TE Vwgh Erkenntnis 2007/1/31 2005/08/0117

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Veröffentlicht am 31.01.2007
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §273;
AlVG 1977 §49 Abs1;
AlVG 1977 §49;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Mag. W, Rechtsanwalt in W, als mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. Juli 2005, GZ 3 P 57/04m, bestellter Sachwalter, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 23. Mai 2005, Zl. LGSW/Abt. 3- AlV/1218/56/2005-1013, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 23. Mai 2005 sprach die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 13. Dezember 2004 bis 12. Februar 2005 gemäß § 49 AlVG verloren habe, weil sie den vom Arbeitsmarktservice Esteplatz für den 13. Dezember 2004 vorgeschriebenen Kontrolltermin ohne triftigen Grund nicht eingehalten und sich erst am 13. Februar 2005 wieder beim Arbeitsmarktservice gemeldet habe.

Mit Beschluss des (Bezirksgerichtes) Innere Stadt Wien vom 13. Mai 2004 sei für die Beschwerdeführerin ein einstweiliger Sachwalter (der Beschwerdevertreter) bestellt worden. Die Aufgaben des Sachwalters umfassten die Vertretung der Beschwerdeführerin in finanziellen Angelegenheiten und vor Gericht, insbesondere in drei im Sachwalterbeschluss bezeichneten Gerichtsverfahren sowie im Sachwalterbestellungsverfahren. Die Ladung für den Kontrolltermin am 13. Dezember 2004 sei dem Sachwalter nicht nachweislich zugestellt worden. Er habe der Behörde (aber) mit Schreiben vom 25. April 2005 mitgeteilt, dass er vom Kontrolltermin Kenntnis erlangt hätte. Er würde die Auffassung vertreten, dass Kontrolltermine "von den Kuranden selbst persönlich eingehalten werden sollten und das Erscheinen des Sachwalters keinerlei Wirkung habe". Wenn die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer psychischen Erkrankung einen Kontrolltermin nicht eingehalten hätte und somit auf Grund ihrer Erkrankung unzuverlässig wäre, wäre dies wesentlich für die Beurteilung, ob dieser ihr Fehlverhalten zugerechnet werden könnte.

Am 28. Februar 2005 habe sich die Beschwerdeführerin wieder beim Arbeitsmarktservice gemeldet. An diesem Tag habe sie allein, ohne ihren Sachwalter vorgesprochen, wobei eine Unterhaltung mit der Beschwerdeführerin infolge ihrer psychischen Erkrankung nicht möglich gewesen sei. Am 1. März 2005 habe das Arbeitsmarktservice mit dem Sachwalter einen Termin vereinbart. Am 11. März 2005 habe der Sachwalter der Beschwerdeführerin vorerst allein in der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vorgesprochen. In der Folge sei die Beschwerdeführerin selbst erschienen, jedoch schreiend davongelaufen, als sie des Sachwalters ansichtig geworden sei. Dieser habe dem Arbeitsmarktservice bekannt gegeben, er hätte die Beschwerdeführerin noch nie gesehen, da sie jeden Kontakt zu ihm verweigern würde. Als Grund für die Versäumung des Kontrolltermins am 13. Dezember 2004 habe er angegeben, dass die Beschwerdeführerin den Kontakt mit seiner Kanzlei verweigert hätte. Alle Versuche, mit ihr in Kontakt zu kommen, wären gescheitert. Daher wäre es ihm auch nicht möglich gewesen, die Beschwerdeführerin zur Einhaltung des Kontrolltermins zu motivieren. Ihre Verhaltensweisen wären Folge ihrer psychischen Beeinträchtigungen. Derzeit würde im Sachwalterverfahren des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien ein Gutachten eingeholt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass ein Arbeitsloser, der - trotz Belehrung über die Rechtsfolgen - eine Kontrollmeldung unterlasse, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe verliere. Im Falle der Beschwerdeführerin sei kein triftiger Grund für die Versäumung des Kontrolltermins vorgelegen. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch der Sachwalter hätten Kenntnis vom Kontrolltermin am 13. Dezember 2004 gehabt. Der Ansicht des Sachwalters, es wäre sinnlos, wenn der Sachwalter anstatt des Kunden bzw. der Kundin einen Kontrolltermin einhalten würde, weil das Arbeitsmarktservice die Arbeitsfähigkeit des Kunden und nicht die des Sachwalters zu beurteilen hätte, sei nicht zu folgen. Zu den Aufgaben eines Sachwalters, dem auch die Vertretung in finanziellen Angelegenheiten obliege, gehöre es, finanzielle Nachteile des Kunden bzw. der Kundin abzuwenden. Mit der Nichteinhaltung eines Kontrolltermins sei der Entzug des Leistungsanspruches bis zur persönlichen Wiedermeldung beim Arbeitsmarktservice, somit ein massiver finanzieller Nachteil verbunden. Es wäre daher am Sachwalter der Beschwerdeführerin gelegen, dafür Sorge zu tragen, dass die Beschwerdeführerin den Termin beim Arbeitsmarktservice, von dem dieser Kenntnis gehabt habe, einhalte oder zumindest für den Fall der Nichteinhaltung des Termins mit dem Arbeitsmarktservice in Verbindung trete. Da die Beschwerdeführerin über einen Sachwalter verfüge, wäre es gegebenenfalls dessen Aufgabe, für den Fall, dass sie durch ihre psychische Erkrankung derart beeinträchtigt sei, dass sie Termine des Arbeitsmarktservice nicht einhalten könne, rechtzeitig die erforderlichen Veranlassungen, z.B. in Form eines Antrages auf Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension, zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 28/2004 hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer

1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, 2. die Anwartschaft erfüllt und 3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

Nach Abs. 2 leg. cit. steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

Arbeitsfähig ist nach § 8 Abs. 1 AlVG, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.

Wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, ist der Arbeitslose verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld (§ 8 Abs. 2 AlVG).

§ 49 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I

Nr. 142/2000 lautet:

"Kontrollmeldungen

§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle unter Vorweisung der Meldekarte persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, dass das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.

(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterlässt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören."

Gemäß §§ 38 und 58 sind die genannten Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Mit Beschluss des BG Innere Stadt Wien vom 13. Mai 2004 wurde der Vertreter der Beschwerdeführerin zu ihrem einstweiligen Sachwalter für die Vertretung in finanziellen Angelegenheiten und vor Gericht, insbesondere in drei näher genannten Verfahren, sowie im Sachwalterbestellungsverfahren bestellt.

Ein Kontrolltermin iSd § 49 Abs. 1 AlVG dient in erster Linie der Betreuung des Arbeitslosen (vgl. zu diesem Aspekt das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0159), weshalb grundsätzlich dessen persönliches Erscheinen erforderlich ist. Durch die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für einen bestimmten Aufgabenkreis wurde die Beschwerdeführerin nur in ihrer rechtlichen Dispositionsfähigkeit, jedoch nicht in ihrer faktischen Handlungsfähigkeit beschränkt. Ihr war es zwar nicht möglich, ohne Zustimmung ihres Sachwalters finanzielle Angelegenheiten zu regeln, in ihre Fähigkeit, der persönlichen Kontrollmeldepflicht vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice wirksam nachzukommen, wird mit dem Sachwalterbestellungsbeschluss aber nicht eingegriffen. Entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde vermag die Bestellung eines Sachwalters für finanzielle Angelegenheiten, für Gerichtsverfahren und für das Bestellungsverfahren selbst auch nicht dessen Verpflichtung auszulösen, an der Stelle der von ihm vertretenen Bezieherin einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung einen Kontrolltermin wahrzunehmen und statt dieser persönlich vor der regionalen Geschäftsstelle zu erscheinen.

Unter den vorliegenden Umständen hätte die belangte Behörde die Tatsache der Bestellung zum einstweiligen Sachwalter jedoch zum Anlass nehmen müssen, zu untersuchen, ob im Sinne des § 49 Abs. 2 AlVG für die Beschwerdeführerin ein triftiger Grund vorgelegen ist, zum Kontrolltermin nicht zu erscheinen. Obwohl sie sogar in ihrer Berufung angegeben hat, an einer psychischen Erkrankung zu leiden, die es ihr nicht möglich mache, eine Einsicht zu bilden oder gemäß der gewonnenen Einsicht zu handeln, hat die belangte Behörde Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin bzw. eines triftigen Grundes für das Nichterscheinen nicht für notwendig erachtet. Die belangte Behörde hätte die Frage, ob die Beschwerdeführerin in der Lage war, eine Ladung zur Kontrollmeldung wirksam entgegenzunehmen bzw. die Bedeutung der Vorschreibung zu erfassen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, klären müssen, etwa durch Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. August 2002, Zl. 2002/08/0039 mwN).

Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 31. Jänner 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005080117.X00

Im RIS seit

15.03.2007

Zuletzt aktualisiert am

06.06.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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