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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Peter Wittmann, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 1. Juni 2005, Zl. Fr 239/05, betreffend die Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 1. Juni 2005 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf folgende rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers:
1. mit Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 6. Juni 2001 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 8 Wochen. Der Beschwerdeführer habe von Dezember 1998 bis September 1999 sowie vom November 1999 bis 6. Juni 2001 seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seinen minderjährigen Kindern Sabrina und Christian gröblich verletzt, sodass der Unterhalt der Genannten ohne Hilfe anderer gefährdet worden wäre.
2. mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 28. Jänner 2005 wegen § 114 Abs. 1 und 2 ASVG sowie wegen schweren Betruges nach den §§ 146 und 147 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten (davon 9 Monate bedingt nachgesehen). Er habe zwischen Mai 1999 und Februar 2001 als vertretungsbefugter Geschäftsführer der A. GmbH (als Dienstgeber) Beiträge von Dienstnehmern zur Sozialversicherung einbehalten und diese dem Versicherungsträger im Umfang von EUR 2.017,63 vorsätzlich vorenthalten. Weiters habe er zwischen September 2001 und September 2004 insgesamt sechs näher bezeichnete Betrugsdelikte mit einem Gesamtschaden von rund EUR 15.000,-- begangen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit der Mitte des Jahres 1997 - nach Ablauf des 5. Juni 2002 infolge Vermeidung jeden Kontaktes zu Behörden illegal - im Bundesgebiet auf. Auf Grund des - wie dargestellt - langen, schon etwas mehr als ein Jahr nach der Einreise beginnenden Deliktszeitraumes sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht.
Bei der Interessenabwägung nach § 37 FrG ging die belangte Behörde davon aus, dass die beiden vorgenannten, 1991 und 1994 geborenen minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers in Österreich lebten. Er unterhalte mit ihnen jedoch - nach Trennung von ihrer Mutter - keinen gemeinsamen Haushalt und habe die Frage nach Familienangehörigen in Österreich bei seiner erstmaligen Einvernahme mit "nein" beantwortet. Die genauen Geburtsdaten und den aktuellen Aufenthalt der Kinder, denen gegenüber er seine Unterhaltspflichten wiederholt verletzt habe, habe er nicht angeben können. Sein (in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erstattetes) Vorbringen betreffend ständige Kontakte mit seinen Kindern sei somit als bloße Konstruktion zu werten, mit der er die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu verhindern versuche. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung werde somit der "Erstaussage" mehr Glauben geschenkt: Würde der Beschwerdeführer mit seinen Kindern tatsächlich jede Woche Kontakt pflegen, könnte er neben ihrem Geburtsdatum auch die genaue Anschrift angeben.
Dennoch liege durch die Verhängung des Aufenthaltsverbotes ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers vor. Diesen müsse er jedoch im Hinblick auf die Schwere seiner Straftaten zum Schutz der öffentlichen Ordnung und der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen hinnehmen.
Auch könne auf Grund des beschriebenen, gerichtlich strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers, das er durch viele Jahre fortgesetzt habe, trotz seines langen Aufenthaltes in Österreich nicht davon ausgegangen werden, dass er "besonders integriert wäre". Vielmehr habe er zuletzt über keine Beschäftigung verfügt und von Unterstützungen durch seinen Bruder gelebt. Unterhaltspflichten könne er auch vom Ausland aus nachkommen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z. 2).
In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2005/21/0257, mwN).
Der Beschwerdeführer bestreitet weder die genannten strafgerichtlichen Verurteilungen noch die Feststellungen der belangten Behörde über die der letztgenannten Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhalten. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, dass sowohl der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht als auch die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt ist.
Der Beschwerde kommt aber Berechtigung zu, soweit sie die Beurteilung nach § 37 FrG anspricht. Gemäß dieser Bestimmung ist, würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, eine solche Maßnahme nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Ein Aufenthaltsverbot darf jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seine Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen sowie die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.
Zu diesem Thema hat der Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift vom 10. Februar 2005 vorgebracht, regelmäßig Kontakte zu seinen zwei Kindern, die er jede Woche sehe, zu unterhalten. Zum Nachweis dieses Vorbringens hat er die Einvernahme der beiden Kinder und ihrer Mutter beantragt.
Der belangten Behörde ist zwar darin beizupflichten, dass an der Verhinderung jahrelang fortgesetzten strafbaren Verhaltens ein beträchtliches öffentliches Interesse besteht. Ausschlaggebend sind im vorliegenden Fall jedoch, neben dem langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, die von ihm geltend gemachten familiären Kontakte zu seinen beiden Kindern. Sollten diese im behaupteten Umfang - wenn auch im Rahmen bloßer wöchentlicher Besuche - bestanden haben, könnten sie der Erlassung eines Aufenthaltsverbots aus dem Grund des § 37 FrG entgegenstehen.
Indem die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer zu diesem Thema angebotenen Zeugen ohne Begründung nicht einvernommen und sich mit einer Würdigung der ihr bereits vorliegenden Beweisergebnisse begnügt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. Jänner 2007
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005210302.X00Im RIS seit
26.02.2007