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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/19/0860 2006/19/0861 2006/19/0862 2006/19/0863Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden der Bundesministerin für Inneres gegen die jeweils am 22. Februar 2006 verkündeten und am 1. März 2006 ausgefertigten Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates, Zlen. 244.088/0- VIII/23/03 (1.), 244.087/0-VIII/23/03 (2.), 244.091/0- VIII/23/03 (3.), 244.090/0-VIII/23/03 (4.), 244.089/0- VIII/23/03 (5.), betreffend §§ 7, 12 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Parteien: 1.) A M, 2.) N C, 3.) X M, 4.) G M und
5.) Y M, alle in B), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligten sind Mitglieder einer Familie (der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte sind Ehegatten, die Dritt- bis Fünftmitbeteiligten ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder) und reisten gemeinsam am 6. August 2002 in das Bundesgebiet ein. Noch am selben Tag beantragte der Erstmitbeteiligte Asyl, die Zweit- bis Fünftmitbeteiligten begehrten dessen Erstreckung.
Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 8. und 22. September 2003 führte der Erstmitbeteiligte zusammengefasst aus, er und seine Ehegattin gehörten der armenischen Volksgruppe an und seien in Znaberd (Anmerkung: in der Autonomen Republik Nachitschewan, einer aserbaidschanischen Exklave) geboren worden. Von dort seien sie im Jahr 1988 nach Armenien geflohen, wo sich der Erstmitbeteiligte zuletzt für die "Vereinigte Kommunistische Partei Armeniens" engagiert habe und deshalb von der armenischen Polizei verfolgt worden sei. Aus diesem Grund sei die Familie (mit den inzwischen geborenen Dritt- bis Fünftmitbeteiligten) aus Armenien zunächst nach Russland und ein Jahr später nach Österreich geflüchtet.
Mit Bescheiden jeweils vom 3.Oktober 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Erstmitbeteiligten gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 AsylG für zulässig und wies auch die Erstreckungsanträge der Zweit- bis Fünftmitbeteiligten gemäß §§ 10, 11 AsylG ab. Die Mitbeteiligten seien - so die Begründung der Asylbehörde - unter Zugrundelegung ihrer Angaben armenische Staatsangehörige. Dem Fluchtvorbringen sei jedoch - aus näher dargestellten Gründen - die Glaubwürdigkeit zu versagen, weshalb ihnen weder Asyl- noch Refoulementschutz gewährt werden könne.
Gegen diese Bescheide erhoben die Mitbeteiligten jeweils Berufung. Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2005 erstattete der Erstmitbeteiligte überdies eine ausführliche Berufungsergänzung, der er diverse Unterlagen anschloss (darunter auch ein klinischer Befundbericht vom 7. Juni 2004, der ihm eine "posttraumatische Belastungsstörung" und einen "Zusammenbruch der psychischen Bewältigungsfähigkeiten" bescheinigte).
Über die Berufungen führte die belangte Behörde am 22. Februar 2006 eine gemeinsame Berufungsverhandlung durch. Nach Verlesung des erstinstanzlichen Aktes und der Berufungsschriftsätze samt ihrer Ergänzung wurden der Erst- und die Zweitmitbeteiligte neuerlich vernommen, wobei sich ihre Aussagen - der aufgenommenen Niederschrift zufolge - darauf beschränkten, ihre "bisherigen Angaben im gesamten Verfahren" als richtig und der Wahrheit entsprechend zu bezeichnen, weshalb diese auch zur Aussage in der Berufungsverhandlung erhoben würden. Im Anschluss daran verlas der Verhandlungsleiter der belangten Behörde diverse Länderberichte zur Lage in Armenien, hielt überdies fest, dass ihm das Vorbringen der Berufungswerber nachvollziehbar und glaubwürdig erscheine, erörterte im Folgenden Auszüge aus den hg. Erkenntnissen jeweils vom 30. September 2004, Zlen. 2001/20/0362 und 2001/20/0430, und verkündete schließlich die angefochtenen Bescheide, mit denen den Berufungen der Mitbeteiligten stattgegeben, ihnen gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG ihre Flüchtlingseigenschaft festgestellt wurde.
Zur Begründung führte die belangte Behörde in der schriftlichen Bescheidausfertigung im Verfahren des Erstmitbeteiligten - nach stark gekürzter Darstellung des Verfahrensverlaufes (Punkt 1. der Begründung) - zunächst wörtlich aus:
"Über diese Berufung hat der unabhängige Bundesasylsenat erwogen:
2. Nachstehender Sachverhalt ist glaubhaft und wird festgestellt:
Die Feststellungen zur Person der - persönlich glaubwürdig wirkenden - berufenden Partei ergaben sich aus ihren Angaben. Es war ihr die Glaubwürdigkeit nicht abzusprechen. Die Angaben fanden auch Deckung im verwerteten Länderdokumentationsmaterial.
Zur Situation der berufenden Partei im Herkunftsland wird auf das im Berufungsverfahren verwertete Länderdokumentationsmaterial verwiesen. Die Quellen stimmen in den hier entscheidungswesentlichen Belangen inhaltlich überein."
Anschließend machte die belangte Behörde unter der Überschrift "3. Rechtliche Beurteilung, 3.1. ..." allgemeine Rechtsausführungen zum Flüchtlingsbegriff und folgerte daraus wörtlich:
"3.2. Vorliegend bedeutet dies, dass unter Hinweis auf die oben getroffenen - unbestritten gebliebenen - Sachverhaltsfeststellungen der Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt ist.
Das Vorbringen der Berufungswerber ist nachvollziehbar und daher glaubwürdig und ist der Entscheidung zu Grunde zu legen. Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist, wie schon der Berufungsschriftsatz zutreffend ausführt, nicht nachvollziehbar.
Insbesondere zeigt der vorgelegte klinische Befundbericht vom 07.06.2004 deutlich warum der offenbar erheblich traumatisierte Berufungswerber bei der Erstbehörde nicht in der Lage war, sein Vorbringen klar und deutlich zu schildern. Im Übrigen wird vollständig auf die Ausführungen in der Berufungsergänzung vom 05.07.2005 verwiesen."
Nach wörtlichen Zitaten aus den hg. Erkenntnissen vom 30. September 2004, Zlen. 2001/20/0362 und 2001/20/0430 (zur Situation der aserischen Minderheit in Armenien und damit in Zusammenhang stehenden Auswirkungen auf gemischt-ethnische Ehepaare bzw. deren Kinder), schloss die belangte Behörde ihre Erwägungen dahingehend ab, sie könne in der vorliegenden Sache nicht erkennen, dass sich seit den zitierten Entscheidungen die Situation der vom Volksgruppenkonflikt der Armenier und Aserbaidschaner betroffenen Personen maßgeblich verändert habe. Die "seinerzeit eingeschlagene Entscheidungsrichtung des Höchstgerichtes" sei deshalb "weiterhin - und damit auch in dieser Sache - anzuwenden". Im Übrigen sei auf die zutreffenden Ausführungen in der Berufungsergänzung vom 15. (richtig: 5.) Juli 2005 vollinhaltlich zu verweisen und diese wurden zum Bestandteil der Entscheidungsbegründung erhoben.
Die Entscheidungen hinsichtlich der Zweit- bis Fünftmitbeteiligten begründete die belangte Behörde in den schriftlichen Bescheidausfertigungen im Wesentlichen gleichlautend damit, dass dem Ehemann bzw. Vater Asyl gewährt worden sei, das nach den §§ 10, 11 AsylG auf die Zweit- bis Fünftmitbeteiligten erstreckt werde.
Gegen diese Bescheide wenden sich die vorliegenden, wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Amtsbeschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zur Begründung seines dem Erstmitbeteiligten Asyl gewährenden Bescheides verwendete das entscheidende Mitglied der belangten Behörde Textbausteine, die gleichlautend auch in anderen von ihm verfassten Berufungsbescheiden enthalten waren und die vom Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/19/0885, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, bereits als unzureichend befunden wurden, um die Umwürdigung der erstinstanzlichen Beweisergebnisse nachvollziehbar zu begründen.
Ob die Ergänzung dieser standardisierten Begründungsteile um einen kurzen (fallbezogenen) Hinweis auf den mit der Berufungsergänzung des Erstmitbeteiligten vorgelegten ärztlichen Befundbericht vom 7. Juni 2004 und dessen darin diagnostizierte Traumatisierung an diesem Ergebnis etwas ändern könnte, braucht hier nicht weiter untersucht zu werden. Die belangte Behörde hat nämlich folgende entscheidungswesentlichen Umstände übersehen, die eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide unvermeidlich machen:
Die belangte Behörde bezeichnete die Mitbeteiligten - wie zuvor schon das Bundesasylamt - als Staatsangehörige von Armenien und nahm die Prüfung der vorliegenden Asyl- und Erstreckungsanträge bezogen auf diesen Herkunftsstaat vor. Dabei ging sie erkennbar von den Angaben (v.a.) des Erstmitbeteiligten aus, der jedoch schon vor dem Bundesasylamt ausgesagt hatte, er wisse nicht, welche Staatsangehörigkeit er und seine Familienmitglieder besäßen. Seine Frau und er hätten allerdings über aserbaidschanische Pässe verfügt, die ihnen auf der Flucht abgenommen worden seien. "Vielleicht" seien sie aserbaidschanische Staatsbürger, aber sie gehörten der armenischen Volksgruppe an. In der Berufungsergänzung vom 5. Juli 2005, auf welche die belangte Behörde ausdrücklich verwies und sie zum Bestandteil ihrer Entscheidungsbegründung erhob, präzisierte der Erstmitbeteiligte sein Vorbringen folgendermaßen:
"Zu meinen persönlichen Verhältnissen und zum Fluchtweg bringe ich zusammenfassend vor, dass ich am 23.11.1969 im Dorf Znaberd in Nachitschewan (damals Aserbeidschanische SSR) geboren wurde. Meine Eltern sind beide armenischer Nationalität ... 1988 musste ich mit meinen Eltern wegen der Pogrome gegen die Armenier in Baku aus Aserbeidschan nach Armenien flüchten. Wir zogen nach Erewan ... . Die armenische Staatsbürgerschaft wurde mir nicht verliehen."
Ausgehend davon lässt sich die Annahme der belangten Behörde, die Mitbeteiligten seien armenische Staatsangehörige, auf der Grundlage ihrer Angaben nicht ohne Weiteres nachvollziehen. So sich - zumindest hinsichtlich des Erstmitbeteiligten - eine armenische Staatsangehörigkeit nicht aus der "Nationalität" der Eltern ableiten ließe, käme eine auf Armenien als "Herkunftsstaat" bezogene Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft der Mitbeteiligten nach diesem Vorbringen nur dann in Betracht, wenn sie staatenlos wären und in Armenien ihren "früheren gewöhnlichen Aufenthalt" im Sinne des § 1 Z 4 AsylG (idF vor dem AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100) gehabt hätten. Diesbezügliche Feststellungen sind den angefochtenen Bescheiden aber nicht zu entnehmen. Sollten die Mitbeteiligten aber aserbaidschanische Staatsangehörige sein, hätte eine auf diesen Herkunftsstaat - und somit auf einen völlig anderen faktischen Hintergrund - bezogene Prüfung der vorliegenden Fälle vorgenommen werden müssen (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0159).
Die angefochtenen Bescheide waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 26. Jänner 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190859.X00Im RIS seit
06.03.2007