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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2006/19/0291 E 26. Jänner 2007Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak sowie die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der G, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 9, gegen den am 23. April 2002 verkündeten und am 21. November 2002 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 221.702/0-VI/18/01, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides (Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach "Kirgistan") bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine kirgisische Staatsangehörige moslemischen Bekenntnisses, reiste am 7. Dezember 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 11. Dezember 2000 einen Asylantrag.
Bei ihren Einvernahmen durch das Bundesasylamt am 16. Jänner und am 22. Jänner 2001 begründete die Beschwerdeführerin ihre Ausreise aus Kirgisistan damit, dass sie Uigurin sei. Das uigurische Volk habe kein eigenes Land und werde vom kirgisischen Staat unterdrückt.
Im Oktober 2000 sei sie nach einem beruflichen Vorstellungsgespräch von zwei Männern vergewaltigt worden. Auf Grund der Anzeige dieser Straftat habe sie die Polizei zwar "ordentlich einvernommen", untersuchen lassen und ihr versichert, die Täter sofort zu suchen, die Beschwerdeführerin sei jedoch in der Folgezeit mehrfach von den Tätern bedroht worden, ihre Anzeige zurückzuziehen. Da sie gemeint habe, dass ihr keiner helfe, habe die Beschwerdeführerin beschlossen, Kirgisistan zu verlassen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 5. März 2001 den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach "Kirgistan" gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II). Es schenkte den Angaben der Beschwerdeführerin keinen Glauben.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, über die von der belangten Behörde am 11. Jänner 2002 eine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt wurde.
Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2002 brachte die Beschwerdeführerin vor, es bestehe bei ihr auf Grund der erfolgten Vergewaltigung ein psychotraumatisches Zustandsbild, das eine psychologische bzw. -therapeutische Betreuung unbedingt erfordere und sich im Falle der Rückkehr in die Heimat verschlechtern werde. Zum Beweis dafür legte sie ein klinisch-psychologisches Gutachten vom 12. Jänner 2002 vor.
Mit dem im Anschluss an eine weitere mündliche Berufungsverhandlung vom 23. April 2002 mündlich verkündeten Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen.
In der schriftlichen Ausfertigung dieses mündlich verkündeten Bescheides ging die belangte Behörde u.a. davon aus, dass die von der Beschwerdeführerin beschriebene Vergewaltigung tatsächlich geschehen sei. Im Beweisverfahren sei aber nicht erkennbar geworden, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Zugehörigkeit zur uigurischen Volksgruppe Opfer dieses Sexualdeliktes geworden wäre oder die Polizei ihr aus diesem Grund Schutz verweigert hätte. Die Berichtslage ließe auch nicht erkennen, dass die Beschwerdeführerin als Mitglied einer sozialen Gruppe Opfer von Verfolgung geworden wäre, zumal eine soziale Gruppe von kirgisischen Frauen, welche theoretisch in Gefahr seien, in "Kirgisien" Opfer eines sexuellen Übergriffes zu werden, "zu weit gefasst" wäre, "da bei Anerkennung sämtlicher weiblicher Bewohnerinnen Kirgisiens als Flüchtling der Schutzzweck der Genfer Flüchtlingskonvention zweifelsfrei zur Gänze ausgehöhlt würde".
Vor dem Hintergrund der bestehenden familiären Kontakte im Herkunftsstaat sei auch nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in eine völlig aussichtslose Situation geraten würde. Im Zusammenhang mit dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK werde eine "Außergewöhnlichkeit" der Umstände, wie etwa der sichere Tod oder die mit großer Wahrscheinlichkeit eintretende schwer wiegende Verschlechterung des Gesundheitszustandes als Abschiebungshindernis verlangt. Eine solche Außergewöhnlichkeit der Umstände liege jedoch im Fall der Beschwerdeführerin nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Ungeachtet des Umstandes, dass die belangte Behörde in ihren allgemeinen Erwägungen zur Asylrelevanz einer behaupteten Verfolgung auf Grund des Geschlechtes eine Berücksichtigung der diesbezüglichen höchstgerichtlichen Judikatur (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0483; vgl. weiters die UNHCR-Richtlinie vom 7. Mai 2002 zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge), die ihr bei Abfassung der schriftlichen Bescheidausfertigung bekannt sein musste, nicht erkennen lässt, ist ihre Einschätzung, dass der Beschwerdeführerin auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes in Kirgisistan weder als Frau im Allgemeinen noch als Angehörige der Uiguren eine asylrelevante Verfolgung drohe, nicht zu beanstanden, zeigt doch die Beschwerde mit ihren Hinweisen auf einzelne Passagen aus dem Berichtsmaterial (über die Diskriminierung von Frauen in Kirgisistan einerseits bzw. über das Gefühl der uigurischen Bevölkerungsgruppe, sich "immer stärker als Opfer mittelbarer staatlicher Verfolgung" zu fühlen, andererseits) nicht auf, dass damit unter Berücksichtigung der oben angesprochenen Rechtsprechung ein anderes Ergebnis zu erzielen gewesen wäre.
Insoweit sich die Beschwerde gegen die Bestätigung des ersten Spruchpunktes des erstinstanzlichen Bescheides richtet, kann sie daher nicht erfolgreich sein.
Im Zusammenhang mit der Entscheidung zu § 8 AsylG hat sich die belangte Behörde mit dem (durch ein gleichzeitig vorgelegtes Gutachten gestützten) Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 26. Februar 2002, wonach auf Grund der erfolgten Vergewaltigung bei ihr ein psychotraumatisches Zustandsbild bestehe, das eine psychologische bzw. -therapeutische Betreuung unbedingt erfordere und sich im Falle der Rückkehr in die Heimat verschlechtern werde, nicht auseinander gesetzt. Vor der Klärung der damit aufgeworfenen Problematik lässt sich aber nicht beurteilen, ob die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in ihren durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten verletzt würde.
Es war daher die Bestätigung von Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben und die Beschwerde im Übrigen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 26. Jänner 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190290.X00Im RIS seit
05.03.2007