TE OGH 2001/2/27 1Ob253/00p

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Veröffentlicht am 27.02.2001
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Helmut H*****, und 2. Gerlinde H*****, beide vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 102.753,03 S sA infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 26. Juni 2000, GZ 5 R 126/99k-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 24. Juni 1999, GZ 6 Cg 182/98f-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 7.436 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Amtshaftungsstreits ist die Frage nach der Vertretbarkeit der berufungsgerichtlichen Rechtssauffassung in einem Anlassverfahren vor dem Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz.

In diesem Anlassverfahren begehrten die Kläger vom dortigen Beklagten (im Folgenden nur Verkäufer) mit der Behauptung, dieser habe den Vertrag über den Ankauf zweier Eigentumswohnungen grundlos nicht erfüllt, Schadenersatz iSd § 921 ABGB. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil die Kaufvertragspartner ein Fixgeschäft abgeschlossen hätten und daher die Kläger wegen verschuldeter Nichteinhaltung des Kaufvertrags durch den Verkäufer berechtigt gewesen seien, auch ohne Nachfristsetzung und ausdrückliche Rücktrittserklärung vom Vertrag zurückzutreten. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht (im Folgenden nur LG ZRS Graz) wies das Klagebegehren aus rechtlichen Erwägungen ab: Einerseits fehlten die Voraussetzungen für die Annahme eines Fixgeschäfts, andererseits sei die bloße Gewährung einer Nachfrist dann nicht ausreichend, wenn für den zur Leistung Verpflichteten nicht mit Sicherheit feststehe, ob der andere Vertragsteil überhaupt noch auf dem Boden des Vertrags stehe und daher zur Annahme der Leistung bereit sei. Bei Zweifeln des Schuldners über die Annahmebereitschaft des Gläubigers wirke ein Rücktritt ohne Fristsetzung nicht, es sei denn, der Gläubiger würde seine noch bestehende Annahmebereitschaft verdeutlichen. In dem zu beurteilenden Fall sei eine Nachfristsetzung oder die Annahmebereitschaft der Kläger nach ihrem Vertragsrücktritt nicht hervorgekommen. Somit seien die Kläger "mangels Nachfristsetzung zu Unrecht vom Vertrag zurückgetreten" und hätten daher auch keine Schadenersatzansprüche nach § 921 ABGB.

Das Erstgericht gab dem auf Amtshaftung gestützten Klagebegehren der Kläger des Anlassverfahrens gegen den beklagten Rechtsträger auf Zahlung von 102.753.03 S sA (abgewiesener Anspruch sowie Kosten beider Teile im Anlassverfahren) statt, weil die zweitinstanzliche Entscheidung des LG ZRS Graz unvertretbar gewesen sei.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klageabweisenden Sinn ab, weil die zweitinstanzliche Rechtsauffassung des LG ZRS Graz vertretbar gewesen sei. Einerseits könne von einem Fixgeschäft tatsächlich nicht ausgegangen werden, andererseits fehlten im Anlassverfahren jegliches Vorbringen der Kläger und weitere Feststellungen, dass der Verkäufer (als Schuldner) die Erfüllung geradezu verweigert habe. Folgerichtig habe das LG ZRS Graz davon ausgehen müssen, die Erfüllung sei vom Verkäufer nicht verweigert worden. Die - unter Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme getroffene - erstrichterliche Feststellung im Amtshaftungsverfahren, dass der Verkäufer nach Zugang der Rücktrittserklärung keine Zweifel an der Beendigung der Geschäftsbeziehung gehabt und diesen Fall als erledigt angesehen habe, sei unerheblich, weil eine solche Feststellung im Anlassverfahren nicht getroffen worden sei. Das LG ZRS Graz habe zutreffend geprüft, ob Anhaltspunkte für eine allfällige Annahmebereitschaft der Kläger vorhanden gewesen seien; fehle eine solche oder bestünden insoweit beim Schuldners Zweifel, werde ein Rücktritt ohne Fristsetzung nicht wirksam, es sei denn, der Gläubiger (hier: Kläger) verdeutliche seine noch bestehende Annahmebereitschaft. Eine solche Annahmebereitschaft sei nicht behauptet worden und lasse sich aus den erstgerichtlichen Feststellungen im Anlassverfahren auch nicht ableiten. Folgerichtig seien mangels Nachfristsetzung Schadenersatzansprüche zu verneinen.

Die von der zweiten Instanz zugelassene Revision der Kläger ist mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

a) Die Kläger regten in ihrer Berufungsbeantwortung die Delegierung der Berufungssache nach § 9 Abs 4 AHG an ein anderes Oberlandesgericht an, weil das LG ZRS Graz und das Berufungsgericht (im Amtshaftungsverfahren) im selben Gebäude situiert seien und sich dadurch eine Kontaktnahme der Richter in der Bibliothek und in der "Cafetaria" ergebe. Das Berufungsgericht verneinte in den Gründen seiner Entscheidung eine (analoge) Anwendbarkeit des § 9 Abs 4 AHG.

Der Regelungsinhalt des § 9 Abs 4 AHG ist durch den Wortlaut des Gesetzes und die dazu entwickelte Rsp eindeutig bestimmt. § 9 Abs 4 AHG als Fall notwendiger und der Parteiendisposition entzogener Delegierung soll gewährleisten, dass auch nur der Anschein einer Befangenheit von Richtern nicht entstehen kann, wenn der Anspruch aus der Verfügung des Präsidenten eines Landesgerichts oder eines Oberlandesgerichts oder aus einem kollegialen Beschluss eines dieser Gerichtshöfe abgeleitet wird, die nach § 1 Abs 1 AHG unmittelbar oder im Instanzenzug zuständig wären. Der rechtspolitische Grund des § 9 Abs 4 AHG liegt darin, dass alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen. Daher wird auch § 9 Abs 4 AHG in Lehre und Rsp durch die im Gesetz nicht enthaltene Wendung "oder eines Einzelrichters des Gerichtshofs erster Instanz" ergänzt: Richter eines Gerichtshofs sollen nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten auch nur irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben (1 Ob 26/931 Ob 2232/96h; 1 Ob 41/97d = SZ 70/260 uva; RIS-Justiz RS0056449; Schragel, AHG2 Rz 261; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 232 f; Fasching, Lehrbuch2 Rz 208). Das erstinstanzliche Amtshaftungsverfahren wurde nach § 9 Abs 4 AHG an das Landesgericht Leoben delegiert. Ein amtshaftungsbegründendes Verhalten des Präsidenten oder von Richtern des Oberlandesgerichts Graz - als Berufungsgericht im Amtshaftungsverfahren - wird hier nicht einmal behauptet. Mögliche dienstliche oder außerdienstliche kollegiale Kontakte von Richtern des LG ZRS Graz und des Oberlandesgerichts Graz innerhalb desselben Gerichtsgebäudes (in der gemeinsamen Bibliothek oder im gemeinsamen "Sozialraum") rechtfertigen für sich allein noch keine Gefahr der Befangenheit der in Amtshaftungssachen zweitinstanzlich befassten Richter iSd § 19 JN. Insoweit besteht nicht einmal der Anschein einer Befangenheit. Für eine analoge Ausdehnung des § 9 Abs 4 AHG nicht bloß auf Richter desselben Gerichts, sondern auch auf im selben Gerichtsgebäude untergebrachte Richter eines anderen Gerichts bieten das Gesetz, seine Materialien und vor allem auch der Zweck der Regelung keine Anhaltspunkte.Der Regelungsinhalt des § 9 Abs 4 AHG ist durch den Wortlaut des Gesetzes und die dazu entwickelte Rsp eindeutig bestimmt. § 9 Abs 4 AHG als Fall notwendiger und der Parteiendisposition entzogener Delegierung soll gewährleisten, dass auch nur der Anschein einer Befangenheit von Richtern nicht entstehen kann, wenn der Anspruch aus der Verfügung des Präsidenten eines Landesgerichts oder eines Oberlandesgerichts oder aus einem kollegialen Beschluss eines dieser Gerichtshöfe abgeleitet wird, die nach § 1 Abs 1 AHG unmittelbar oder im Instanzenzug zuständig wären. Der rechtspolitische Grund des § 9 Abs 4 AHG liegt darin, dass alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen. Daher wird auch § 9 Abs 4 AHG in Lehre und Rsp durch die im Gesetz nicht enthaltene Wendung "oder eines Einzelrichters des Gerichtshofs erster Instanz" ergänzt: Richter eines Gerichtshofs sollen nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten auch nur irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben (1 Ob 26/931 Ob 2232/96h; 1 Ob 41/97d = SZ 70/260 uva; RIS-Justiz RS0056449; Schragel, AHG2 Rz 261; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht 232 f; Fasching, Lehrbuch2 Rz 208). Das erstinstanzliche Amtshaftungsverfahren wurde nach § 9 Abs 4 AHG an das Landesgericht Leoben delegiert. Ein amtshaftungsbegründendes Verhalten des Präsidenten oder von Richtern des Oberlandesgerichts Graz - als Berufungsgericht im Amtshaftungsverfahren - wird hier nicht einmal behauptet. Mögliche dienstliche oder außerdienstliche kollegiale Kontakte von Richtern des LG ZRS Graz und des Oberlandesgerichts Graz innerhalb desselben Gerichtsgebäudes (in der gemeinsamen Bibliothek oder im gemeinsamen "Sozialraum") rechtfertigen für sich allein noch keine Gefahr der Befangenheit der in Amtshaftungssachen zweitinstanzlich befassten Richter iSd § 19 JN. Insoweit besteht nicht einmal der Anschein einer Befangenheit. Für eine analoge Ausdehnung des § 9 Absatz 4, AHG nicht bloß auf Richter desselben Gerichts, sondern auch auf im selben Gerichtsgebäude untergebrachte Richter eines anderen Gerichts bieten das Gesetz, seine Materialien und vor allem auch der Zweck der Regelung keine Anhaltspunkte.

Dass aber die Richter des Berufungssenats im Amtshaftungsverfahren aus anderen Gründen befangen sein sollten, wurde von den Klägern weder in ihrer Berufungsbeantwortung noch jetzt in der Revision behauptet. Damit erledigt sich der in der Revision erhobene Vorwurf der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO wegen Verstoßes gegen § 9 Abs 4 AHG. Bei einer eindeutigen und hier überdies durch eine stRsp gefestigten Rechtslage bedarf es keiner weiterführenden auslegenden Rsp des Obersten Gerichtshofs.Dass aber die Richter des Berufungssenats im Amtshaftungsverfahren aus anderen Gründen befangen sein sollten, wurde von den Klägern weder in ihrer Berufungsbeantwortung noch jetzt in der Revision behauptet. Damit erledigt sich der in der Revision erhobene Vorwurf der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO wegen Verstoßes gegen § 9 Absatz 4, AHG. Bei einer eindeutigen und hier überdies durch eine stRsp gefestigten Rechtslage bedarf es keiner weiterführenden auslegenden Rsp des Obersten Gerichtshofs.

b) Die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht schließt ein Verschulden des Organs des Rechtsträgers und damit das Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs aus. Das Verschulden nach § 1 Abs 1 AHG ist iS des bürgerlichen Rechts zu verstehen. Rechtsträger haften nach herrschender Auffassung auch für leichtes, am Maßstab des § 1299 ABGB zu messendes Verschulden ihrer Organe (stRsp, SZ 66/77, 1 Ob 60/98z uva; Schragel aaO, AHG2 Rz 147; Mader in Schwimann2 § 1 AHG Rz 66 ff mwN). Im Bereich der Rechtsanwendung schließt aber nicht schon jedes objektiv unrichtige Organverhalten auch schon das amtshaftungsbegründende Verschulden ein. Im Amtshaftungsverfahren ist, anders als im Rechtsmittelverfahren, nicht bloß zu prüfen, ob die beanstandete Entscheidung des Organs richtig war, sondern - wenn deren Unrichtigkeit bejaht werden sollte - auch, ob sie auf einer vertretbaren Rechtsauffassung, somit auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (stRsp, zuletzt; Schragel aaO Rz 147 mwN; Vrba/Zechner aaO 99 ff; Mader aaO Rz 50, 73, je mwN). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist aber ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig (1 Ob 60/98z, 1 Ob 302/99i, 1 Ob 200/00v ua; RIS-Justiz RS0110837) und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Im vorliegenden Fall war das Verhalten der Streitteile bei den Vertragsgesprächen und im folgenden Anlassverfahren sowie die Frage zu beurteilen, welches Vorbringen die Parteien dazu erstatteten, wie dieses zu verstehen sei, ob der Verkäufer die Kaufvertragserfüllung ernsthaft und endgültig verweigerte und ob er nach dem Vertragsrücktritt der Kläger Zweifel über deren Annahmebereitschaft haben konnte 1 Ob 203/98d = JBl 1999, 527 ua; RIS-Justiz RS0018356; billigend Reischauer in Rummel3, § 918 ABGB Rz 15); dies ist jedoch eine ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängige Auslegungsfrage. Eine auffallende Fehlbeurteilung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts im Amtshaftungsverfahren über die Vertretbarkeit der im Anlassverfahren geäußerten berufungsinstanzlichen Rechtsansicht, die jedenfalls einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, liegt nicht vor.

Die Revision ist demnach zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.Die Revision ist demnach zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß Paragraph 508 a, ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision ausdrücklich hingewiesen.Die Kostenentscheidung fußt auf den Paragraphen 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision ausdrücklich hingewiesen.

Textnummer

E61253

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2001:0010OB00253.00P.0227.000

Im RIS seit

29.03.2001

Zuletzt aktualisiert am

02.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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