TE Vfgh Beschluss 2002/9/24 G20/02

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Veröffentlicht am 24.09.2002
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StVO 1960 §92, §93

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags eines Grundeigentümers auf Aufhebung der Verpflichtung zur Schneeräumung in der Straßenverkehrsordnung; zumutbarer Umweg über den Antrag auf Erlassung eines Bescheides betreffend Einschränkung der Verpflichtungen bzw Ausnahmen davon

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. Die Antragstellerin ist grundbücherliche Eigentümerin einer im Antrag näher bezeichneten Liegenschaft in der Mariatrosterstraße in Graz. Diese Liegenschaft grenzt an der Nord-West-Seite unmittelbar an die Mariatrosterstraße, die mit einem Gehsteig versehen ist. Als Eigentümerin dieser Liegenschaft ist die Antragstellerin gemäß §93 StVO 1960 verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß der entlang ihrer Liegenschaft errichtete Gehsteig, der dem öffentlichen Verkehr dient, entlang der gesamten Liegenschaft in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut wird.

1.2. Mit ihrem am 24. Jänner 2002 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten und auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin die Aufhebung des §93 StVO 1960 wegen Verfassungswidrigkeit, in eventu die Aufhebung der Wortfolgen "die Eigentümer" und "von Liegenschaften in Ortsgebieten, ausgenommen die Eigentümer von unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften" in §93 Abs1 StVO 1960, in eventu die Aufhebung der Wortfolge "in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr" in §93 Abs1 StVO 1960 sowie den Ersatz der Kosten des Verfahrens.

Zur Zulässigkeit ihres Individualantrages führt die Antragstellerin aus, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung für sie unmittelbar wirksam sei. Ein zumutbarer Rechtsweg stehe ihr nicht zur Verfügung. Eine Verwaltungsstrafe durch Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß §93 StVO 1960 in Kauf zu nehmen und dadurch einen bekämpfbaren Bescheid zu erwirken, sowie gleichzeitig Schadenersatzansprüche geschädigter Gehsteigbenützer zu riskieren, sei ihr nicht zumutbar.

In der Sache sieht die Antragstellerin mit näherer Begründung durch die behauptete Verfassungswidrigkeit des §93 StVO 1960 die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freizügigkeit der Person, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Freiheit des Aufenthalts und auf Aufhebung des Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbandes verletzt. Weiters verletze §93 StVO 1960 das Recht auf persönliche Freiheit sowie Art4 Abs2 EMRK. Die Bestimmung stehe überdies mit weiteren auf einfachgesetzlicher Stufe stehenden Bestimmungen in Widerspruch.

2. Die Bundesregierung bestreitet in ihrer Äußerung die Zulässigkeit des Antrages sowie wegen Fehlens der Darlegung des unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre und der Antraglegitimation bzw. wegen unrichtiger Abgrenzung des Anfechtungsumfanges auch die Zulässigkeit der Eventualanträge. Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof den Individualantrag für zulässig erachten sollte, verteidigt sie die Verfassungsmäßigkeit der angeführten Bestimmung.

3. Der Antrag ist nicht zulässig.

3.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Aber nicht jedem unmittelbar betroffenen Normadressaten kommt diese Antragsbefugnis zu. Es ist (wie der Verfassungsgerichtshof im Beschluß VfSlg. 8009/1977 ausgeführt und in seiner späteren Judikatur mehrfach, zB VfSlg. 8148/1977, 8241/1978, 8276/1978 und 8485/1979, bestätigt hat) für die Antragslegitimation darüber hinaus auch erforderlich, daß dem Antragsteller ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihm behaupteten Verfassungswidrigkeit nicht zur Verfügung steht.

3.2. Gemäß §93 Abs4 StVO 1960 hat die Behörde nach Maßgabe des Erfordernisses des Fußgängerverkehrs sowie der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des übrigen Verkehrs, soferne im Einzelfall unter den gleichen Voraussetzungen auf Antrag des nach Abs1 oder 5 Verpflichteten nicht die Erlassung eines Bescheides in Betracht kommt, durch Verordnung

a) die in Abs1 bezeichneten Zeiten, in denen die dort genannten Verkehrsflächen von Schnee oder Verunreinigung gesäubert oder bestreut sein müssen, einzuschränken;

b) die in Abs1 bezeichneten Verrichtungen auf bestimmte Straßenteile, insbesondere auf eine bestimmte Breite des Gehsteiges (Gehweges) oder der Straße einzuschränken;

c) zu bestimmen, daß auf gewissen Straßen oder Straßenteilen nicht alle in Abs1 genannten Verrichtungen vorgenommen werden müssen;

d) die Vorsichtsmaßregeln näher zu bestimmen, unter denen die in Abs1 und 2 bezeichneten Verrichtungen durchzuführen sind.

3.3. Der Bürgermeister der Stadt Graz hat über Aufforderung des Verfassungsgerichthofes mitgeteilt, daß weder für die Mariatrosterstraße insgesamt noch für jenen Teil, an den die Liegenschaft der Antragstellerin angrenzt, eine Verordnung gemäß §93 Abs4 StVO 1960 erlassen wurde. Gleiches gelte im übrigen auch für die vom Gesetzgeber in der genannten Bestimmung eingeräumte Möglichkeit einer bescheidmäßigen Einschränkung der Räum- und Streupflicht.

Daß im vorliegenden Fall die Erlassung eines Bescheides gemäß §93 Abs4 nicht in Betracht käme, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden. Der Antragstellerin steht somit über die ihr durch §93 Abs4 StVO 1960 eingeräumte Möglichkeit, eine Einschränkung der in §93 Abs1 bezeichneten Pflichten sowie die Ausnahme gewisser Straßen oder Straßenteile vom genannten Gebot zu beantragen, ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, die behauptete Verfassungswidrigkeit an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Der Antrag war daher mangels Legitimation der Antragstellerin zurückzuweisen.

3.4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Verkehrserschwernisse, Pflichten der Anrainer, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G20.2002

Dokumentnummer

JFT_09979076_02G00020_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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