Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits-Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Ing. Hugo Jandl und Dr. Helmut Szongott als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Konrad M*****, vertreten durch Dr. Anton Krautschneider, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen S 352.816,60 netto Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juli 2000, GZ 9 Rs 139/00b-18, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 18. Februar 2000, GZ 19 Cgs 69/99x-13, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 352.816,60 netto Insolvenz-Ausfallgeld binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 42.835,20 (darin S 7.117,20 USt und S 132,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 38.265,-- (darin S 6.377,50 USt) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom 28. 10. 1996 bis 11. 7. 1997 als Bauleiter bei der späteren Gemeinschuldnerin, einer Bau-, Planungs- und Errichtungs GesmbH als Bauleiter in Russland beschäftigt. Zuletzt bezog er ein monatliches Gehalt von S 43.450,-- brutto 14 x jährlich.
Bereits beim Einstellungsgespräch wurde dem Kläger erklärt, dass seine Tätigkeit an einer Baustelle in Russland geplant sei. Der Kläger hat auch ab Beginn seines Dienstverhältnisses ausschließlich in Russland gearbeitet. Einmal im Monat kam er auf Firmenkosten an einem Wochenende nach Österreich, um bei diesen Gelegenheiten dann auch allenfalls nötige Unterlagen aus dem Unternehmen seiner Dienstgeberin zu holen und nach Russland mitzunehmen. Der Kläger fragte im Zuge des Einstellungsgespräches, ob es nach der Beendigung seiner Tätigkeit in Russland für ihn weitere Tätigkeiten gebe, worauf ihm sein die Dienstgeberin vertretender Gesprächspartner mitteilte, dass dies durchaus möglich sei, dass es sich dabei aber um Baustellen im Inland handeln werde; eine derartige Tätigkeit im Inland komme durchaus in Frage, wenn "in Russland an den Baustellen alles passe."
Dass das Dienstverhältnis des Klägers befristet sein sollte mit der vorerst mit sechs Monaten geschätzten Baustellendauer in Russland, wurde beim Einstellungsgespräch nicht besprochen. Der Vertreter seiner Dienstgeberin ging davon aus, dass der Kläger nach Beendigung der Baustellen in Russland jedenfalls in Österreich weiter tätig sein solle; der Kläger verstand das Einstellungsgespräch so, dass er zuerst einmal auf der Baustelle in Russland tätig sein solle und dann möglicherweise auch auf Baustellen in Österreich. Den Dienstvertragsentwurf in schriftlicher Form erhielt der Kläger erst ca. zwei Wochen vor seinem vorzeitigen Austritt. In diesem schriftlichen Dienstvertragsentwurf, den der Kläger auch unterfertigte, heißt es ua, dass er "vom 28. 10. 1996 für die Baustelle J***** und W*****, voraussichtlich bis Dezember 1997 ausschließlich für Russland" geschlossen werde. Der Grund, warum der Vertreter seiner Dienstgeberin, der im Übrigen keine arbeitsrechtliche Schulung hat, diese Formulierungen verwendete, war, dass er zu dieser Zeit die voraussichtliche Beendigung der Arbeiten auf den genannten Baustellen kannte und er mit der Formulierung klarstellen wollte, dass der Kläger zumindest bis zur Beendigung der Baustellenarbeiten in Russland bleiben müsse und erst dann seine Inlandstätigkeit aufnehmen könne. Er war beim Einstellungsgespräch der Ansicht, dass die Vereinbarung so getroffen sei, dass in dem Fall, dass der Kläger auf der russischen Baustelle nicht entspreche, sein Dienstverhältnis gekündigt werden müsse, es also nicht durch Zeitablauf ende.
Das Dienstverhältnis endete durch vorzeitigen Austritt des Klägers wegen Entgeltrückständen. Am 17. 4. 1998 wurde über das Vermögen seiner ehemaligen Dienstgeberin das Konkursverfahren eröffnet.
Die beklagte Partei lehnte den Antrag des Klägers auf Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld mit der Begründung ab, der Kläger sei für die insolvente Firma ausschließlich in Russland tätig gewesen. Der räumliche Geltungsbereich des IESG beschränke sich aber nur auf in Inland beschäftigte Arbeitnehmer im Sinne des zur Anwendung gelangenden Territorialitätsprinzip.
Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage den der Höhe nach von der beklagten Partei außer Streit gestellten Betrag von S 352.816,60 netto Insolvenz-Ausfallgeld. Das Beschäftigungsverhältnis falle in den Geltungsbereich der österreichischen Sozialversicherung. Er sei vom 28. 10. 1996 an vorübergehend und zeitlich befristet bis September 1997 von Österreich nach Russland entsendet worden. Er sei auf Rechnung und Gefahr des österreichischen Arbeitgebers tätig gewesen; das Arbeitsverhältnis habe seinen Schwerpunkt in Österreich gehabt. Es sei auf unbestimmte Zeit abgeschlossen worden, wobei beabsichtigt gewesen sei, dass es nach Beendigung der Tätigkeit in Russland in Österreich fortgesetzt werde. Der Kläger sei auch in Österreich krankenversichert gewesen, der Arbeitgeber habe die Arbeitnehmer- sowie die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung sowie den IESG-Zuschlag abgeführt. Der Dienstvertrag sei in Österreich geschlossen worden; sowohl der Arbeitgeber als auch der Kläger hätten den Mittelpunkt ihres Lebensinteresses in Österreich gehabt.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Kläger sei für seinen früheren Arbeitgeber ausschließlich im Ausland beschäftigt gewesen. Der gemäß § 3 Abs 2 lit d ASVG erforderliche Inlandsbezug sei nicht gegeben. Eine Entsendung des Klägers sei nicht anzunehmen, da der Dienstvertrag ausschließlich eine Tätigkeit in Russland vorgesehen habe.Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, der Kläger sei für seinen früheren Arbeitgeber ausschließlich im Ausland beschäftigt gewesen. Der gemäß Paragraph 3, Absatz 2, Litera d, ASVG erforderliche Inlandsbezug sei nicht gegeben. Eine Entsendung des Klägers sei nicht anzunehmen, da der Dienstvertrag ausschließlich eine Tätigkeit in Russland vorgesehen habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab; es ging davon aus, dass der Anwendungsbereich des IESG teleologisch auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer zu reduzieren sei, wobei auf die Bestimmungen der §§ 1, 3 und 30 Abs 3 ASVG abzustellen wäre. Eine Entsendung liege nicht vor, weil der Kläger für seinen früheren Arbeitgeber vorher im Inland nicht tätig geworden sei. Der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs zum Begriff der Entsendung könne nicht gefolgt werden; das Berufungsgericht folge der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Entsendung (SZ 65/55 ua).Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab; es ging davon aus, dass der Anwendungsbereich des IESG teleologisch auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmer zu reduzieren sei, wobei auf die Bestimmungen der Paragraphen eins,, 3 und 30 Absatz 3, ASVG abzustellen wäre. Eine Entsendung liege nicht vor, weil der Kläger für seinen früheren Arbeitgeber vorher im Inland nicht tätig geworden sei. Der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs zum Begriff der Entsendung könne nicht gefolgt werden; das Berufungsgericht folge der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Entsendung (SZ 65/55 ua).
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu, weil es bei seiner Entscheidung der bisherigen Judikatur des Revisionsgerichtes folge. Hiebei ging es davon aus, dass die übernommenen Feststellungen dahin zu verstehen seien, dass der Kläger zwar unbefristet, aber für eine Tätigkeit in Russland aufgenommen worden sei, sodass keine Versicherungspflicht für den Kläger bestanden habe. Dass tatsächlich Beiträge geleistet worden seien, könne nicht zur Anwendbarkeit der Bestimmungen des IESG führen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Die Revision sei zulässig, weil sowohl eine Judikaturdivergenz zwischen dem Obersten Gerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof als auch zwischen den Berufungssenaten des OLG Wien bestehe. In einem vergleichbaren Fall (der dortige Kläger war bei dem selben Arbeitgeber wie der Kläger ausschließlich in Russland tätig) sei dem Klagebegehren stattgegeben worden. Der Begriff der Entsendung (§ 3 Abs 2 lit d ASVG) sei im Sinn der nunmehrigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (28. 10. 1997, Zl 95/08/0293 = RdW 1998, 89 = ZAS 1999, 54 [Spitzl])auszulegen; der Oberste Gerichtshof habe sich zur Frage der Versicherungspflicht der jeweiligen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs anzupassen.Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im klagsstattgebenden Sinn abzuändern. Die Revision sei zulässig, weil sowohl eine Judikaturdivergenz zwischen dem Obersten Gerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof als auch zwischen den Berufungssenaten des OLG Wien bestehe. In einem vergleichbaren Fall (der dortige Kläger war bei dem selben Arbeitgeber wie der Kläger ausschließlich in Russland tätig) sei dem Klagebegehren stattgegeben worden. Der Begriff der Entsendung (Paragraph 3, Absatz 2, Litera d, ASVG) sei im Sinn der nunmehrigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (28. 10. 1997, Zl 95/08/0293 = RdW 1998, 89 = ZAS 1999, 54 [Spitzl])auszulegen; der Oberste Gerichtshof habe sich zur Frage der Versicherungspflicht der jeweiligen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs anzupassen.
Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revision im Ergebnis der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Revisionswerber genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.
Zur Begründung wird auf die erst kürzlich ergangene, ausführlich begründete Entscheidung vom 11. 1. 2001, 8 ObS 243/00v, die zur Vermeidung von Wiederholungen in anonymisierter Form angeschlossen ist, verwiesen. Aus dieser ergibt sich, dass sich der Oberste Gerichtshof der nunmehrigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs anschließt. Hieraus folgt, dass die Entscheidung der Vorinstanzen im Sinn der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 77, ASGG.
Anmerkung
E60854 08C02610European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2001:008OBS00261.00S.0215.000Dokumentnummer
JJT_20010215_OGH0002_008OBS00261_00S0000_000