TE Vwgh Erkenntnis 2007/1/26 2006/19/0718

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Veröffentlicht am 26.01.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Marcus Osterauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerstraße 12, gegen den am 6. Oktober 2004 verkündeten und am 11. Oktober 2005 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 255.150/6-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger aus dem Bundesstaat Andhra Pradesh, reiste seinen Angaben zufolge am 3. Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 6. Oktober 2004 Asyl. Als Fluchtgrund gab er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Oktober 2004 im Wesentlichen an, er sei von der indischen Polizei am 20. März 2004 und am 2. April 2004 festgenommen und beschuldigt worden, der Terroristen-Gruppe der Naxaliten (People's War Group) anzugehören. Die Polizei habe ihn deshalb verdächtigt, weil sich die Naxaliten zufällig auf seinen Feldern aufgehalten hätten, als sie die Polizei stellte. Zu diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer (nach eigenen Angaben ein Landarbeiter) gerade auf seinen Feldern gearbeitet. Während der Einvernahmen sei er von der Polizei geschlagen worden, da er keine Angaben über die Terroristen machen habe können. Auf Einschreiten eines Gemeinderates sei er dann wieder freigelassen worden. Er habe jedoch die Flucht aus Indien ergriffen, weil er erfahren habe, dass die Polizei noch immer auf der Suche nach ihm sei.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Über die dagegen erhobene Berufung führte die belangte Behörde am 6. Oktober 2005 eine Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf ein schriftliches Sachverständigengutachten von Mag. Christian Brüser erörtert wurde. In diesem führte der Gutachter unter anderem aus, er habe eine ihm seit längerem bekannte Journalistin, die für einen auf Menschenrechtsfragen spezialisierten Anwalt in Delhi arbeite, beauftragt, den Fall des Beschwerdeführers zu recherchieren. Sie habe wiederum einen Kollegen aus Andhra Pradesh mit den Ermittlungen vor Ort beauftragt. Als Ergebnis der lokalen Ermittlungen sei festzuhalten, dass laut den Angaben der - im Bericht auch namentlich genannten - Eltern des Beschwerdeführers die Familie "zum besagten Zeitpunkt" (gemeint offenbar: im Frühjahr 2004) gar keinen landwirtschaftlichen Grund besessen hätte, auf dem sich der Beschwerdeführer hätte aufhalten können. Der Beschwerdeführer sei auch nicht Bauer, sondern Schneider. Laut den Angaben der Mutter (und der Polizei selbst) sei der Beschwerdeführer niemals in Polizeihaft gewesen und werde auch nicht von der Polizei gesucht. Außerdem seien die Naxaliten in seinem Heimatdorf nicht aktiv. Ein Mitglied des Dorfrates habe angegeben, dass der Dorfrat nie von einer Festnahme des Beschwerdeführers erfahren habe und daher auch niemals zu dessen Gunsten aktiv geworden sei. Angesichts dieser Nachforschungsergebnisse - so der Gutachter abschließend - halte er es für mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ausgeschlossen, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Vorfälle der Wahrheit entsprächen.

Über Vorhalt dieses Gutachtens meinte der Beschwerdeführer, die Eltern hätten ihn mit einem in Australien lebenden Cousin verwechselt. Dabei blieb er auch, nachdem ihm vom Verhandlungsleiter der belangten Behörde vorgehalten wurde, im Gutachten schienen die Namen der Eltern des Beschwerdeführers auf, weshalb davon auszugehen sei, dass bei den richtigen Eltern, nämlich jenen des Beschwerdeführers, recherchiert worden sei. Diesen Eltern sei zuzutrauen, dass sie ihren Sohn nicht mit einem gleichnamigen Cousin verwechselten. Ferner lasse sich dem Erhebungsbericht entnehmen, dass in der lokalen Polizeistation sich weder in Bezug auf den Eintrag des Namens des Beschwerdeführers noch hinsichtlich des Kontextes eine Spur finde. Demnach wäre selbst auf der Grundlage des Einwandes des Beschwerdeführers der Erhebungsbericht tragfähig in dem Sinne, dass sich aus diesem eine Falsifizierung des Gefährdungsvorbringens des Beschwerdeführers ableiten lasse.

Im Folgenden erstattete der Gutachter eine mündliche Gutachtensergänzung, in der er unter anderem auf die vom Beschwerdeführer behauptete Verwechslung mit einem Cousin einging. Dazu meinte der Gutachter insbesondere, er halte es vor dem Hintergrund der landesüblichen Namensgebung für krass unwahrscheinlich, dass nicht nur zwei Cousins, sondern auch deren jeweilige Eltern exakt die gleichen Namen trügen. In Replik darauf gab der Beschwerdeführer an, weder sein Vater noch sein Onkel hießen mit dem Vornamen so, wie es die Ermittler festgehalten und wie es der Beschwerdeführer gleichlautend anlässlich seiner erstinstanzlichen Einvernahme ausgesagt habe. Er habe diesen Namen seinerzeit vor dem Bundesasylamt falsch angegeben.

Am Ende der Verhandlung verkündete das Mitglied der belangten Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG" abgewiesen wurde. In der schriftlichen Bescheidausfertigung hielt die Behörde unter anderem fest, dass sie dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers - im Wesentlichen aufgrund der Ermittlungsergebnisse des Sachverständigen, die im Einzelnen noch einmal wiedergegeben wurden - keinen Glauben schenke. Zu den vom Beschwerdeführer gegen die Recherchen vor Ort getätigten Einwänden führte die belangte Behörde aus, dass sie auf der Grundlage des bereits in der Berufungsverhandlung dem Beschwerdeführer zunächst vom zuständigen Mitglied Vorgehaltenen und der dieses stützenden zusätzlichen Erwägungen des Sachverständigen, denen der Beschwerdeführer lediglich mittels eines neuerlichen Widerrufs einer gerade eben getätigten Aussage entgegengetreten sei, die Stellungnahme des Beschwerdeführers auf das Ergebnis der lokalen Erhebungen - es liege eine Verwechslung mit seinem Cousin vor - als naheliegende, aber unglaubwürdige Schutzbehauptung werte. Zu der vom Bundesasylamt vorgenommenen Ausweisung meinte die belangte Behörde abschließend, auch insoweit sei die Berufung abzuweisen gewesen. Die Beibehaltung der nicht zielstaatsbezogenen Ausweisung erfolge dabei "im Interesse der möglichsten Wahrung der Dispositionsfreiheit" des Beschwerdeführers.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde geht in ihren Überlegungen - anders als die belangte Behörde - vom Zutreffen der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers aus. Gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde wendet sie - wie schon der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung - ein, dass die für die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nachteiligen Ermittlungsergebnisse der Vertrauenspersonen des Sachverständigen in Indien auf einer Verwechslung des Beschwerdeführers mit einem Cousin gleichen Namens beruhten. Dabei übersieht sie aber, dass sich die belangte Behörde mit diesem Einwand in der Berufungsverhandlung und im angefochtenen Bescheid in einer Art und Weise auseinandergesetzt hat, dass von einer nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes unschlüssigen Beweiswürdigung nicht ausgegangen werden kann. Soweit sich die Beschwerde daher gegen die Bestätigung der Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides wendet (Abweisung der Berufung gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG), kann sie nicht erfolgreich sein.

Bei der unveränderten Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides über die Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet" (Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides) hat die belangte Behörde jedoch verkannt, dass die Asylbehörden in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt sind, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das - nach Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangene - hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden.

Es war daher die Bestätigung von Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben und die Beschwerde im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Da dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, kommt die Zuerkennung der verzeichneten Pauschalgebühren nicht in Betracht.

Wien, am 26. Jänner 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190718.X00

Im RIS seit

06.03.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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