Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §73 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des W J in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 26. April 2005, Zl. UVS-SOZ/7/2898/2005/4, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages in einer Angelegenheit nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der damals zehnjährige Sohn des Beschwerdeführers, W J junior richtete am 24. August 2004 folgende Eingabe an den Magistrat der Stadt Wien:
"Magistrat der Stadt Wien
als Sozialhilfebehörde
via Herrn Vizebürgermeister und amtsführender Stadtrat
Dr. Sepp Rieder
Rathaus
Wien, am 24. August 2004
Betrifft: Antrag auf Gewährung einer Geldaushilfe für den Lebensbedarf für meinen 3jährigen Bruder Marcel, meinen 8jährigen
Bruder Manuel und mich gemäß WSHG
Auskunft
Sehr geehrter Herr Stadtrat!
Ohne daß mein Papa oder wir Kinder etwas Unrechtes getan hätten (außer daß wir arm sind und teilweise krank), verweigert die MA 15/V11 uns seit 02.08.2004 den Lebensbedarf, sodaß wir sehr wenig zu Essen haben und am Leben gar nicht teilnehmen können. Wir bekommen auch nicht die vom Land Wien beschlossene Sozialhilfeerhöhung (ab Juli 2004). Ebensowenig gibt man meinem Papa für uns Kinder die Krankenscheine für das 3. Quartal. Auch Medikamentenbedarf und Heilbehelfe werden nicht bewilligt.
Danke liebe Sozialdemokratie! Grüße
W"
Eine Erledigung hierüber erfolgte nicht. Daraufhin richtete der Beschwerdeführer am 1. April 2005 einen Devolutionsantrag an die belangte Behörde. Darin bezeichnete er sich selbst als Beschwerdeführer und führte aus, sein Sohn habe am 24. August 2004 beim Magistrat der Stadt Wien (via magistratisches Bezirksamt für den 11. Bezirk), einen mit 24. August 2004 datierten Antrag auf Gewährung einer Geldaushilfe für den Lebensbedarf für seinen 3jährigen Bruder Marcel, seinen 8jährigen Bruder Manuel und sich gemäß WSHG gestellt, ohne dass ihm (gemeint: seinem Sohn)/mir (gemeint: dem Beschwerdeführer) innerhalb der gesetzlich offenen sechsmonatigen Erledigungsfrist nach dem AVG eine schriftliche Entscheidung zugestellt worden wäre. Er (der Beschwerdeführer) sei daher in seinem Recht auf eine (Sach-)Entscheidung verletzt worden. Es möge das verletzte Recht festgestellt werden. Weiters werde beantragt, die angerufene Rechtsmittelinstanz als übergeordnete bzw. oberste (in Betracht kommende) Behörde möge in Stattgebung seines eingebrachten Devolutionsantrages die Entscheidung, die die untergeordnete Erstinstanz verweigert habe, treffen und ihm gemäß Wiener Auskunftspflichtgesetz iVm AVG eine schriftliche Ausfertigung (Bescheid) derselben zustellen. Gemäß § 7 WSHG iVm § 6 WSHG habe die Zuerkennung von Sozialhilfe durch Bescheid zu erfolgen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Devolutionsantrag zurück. Begründend wurde ausgeführt, ungeachtet einer Prüfung, ob hier ein regelrechter Antrag auf eine Geldaushilfe oder - nach dem Charakter des Schreibens - eine Beschwerde an den Herrn Vizebürgermeister wegen der Verweigerung der Sozialhilfe vorliege, ob weiters der Verfasser dieses Schreibens, nach dessen Inhalt ein 10jähriges Kind, überhaupt Prozessfähigkeit besessen habe, um in einem Verwaltungsverfahren gegenüber der für die Sozialhilfe zuständigen Behörde Parteistellung erlangen zu können, liege jedenfalls keine Identität zwischen der Person vor, die den ursprünglichen Antrag vom 24. August 2004 gestellt habe und jener, die den Devolutionsantrag vom 1. April 2005 in eigenem Namen erhoben habe. Gegenüber dem Verfasser des Devolutionsantrages W J (senior) habe die erste Instanz aber in der vorliegenden Sache keine Entscheidungspflicht verletzen können, zumal der Antrag vom 24. August 2004 nach seinem gesamten äußeren Erscheinungsbild nicht W J, geboren am 22. Juli 1955, sondern seinem Sohn W J, geboren am 2. September 1994, zuzurechnen sei. Der Antrag sei daher spruchgemäß zurückzuweisen gewesen.
Weiters werde bemerkt, dass der Unabhängige Verwaltungssenat Wien eine Stellungnahme des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 15, Sozialzentrum für den 3. und 11. Bezirk zum vorliegenden Antrag eingeholt habe, wonach W J senior mit den Anträgen vom 14. Mai 2004, 27. Juli 2004, 29. Juli 2004, 30. August 2004, 1. September 2004 und 2. September 2004 eine Geldaushilfe ab 2. August 2004 beantragt habe. Diese sei am 8. Oktober 2004 nach Durchführung aller Erhebungen - Telefonate mit dem Arbeitsmarktservice, ob sich Herr J in der Zwischenzeit zurückgemeldet bzw. einen Antrag auf Notstandshilfe gestellt habe, weiters Anrufe bei der Hausverwaltung, welche Mieten in welcher Höhe noch offen seien, Abklärung bei der Wien Energie, ob Teilbeträge von Herrn J bezahlt worden oder noch offen seien, Anrufe bei der MA 50, ob der Anspruch auf Wohnbeihilfe bereits berechnet worden sei, - in Höhe von EUR 793,80 auf sein Konto überwiesen worden. Ein Betrag von EUR 1.034,09 sei direkt an die Hausverwaltung angewiesen worden, um den bereits entstandenen Mietzinsrückstand abzudecken.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf eine Sachentscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist sowie den weiteren sich aus dem Zusammenhang der Beschwerde ergebenden Rechten verletzt. Einer der wesentlichen Grundsätze aller Sozialhilferechte der österreichischen Bundesländer sei die "Antragslosigkeit" der Sozialhilfe. Das Ziel der Sozialhilfe könne nur erreicht werden, wenn sichergestellt sei, dass die Hilfe auch rechtzeitig gewährt werde. Daher sähen alle Sozialhilfegesetze vor, dass Sozialhilfe auch von Amts wegen zu gewähren sei, wenn dem Sozialhilfeträger - und zwar egal auf welche Art - Tatsachen bekannt würden, die eine Hilfeleistung erforderten. Die belangte Behörde übersehe, dass die Gewährung von Sozialhilfe an ihn keinen durch ihn selbst gestellten Antrag voraussetze. Gemäß § 6 WSHG sei die Sozialhilfe vielmehr auch ohne Antrag des Hilfesuchenden zu gewähren, sobald Tatsachen bekannt würden, die eine Hilfestellung erforderten. Diese Bestimmung stelle auch nicht darauf ab, wer "Verfasser" von Eingaben an die Sozialhilfebehörde sei. Durch das Schreiben seines Sohnes seien der Sozialhilfebehörde Tatsachen bekannt geworden, die einer Sacherledigung zuzuführen gewesen wären. Der Antrag seines Sohnes sei zweifelsfrei an den Magistrat der Stadt Wien als Sozialhilfebehörde gerichtet und ebenso zweifelsfrei als Antrag auf Gewährung einer Geldaushilfe für Lebensbedarf formuliert. Selbst wenn man von einer Parteistellung seines Sohnes ausginge, wäre die belangte Behörde von Amts wegen verpflichtet gewesen, abzuklären, ob er (der Beschwerdeführer) den Devolutionsantrag im eigenen Namen oder als gesetzlicher Vertreter seines Sohnes gestellt habe. Sollte sein Sohn Parteistellung erlangt haben, so wäre der Devolutionsantrag als von ihm als gesetzlichem Vertreter gestellt anzusehen, sodass die belangte Behörde eine meritorische Entscheidung ebenfalls nicht hätte verweigern dürfen. Der angefochtene Bescheid sei auch infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig. Die belangte Behörde habe es unterlassen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Erstmals mit dem hiermit in Beschwerde gezogenen Bescheid bringe sie ihm zur Kenntnis, dass eine Stellungnahme des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 15, eingeholt worden sei. Hätte die belangte Behörde ihm Parteiengehör gewährt, hätte er ihr zur Kenntnis bringen können, dass keine Identität zwischen den Anträgen gemäß der angeblichen Stellungnahme vom 19. April 2005 und dem verfahrensgegenständlichen Antrag bestehe. Außerdem seien Sozialhilfeansprüche Eigentum im Sinne des Art. 1
1. ZP EMRK, welche den Verfahrensgarantien nach Art. 6 EMRK unterlägen. Danach habe jedermann einen Anspruch darauf, dass seine Sache billigerweise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört werde und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden habe. Die Verwaltungsbehörden hätten dieses Recht verletzt, weil sie eine öffentliche mündliche Verhandlung verweigert hätten.
Hiezu ist Folgendes auszuführen:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass der verfahrenseinleitende Antrag vom 24. August 2004 von seinem minderjährigen Sohn W J junior im eigenen Namen gestellt wurde. Zutreffend ging die belangte Behörde davon aus, dass der Devolutionsantrag vom 1. April 2005 nach seinem gesamten Inhalt unzweifelhaft von W J senior im eigenen Namen gestellt wurde. Ein Verbesserungsverfahren zur Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer den Devolutionsantrag als gesetzlicher Vertreter seines minderjährigen Sohnes gestellt hatte, war daher nicht einzuleiten.
Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verfahrensvorschriften nichts anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8 AVG) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Nach dem unzweideutigen Wortlaut dieser Bestimmung erwächst eine behördliche Entscheidungspflicht, deren Verletzung die Partei zur Inanspruchnahme des Rechtsbehelfs nach § 73 Abs. 2 AVG berechtigt, ausschließlich aus einem von der Partei gestellten Antrag. Einer Partei gegenüber, welche an die Behörde ein Anbringen nicht gerichtet hat, erwächst der Behörde eine Entscheidungspflicht nach § 73 Abs. 1 AVG nicht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. November 1993, Zl. 93/07/0138). Ein verfahrenseinleitender Antrag des Beschwerdeführers W J senior liegt hier gerade nicht vor. Der angefochtene Bescheid leidet daher nicht an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit.
Aber auch die geltend gemachte Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt nicht vor. Da die Stellungnahme der erstinstanzlichen Verwaltungsbehörde keine rechtserheblichen Tatsachen enthielt, musste dem Beschwerdeführer hiezu auch kein rechtliches Gehör gewährt werden. (Der Inhalt der Stellungnahme wurde von der belangten Behörde offensichtlich nur als Information darüber widergegeben, dass dem Beschwerdeführer ohnehin Sozialhilfe gewährt wurde.)
Im vorliegenden Verwaltungsverfahren wurden keine Rechts- oder Tatfragen von einer solchen Art aufgeworfen, dass deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte. Auch Art. 6 EMRK steht dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Der EGMR hat z.B. in seiner Entscheidung vom 2. September 2004, Zl. 68087/01 (Hofbauer/Österreich) unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung (vgl. insbesondere EGMR 24. Juni 1993, Schuler-Zgraggen/Schweiz, Series A no. 263, p. 19, § 58; 25. April 2002, Zl. 64336/01, Varela Assalino/Portugal; 5. September 2002, Zl. 42057/98, Speil/Österreich) dargelegt, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung oder überhaupt jeglicher Anhörung erfüllt wären, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "technische" Fragen betrifft. Der Gerichtshof verwies im erwähnten Zusammenhang auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige. Hier waren von der belangten Behörde ausschließlich Rechtsfragen zu lösen, sodass eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung einer weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegen steht.
Da - wie bereits ausgeführt - auch Art. 6 Abs. 1 EMRK hier eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich machte und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war, konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG die vorliegende Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2006, Zl. 2004/10/0016).
Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 29. Jänner 2007
Schlagworte
Parteistellung ParteienantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005100175.X00Im RIS seit
21.03.2007Zuletzt aktualisiert am
26.06.2017