Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Grosse Kammer, Beschwerdesache Kress gegen Frankreich, Urteil vom 7.6.2001, Bsw. 39594/98.
Spruch
Art. 6 Abs. 1 EMRK - Zur Stellung des Commissaire du Gouvernement im Verfahren vor dem Conseil d'Etat.Artikel 6, Absatz eins, EMRK - Zur Stellung des Commissaire du Gouvernement im Verfahren vor dem Conseil d'Etat.
Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Keine Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: FF 80.000,- für immateriellen Schaden, FF 20.000,- für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: FF 80.000,- für immateriellen Schaden, FF 20.000,- für Kosten und Auslagen (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Die Bf. unterzog sich 1986 in Straßburg einer gynäkologischen Operation. Da dabei Probleme auftraten, stellten sich in der Folge Gefäßprobleme und bleibende Schäden ein. Darüber hinaus erlitt die Bf. Verbrennungen durch eine versehentlich ausgeschüttete Tasse Tee. Die Bf. beantragte beim Präsidenten des Straßburger Verwaltungsgerichts (tribunal administratif) die Bestellung eines Sachverständigen zur Untersuchung des Falles. Dieser kam in seinem Bericht jedoch zur Ansicht, dass von den behandelnden Ärzte keine Fehler begangen worden seien. Im August 1987 klagte die Bf. beim Verwaltungsgericht das Krankenhaus Straßburg auf Schadenersatz. Im Mai 1990 wurden weitere gerichtliche Untersuchungen angeordnet. Im Urteil vom September 1991 wurde der Bf. nur Schadenersatz wegen der erlittenen Verbrennung an der Schulter zugesprochen. Ein Rechtsmittel an den Berufungsgerichtshof (cour administrative d'appel) Nancy wurde von diesem am 8.4.1993 abgewiesen. Am 11.6.1993 erhob die Bf. eine Kassationsbeschwerde an den Conseil d'Etat. Am 12.9.1994 ging ebendort ein Schriftsatz des Krankenhauses Straßburg ein, auf den die Bf. am 16.1.1995 antwortete. Eine erneute Gegenerklärung wurde vom Krankenhaus am 10.3.1995 verfasst.
Die Angelegenheit wurde in einer öffentlichen Verhandlung am 18.6.1997 von der dritten und fünften Sektion des Conseil d'Etat auf Basis eines Berichts der fünften Sektion beraten. Es sprachen der berichterstattende Richter, die Anwälte der Parteien und – am Ende – der Regierungskommissar (Commissaire du Gouvernement, in der Folge: CdG). Danach setzte der Conseil d'Etat die Urteilsverkündung aus. Der Anwalt der Bf. brachte ein Memorandum für die Beratungen ein (note en délibéré), in dem er behauptete, dass der CdG zu Unrecht Zweifel an der Schwere der von der Bf. nach ihrer Operation erlittenen Schäden geäußert hätte. In einem Urteil vom 30.7.1997 wies der Conseil d'Etat das Rechtsmittel der Bf. ab.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (fair trial), da sie bzw. ihr Anwalt nicht in der Lage waren, die Schriftsätze des CdG vor der Verhandlung zu studieren oder auf diese zu antworten, da diesem immer als letztem das Wort erteilt wurde. Weiters nahm der CdG an den Urteilsberatungen teil. Er habe zwar kein Stimmrecht gehabt, dies stelle dennoch eine Verletzung des Prinzips der Waffengleichheit und des Rechts auf ein kontradiktorisches Verfahren dar.Die Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (fair trial), da sie bzw. ihr Anwalt nicht in der Lage waren, die Schriftsätze des CdG vor der Verhandlung zu studieren oder auf diese zu antworten, da diesem immer als letztem das Wort erteilt wurde. Weiters nahm der CdG an den Urteilsberatungen teil. Er habe zwar kein Stimmrecht gehabt, dies stelle dennoch eine Verletzung des Prinzips der Waffengleichheit und des Rechts auf ein kontradiktorisches Verfahren dar.
Rekapitulation der einschlägigen Rechtsprechung:
Die im vorliegenden Fall aufgeworfenen Fragen ähneln in manchen Punkten solchen, wie sie vom GH bereits in anderen Urteilen betreffend die Stellung eines Generalanwaltes behandelt wurden. In all diesen Urteilen wurde eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt, da in die Schriftsätze des Generalanwalts nicht von vornherein Einsicht genommen bzw. darauf geantwortet werden konnte. Der GH weist an dieser Stelle auch auf das Urteil Borgers/B hin, in dem eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK in erster Linie wegen der Teilnahme des Generalanwalts an den Beratungen des Kassationsgerichtshofs festgestellt wurde. In der Folge wurde der erschwerende Faktor der Teilnahme des relevanten Beamten an den Urteilsberatungen in den Urteilen Vermeulen/B und Lobo Machado/P berücksichtigt; in allen anderen Fällen betonte der GH, dass das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren das Recht der Parteien enthält, von jedem dargebrachten Beweis oder Beobachtung zu erfahren und diesen zu kommentieren. Zuletzt wird darauf hingewiesen, dass die Fälle Borgers/B, J.J./NL und Reinhardt & Slimane-Kaïd/F Strafverfahren, alle anderen Zivilverfahren zugrunde liegen hatten.Die im vorliegenden Fall aufgeworfenen Fragen ähneln in manchen Punkten solchen, wie sie vom GH bereits in anderen Urteilen betreffend die Stellung eines Generalanwaltes behandelt wurden. In all diesen Urteilen wurde eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK festgestellt, da in die Schriftsätze des Generalanwalts nicht von vornherein Einsicht genommen bzw. darauf geantwortet werden konnte. Der GH weist an dieser Stelle auch auf das Urteil Borgers/B hin, in dem eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK in erster Linie wegen der Teilnahme des Generalanwalts an den Beratungen des Kassationsgerichtshofs festgestellt wurde. In der Folge wurde der erschwerende Faktor der Teilnahme des relevanten Beamten an den Urteilsberatungen in den Urteilen Vermeulen/B und Lobo Machado/P berücksichtigt; in allen anderen Fällen betonte der GH, dass das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren das Recht der Parteien enthält, von jedem dargebrachten Beweis oder Beobachtung zu erfahren und diesen zu kommentieren. Zuletzt wird darauf hingewiesen, dass die Fälle Borgers/B, J.J./NL und Reinhardt & Slimane-Kaïd/F Strafverfahren, alle anderen Zivilverfahren zugrunde liegen hatten.
Zum behaupteten besonderen Charakter der Verwaltungsgerichte:
Keine der og. Fälle betraf einen Streit vor einem Verwaltungsgericht. Es ist daher zu prüfen, ob die aus der Rspr. des GH erfließenden Prinzipien auch im vorliegenden Fall Anwendung finden. Seit dem Urteil Borgers/B waren die Regierungen in Verfahren vor dem GH darum bemüht nachzuweisen, dass sich die Generalanwälte ihrer jeweiligen Rechtsordnungen vom belg. procureur général hinsichtlich Organisation und Funktion unterscheiden. So behauptet auch die frz. Reg., dass der CdG nicht mit den vom GH bisher kritisierten Einrichtungen verglichen werden kann. Im Vergleich mit den ordentlichen Gerichten weisen die Verwaltungsgerichte in Frankreich aus historischen Gründen eine Reihe von Eigenheiten auf. Zugegebenermaßen muss die Errichtung und Existenz der Verwaltungsgerichte als eine der herausragendsten Leistungen eines auf Rechtsstaatlichkeit aufgebauten Staates bezeichnet werden, va. wenn man berücksichtigt, dass die Zuständigkeit dieser Gerichte, über Akte der Verwaltung zu urteilen, nicht ohne Kampf akzeptiert wurde. Was die Stellung des CdG betrifft, ist dem GH sehr wohl bewusst, dass er nicht mit einem Staatsanwalt vergleichbar ist und dass er eine Einrichtung sui generis darstellt, die der Organisation des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Frankreich eigen ist. Die Tatsache, dass die Verwaltungsgerichte und mit ihnen der CdG für über ein Jahrhundert existierten und – wie die Reg. ausführt – zu jedermanns Zufriedenheit funktionierten, kann jedoch einen Mangel an Übereinstimmung mit den momentanen Erfordernissen europäischen Rechts nicht rechtfertigen. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des CdG wird vom GH nicht bezweifelt und er betont, dass die Existenz und der institutionelle Status dieser Einrichtung nicht in Frage gestellt werden. Die Unabhängigkeit des CdG und die Tatsache, dass er nicht jemandem hierarchisch Höherrangigen verantwortlich ist, können für sich genommen die Unmöglichkeit der Einsicht in das Vorbringen des CdG durch die Parteien bzw. darauf zu antworten, nicht rechtfertigen. Zur Nichtübermittlung des Vorbringens des CdG vor der mündlichen Verhandlung und die Unmöglichkeit, während der mündlichen Verhandlung darauf zu antworten:
Unabhängig von der Tatsache, dass in den meisten Fällen die Stellungnahmen des CdG nicht der Schriftlichkeit bedürfen, geht jedoch aus der Beschreibung des Verfahrens vor dem Conseil d'Etat klar hervor, dass der CdG sein Vorbringen erstmals mündlich bei der öffentlichen Verhandlung des Falles macht und dass die Parteien, die Richter und die Öffentlichkeit bei dieser Gelegenheit von seinem Inhalt und den darin enthaltenen Empfehlungen erfahren. Das Konzept des fairen Verfahren beinhaltet aber, dass die Parteien eines Verfahrens die Möglichkeit haben müssen, von allen vorgelegten Beweisen oder vorgetragenen Stellungnahmen – auch von einem unabhängigen Mitglied eines nationalen Rechtsdienstes - Kenntnis zu nehmen und Bemerkungen dazu anzubringen, um die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen. Was die Tatsache betrifft, dass es für die Parteien nicht möglich ist, auf das Vorbringen des CdG am Ende der Verhandlung zu antworten, verweist der GH auf das Urteil im Fall Reinhardt & Slimane-Kaïd/F. Darin wurde eine Verletzung von Art. 6Unabhängig von der Tatsache, dass in den meisten Fällen die Stellungnahmen des CdG nicht der Schriftlichkeit bedürfen, geht jedoch aus der Beschreibung des Verfahrens vor dem Conseil d'Etat klar hervor, dass der CdG sein Vorbringen erstmals mündlich bei der öffentlichen Verhandlung des Falles macht und dass die Parteien, die Richter und die Öffentlichkeit bei dieser Gelegenheit von seinem Inhalt und den darin enthaltenen Empfehlungen erfahren. Das Konzept des fairen Verfahren beinhaltet aber, dass die Parteien eines Verfahrens die Möglichkeit haben müssen, von allen vorgelegten Beweisen oder vorgetragenen Stellungnahmen – auch von einem unabhängigen Mitglied eines nationalen Rechtsdienstes - Kenntnis zu nehmen und Bemerkungen dazu anzubringen, um die Entscheidung des Gerichts zu beeinflussen. Was die Tatsache betrifft, dass es für die Parteien nicht möglich ist, auf das Vorbringen des CdG am Ende der Verhandlung zu antworten, verweist der GH auf das Urteil im Fall Reinhardt & Slimane-Kaïd/F. Darin wurde eine Verletzung von Artikel 6,
(1) EMRK festgestellt, da der Bericht des berichterstattenden Richters dem Generalanwalt, nicht aber den Parteien, übermittelt worden war. Was aber andererseits das Vorbringen des Generalanwalts betrifft, stellte der GH fest:
„Die Tatsache, dass die Stellungnahme des Generalanwalts den Bf. nicht zugestellt wurde, ist in gleicher Weise fragwürdig. Zugegebenermaßen geht die derzeitige Praxis dahin, dass der Generalanwalt die Anwälte der Parteien spätestens am Tag vor der Verhandlung vom Tenor seiner Stellungnahme in Kenntnis setzt, und in Fällen, in denen auf Antrag der Anwälte eine mündliche Verhandlung stattfindet, sind diese berechtigt, auf seine Stellungnahme mündlich und im Wege einer Note, welche dem beratenden Gericht übermittelt wird, Stellung zu nehmen. Im Lichte der Tatsache, dass nur reine Rechtsfragen Gegenstand der Argumentation vor dem KassGH sind und dass die Parteien vor diesem Gericht durch hochspezialisierte Anwälte vertreten sind, bietet diese Praxis den Parteien Gelegenheit, sich von der Stellungnahme des Generalanwalts Kenntnis zu verschaffen und dazu in einer befriedigenden Art und Weise Stellung zu nehmen. Es ist aber nicht dargetan worden, dass eine solche Praxis zur maßgeblichen Zeit existiert hat."
Im Gegensatz zum Fall Reinhardt & Slimane-Kaïd/F war es im vorliegenden Fall unbestritten, dass in Verfahren vor dem Conseil d'Etat Anwälte, die es wünschen, den CdG vor der Verhandlung nach dem generellen Tenor seiner Ausführungen befragen können. Es wurde auch nicht bestritten, dass die Parteien auf diese Ausführungen durch ein Memorandum für die Beratungen antworten können, eine Praxis, die – und das ist nach Ansicht des GH von entscheidender Bedeutung – dabei hilft, das kontradiktorische Prinzip zu gewährleisten. Dies machte der Anwalt der Bf. auch im vorliegenden Fall. Letztlich, für den Fall, dass der CdG mündlich einen Grund bei der Verhandlung anspricht, der nicht von den Parteien erwähnt wurde, könnte der vorsitzende Richter den Fall vertagen, um den Parteien das Vorbringen von Argumenten zu diesem Punkt zu ermöglichen. Daher stellt das Verfahren vor dem Conseil d'Etat den Klägern ausreichend Sicherheit zur Verfügung. Es stellt aus der Perspektive des Rechts auf ein faires Verfahren im Hinblick auf das Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens kein Problem dar. Keine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).Im Gegensatz zum Fall Reinhardt & Slimane-Kaïd/F war es im vorliegenden Fall unbestritten, dass in Verfahren vor dem Conseil d'Etat Anwälte, die es wünschen, den CdG vor der Verhandlung nach dem generellen Tenor seiner Ausführungen befragen können. Es wurde auch nicht bestritten, dass die Parteien auf diese Ausführungen durch ein Memorandum für die Beratungen antworten können, eine Praxis, die – und das ist nach Ansicht des GH von entscheidender Bedeutung – dabei hilft, das kontradiktorische Prinzip zu gewährleisten. Dies machte der Anwalt der Bf. auch im vorliegenden Fall. Letztlich, für den Fall, dass der CdG mündlich einen Grund bei der Verhandlung anspricht, der nicht von den Parteien erwähnt wurde, könnte der vorsitzende Richter den Fall vertagen, um den Parteien das Vorbringen von Argumenten zu diesem Punkt zu ermöglichen. Daher stellt das Verfahren vor dem Conseil d'Etat den Klägern ausreichend Sicherheit zur Verfügung. Es stellt aus der Perspektive des Rechts auf ein faires Verfahren im Hinblick auf das Prinzip des kontradiktorischen Verfahrens kein Problem dar. Keine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).
Zur Anwesenheit des CdG bei den Beratungen des Conseil d'Etat:
Die Reg. bringt vor, dass der CdG ein volles Mitglied des Gerichts ist und seine Funktion die eines quasi zweiten berichterstattenden Richter ist. Dieser Zugang ist jedoch nicht konsistent mit der Tatsache, dass obwohl der CdG den Beratungen beiwohnt, er kein Stimmrecht hat. Der GH ist der Ansicht, dass das Stimmverbot aus Gründen der Geheimhaltung der Beratungen das Argument der Regierung schwächt, wonach der CdG ein echter Richter sei, da ein solcher sich nicht des Stimmrechts enthalten kann, es sein denn, er tritt zurück. Es ist auch schwer zu akzeptieren, dass manche Richter ihre Ansicht öffentlich äußern dürften, während andere diese wiederum nur während geheimer Beratung tun dürften. Darüber hinaus akzeptierte der GH beim og. Beschwerdepunkt über die Nichtübermittlung der Stellungnahmen des CdG vor der Verhandlung und der Unmöglichkeit darauf zu antworten, dass dessen Rolle während des Verwaltungsverfahrens prozessualer Absicherungen bedürfe, um das kontradiktorische Prinzip zu gewährleisten. Weshalb oben keine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt wurde, war nicht etwa die Neutralität des CdG gegenüber den Parteien, sondern die ausreichenden Sicherheiten für einen Ausgleich seiner Machtbefugnisse. Letztlich muss auch noch die Doktrin des äußeren Anscheins ins Spiel gebracht werden. Da der CdG öffentlich seine Meinung zum Ausdruck bringt, kann es von den Parteien legitimerweise so gesehen werden, als ob er sich auf des einen oder anderen Seite schlägt. Ein Kläger, der mit den Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens nicht vertraut ist, kann dazu neigen, den CdG als einen Gegner bzw. Verbündeten zu sehen. Seit dem Urteil Delcourt/B hat der GH bei mehreren Gelegenheiten festgestellt, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Generalanwälte oder ähnlicher Einrichtungen bei einigen Höchstgerichten nicht zu kritisieren sind, jedoch wegen der größeren Empfindlichkeit der Öffentlichkeit hinsichtlich einer fairen Verwaltung der Justiz dem äußeren Anschein eine wachsende Wichtigkeit beigemessen wird. Durch die Empfehlung, einem kassatorischen Rechtsmittel stattzugeben oder es abzuweisen, wird der Generalanwalt bzw. sein Äquivalent objektiv gesehen zum Verbündeten oder Gegner einer der Parteien. Seine Anwesenheit bei der nichtöffentlichen Beratung kann ihm eine zusätzliche Gelegenheit geben, sein Vorbringen zugunsten einer der Parteien zu unterstützen.Die Reg. bringt vor, dass der CdG ein volles Mitglied des Gerichts ist und seine Funktion die eines quasi zweiten berichterstattenden Richter ist. Dieser Zugang ist jedoch nicht konsistent mit der Tatsache, dass obwohl der CdG den Beratungen beiwohnt, er kein Stimmrecht hat. Der GH ist der Ansicht, dass das Stimmverbot aus Gründen der Geheimhaltung der Beratungen das Argument der Regierung schwächt, wonach der CdG ein echter Richter sei, da ein solcher sich nicht des Stimmrechts enthalten kann, es sein denn, er tritt zurück. Es ist auch schwer zu akzeptieren, dass manche Richter ihre Ansicht öffentlich äußern dürften, während andere diese wiederum nur während geheimer Beratung tun dürften. Darüber hinaus akzeptierte der GH beim og. Beschwerdepunkt über die Nichtübermittlung der Stellungnahmen des CdG vor der Verhandlung und der Unmöglichkeit darauf zu antworten, dass dessen Rolle während des Verwaltungsverfahrens prozessualer Absicherungen bedürfe, um das kontradiktorische Prinzip zu gewährleisten. Weshalb oben keine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK festgestellt wurde, war nicht etwa die Neutralität des CdG gegenüber den Parteien, sondern die ausreichenden Sicherheiten für einen Ausgleich seiner Machtbefugnisse. Letztlich muss auch noch die Doktrin des äußeren Anscheins ins Spiel gebracht werden. Da der CdG öffentlich seine Meinung zum Ausdruck bringt, kann es von den Parteien legitimerweise so gesehen werden, als ob er sich auf des einen oder anderen Seite schlägt. Ein Kläger, der mit den Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens nicht vertraut ist, kann dazu neigen, den CdG als einen Gegner bzw. Verbündeten zu sehen. Seit dem Urteil Delcourt/B hat der GH bei mehreren Gelegenheiten festgestellt, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Generalanwälte oder ähnlicher Einrichtungen bei einigen Höchstgerichten nicht zu kritisieren sind, jedoch wegen der größeren Empfindlichkeit der Öffentlichkeit hinsichtlich einer fairen Verwaltung der Justiz dem äußeren Anschein eine wachsende Wichtigkeit beigemessen wird. Durch die Empfehlung, einem kassatorischen Rechtsmittel stattzugeben oder es abzuweisen, wird der Generalanwalt bzw. sein Äquivalent objektiv gesehen zum Verbündeten oder Gegner einer der Parteien. Seine Anwesenheit bei der nichtöffentlichen Beratung kann ihm eine zusätzliche Gelegenheit geben, sein Vorbringen zugunsten einer der Parteien zu unterstützen.
Der GH sieht keinen Anlass von seiner Rspr. abzuweichen, selbst wenn sich die Autorität der Meinung des CdG nicht wie in anderen Fällen aus der der Staatsanwaltschaft herleitet. Es wird festgehalten, dass im vorliegenden Fall nicht damit argumentiert wurde, dass die Anwesenheit des CdG notwendig sei, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Der GH sieht seine Meinung auch dadurch bestärkt, dass der Generalanwalt beim EuGH, dessen Rolle stark an die des CdG angelehnt ist, an den Urteilsberatungen nicht teilnimmt (Art. 27 Verfahrensordnung des EuGH). Hinsichtlich der Teilnahme des CdG an der Urteilsberatung wird eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK festgestellt (10:7 Stimmen, Sondervoten der Richter Wildhaber, Costa, Pastor Ridruejo, Kuris, Birsan, Botoucharova und Ugrekhelidze).Der GH sieht keinen Anlass von seiner Rspr. abzuweichen, selbst wenn sich die Autorität der Meinung des CdG nicht wie in anderen Fällen aus der der Staatsanwaltschaft herleitet. Es wird festgehalten, dass im vorliegenden Fall nicht damit argumentiert wurde, dass die Anwesenheit des CdG notwendig sei, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Der GH sieht seine Meinung auch dadurch bestärkt, dass der Generalanwalt beim EuGH, dessen Rolle stark an die des CdG angelehnt ist, an den Urteilsberatungen nicht teilnimmt (Artikel 27, Verfahrensordnung des EuGH). Hinsichtlich der Teilnahme des CdG an der Urteilsberatung wird eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK festgestellt (10:7 Stimmen, Sondervoten der Richter Wildhaber, Costa, Pastor Ridruejo, Kuris, Birsan, Botoucharova und Ugrekhelidze).
Es wird darüber hinaus eine Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer iSv. Art. 6 (1) EMRK festgestellt, da das gesamte Verwaltungsverfahren mehr als 10 Jahre in drei Instanzen (inklusive der 4 Jahre beim Conseil d'Etat) anhängig war (einstimmig).Es wird darüber hinaus eine Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer iSv. Artikel 6, (1) EMRK festgestellt, da das gesamte Verwaltungsverfahren mehr als 10 Jahre in drei Instanzen (inklusive der 4 Jahre beim Conseil d'Etat) anhängig war (einstimmig).
Vom GH zitierte Judikatur:
Delcourt/B, Urteil v. 17.1.1970, A/11.
Borgers/B, Urteil v. 30.10.1991, A/214-B (= EuGRZ 1991, 519).
Vermeulen/B, Urteil v. 20.2.1996 (= NL 1996, 42 = ÖJZ 1996, 673).
Lobo Machado/P, Urteil v. 20.2.1996 (= NL 1996, 42).
Nideröst-Huber/CH, Urteil v. 18.2.1997 (= NL 1997, 46).
Van Orshoven/B, Urteil v. 25.6.1997 (= ÖJZ 1998, 314).
Reinhardt & Slimane-Kaïd/F, Urteil v. 31.3.1998 (= ÖJZ 1999, 151). J.J./NL und K.D.B./NL, Urteile v. 27.3.1998 (= NL 1998, 75).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 7.6.2001, Bsw. 39594/98, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2001, 115) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/01_3/Kress.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
Anmerkung
EGM00344 Bsw39594.98-UDokumentnummer
JJT_20010607_AUSL000_000BSW39594_9800000_000