Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Fellinger, Dr. Hoch und Dr. Neumayr als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei Ing. Johannes C*****, vertreten durch Hügel & Partner, Rechtsanwälte in Mödling, gegen die beklagte und widerklagende Partei Prof. Günter P*****, vertreten durch Weiss-Tessbach, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen S 146.280 sA (22 Cg 119/98w) und S 444.497,06 sA (22 Cg 163/98s), infolge ordentlicher und außerordentlicher Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 6. September 2000, GZ 17 R 130/00p-26, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. März 2000, GZ 22 Cg 119/98w-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Die Revisionsbeantwortung der klagenden und widerbeklagten Partei vom 29. März 2001 wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger war Eigentümer einer Liegenschaft samt Einfamilienhaus in M*****. Er erteilte einer Realitätenvermittlung GmbH den Alleinvermittlungsauftrag zur Veräußerung dieses Objektes. Der Geschäftsführer dieser Gesellschaft bot es daraufhin zu einem Kaufpreis von S 8,900.000 Dr. K***** und dem Beklagten an. Beide Kaufinteressenten besichtigten das Liegenschaftsobjekt. Der Beklagte zeigte (so) großes Interesse, dass ihm vom Kläger folgendes Schreiben übermittelt wurde:
"VORVERTRAG
Betrifft: Wohnhaus:*****, ...
Hiemit bestätige ich Ihnen, oben genanntes Gebäude (Grundstücksnummer ..., Baufläche begrünt und Nummer ... Baufläche) lastenfrei zu dem mündlich vereinbarten Kaufpreis von S 8,500.000 zugesprochen zu haben.
Sie werden mit Ihrem Anwalt einen detaillierten Kaufvertrag erstellen, wobei sämtliche Nebengebühren, Grunderwerbssteuer, Eintragungsgebühren, Käuferprovision, Vertragserrichtung und dessen Durchführung zu Ihren Lasten gehen.
Datum: 4. September 1997"
Der Beklagte unterfertigte dieses Schreiben. Der Kläger teilte dem zweiten Kaufinteressenten, Dr. K*****, mit, dass die Liegenschaft bereits verkauft sei.
Da die geschiedene Gattin des Klägers aufgrund des Scheidungsvergleiches bis zum 31. 12. 1997 im Haus auf der gegenständlichen Liegenschaft bleiben durfte, wurden zwischen den Streitteilen Verhandlungen wegen des Räumungstermines geführt, wobei es auf Seiten des Klägers immer wieder zu Verschiebungen kam. Zuletzt wurde als Einzugstermin vom Kläger der 17. 11. 1997 vorgeschlagen. Angesichts dieser Schwierigkeiten und "aufgrund privater Gründe" kam es beim Beklagten zu Überlegungen, vom Vertrag zurückzutreten, dies jedoch nur unter der Bedingung, dass aus dem Rücktritt keinem der Streitteile ein Schade erwachsen würde. Diese Bedingung wurde dem Kläger auch mitgeteilt.
In der Zwischenzeit urgierte der Vertreter der geschiedenen Gattin (des Klägers) beim Klagevertreter einen (nach dem Scheidungsvergleich) bereits fälligen Teilbetrag von S 1,000.000.
Mit Schreiben vom 22. 10. 1998 gab der Kläger seine Bedingungen, unter denen er dem Rücktritt durch den Beklagten zustimmen würde, bekannt. Er forderte im Wesentlichen die Bezahlung der Verkäufer- und Käuferprovision des Maklers sowie einen Betrag von S 180.000 (S 100.000 Anwaltskosten und S 80.000 Zinsverlust). In der Folge kam es jedoch zu keiner Einigung über die Bedingungen für den Rücktritt des Beklagten, da dieser nur zurücktreten wollte, wenn keinem der Streitteile ein Schaden entstehen würde.
Der Beklagte nahm daher mit Dr. K*****, dem ursprünglich zweiten Kaufinteressenten, Kontakt auf, welcher noch immer Interesse zeigte. Der Kläger und Dr. K***** führten in weiterer Folge Verhandlungen über den Kauf der Liegenschaft, welche letztendlich zum Vertragsabschluss am 19. 11. 1997 führten.
Mit Schreiben vom 30. 12. 1997 wurde der Beklagte vom Klagevertreter aufgefordert, den Betrag von S 146.280 bis längstens 16. 1. 1998 zu bezahlen.
In weiterer Folge wandte sich die Realitätenvermittlungs GmbH mit Provisionsansprüchen (Stornoprovision) in Höhe von S 350.000 an den Beklagten. Um einer gerichtlichen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen und in der Meinung, dass er vom Kläger und Dr. K***** die bezahlte Provision zurückbekommen werde, bezahlte der Beklagte die begehrte Provision. Darüber hinaus sind ihm für die Vertragsverhandlungen und die Vertragserrichtung (Liegenschaft und Inventar) Kosten für die Rechtsberatung und Rechtsvertretung in Höhe von S 94.497,06 (inklusive 20 % Umsatzsteuer) entstanden.
Der Kläger begehrt zu 22 Cg 119/98w vom Beklagten die Zahlung von S
146.280 sA als Schadenersatz für Beratungs- und Vertretungskosten im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Liegenschaft. Diese Rechtsache wurde mit der zu 22 Cg 163/98s eingebrachten Widerklage verbunden, mit der der Ersatz von S 44.497,06 an bezahlter Vermittlungsprovision (S 350.000) und aufgelaufenen Rechtsanwaltskosten (S 49.497,06) mit der Begründung begehrt wird, dass der Widerbeklagte die Liegenschaft unter Verletzung des zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrages anderweitig veräußert habe.
Das Erstgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Es beurteilte den eingangs (zusammengefasst) wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalt und die - in der Berufung bekämpften - weiteren Feststellungen, dass der Beklagte von den Nutzungsrechten der geschiedenen Gattin des Klägers erst nach Abschluss des "Vorvertrages" erfahren habe, rechtlich wie folgt:
Das als Vorvertrag titulierte Schreiben sei bereits als Kaufvertrag zu qualifizieren. Im Vertragsabschluss zwischen dem Kläger und Dr. K***** sei ein schlüssiger Rücktritt vom Vertrag zwischen den Streitteilen zu erblicken, der mangels Verzuges des Beklagten unberechtigt sei. Dem Kläger stehe daher kein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Beratungs- und Vertretungskosten von S 146.280 zu. Er habe dem Beklagten jedoch die Kosten der Vertragserrichtung (S 94.497,60) und die Stornoprovision (S 350.000) zu ersetzen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass dem Klagebegehren stattgegeben und die Widerklage abgewiesen wurde und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision des Beklagten, worin der Antrag gestellt wird, der Oberste Gerichtshof möge die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klageabweisung und Stattgebung der Widerklage abändern, hilfsweise aufheben (ON 27), ergänzte der Beklagte über Auftrag des Erstgerichtes dahin, dass er im Verfahren 22 Cg 119/98w einen Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruches nach § 508 Abs 1 ZPO stellte (und eine - wortgleiche - ordentliche Revision ausführte [ON 31]). Den darüber gefassten antragstattgebenden Beschluss begründete das Berufungsgericht wie folgt:Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision des Beklagten, worin der Antrag gestellt wird, der Oberste Gerichtshof möge die angefochtene Entscheidung im Sinne der Klageabweisung und Stattgebung der Widerklage abändern, hilfsweise aufheben (ON 27), ergänzte der Beklagte über Auftrag des Erstgerichtes dahin, dass er im Verfahren 22 Cg 119/98w einen Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruches nach Paragraph 508, Absatz eins, ZPO stellte (und eine - wortgleiche - ordentliche Revision ausführte [ON 31]). Den darüber gefassten antragstattgebenden Beschluss begründete das Berufungsgericht wie folgt:
Da der Oberste Gerichtshof über die Widerklage (Streitwert S 444.497,06) "befasst sein werde", erscheine es im Sinne der Rechtssicherheit erforderlich, die ordentliche Revision "auch" (?) für die Klage (Streitwert: S 146.280) für zulässig zu erklären.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.
Der Revisionswerber macht in seiner Zulassungsbeschwerde geltend, das Berufungsgericht weiche bei der Lösung einer Rechtsfrage des Verfahrensrechtes von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab, weil es aktenwidrig davon ausgehe, dass der Beklagte vom abgeschlossenen Vertrag zurückgetreten sei, ohne dass es eine derartige Feststellung gebe.
Richtig ist, dass eine für die Entscheidung erhebliche Aktenwidrigkeit als Verstoß gegen den tragenden Verfahrensgrundsatz des § 498 Abs 1 ZPO auch im Wege der außerordentlichen Revision wahrgenommen werden kann (SZ 59/92; SZ 63/178; RIS-Justiz RS0042155; Kodek in Rechberger Rz 4 zu § 503 ZPO; 1 Ob 87/00a mwN). Ein solcher Verstoß liegt hier vor. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, es stehe fest, "dass der Beklagte etwa Anfang Oktober vom Vertrag unter anderem aus persönlichen Gründen zurückgetreten ist" (S 11 der Berufungsentscheidung) sind nämlich tatsächlich aktenwidrig:Richtig ist, dass eine für die Entscheidung erhebliche Aktenwidrigkeit als Verstoß gegen den tragenden Verfahrensgrundsatz des Paragraph 498, Absatz eins, ZPO auch im Wege der außerordentlichen Revision wahrgenommen werden kann (SZ 59/92; SZ 63/178; RIS-Justiz RS0042155; Kodek in Rechberger Rz 4 zu Paragraph 503, ZPO; 1 Ob 87/00a mwN). Ein solcher Verstoß liegt hier vor. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, es stehe fest, "dass der Beklagte etwa Anfang Oktober vom Vertrag unter anderem aus persönlichen Gründen zurückgetreten ist" (S 11 der Berufungsentscheidung) sind nämlich tatsächlich aktenwidrig:
Den Feststellungen des Gerichtes erster Instanz ist - wie die Revision zutreffend festhält - lediglich zu entnehmen, dass es beim Beklagten zu Überlegungen gekommen sei, vom Vertrag zurückzutreten, dies jedoch unter der - dem Kläger auch mitgeteilten - Bedingung, dass aus dem Rücktritt keinem der Streitteile ein Schaden erwachsen würde. Außerdem steht fest, dass es zu keiner Einigung über die Bedingungen für den Rücktritt des Beklagten gekommen sei, dass der Beklagte (und nicht wie die Berufungsentscheidung unrichtig zitiert: "der Kläger") mit dem ursprünglichen zweiten - immer noch interessierten - Kaufinteressenten Kontakt aufgenommen habe, und dass die daraufhin durchgeführten Verhandlungen zwischen diesem Kaufinteressenten und dem Kläger letztlich zum Vertragsabschluss geführt hätten (S 12 und 13 des Ersturteils).
Die bisher vorliegenden Feststellungen lassen somit keinen Schluss darauf zu, dass eine der Parteien vom Vertrag zurückgetreten ist. Der Sachverhalt von dem die Vorinstanzen ausgegangen sind, liefert eher Anhaltspunkte dafür, dass es zu Verhandlungen über die einvernehmliche Aufhebung des Vertrages kam; eine Rücktrittserklärung eines Teiles lässt sich hieraus nicht ableiten.
Da das Berufungsgericht auch in seiner rechtlichen Beurteilung von einem vom Beklagten "erklärten Rücktritt", der sich als unberechtigt erweise, ausgeht (S 12 der Berufungsentscheidung) und damit die Berechtigung des Schadenersatzanspruches des Klägers und die Abweisung der Widerklage begründet, ist die gerügte Aktenwidrigkeit auch entscheidungswesentlich. Von dieser Beurteilung ausgehend hat es das Berufungsgericht abgelehnt, sich mit der Beweisrüge und den "vom Berufungswerber gewünschten Feststellungen über die detaillierten Abläufe und den jeweiligen Wissensstand des Beklagten" (S 11 der Berufung), also mit den weiteren - umfangreichen - Berufungsausführungen auseinanderzusetzen. Dies wird im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein.
Die Rechtssache war daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 52, ZPO.
Die Revisionsbeantwortung der Beklagten vom 29. 3. 2001 war als verspätet zurückzuweisen:
Im Fall eines Antrages nach § 508 Abs 1 ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision steht es dem Revisionsgegner frei, binnen vier Wochen ab der Zustellung der Mitteilung des Berufungsgerichtes, dass ihm die Beantwortung der Revision freigestellt werde, eine Revisionsbeantwortung zu überreichen (§ 507a Abs 2 Z 2 ZPO), welche gemäß § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Berufungsgericht einzubringen ist. Dem Beklagten wurde diese berufungsgerichtliche Mitteilung am 1. 3. 2001 zugestellt, die Rechtsmittelfrist endete somit am 29. 3. 2001. Die Revisionsbeantwortung wurde zwar am 29. 3. 2001 zur Post gegeben, jedoch an das Gericht erster Instanz adressiert und langte erst am 30. 4. 2001, sohin nach Ablauf der Rechtsmittelfrist - also verspätet - beim Berufungsgericht ein (vgl RdW 1988, 424; RIS-Justiz RS0043678 und RS0041608).Im Fall eines Antrages nach Paragraph 508, Absatz eins, ZPO verbunden mit einer ordentlichen Revision steht es dem Revisionsgegner frei, binnen vier Wochen ab der Zustellung der Mitteilung des Berufungsgerichtes, dass ihm die Beantwortung der Revision freigestellt werde, eine Revisionsbeantwortung zu überreichen (Paragraph 507 a, Absatz 2, Ziffer 2, ZPO), welche gemäß Paragraph 507 a, Absatz 3, Ziffer eins, ZPO beim Berufungsgericht einzubringen ist. Dem Beklagten wurde diese berufungsgerichtliche Mitteilung am 1. 3. 2001 zugestellt, die Rechtsmittelfrist endete somit am 29. 3. 2001. Die Revisionsbeantwortung wurde zwar am 29. 3. 2001 zur Post gegeben, jedoch an das Gericht erster Instanz adressiert und langte erst am 30. 4. 2001, sohin nach Ablauf der Rechtsmittelfrist - also verspätet - beim Berufungsgericht ein vergleiche RdW 1988, 424; RIS-Justiz RS0043678 und RS0041608).
Anmerkung
E62237 10A01091European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2001:0100OB00109.01D.0612.000Dokumentnummer
JJT_20010612_OGH0002_0100OB00109_01D0000_000