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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den ersten Spruchpunkt des am 4. Dezember 2001 verkündeten und am 14. Juli 2004 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 224.179/0-II/06/01, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte am 13. Mai 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am 14. Mai 2001 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. August 2001 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Die Taliban hätten sein Haus nach Waffen durchsucht. Außerdem hätten ihn die Taliban zwangsrekrutieren wollen und auch zweimal festgenommen. Nach seiner zweiten Haftentlassung sei der Beschwerdeführer vor den Taliban aus Afghanistan geflüchtet.
Mit Spruchpunkt I. des Bescheides vom 7. September 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Mit Spruchpunkt II. erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig. In der Begründung seines Bescheides schenkte das Bundesasylsamt dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinen Glauben.
Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde - unter Beiziehung des Sachverständigen Dr. Sarajuddin Rasuly - am 4. Dezember 2001.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers erstattete der Sachverständige in der Verhandlung folgendes Gutachten (BW steht im Folgenden für Berufungswerber):
"...
Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch der BW von den Taliban mehrmals kurzfristig festgenommen worden ist, da die Taliban auch ohne Begründung Personen geprügelt und kurzfristig festgehalten haben. Aus den Angaben des BW geht hervor, dass er für die Hezb-e Wahdat militärisch tätig war. Diese Personen (Hazaras) wurden sowohl wegen ihrer eigenen Tätigkeit für die Hezb-e Wahdat, auch wegen der Tätigkeit eines nahen Verwandten für diese Partei oft von den Taliban verfolgt ...
... Aber seit dem 13. November 2001 ('Timeline: Terror and its aftermath (part 1-3), aus dem Internet entnommen, Guardian Unlimited/Special repo... terror and its aftermath) sind die Taliban aus den meisten Teilen Afghanistans, vor allem aus den von den Hazara bewohnten Gebieten, den Hazarajat, Nordwestafghanistan mit dem Zentrum Mazar-e Sharif und Kabul vertrieben worden. Derzeit ist die Nordallianz die mächtigste politische Gruppe Afghanistans, die die meisten Teile von Afghanistan beherrscht. Die Hezb-e Wahdat, die Partei der Hazaras, beherrscht das Kerngebiet der Hazaras, den Hazarajat und ist eine der wichtigsten und mächtigsten Verbündeten der Nordallianz; somit ist sie auch ein Teil der derzeitigen Staatsmacht in Afghanistan. Die Hezb-e Wahdat ist auch in den Friedensverhandlungen in Bonn mit ihrer eigenen Delegation vertreten ('Hazaras demand to be heard', South Asia BBC News/SOUTH ASIA/Hazaras demand to be heard aus dem Internet, Seite 2, vom 21.11.2001). Derzeit kann man von einer Verfolgungsgefahr für die nichtpaschtunischen Ethnien in den von der Nordallianz befreiten Gebieten doch die Taliban als eine Staatsmacht nicht ausgehen. Alle internationalen offiziellen Grenzübergänge Afghanistans werden derzeit von den Anti-Taliban-Kräften kontrolliert. Der Grenzübergang Torkham, an der Grenze zu Pakistan und der Grenzübergang Islamqala in den Iran sind auch für zivile Rückkehrer passierbar. Die Grenzübergänge zu den ehemaligen Sowjetrepubliken sind zwar unter der Kontrolle der Nordallianz und sind im Prinzip auch passierbar, aber sie sind ausgelastet. Auf jeden Fall können Afghanen, wenn sie dringend nach Afghanistan zurückkehren müssen, auch über den Grenzübergang Sher-Khan-Bandar nach Afghanistan einreisen. Der Grenzübergang Heiratan ist derzeit ausgelastet und für den zivilen Verkehr nicht geöffnet.
..."
Mit dem ersten Spruchpunkt ihres am 4. Dezember 2001 verkündeten Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. Mit den weiteren Spruchpunkten erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für nicht zulässig und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
Gegen den ersten Spruchpunkt richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides begründete die belangte Behörde die Abweisung des Asylantrages damit, dass durch den Wegfall des Taliban-Regimes "hinsichtlich der persönlich vorgebrachten asylrelevanten Gründe auf Grund der aktuellen veränderten Situation eine Glaubhaftmachung nach der aktuellen Rechts- und Sachlage von asylrelevanter Verfolgung" nicht angenommen werden könne. Seit November 2001 seien die Taliban als politische Kraft praktisch nicht mehr existent. Eine seitens der Taliban drohende Verfolgung sei derzeit daher nicht wahrscheinlich. Auch würden Privatpersonen von der Nordallianz nicht unterstützt werden, gegen einen Nichtpaschtunen - wie dies unter den Taliban oft üblich gewesen sei - vorzugehen.
Mit diesen Ausführungen hat die belangte Behörde nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Annahme einer grundlegenden politischen Veränderung im Herkunftsstaat, aus der sich der Verlust einer zunächst aus den vom Beschwerdeführer behaupteten Gründen gegebenen und von der belangten Behörde offenbar zugestandenen Flüchtlingseigenschaft ergeben sollte, eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse voraussetzt, für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheidverkündung am 4. Dezember 2001 angesichts des Abzuges der Taliban nur wenige Tage davor (13. November 2001) jedenfalls noch nicht vorlag (vgl. zuletzt etwa die hg. Erkenntnisse vom 16. Februar 2006, Zl. 2006/19/0030 und Zl. 2006/19/0032, vom 27. April 2006, Zl. 2002/20/0170, und vom 19. Oktober 2006, Zl. 2006/19/0372).
Der angefochtene Spruchpunkt war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im begehrten Ausmaß - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. Jänner 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190378.X00Im RIS seit
05.03.2007