TE OGH 2001/5/16 2Ob136/00i

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Veröffentlicht am 16.05.2001
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriele H*****, vertreten durch Dr. Gerhard Gfrerer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei ***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 100.000,-- samt Anhang, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 21. Februar 2000, GZ 53 R 323/99b-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 3. August 1999, GZ 34 C 1204/97-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.086,40 (darin enthalten S 1.040,40 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte hat für das Alleinverschulden ihres Versicherungsnehmers am Zustandekommen eines Verkehrsunfalles vom 5. 8. 1995 in Braunau einzutreten, bei dem der Sohn der Klägerin ums Leben kam. Die Klägerin selbst war bei diesem Verkehrsunfall nicht dabei.

Die Klägerin begehrt mit ihrer seit 15. 12. 1997 gerichtsanhängigen Klage Schmerzengeld von S 50.000, das sie am 14. 1. 1999 auf S 100.000 ausdehnte. Sie leide auf Grund des Unfallstodes ihres Sohnes unter erheblichen seelischen Beschwerden, die Krankheitswert erreichten und einer medizinischen Behandlung bedürften. Bei der Ausdehnung des Klagebegehrens führte sie aus, dass nach dem Verlust des Sohnes ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten ab Unfallszeitpunkt als natürliche Trauer und nicht als Krankheit gegolten habe. Erst als ihre depressive Psychose erheblich über den Zeitraum von sechs Monaten hinausgegangen sei, sei eine behandlungsbedürftige Reaktion mit Krankheitswert vorgelegen. Bei der Klägerin sei daher erst mehr als sechs Monate nach dem Unfall ein Schaden, nämlich eine behandlungsbedürftige Erkrankung eingetreten; erst nach diesem Zeitpunkt sei der Schadenseintritt für sie erstmals erkennbar geworden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Klägerin stehe ein Schmerzengeld schon dem Grunde nach nicht zu, weil sie bei dem Unfall nicht verletzt worden sei. Ihrem seelischen Unbill komme kein Krankheitswert zu, der einen Schmerzengeldanspruch begründe. Sie sei durch den Unfall ihres Sohnes nicht unmittelbar geschädigt. Ihr Sohn sei zum Unfallszeitpunkt bereits erwachsen gewesen und als Lenker eines PKWs bei einem Verkehrsunfall verunglückt. Die Klägerin hätte gewusst, dass sich ihr Sohn als PKW-Lenker im Straßenverkehr mit den damit verbundenen Gefahren bewege. Sie hätte sich daher bereits vor dem tragischen Unfall ihres Sohnes mit dem Gedanken an einen etwaigen Verkehrsunfall auseinandersetzen müssen. Die "Abnabelung" des Sohnes sei zum Unfallszeitpunkt bereits geschehen gewesen. Gegen den ausgedehnten Betrag werde Verjährung eingewendet, wenn überhaupt, sei eine krankheitswertige Psychose spätestens sechs Wochen nach dem Unfallsereignis eingetreten.

Das Erstgericht gab dem ausgedehnten Klagebegehren statt.

Es ging von nachstehenden entscheidungswesentlichen Feststellungen aus:

Die Klägerin leidet an einer chronifizierten schweren Depression mit Somatisierungszeichen, die sich auf den Bauchraum projizieren. Darüber hinaus ist sie schlaflos, sie leidet unter Angstzuständen und Albträumen, ist völlig schwunglos und weitgehend pflegebedürftig. Diese Erkrankung (depressive Psychose) ist auf das Schmerzerlebnis durch den Unfalltod ihres Sohnes zurückzuführen und stellt eine krankhafte überschießende Reaktion auf diesen Verlust dar. Der Zustand der Klägerin geht weit über das Ausmaß einer natürlichen Trauer hinaus, die aus psychiatrischer Sicht mit annähernd einem halben Jahr schwerer Depression begrenzt ist. Aus psychiatrischer Sicht gilt beim Verlust einer nahestehenden Person zumindest ein Zeitraum von sechs Monaten als natürliche Trauer und nicht als Krankheit. Erst wenn sich die Dauer der Depression über den Verlust der Person erheblich über sechs Monate hinaus erstreckt, spricht man von einer krankhaften Reaktion. Die Klägerin benötigt wegen dieser Psychose eine intensive Behandlung. Sie wird medikamentös behandelt, zeitweise auch durch Akupunktur. Wahrscheinlich wird diese Depression von Krankheitswert zeitlebens bestehen bleiben. Der Verlauf der Beschwerden ist wechselhaft, es treten bisweilen kurzfristig seelische Schmerzen auf, die mit schweren oder mittelschweren körperlichen Schmerzen vergleichbar sind. Am ehesten ist der Zustand der Klägerin mit leichten körperlichen Schmerzen zu vergleichen, die gerafft über einen Zeitraum von zumindest drei Monaten bestehen. Wegen der nach dem Tode ihres Sohnes anhaltenden Beschwerden ist die Klägerin seit dem 31. 1. 1986 in ärztlicher Behandlung.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass die Klägerin durch den Unfalltod ihres Sohnes an einer krankheitswertigen Psychose leide und ärztlicher Behandlung bedürfe. Es handle sich um einen unmittelbaren und damit ersatzfähigen Schaden. Die Klägerin sei durch diese Krankheit in ihrem absolut geschützten Recht auf leibliche und geistige Gesundheit und Unversehrtheit verletzt und somit als unmittelbar Geschädigte anzusehen. Der Unfalltod des Sohnes sei kausal für die nachfolgende Psychose der Klägerin. Es spiele keine Rolle, dass die Klägerin beim Unfall selbst nicht dabei gewesen und dass ihr Sohn bereits volljährig gewesen sei. Die dreijährige Verjährungsfrist beginne erst mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kenne, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden könne. Da von einer Krankheit der Klägerin erst nach dem Ablauf von sechs Monaten nach dem Unfall gesprochen werden könne, sei für sie erst nach sechs Monaten nach dem Unfall ersichtlich gewesen, dass ein ersatzfähiger Schaden vorliege.

Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es teilte die auf die Entscheidungen ZVR 1995/46 und ZVR 1997/75 gestützte Rechtsmeinung des Erstgerichtes, dass der als Folge des Unfalltodes ihres Sohnes an einer behandlungsbedürftigen psychischen Krankheit leidenden Klägerin Schmerzengeld für die mit dieser psychischen Krankheit erlittenen seelischen Schmerzen zustehe. Es wäre nicht sachgerecht, das Vorliegen eines unmittelbaren und damit ersatzfähigen Schadens der Klägerin deshalb zu verneinen, weil sie oder ihr verstorbener Sohn nicht minderjährig gewesen wären oder weil sie selbst nicht in den Unfall involviert gewesen sei. Durch eine "Abnabelung des Kindes" oder ein "Loslassen des Kindes" höre die emotionale Sonderbeziehung zwischen Eltern und Kind nicht auf. Zur Verjährungsfrage hinsichtlich des ausgedehnten Begehrens führte das Berufungsgericht aus, dass nach jüngerer Rechtsprechung (JBl 1996, 311) die dreijährige Verjährung von Schadenersatzansprüchen nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginne. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei davon auszugehen, dass die sich an den Verlust eines nahestehenden Menschen anschließende Depression aus medizinischer Sicht so lange als "natürliche Trauer" angesehen werde (und deshalb auch nicht medizinisch behandelt werde), solange dieser Zustand nicht länger als sechs Monate anhalte. Dies treffe sich im Übrigen auch mit dem Verhalten der Klägerin, als sie sich erst etwa sechs Monate nach dem Unfall veranlasst gesehen habe, ihre weiterhin anhaltenden Beschwerden ärztlich behandeln zu lassen. Erst ab diesem Zeitpunkt könne vom tatsächlichen Eintritt des Schadens gesprochen werden, liege dieser doch in einer behandlungsbedürftigen, psychischen Störung von Krankheitswert, die aus psychiatrischer Sicht vorher nicht gegeben gewesen sei. Die Schmerzengeldansprüche der Klägerin seien zum Zeitpunkt der Klageausdehnung im Jänner 1999 noch nicht verjährt gewesen. Für die mit der Psychose der Klägerin zusammenhängenden Beschwerden, die aller Voraussicht nach auch weiterhin bestehen blieben, sei der geltend gemachte Betrag von S 100.000 angemessen.

Die Revision sei zulässig, weil den in den Entscheidungen ZVR 1995/46 und 1997/75 behandelten Fällen Schmerzengeldansprüche minderjähriger Kinder, die außerdem selbst in den Unfall involviert gewesen seien, zu Grunde gelegen seien.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der erkennende Senat hatte sich in der Entscheidung 2 Ob 79/00g mit der Ersatzfähigkeit von Schockschäden mit Krankheitswert naher Angehöriger zu befassen (RIS-Justiz RS0031111) und ist unter Hinweis auf die bereits vom Erstgericht zitierte Entscheidung ZVR 1995/46 und auf die in der Lehre vertretene Meinung (Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 847; Apathy, EKHG Rz 1 zu § 13; Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 5 zu § 1325; Danzl/Gutiérez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7 141 ff; Karner, ecolex 2001, 37) zur Ansicht gekommen, dass der Ersatz von Schockschäden mit Krankheitswert, die Dritte erleiden, grundsätzlich zu billigen sei. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob ein naher Angehöriger des Getöteten einen Unfallsschock durch das Unfallserlebnis oder die Unfallsnachricht erlitten habe. An diesem Ergebnis ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten, weshalb es genügt, auf die Begründung der genannten Entscheidung zu verweisen.Der erkennende Senat hatte sich in der Entscheidung 2 Ob 79/00g mit der Ersatzfähigkeit von Schockschäden mit Krankheitswert naher Angehöriger zu befassen (RIS-Justiz RS0031111) und ist unter Hinweis auf die bereits vom Erstgericht zitierte Entscheidung ZVR 1995/46 und auf die in der Lehre vertretene Meinung (Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 847; Apathy, EKHG Rz 1 zu Paragraph 13 ;, Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 5 zu Paragraph 1325 ;, Danzl/Gutiérez-Lobos/Müller, Schmerzengeld7 141 ff; Karner, ecolex 2001, 37) zur Ansicht gekommen, dass der Ersatz von Schockschäden mit Krankheitswert, die Dritte erleiden, grundsätzlich zu billigen sei. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob ein naher Angehöriger des Getöteten einen Unfallsschock durch das Unfallserlebnis oder die Unfallsnachricht erlitten habe. An diesem Ergebnis ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten, weshalb es genügt, auf die Begründung der genannten Entscheidung zu verweisen.

Auch im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Mutter des Getöteten um eine nahe Angehörige, die durch die Unfallnachricht in der Folge einen mit Krankheitswert und daher behandlungsbedürftigen Schockschaden erlitten hat. Ein solcher ist jedenfalls ersatzfähig.

Der erkennende Senat ist aber auch bereits zum Ergebnis gekommen, dass ein Ersatz von Seelenschmerz über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung im Sinne des § 1325 ABGB geführt hat, bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz des Schädigers in Betracht kommen kann (2 Ob 84/01v). Im Sinne dieser Rechtsprechung wäre daher auch ein Ersatz für die "normale Trauer" der Klägerin innerhalb der ersten sechs Monate ab Verlust des Sohnes denkbar gewesen, wenn dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen gewesen wäre. Die Verschuldensfrage wurde aber im Verfahren erster Instanz nicht behandelt, was aber hier nicht schadet. Unabhängig davon, ob der "Schade" (in Form einer nicht mit krankheitswert behafteten Gesundheitsstörung) bereits mit dem Zeitpunkt des Unfallereignisses eingetreten ist, konnte die Klägerin jedenfalls erst nach Ablauf von sechs Monaten Kenntnis davon erlangen, dass ihre Gesundheitsstörung Krankheitswert erreicht hat und behandlungsbedürftig ist. Da die Ausdehnung des Klagebegehrens (14. 1. 1999) innerhalb von 3 Jahren nach Kenntniserlangung (Februar 1996) vom eingetretenen Schaden erfolgte (§ 1489 ABGB), schlägt der Einwand der Verjährung nicht durch.Der erkennende Senat ist aber auch bereits zum Ergebnis gekommen, dass ein Ersatz von Seelenschmerz über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung im Sinne des Paragraph 1325, ABGB geführt hat, bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz des Schädigers in Betracht kommen kann (2 Ob 84/01v). Im Sinne dieser Rechtsprechung wäre daher auch ein Ersatz für die "normale Trauer" der Klägerin innerhalb der ersten sechs Monate ab Verlust des Sohnes denkbar gewesen, wenn dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen gewesen wäre. Die Verschuldensfrage wurde aber im Verfahren erster Instanz nicht behandelt, was aber hier nicht schadet. Unabhängig davon, ob der "Schade" (in Form einer nicht mit krankheitswert behafteten Gesundheitsstörung) bereits mit dem Zeitpunkt des Unfallereignisses eingetreten ist, konnte die Klägerin jedenfalls erst nach Ablauf von sechs Monaten Kenntnis davon erlangen, dass ihre Gesundheitsstörung Krankheitswert erreicht hat und behandlungsbedürftig ist. Da die Ausdehnung des Klagebegehrens (14. 1. 1999) innerhalb von 3 Jahren nach Kenntniserlangung (Februar 1996) vom eingetretenen Schaden erfolgte (Paragraph 1489, ABGB), schlägt der Einwand der Verjährung nicht durch.

Gegen die Ausmessung des Schmerzengeldes im zugesprochenen Betrag bestehen im Hinblick auf die voraussichtlich weiterhin bestehen bleibenden Beschwerden keine Bedenken.

Textnummer

E61740

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2001:0020OB00136.00I.0516.000

Im RIS seit

15.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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