Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Juliane H*****, vertreten durch DDr. Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Huso H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Maria Paumgartner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Aufhebung eines Mietvertrags und Räumung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 8. Februar 2001, GZ 54 R 438/00a-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Oberndorf bei Salzburg vom 5. Juli 2000, GZ 2 C 330/00d-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Im Jahre 1988 räumte die Klägerin ihrem geschiedenen Ehegatten auf dessen Lebensdauer das Fruchtnießungsrecht an einem Haus als Dienstbarkeit ein. In der Folge schloss der Fruchtnießer als Vermieter mehrere Mietverträge über in diesem Haus gelegene Wohnungen ab. Am 2. 6. 1997 vermietete er dem Beklagten und dessen Bruder die im ersten Obergeschoss gelegene Wohnung top 1, wobei das Mietverhältnis am 15. 6. 1998 ohne Aufkündigung enden sollte. Es wurde ein Pauschalmietzins von S 8.370 - inklusive Betriebskosten, öffentlichen Abgaben und Umsatzsteuer - vereinbart. Mit Verlängerungsmietvertrag vom 1. 1. 1998 und Zusatzvereinbarung zu einem bereits 1992 geschlossenen Mietvertrag vermietete der Fruchtnießer "das Obergeschoss des Hauses, top 1 mit ca 90 m2" auf die Dauer von fünf Jahren dem Beklagten zu einem Pauschalmietzins von S 5.000 (inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer). Nach dem Ableben des Fruchtnießers trat die Klägerin als dessen Rechtsnachfolgerin unter anderem in den zuletzt angeführten Mietvertrag ein.
Die Klägerin begehrte die Aufhebung des zwischen dem Fruchtnießer als Rechtsvorgänger der Klägerin und dem Beklagten am 1. 1. 1998 abgeschlossenen Mietvertrags und die Räumung des Mietobjekts. Sie machte als Rechtsgrund für ihr Begehren geltend, dass der Beklagte die Wohnung "nicht einmal zur Hälfte des gemeinen Wertes" des Mietobjekts gemietet habe, sodass Verkürzung über die Hälfte vorliege. Dem Fruchtnießer sei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der tatsächliche Wert des Mietgegenstands und der hiefür zu erzielende Mietzins nicht bekannt gewesen, insbesondere habe er die tatsächliche Höhe der Betriebskosten nicht gekannt. Die Vermutung, die Vertragsparteien hätten teilweise einen unentgeltlichen Vertrag schließen wollen, sei nicht berechtigt.
Der Beklagte wendete ein, dem Vermieter sei bewusst gewesen, dass er einen geringeren als den angemessenen Mietzins vereinbart habe. Ihm sei wichtig gewesen, dass der Beklagte im Mietobjekt verbleibe. Der tatsächliche Wert des Mietgegenstands und der dafür zu erzielende Mietzins seien ihm bekannt gewesen, was sich auch aus Mietverträgen, die über andere Mietobjekte im Haus geschlossen worden seien, ergebe. Der Mietvertrag stelle offensichtlich einen "gemischten Vertrag", bestehend aus einem entgeltlichen und einem unentgeltlichen Teil, dar. Vorsichtshalber wendete der Beklagte auch ein, dass ohnehin ein angemessener Mietzins vereinbart worden sei. Er erklärte sich ausdrücklich bereit, für den Fall des Vorliegens einer Verkürzung über die Hälfte den Abgang bis zum gemeinen Wert zu ersetzen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei in das Mietverhältnis eingetreten, weshalb ihr das "Gestaltungsrecht auf Anfechtung des Vertrags wegen Verkürzung über die Hälfte" des wahren Wertes zustünde. Der Fruchtnießer - als Rechtsvorgänger der Klägerin - habe aber den wahren Wert des Mietgegenstands zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gekannt, weshalb die Anfechtung nicht berechtigt sei.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es sei nicht wesentlich, ob der Fruchtnießer als Vermieter den wahren erzielbaren monatlichen Mietzins für die Wohnung gekannt habe, sondern vielmehr, dass ihm bewusst gewesen sei, dass er durch die Zusatzvereinbarung mit dem Beklagten einen wesentlich geringeren als den tatsächlich erzielbaren Mietzins verlange. Dies sei aber insbesondere im Hinblick auf die in Mietverträgen über im Haus gelegene Wohnungen festgelegten Mietzinse zu bejahen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.
Laesio enormis ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Verkürzte Kenntnis vom wahren Wert hat, wofür der andere Teil (hier: der Beklagte) beweispflichtig ist (SZ 68/152; EFSlg 84.400). Hat sich der Verkürzte bewusst auf ein Verlustgeschäft eingelassen, so ist er doch nicht von der Anfechtung wegen laesio enormis ausgeschlossen, wenn sich nachträglich eine noch größere Abweichung von wahren Wert herausstellt, die zur Hälftewertüberschreitung führt (P. Bydlinski, Die Stellung der laesio enormis im Vertragsrecht, in JBl 1983, 410 [417 f]; Binder in Schwimann, ABGB2, Rz 3 zu § 935; Reischauer in Rummel, ABGB3, Rz 1 zu § 935). Es genügt also nicht - wie das Berufungsgericht vermeint -, dass dem Fruchtnießer bewusst war, einen wesentlich geringeren als den tatsächlich erzielbaren Mietzins zu verlangen, vielmehr könnte nur die positive Kenntnis des Verkürzten vom wahren Wert die Anfechtung wegen laesio enormis ausschließen. Ausgehend von dieser Rechtsansicht bestehen sogenannte "sekundäre Verfahrensmängel", denn der erzielbare (angemessene) Mietzins wurde von den Vorinstanzen nicht festgestellt. Nur bei dessen Kenntnis ließe sich allenfalls aus anderen, vom Rechtsvorgänger der Klägerin geschlossenen Mietverträgen die vom Erstgericht getroffene, vom Berufungsgericht aber nicht ausdrücklich übernommene Feststellung ableiten, der Fruchtnießer habe den für das Mietobjekt erzielbaren Mietzins gekannt (siehe S 6 des Ersturteils). Wenn auch das Gericht zweiter Instanz in seiner Entscheidung auf § 500a ZPO verweist, so ergibt sich doch aus der Urteilsbegründung eindeutig, dass es gerade die Feststellung über die Kenntnis des Fruchtnießers vom wahren Wert nicht übernehmen wollte, vertrat es - in Verkennung der Rechtslage - doch die Ansicht, dazu bedürfte es des Gutachtens eines Sachverständigen, doch komme es darauf nicht an, weil "ergänzende Überlegungen" zur Bestätigung des Ersturteils führten (S 6 des Urteils der zweiten Instanz).
Das Berufungsgericht wird sich daher in Erledigung der Beweisrüge der Klägerin zur Richtigkeit der Feststellung des Erstgerichts, der Fruchtnießer habe den Wert und die Belastungen des Mietgegenstands und den dafür erzielbaren Mietzins gekannt, zu äußern haben. Nur wenn das Berufungsgericht feststellte, dass der Mietzins nach dem Willen der Vertragsparteien bewusst weit unter dem wahren Wert liegen sollte und demnach eine gemischte "Schenkung" (eigentlich Leihe - vgl JBl 1987, 320) mit überwiegendem Schenkungscharakter anzunehmen wäre, käme infolge bewusster Inkaufnahme der Unterschreitung des wahren Wertes eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nicht in Betracht (NZ 1994, 206; Reischauer aaO; Schubert in Rummel aaO Rz 9 und 9a zu § 938). Insofern wird allenfalls auch zu prüfen sein, ob "aus dem Verhältnis der Vertragspartner zu vermuten" sei, dass sie einen "vermischten Vertrag" im Sinne des § 935 ABGB schließen wollten. Das diesbezügliche Vorbringen der Parteien (siehe AS 17, 19 und 39) blieb ungeprüft.
Zu den Ausführungen des Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung, § 351a HGB schließe die Anfechtung nach § 934 ABGB aus, ist festzuhalten, dass in keiner Phase des Verfahrens behauptet wurde, der Mietvertrag sei auf Seiten des Fruchtnießers ein Handelsgeschäft. Selbst in der Revisionsbeantwortung findet sich keine derartige Behauptung; der Beklagte ist rechtsirrig der Ansicht, die Klägerin hätte eine derartige (Negativ-)Behauptung aufstellen müssen. Die Bestimmung des § 351a HGB stellt einen Ausschlussgrund dar; für den Ausschluss der laesio enormis trägt aber stets der "Verkürzende" die Beweislast (Reischauer aaO Rz 4 zu § 935 mwN).
In Stattgebung der Revision ist die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz, das sich mit der (Tat-)Frage der positiven Kenntnis des Fruchtnießers vom "wahren Wert des Mietobjekts" wird befassen müssen, aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E62526European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2001:0010OB00161.01K.0807.000Im RIS seit
06.09.2001Zuletzt aktualisiert am
23.02.2011