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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §21 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Christian Werner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 1/1/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. März 2006, Zl. 219.902/8- I/01/06, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger aus dem Punjab, reiste seinen Angaben zufolge am 3. Juli 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 5. Juli 2000 Asyl. Als Fluchtgrund gab er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. Oktober 2000 im Wesentlichen an, er habe in den Jahren von 1996 bis 1998 das College in Banga besucht und sich dort mit zwei namentlich genannten Studenten angefreundet, von denen er im Nachhinein von der Polizei erfahren habe, dass sie Terroristen gewesen sein sollen. Im Mai 1998 sei er zu Hause (im Dorf Gosal) verhaftet worden. Er sei zur Polizeistation in Banga gebracht worden. Dort habe man ihn geschlagen und gefragt, wo die Waffen seiner Freunde versteckt seien. Es sei ihm auch vorgeworfen worden, selbst Waffen zu besitzen. Durch Bestechung sei er am nächsten Tag freigelassen worden. Am 15. Mai 1998 habe die Polizei ihn abermals festgenommen und in das Wachzimmer in Banga gebracht. Ihm seien die gleichen Vorwürfe wie früher gemacht worden und man habe ihn mit einem Polizeistock und einem Reifengummi geschlagen. Dieses Mal habe sein Vater 10.000 Rupien bezahlt und er sei daraufhin "entlassen" worden. Nach seiner Freilassung habe er die Flucht ergriffen. Er habe erfahren, dass die Polizei ihn auch nach seiner Flucht aus dem Heimatdorf gesucht habe und er befürchte, dass sie diese Suche in ganz Indien durchführen werde.
Mit Bescheid vom 3. November 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Über die dagegen erhobene Berufung führte die belangte Behörde am 9. August 2005, eine erste Berufungsverhandlung durch. In dieser wiederholte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen, präzisierte die Personalien jener beiden Freunde, die von der Polizei als Terroristen bezeichnet worden wären, und erklärte sich damit einverstanden, dass seine Angaben durch Ermittlungen in Indien überprüft würden. Im Anschluss daran beauftragte die belangte Behörde eine Sachverständige, über ihre Vertrauenspersonen in Indien zu ermitteln, ob gegen den Beschwerdeführer in der Polizeistation Banga ein Haftbefehl aufliege oder nach ihm gefahndet werde bzw. ob bei der Polizei Akten bezüglich der genannten Freunde existierten.
Im Oktober 2005 erstattete die Sachverständige ihr schriftliches Gutachten, in dem sie unter anderem ausführte, ein Mitarbeiter ihrer Vertrauensperson habe die Polizeistation Banga aufgesucht und dort zwei namentlich genannte Polizeibeamte angetroffen. Nach Überprüfung der Polizeiakten sei festgestellt worden, dass gegen den Beschwerdeführer weder ein Gerichtsverfahren anhängig sei noch ein Haftbefehl vorliege. Daher werde nach ihm auch nicht gefahndet. Es gebe überdies keine Aufzeichnungen darüber, dass er früher verhaftet und nach ihm gesucht worden wäre. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer genannten Freunde seien in der Polizeistation keine Aufzeichnungen gefunden worden; das heiße, es lägen weder Haftbefehle noch sonstige gerichtlich anhängende Fälle vor.
In einer weiteren Berufungsverhandlung am 8. November 2005 wurde der Beschwerdeführer mit diesem Gutachten konfrontiert. Er blieb bei seinen Angaben und wollte über seinen Vater in Indien herausfinden, ob es die angeblichen Gesprächspartner des Mitarbeiters der Vertrauensperson in der Polizeistation überhaupt gäbe.
Im Folgenden übermittelte er der belangten Behörde ein Schreiben der Polizeistation Banga, wonach in den letzten zwei Monaten niemand von der österreichischen Botschaft "im Zusammenhang mit der Untersuchung" des Beschwerdeführers zur Polizeistation gekommen sei. Dieses Schreiben wurde in der Berufungsverhandlung am 14. Dezember 2005 erörtert.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Es könne - so die wesentliche Begründung der belangten Behörde - nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von den indischen Behörden verfolgt worden sei. Auch gebe es keine Hinweise dafür, dass die vom Beschwerdeführer genannten Freunde mittels Haftbefehles gesucht würden oder andere Verfahren bei Gericht gegen sie anhängig wären. Beweiswürdigend stützte sich die belangte Behörde dabei ausschließlich auf die (oben wiedergegebenen) Ermittlungsergebnisse in der Polizeistation Banga. Diese seien - trotz der Einwände des Beschwerdeführers - nicht in Zweifel zu ziehen. Daran vermöge auch das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben der Polizeistation Banga nichts zu ändern, hätten doch nicht Mitarbeiter der österreichischen Botschaft, sondern der Vertrauensperson der Sachverständigen die Recherchen getätigt. Ausgehend davon sei dem Beschwerdeführer weder Asyl noch Refoulementschutz zu gewähren.
Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde macht geltend, die belangte Behörde habe den Sachverhalt nur unzureichend ermittelt und damit gegen ihre Pflicht zum Erforschen der materiellen Wahrheit gemäß § 28 AsylG verstoßen. Es sei nur allzu verständlich, dass über ungerechtfertigte Verhaftungen bei der indischen Polizei keine Unterlagen bzw. Haftbefehle vorlägen. Eine einfache Internetrecherche des Beschwerdeführervertreters unter Eingabe des Namens eines der vom Beschwerdeführer genannten Freunde habe einen - mit der Beschwerde auch vorgelegten - Bericht über diese Person zutage gebracht, der die Angaben des Beschwerdeführers (über eine Verfolgung auch dieses Freundes durch die Polizei in Banga) bestätige. Der Beschwerdeführer habe dieses Beweismittel nicht früher vorlegen können, weil er über keinen Internetzugang verfüge. Bei vollständiger Erhebung der entscheidungswesentlichen Tatsachen hätte aber auch die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass der Beschwerdeführer in Indien asylrelevant verfolgt werde.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis zutreffend Mängel des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde auf.
Die belangte Behörde hat die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers nur deshalb für unglaubwürdig erachtet, weil Erhebungen eines Mitarbeiters der Vertrauensperson der Sachverständigen in der Polizeistation Banga keine Hinweise auf behördliche Verfolgungshandlungen gegenüber dem Beschwerdeführer und seinen beiden namentlich genannten Freunden ergeben hätten.
Derartige Ermittlungen konnten zwar - so sie unter Berücksichtigung des Verbotes der Übermittlung personenbezogener Daten eines Fremden an dessen Herkunftsstaat gemäß § 21 Abs. 2 AsylG erfolgten - als Teil der behördlichen Nachforschungen zur Überprüfung des Fluchtvorbringens eines Asylwerbers sinnvoll sein. Grundsätzlich war dabei jedoch zu beachten, dass Informationsaufnahmen bei jener Behörde, die nach den Angaben eines Asylwerbers für die (ungerechtfertigten) Verfolgungshandlungen gegenüber seiner Person verantwortlich sein soll - beweiswürdigend mit großer Vorsicht zu bewerten sind (vgl. zur Thematik von Ermittlungen im Herkunftsstaat bereits die hg. Erkenntnisse vom 27. Jänner 2000, Zl. 99/20/0488, und vom 29. März 2001, Zl. 2000/20/0458). Zu Recht weist die Beschwerde - sinngemäß - darauf hin, das Nichtvorhandensein von "Unterlagen bzw. Haftbefehlen" (gemeint offenbar auch die fehlenden Eintragungen in den Akten der Polizeistation Banga) könne auch darin begründet sein, dass über willkürliche Verhaftungen und Misshandlungen keine Aufzeichnungen geführt würden. Der angefochtene Bescheid lässt nicht erkennen, dass die Behörde diesen Überlegungen in der Gestaltung des Ermittlungsverfahrens und in ihrer Beweiswürdigung Rechnung getragen hat. So wurde im Rahmen der Erhebungen vor Ort - nach dem Akteninhalt - offensichtlich gar nicht versucht, die in der Polizeistation Banga ermittelten Fakten anhand unbedenklicher weiterer Quellen (etwa Befragungen von Personen im Heimatdorf des Beschwerdeführers) zu überprüfen oder - wie die Beschwerde geltend macht - den realen Hintergrund der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers auf andere Art und Weise zu verifizieren oder zu falsifizieren. Dass diese Unterlassungen aber dazu geführt haben können, dem Beschwerdeführer zu Unrecht die Glaubwürdigkeit abzusprechen, wird von der Beschwerde insbesondere durch die Vorlage des angesprochenen Berichtes über eine Person, die mit dem vom Beschwerdeführer erwähnten Freund identisch sein könnte, hinreichend dargelegt.
Da die belangte Behörde ihre Entscheidung ausschließlich auf die Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers gestützt hat, diese Erwägungen aber - wie gezeigt wurde - einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht standhalten, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Ein gesonderter Zuspruch von Umsatzsteuer findet in diesen Bestimmungen keine Deckung, weshalb das darauf gerichtete Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 16. Februar 2007
Schlagworte
Beweiswürdigung Wertung der BeweismittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190982.X00Im RIS seit
09.03.2007