habe. Dies sei aus dem Verhalten des Beklagten zu schließen, der ihr als Mitversicherter Krankenscheine der Wiener Gebietskrankenkasse nach wie vor zur Verfügung stelle, das vor dem Erstgericht anhängige Scheidungsverfahren nicht fortgesetzt habe, und im derzeit laufenden Scheidungsprozess sein Begehren nicht mehr auf ein Verschulden der Klägerin stütze.
Die Klägerin begehrte weiters, den Beklagten mit einstweiliger Verfügung zur Zahlung eines vorläufigen monatlichen Unterhalts von S 4.000 ab 1. 10. 1998 zu verpflichten.
Der Beklagte wendete ein, dass die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch verwirkt habe und dies bereits in einem Vorprozess rechtskräftig festgestellt worden sei. Überdies habe sie auf ihren Unterhaltsanspruch konkludent verzichtet; die Forderung sei auch der Höhe nach nicht berechtigt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren und den Provisorialantrag der Klägerin ab. Sie gestehe selbst zu, dass sie durch die in den Siebziger- und Achtzigerjahren begangenen schweren Eheverfehlungen ihren Unterhaltsanspruch gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB verwirkt habe. Damit sei ihr Unterhaltsanspruch gegenüber dem Beklagten aber für immer erloschen. Eine Verzeihung der Eheverfehlungen durch den Beklagten wäre unbeachtlich, eine derartige Sinnesänderung habe sie auch gar nicht schlüssig behauptet. Die Verhaltensweise des Beklagten ließe keinesfalls den zweifelsfreien Schluss zu, dass er nunmehr bereit sei, der Klägerin Unterhalt zu gewähren. § 68a Abs 2 EheG regle ausschließlich Unterhaltsansprüche für die Zeit nach der Ehescheidung und sei nicht analog auf Unterhaltsansprüche bei aufrechter Ehe anzuwenden. Es könne aber auch nicht Unterhalt gemäß § 68a Abs 2 EheG gewährt werden, wenn der Unterhaltsanspruch endgültig verwirkt worden sei.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidungen und sprach aus, dass sowohl die ordentliche Revision wie auch der ordentliche Revisionsrekurs zulässig seien. Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führe zu dessen Erlöschen, dessen Wiederaufleben sei nicht möglich. Es sei auch die Annahme nicht gerechtfertigt, dass der Beklagte den bereits erloschenen Anspruch der Klägerin habe neu begründen wollen.
Die Revision und der Revisionsrekurs der Klägerin sind zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Unstrittig ist, dass die Klägerin durch die von ihr in den Siebziger- und Achtzigerjahren begangenen Eheverfehlungen ihren Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten verwirkte und dass dies bereits durch ein Gerichtsurteil festgestellt wurde. Strittig ist lediglich, ob ein einmal verwirkter Unterhaltsanspruch insbesondere bei Änderung der Verhältnisse wieder aufleben kann. Hiezu ist auszuführen:
Der Anspruch eines Ehegatten auf Unterhalt nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts wird durch Rechtsmissbrauch vernichtet, er erlischt, es tritt somit gänzlicher Verlust des Unterhaltsanspruchs ein (EFSlg 76.684; 53.017; Stabentheiner in Rummel ABGB3 Rz 16 zu § 94; Schwimann, Unterhaltsrecht2 131; Hopf/Kathrein, Eherecht 52). Für die Annahme, der solchermaßen vernichtete bzw erloschene Anspruch könnte - bei geänderten Verhältnissen - wieder aufleben, mangelt es an jeder rechtlichen Grundlage.
Abgesehen davon, dass der durch das EheRÄG 1999 im Ehegesetz eingefügte § 68a nur Unterhaltsansprüche nach Scheidung einer Ehe regelt, kann diese neu geschaffene Gesetzesbestimmung kein Anhaltspunkt dafür sein, dass der einmal erloschene Unterhaltsanspruch wieder aufleben könnte. Nach dieser Bestimmung ist unter bestimmten Voraussetzungen Unterhalt unabhängig vom Verschulden an der Scheidung zu gewähren. § 68a Abs 3 EheG legt aber ausdrücklich fest, dass der nach Abs 1 oder 2 leg cit zu gewährende Unterhaltsanspruch nicht besteht, soweit die Gewährung des Unterhalts unbillig wäre, weil der Bedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen habe. Selbst nach § 68a Abs 1 und 2 EheG kann der andere Ehegatte nicht zum Unterhalt verhalten werden, wenn dem Anspruchswerber solche schwere Eheverfehlungen zur Last fallen, die unter Zugrundelegung des § 94 Abs 2 ABGB die Verwirkung des Unterhalts zur Folge hätten. Die im § 74 EheG festgelegte Verwirkung des Unterhaltsanspruchs bezieht sich zwar auf den nach einer Scheidung zu gewährenden Unterhalt, doch ist der Tatbestand der "Verwirkung" an sich in § 74 EheG und § 94 Abs 2 ABGB der gleiche: In beiden Fällen führen besonders schwere Eheverfehlungen zum Erlöschen des Unterhaltsanspruchs. Die zur Verwirkung des Unterhalts gemäß § 74 EheG ergangenen Entscheidungen bzw die hiezu vorhandene Literatur können demnach auch hier zugrunde gelegt werden. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass ab dem Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen für eine Verwirkung des Unterhalts gegeben sind, für die Zukunft ein Unterhaltsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann (EFSlg 46.325 mwN). Zum Tatbestand der Verwirkung wird im Schrifttum sowohl zu § 94 Abs 2 ABGB wie auch zu § 74 EheG die Ansicht vertreten, dass der einmal erloschene Unterhaltsanspruch nicht wieder aufleben kann (Schwimann aaO; Hopf/Kathrein aaO; Zankl in Schwimann ABGB2 Rz 17 zu § 74 EheG; Pichler in Rummel ABGB2 Rz 1 zu § 74 EheG; Schwind in Klang I/12 898 mwN; Schwind, Österreichisches Eherecht2 293). Dieser Ansicht ist beizupflichten.
Aus den von der Klägerin behaupteten Verhaltensweisen des Beklagten kann keinesfalls der Schluss gezogen werden, er sei nunmehr bereit und willens, ihr trotz des Umstands, dass deren Unterhaltsanspruch verwirkt ist, (erst nun wieder neuerlich) Unterhalt zu gewähren. Insoweit kann auf die Ausführungen der Vorinstanzen verwiesen werden.
Im vorliegenden Fall ist nicht zu prüfen, ob die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs eintreten könnte, sofern das Recht des verletzten Ehegatten, die Ehescheidung aus dem Verschulden des anderen Teils zu begehren, gemäß § 57 EheG erloschen wäre (so EFSlg 76.688; vgl 5 Ob 114/59): Hier wurde nämlich die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs bereits gerichtlich festgestellt; außerdem wurde der gemeinsame Haushalt bereits 1966 aufgehoben, so dass die sechsmonatige Frist des § 57 Abs 1 EheG gar nicht zu laufen begonnen hat. Der Beklagte hat nur aus prozessökonomischen Überlegungen auf sein Recht, die Ehe aus dem Verschulden der Klägerin scheiden zu lassen, verzichtet, was aber nicht bedeuten kann, dass dieses Recht erloschen wäre.Im vorliegenden Fall ist nicht zu prüfen, ob die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs eintreten könnte, sofern das Recht des verletzten Ehegatten, die Ehescheidung aus dem Verschulden des anderen Teils zu begehren, gemäß § 57 EheG erloschen wäre (so EFSlg 76.688; vergleiche 5 Ob 114/59): Hier wurde nämlich die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs bereits gerichtlich festgestellt; außerdem wurde der gemeinsame Haushalt bereits 1966 aufgehoben, so dass die sechsmonatige Frist des § 57 Abs 1 EheG gar nicht zu laufen begonnen hat. Der Beklagte hat nur aus prozessökonomischen Überlegungen auf sein Recht, die Ehe aus dem Verschulden der Klägerin scheiden zu lassen, verzichtet, was aber nicht bedeuten kann, dass dieses Recht erloschen wäre.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin sind in Anbetracht des Umstands, dass sie ihren Unterhaltsanspruch verwirkt hat, nicht von Bedeutung.
Den Rechtsmitteln der Klägerin ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisions- und Revisionsrekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Textnummer
E60538European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2001:0010OB00303.00S.0130.000Im RIS seit
01.03.2001Zuletzt aktualisiert am
03.03.2011