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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags zur Einbringung eines (nachträglichen) Abtretungsantrags an den VwGH; "Verschwinden" eines von einer Kanzleiangestellten übernommenen Schriftstückes (Ablehnungsbeschluss) kein minderer Grad des Versehens; Zurückweisung des Abtretungsantrags als verspätetSpruch
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
2. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Mit Schriftsatz vom 19. September 1999 erhob die antragstellende Gesellschaft Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG gegen einen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 3. August 1999. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der genannten - zu B1591/99 protokollierten - Beschwerde mit Beschluss vom 19. Juni 2000, der beschwerdeführenden Gesellschaft zugestellt am 9. August 2000, ab.
2. Mit einem am 18. Juni 2002 eingebrachten Schriftsatz stellt die nunmehr erneut einschreitende Gesellschaft den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung eines (nachträglichen) Abtretungsantrages gemäß §87 VfGG und beantragt unter einem die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Der erstgenannte Antrag wird im Wesentlichen damit begründet, dass der beschwerdeführenden Gesellschaft der Ablehnungsbeschluss vom 19. Juni 2000 niemals zur Kenntnis gelangt sei; dies obgleich außer Streit gestellt werde, dass der Rückschein, der im Akt des Verfassungsgerichtshofes einliegt, den Eingangsstempel und die Unterschrift einer Arbeitnehmerin der Kanzlei des Rechtsvertreters der antragstellenden Gesellschaft trage. Ausgehend von dem eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellungsnachweis - so führt die antragstellende Gesellschaft in der Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages weiter aus - "müss[e sie] davon ausgehen, dass [ihrer] rechtlichen Vertretung ein Kuvert mit dem Ablehnungsbeschluss zugestellt wurde."
Ein unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis liege aber nun darin, dass "ein in der Kanzlei (unterstelltermaßen) eingegangener Ablehnungsbeschluss nicht Dr. A. (und auch sonst keinem RA oder RAA) zur Kenntnis gebracht wurde (und dass er zuvor nicht zum Anlass für die Eintragung einer Zweiwochenfrist für einen Abtretungsantrag im Fristenbuch genommen wurde)". Die antragstellende Gesellschaft habe somit ohne ihr Verschulden von der Zustellung des Ablehnungsbeschlusses keine Kenntnis erlangt.
II. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zweiwöchigen Frist zur Stellung des Antrages, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten, ist nicht begründet.
1.1. Da das VfGG in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
1.2. Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 9817/1983, 11.706/1988, 14.822/1997 sowie den hg. Beschluss vom 11. Oktober 2001, B1681/00).
2. Ein solcher Fall liegt auf Grund der nachstehenden Überlegungen hier nicht vor:
2.1. Aus den Akten des Verfassungsgerichtshofes ergibt sich, dass der Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 2000, B1591/99, der (damals) beschwerdeführenden Gesellschaft am 9. August 2000 zu Handen ihres Rechtsvertreters in dessen Kanzlei zugestellt wurde; auf der Übernahmebestätigung ist ein Stempelaufdruck folgenden Inhalts angebracht:
"EINGELANGT
09. Aug. 2000
DR. A".
Im Stempelaufdruck findet sich die - unleserliche - Unterschrift einer als "Arbeitnehmer des Empfängers" deklarierten Person. Im vorliegenden Antrag wird dazu ausgeführt, dass es sich dabei um die Unterschrift "einer Arbeitnehmerin [der Kanzlei des Rechtsvertreters der antragstellenden Gesellschaft] ([Frau] Dr. B A)" handle.
(Wie sich aus den Akten des Verfassungsgerichtshofes weiters ergibt, wurde der genannte Ablehnungsbeschluss am 8. August 2000 auch dem Bundesministerium für Finanzen und der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland zugestellt. Weiters wurden der zuletzt genannten Behörde am 10. August 2000 die Verwaltungsakten retourniert. Auch diese Zustellvorgänge sind durch Übernahmebestätigungen auf den jeweiligen Rückscheinen belegt, die sämtliche im Akt des Verfassungsgerichtshofes einliegen.)
2.2. Die antragstellende Gesellschaft behauptet nun, sie sei durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Stellung eines Antrages auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gehindert gewesen. Das solcherart qualifizierte Ereignis liege darin, "dass ein in der Kanzlei (unterstelltermaßen) eingegangener Ablehnungsbeschluss nicht Dr. A. [dem Rechtsvertreter der antragstellenden Gesellschaft] (und auch sonst keinem RA (oder RAA) zur Kenntnis gebracht wurde (und dass er zuvor nicht zum Anlass für die Eintragung einer Zweiwochenfrist für einen Abtretungsantrag im Fristenbuch ... genommen wurde)" bzw. "dass nach Unterfertigung eines Rückscheines betreffend einen Ablehnungsbeschluss in der Kanzlei unseres Rechtsvertreters dieser Beschluss nicht Dr. A. (hier ident mit dem Sachbearbeiter) zugekommen ist, und dass auch sonst niemand in der Kanzlei um diesen Ablehnungsbeschluss wusste." Die beschwerdeführende Gesellschaft habe daher "von der Zustellung des Ablehnungsbeschlusses ohne [ihr] Verschulden keine Kenntnis erlangt. Desgleichen hat in der Kanzlei [ihres] Rechtsvertreters kein RA (RAA) und auch kein sonstiger Mitarbeiter von der Zustellung Kenntnis erlangt, und zwar ohne dass hiefür ein Verschulden [der beschwerdeführenden Gesellschaft] oder in dieser Kanzlei vorläge."
Diese Ausführungen sind jedoch insoferne unzutreffend, als jedenfalls jene Arbeitnehmerin der Kanzlei des Rechtsvertreters der antragstellenden Gesellschaft, die mit ihrer Unterschrift auf dem Zustellnachweis (Rückschein) die Übernahme der betreffenden Sendung bestätigte, von dieser Kenntnis erlangt haben musste. Dass der Rückschein getrennt von der Sendung unterfertigt worden wäre, wird nämlich auch von der antragstellenden Gesellschaft nicht behauptet.
Schon im Hinblick darauf ist der vorliegende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet abzuweisen (vgl. VfGH 10.6.2002 B1252/01).
2.3. Wenn man aber das Vorbringen der antragstellenden Gesellschaft dahingehend deuten wollte, dass die in Rede stehende Sendung nach deren - durch die Unterschrift der betreffenden Angestellten beurkundetem - Einlangen in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Antragstellerin in unerklärlicher Weise (nach Meinung der antragstellenden Gesellschaft wäre "[j]edwedes Suchen nach Erklärungsgründen ... reine Spekulation") "verschwunden" ist, so ist dazu Folgendes zu bemerken:
Es gehört zu einer den gebotenen Sorgfaltsmaßstäben entsprechenden Kanzleiorganisation, u.a. Kontrollmechanismen anzulegen, die gewährleisten, dass jedenfalls Geschäftsstücke, die gemäß §13 Abs4 erster Satz iVm. §22 Abs1 und Abs2 erster Satz ZustellG zugestellt wurden und deren Übernahme - und damit Einlangen in der Kanzlei - von einer dafür in Betracht kommenden Angestellten des Rechtsvertreters der antragstellenden Gesellschaft mittels Anbringens des Kanzleieingangsstempels und Leistung der Unterschrift auf dem Rückschein ausdrücklich bestätigt wird, in der Kanzlei der notwendigen weiteren Bearbeitung zugeführt werden; der Verfassungsgerichtshof wertet es daher nicht als leichte Fahrlässigkeit, wenn ein solches Schriftstück "verschwindet", ohne dass sein Fehlen in der Folge bemerkt wird (vgl. VfSlg. 14.929/1997).
Daran ändert auch die ausführliche Darstellung des "Postdienstes" in der Kanzlei des Rechtsvertreters der antragstellenden Gesellschaft nichts. Ebensowenig ist für ihren Standpunkt etwas aus der Entscheidung VfSlg. 10.489/1985 zu gewinnen:
Selbst wenn man nämlich einräumte, dass die Zahl der am 9. August 2000 in der Kanzlei des Rechtsvertreters der antragstellenden Gesellschaft (darüber hinaus) einlangenden Sendungen des Verfassungsgerichtshofes - nach Angabe der antragstellenden Gesellschaft: vier - nicht "alltäglich" gewesen sei, ist der in der genannten Entscheidung zu beurteilende Sachverhalt (Ausarbeitung und Versendung von neun Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof [zur Bekämpfung von Akten unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt iZm. den Vorgängen in der Stopfenreuther Au] am Abend des letzten Tages vor Ende der Frist in einer Atmosphäre "äußerster Betriebsamkeit und Hektik") unter dem Aspekt eines "außergewöhnlichen Arbeitsaufwandes in der Kanzlei" - was von der antragstellenden Gesellschaft im vorliegenden Fall gar nicht behauptet wird - mit dem hier vorliegenden nicht zu vergleichen.
2.4. Auch der Hinweis auf "Auffälligkeiten", zu dem sich die antragstellende Gesellschaft in ihrem Schriftsatz veranlasst gesehen hat, vermag ihrem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Versuch, die Verantwortung für das unterlaufene Versäumnis dem Zusteller oder einem sonstigen Dritten zuzuweisen, muss jedenfalls scheitern.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher abzuweisen.
III. Der unter einem eingebrachte Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erweist sich demnach wegen Versäumung der ab Zustellung des Beschlusses über die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde an die antragstellende Gesellschaft (9. August 2000) zu berechnenden zweiwöchigen Frist (§87 Abs3 VfGG) als verspätet und ist sohin zurückzuweisen.
IV. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.
Schlagworte
VfGH / Fristen, VfGH / Abtretung, VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1047.2002Dokumentnummer
JFT_09979076_02B01047_00