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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §10;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2005/01/0447 2005/01/0446Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden der Bundesministerin für Inneres gegen die jeweils am 7. Juli 2005 verkündeten und am 25. Juli 2005 ausgefertigten Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates, Zlen. 206.487/3-VIII/23/04 (1.), 250.268/0-VIII/23/04 (2.) und 247.015/1-VIII/23/04 (3.), betreffend §§ 7, 12 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Parteien: 1.) T J, geb. G, geboren 1974, 2.) A J, geboren 2004 und 3.) F J, geboren 1978, alle in L und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligten sind Mitglieder einer Familie (die Erstmitbeteiligte und der Drittmitbeteiligte haben am 3. März 2004 in Österreich die Ehe geschlossen; der Zweitmitbeteiligte ist ihr gemeinsames, am 4. März 2004 in Österreich geborenes Kind), serbische Staatsangehörige und stammen aus dem Kosovo.
Die Erstmitbeteiligte reiste - nach schon vorangegangenen Aufenthalten als Asylwerberin in Österreich - als Saisonarbeiterin in das Bundesgebiet ein und beantragte kurz vor dem Ablauf ihres damit in Zusammenhang stehenden Aufenthaltstitels am 23. Dezember 2002 Asyl. Dazu brachte sie im Wesentlichen vor, als (damals noch) alleinstehende Frau im Falle der Rückkehr in den Kosovo in ihrer Existenz bedroht zu sein. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. Oktober 2003 ergänzte sie ihr Fluchtvorbringen dahingehend, ein oder zwei Monate vor ihrer Ausreise aus dem Kosovo mehrmals von Unbekannten telefonisch bedroht worden zu sein. Sie wisse nicht, was die Anrufer von ihr gewollt hätten; sie hätten mit ihr "spielen" wollen und ihr gesagt, dass sie kommen und ihre Familie abholen würden. Deshalb habe sich die Erstmitbeteiligte ein "Saisonarbeitskraftvisum" besorgt und sei nach Österreich geflüchtet.
Für den Zweitmitbeteiligten stellte die Erstmitbeteiligte mit Schriftsatz vom 15. März 2004 einen auf ihren Asylantrag bezogenen Erstreckungsantrag.
Der Drittmitbeteiligte reiste - ebenfalls nach einem bereits früheren Aufenthalt als Asylwerber in Österreich - am 2. August 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Diesen begründete er bei Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 2. August 2001 und 30. Oktober 2001 sinngemäß damit, er sei "von der UCK" einige Monate vor seiner Ausreise (seinen Angaben zufolge Anfang des Jahres 2001) aufgesucht worden und man habe ihm mitgeteilt, dass er zum Kämpfen mitkommen solle. Er habe aber nicht kämpfen wollen und sei deshalb (nachdem er sich sieben Monate bei seiner Schwester versteckt gehalten habe) nach Österreich geflohen.
Das Bundesasylamt wies die Asyl- und Erstreckungsanträge der Mitbeteiligten mit Bescheiden vom 3. März 2004 (ad. 1.), 21. April 2004 (ad 2.) und 27. Jänner 2004 (ad 3.) gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG; ad 1. und 3.) bzw. §§ 10, 11 AsylG (ad 2.) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Erst- bzw. des Drittmitbeteiligten nach "Serbien-Montenegro, Provinz Kosovo" gemäß § 8 AsylG für zulässig. Die Fluchtgeschichten der Erst- und des Drittmitbeteiligten seien - so die wesentliche Begründung dieser Entscheidungen - aus näher dargestellten Gründen unglaubwürdig, weshalb ihnen weder Asylnoch Refoulementschutz gewährt werden könne.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen der Mitbeteiligten führte die belangte Behörde am 12. Juli 2004 und am 7. Juli 2005 gemeinsame Berufungsverhandlungen durch. Nach Verlesung der erstinstanzlichen Akten und der Berufungsschriftsätze wurden die Erst- und der Drittmitbeteiligte neuerlich vernommen, wobei sich ihre Aussagen - der aufgenommenen Niederschrift zufolge - darauf beschränkten, ihre "bisherigen Angaben im gesamten Verfahren" als richtig und der Wahrheit entsprechend zu bezeichnen, weshalb diese auch zur Aussage in der Berufungsverhandlung erhoben würden. Im Anschluss daran verlas der Verhandlungsleiter der belangten Behörde diverse Länderberichte, hielt überdies fest, dass ihm das Vorbringen ausgehend von den verlesenen Urkunden glaubwürdig und nachvollziehbar erscheine, und verkündete schließlich die angefochtenen Bescheide, mit denen den Berufungen der Mitbeteiligten stattgegeben, ihnen gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG ihre Flüchtlingseigenschaft festgestellt wurde.
Zur Begründung führte die belangte Behörde in den schriftlichen Bescheidausfertigungen im Verfahren der Erst- und des Drittmitbeteiligten - nach stark gekürzter Darstellung des Verfahrensverlaufes (Punkt 1. der Begründungen) - zunächst wörtlich aus:
"Über diese Berufung hat der unabhängige Bundesasylsenat erwogen:
2. Nachstehender Sachverhalt ist glaubhaft und wird festgestellt:
Die Feststellungen zur Person der - persönlich glaubwürdig wirkenden - berufenden Partei ergeben sich aus ihren Angaben. Es war ihr die Glaubwürdigkeit nicht abzusprechen. Die Angaben fanden auch Deckung im verwerteten Länderdokumentationsmaterial.
Zur Situation der berufenden Partei im Herkunftsland wird auf das im Berufungsverfahren verwertete Länderdokumentationsmaterial verwiesen. Die Quellen stimmen in den hier entscheidungswesentlichen Belangen inhaltlich überein."
Anschließend machte die belangte Behörde unter der Überschrift "3. Rechtliche Beurteilung, 3.1. ..." allgemeine Rechtsausführungen zum Flüchtlingsbegriff und folgerte daraus wörtlich:
"3.2. Vorliegend bedeutet dies, dass unter Hinweis auf die oben getroffenen - unbestritten gebliebenen - Sachverhaltsfeststellungen der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt ist.
Ausgehend von der Beilage ./L und den in der abschließenden Verhandlung verlesenen Berichten ist das Vorbringen glaubwürdig und nachvollziehbar. Gegenteiliges hat das Ermittlungsverfahren mit seinen teilweise eingeschränkten Möglichkeiten nicht ergeben. Die anders lautende Beweiswürdigung des Bundesasylamtes ist daher nicht plausibel und vor dem Hintergrund der zwischenzeitig abgelaufenen Zeit auch schon überholt.
Der in der Verhandlung vom 12.07.2004 vorläufig festgestellte Sachverhalt gilt mit der Maßgabe, dass zusätzlich das bisherige Vorbringen der Berufungswerber der Entscheidung zu Grunde zu legen ist und das hinsichtlich des Drittberufungswerbers insbesondere auf den Bericht des UNHCR vom 23.01.2004 zu verweisen ist, aus dem hervorgeht, dass einzelne Personen wegen ihrer Desertion von den Verbänden der ehemaligen UCK noch immer Probleme mit ehemaligen UCK-Kämpfern haben. Dies obwohl die Strukturen der UCK bereits bis Ende 1999 aufgelöst wurden. Entscheidend ist, dass jeweils auf individuelle Faktoren und insbesondere auf den spezifischen Landesteil abgestimmt werden muss. Diese Umstände müssen - hier einzelfallbezogen - für den Dritt-Berufungswerber gelten, der sich trotz Aufforderung beharrlich weigerte überhaupt für die UCK zu kämpfen und deswegen in der Folge von den UCK-Kämpfern (auch noch während seiner Abwesenheit vom Herkunftsland) gesucht wurde und - seinen Angaben im Verfahren folgend - noch wird, um ihn zur gewaltsamen Rechenschaft zu ziehen, wovor ihn derzeit mit Blick auf die aktuelle Sicherheitslage niemand schützen könnte. Die Erst-Berufungswerberin ist von diesem Umstand (auch vor dem Hintergrund, dass die Rechte der Frau in der patriarchalisch strukturierten kosovarischen Gesellschaft gering geachtet werden) als Ehefrau und somit als Angehörige der sozialen Gruppe der Familie in gleicher Weise betroffen.
...
Dem oben festgestellten Sachverhalt folgend ist der Erstbehörde nicht darin zu folgen, dass keine Verfolgung im Sinne der GFK vorliegt. Vielmehr ist im Zuge der vorgenommenen Einzelfallbetrachtung und unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich vollständigen Integration sowie die mehrjährige Verfahrensdauer ... die Konventionsrelevanz des Vorbringens im Sinne der oben angestellten Erwägungen anzunehmen ..."
Die Entscheidung hinsichtlich des Zweitmitbeteiligten begründete die belangte Behörde in der schriftlichen Bescheidausfertigung im Wesentlichen damit, dass seiner Mutter (der Erstmitbeteiligten) Asyl gewährt worden sei, das nach den §§ 10, 11 AsylG auf ihn erstreckt werde.
Gegen diese Bescheid wenden sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Amtsbeschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zur Begründung seiner der Erst- und dem Drittmitbeteiligten Asyl gewährenden Bescheide verwendete das entscheidende Mitglied der belangten Behörde Textbausteine, die gleichlautend auch in anderen von ihm verfassten Berufungsbescheiden enthalten waren und die vom Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/19/0885, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, bereits als unzureichend befunden wurden, um die Umwürdigung der Beweisergebnisse nachvollziehbar zu begründen.
An diesem Ergebnis vermögen auch die kurzen (fallbezogenen) Ergänzungen der standardisierten Begründungsteile unter den Punkten 3.2. der Bescheidbegründungen nichts zu ändern. Die belangte Behörde unterlässt es auch hier, näher darzulegen, welche Angaben der Mitbeteiligten in welchem Teil der von ihr verwerteten Beilage ./L ("Dokumentation zur aktuellen Situation im Kosovo") Deckung finden sollen. Auch ihr Hinweis auf die Stellungnahme des UNHCR zur Situation von UCK-Deserteuren im Kosovo vom 23. Jänner 2004 wird dem Erfordernis einer nachvollziehbaren Begründung der Berufungsbescheide schon deshalb nicht gerecht, weil sich diese Stellungnahme auf Fälle bezog, in denen "Personen, die UCK-Mitglieder gewesen und später desertiert sind" trotz der Auflösung der "Strukturen der UCK bis Ende 1999" wegen ihrer Desertion Probleme mit ihren ehemaligen UCK-Kollegen" haben könnten. Wie die belangte Behörde diese Ausführungen beweiswürdigend zu den Angaben des Beschwerdeführers, er sei überhaupt erst Anfang des Jahres 2001 Opfer von Rekrutierungsversuchen der UCK geworden, in Beziehung setzen möchte, wird von ihr nicht schlüssig erklärt.
Die angefochtenen Bescheide waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben
Wien, am 23. Jänner 2007
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005010445.X00Im RIS seit
28.02.2007Zuletzt aktualisiert am
31.07.2009