TE OGH 2001/9/27 6Ob191/01h

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Veröffentlicht am 27.09.2001
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, D r.Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien

1. Verlagsgruppe N*****, 2. Wolfgang F*****, 3. Prof. Ing. Alfred W*****, 4. Werner S*****, 5. Josef V*****, 6. Dr. Peter P*****, alle vertreten durch Dr. Georg Zanger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*****, L*****, vertreten durch Mag. Huberta Gheneff-Fürst, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 25. Mai 2001, GZ 4 R 23/01h-13, womit der Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 3. Jänner 2001, GZ 10 Cg 108/00p-4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Sicherungsantrag der klagenden Parteien, der beklagten Partei werde zur Sicherung des Anspruchs auf Unterlassung der Verbreitung unwahrer kreditschädigender Tatsachenbehauptungen und/oder ehrenrühriger Behauptungen geboten, die Behauptung, die klagenden Parteien würden in der Zeitschrift NEWS eine unglaubliche Menschenhatz betreiben und indirekt zu einem Attentat aufrufen und/oder ähnliche gleichartige ehrenrührige und/oder unwahre kreditschädigende Behauptungen und/oder deren Verbreitung zu unterlassen, abgewiesen wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit 81.293,94 S (darin 13.548,99 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Provisorialverfahrens aller drei Instanzen zur ungeteilten Hand binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Erstklägerin ist Medieninhaberin, Eigentümerin und Verlegerin, der Zweitkläger ist Herausgeber und Chefredakteur, Dritt- und Viertkläger sind Herausgeber, Fünft- und Sechstkläger sind Chefredakteure der periodischen Druckschrift NEWS.

NEWS hatte in einem unter der Schlagzeile "Der Spitzel-Bericht. Das geheime Spitzelprotokoll von Skandalaufdecker Kl*****" über den sogenannten "Spitzelskandal" berichtet, sowie auch darüber, dass Kl***** den FP-Landesparteisekretär Kr***** belastet habe. Kr***** werde von Kl***** voll in den Spitzelskandal gezogen, sodass sich der politische Gegner (C*****) frage, ob Kr***** der Verbindungsmann zu jenen FP-Polizisten sei, die der F Informationen über regierungskritische Personen lieferte, ob er für Infos aus dem Polizeicomputer Geld erhalten habe und ob auszuschließen sei, dass er sich selbst Geld überwiesen habe. Gleichzeitig werden namentlich genannte politische Gegner zitiert, die sich für einen Rücktritt Kr*****s ausgesprochen hätten. Unter der weiteren Überschrift "FP-Landessekretär Kr***** nun auch im Polit-Visier." "Sein Rücktritt allein reicht nicht." "Wie schmutzig ist die rechte Hand von "Hump - Dump" K*****?" wird über die vom politischen Gegner wie auch von Kl***** gegen Kr***** erhobenen Vorwürfe berichtet und die Frage gestellt, ob "Expolizist Kr***** eine Zentrale Drehscheibe im Spitzelskandal sei, bei der Infos, Geldflüsse & Co zusammenliefen". So habe Kl***** auch darüber berichtet, dass R***** Kr***** in seiner Anwesenheit angerufen und mit einer Bespitzelung von Andre H***** beauftragt habe. Am Beginn dieses Berichts findet sich eine ganzseitige Abbildung von Kr***** versehen mit dem Fadenkreuz eines Zielfernrohres im Kopfbereich, wobei der Mittelpunkt des Fadenkreuzes genau zwischen seinen Augen verläuft.

Bezugnehmend auf diese Darstellung in NEWS verfasste ein freiheitlicher Abgeordneter zum Wiener Landtag und Gemeinderat in Wien im Pressedienst der beklagten Partei eine Presseaussendung des Inhalts: "Das von den F*****-Brüdern betriebene Zeitgeistmagazin NEWS beschreitet mit seiner heutigen Ausgabe einen Weg, der nicht nur eine unglaubliche Menschenhatz bedeutet, sondern indirekt auch einen Aufruf zum Attentat darstellt".

Das Erstgericht erließ die von den Klägern begehrte einstweilige Verfügung und verpflichtete die Beklagte, die Behauptung, die Kläger würden in NEWS eine unglaubliche Menschenhatz betreiben und indirekt zu einem Attentat aufrufen und/oder gleichartige oder ähnliche ehrenrührige und/oder unwahre kreditschädigende Behauptungen zu unterlassen. Es beurteilte die Äußerungen der Beklagten als Tatsachenbehauptungen, wobei nicht erwiesen werden könne, dass die Kläger beabsichtigten, einem Menschen zu schaden oder gar zu einem Attentat aufzurufen. Die Behauptungen seien somit unrichtig.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Es beurteilte die von den Klägern beanstandeten Äußerungen als ehrenrührige und zugleich kreditschädigende Tatsachenbehauptungen, deren Richtigkeit die Beklagte nicht habe beweisen können.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, weil ein anderer Senat des Oberlandesgerichtes Wien in einem wegen derselben Äußerung geführten Parallelprozess den gegen den Äußernden gerichteten Sicherungsantrag abgewiesen hat; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Sinn und Bedeutungsinhalt einer Äußerung, wie auch die Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richten sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers. Die Äußerung ist so auszulegen, wie sie von den angesprochenen Verkehrskreisen - im vorliegenden Fall politisch interessierte Zeitungsleser - bei ungezwungener Auslegung verstanden wird (6 Ob 316/99k; 6 Ob 112/00i; 6 Ob 149/01g). Die Beklagte verbreitete die hier zu beurteilenden Vorwürfe, die Klägerin betreibe Menschenhatz und rufe indirekt zum Attentat auf, im Zusammenhang mit und als Kritik an einer Berichterstattung der Zeitschrift NEWS. In diesem Bericht hatte NEWS über die gegen den Landesparteisekretär der FPÖ erhobenen Vorwürfe berichtet und ihn massiv angegriffen ("FP-Landessekretär Kr***** nun auch im Polit-Visier", "Sein Rücktritt allein reicht nicht", "Wie schmutzig ist die rechte Hand von Hump-Dump Ka*****?", "Expolizist Kr***** eine zentrale Drehscheibe im Spitzelskandal, bei der Infos, Geldflüsse & Co zusammenliefen"). Gleichzeitig bildete NEWS den so Angegriffenen in der Weise ab, dass der Mittelpunkt eines über den Kopfbereich geblendeten Fadenkreuzes eines Zielfernrohrs genau zwischen seinen Augen verläuft. Für die angesprochenen Leser, deren umfassende Kenntnis der über politische Themen geführten Auseinandersetzungen zwischen NEWS und FPÖ vorausgesetzt werden kann, ist unzweifelhaft erkennbar, dass die kritische Berichterstattung über den Politiker einerseits und die darauf bezogenen Vorwürfe andererseits im Rahmen einer politisch geführten Auseinandersetzung erfolgten und die Beklagte durch Verbreitung der beanstandeten Aussagen ihre Kritik an der im Bericht gewählten - inakzeptablen - Darstellungsweise zum Ausdruck bringen wollte. Dass die als "Menschenhatz" krass formulierte Kritik an der Berichterstattung angesichts der darin verbreiteten Inhalte im Kern auf einem richtigen Sachverhalt beruht, ist nicht zweifelhaft, weil die Darstellung des auch verbal massiv angegriffenen Politikers im Zusammenhang mit dem Inhalt der Berichterstattung beim Zeitungsleser Assoziationen zu einer "Hatz" im Sinn der Verfolgung und Einkreisung von Flüchtigen (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache2 , 1483), jedenfalls im Sinn einer Beschimpfung und Verfolgung von Personen (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 419) hervorruft (6 Ob 149/01g).

Auch der weitere Vorwurf, NEWS rufe durch seine Darstellung indirekt zum Attentat auf, ist in seinem Kern nicht unrichtig. Er wird von den angesprochenen Lesern keineswegs so verstanden, dass die Kläger tatsächlich ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Sinn einer Anstiftung zu Attentaten gesetzt hätten. Der Vorwurf bringt vielmehr die Kritik der Beklagten an einer für sie inakzeptablen Darstellungsweise verbunden mit dem erkennbaren Hinweis zum Ausdruck, die Darstellung könnte (wenngleich nicht direkt als Aufruf zum Attentat gemeint), so doch im angesprochenen Sinn (indirekt) so verstanden werden, sei doch wie sie zum Ausdruck bringt "die öffentliche Situation - durch NEWS wesentlich mitverursacht - aufgewiegelt".

Die auf einem im Wesentlichen richtigen Tatsachenkern beruhende Verbreitung einer Kritik ist nicht rechtswidrig. Die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung und zulässiger Kritik erfordert nach Lehre und ständiger Rechtsprechung eine Interessenabwägung, bei der es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung ankommt (SZ 61/210; RZ 1999/11, RIS-Justiz RS0022917; zuletzt 6 Ob 149/01g; Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz 60). Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass dem verfassungsrechtlich gewährleisteten und jedermann eingeräumten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK; Art 13 StGG) in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zukommt. So lange wertende Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschreiten, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (MR 1989, 15; 6 Ob 2300/96w; RZ 1999/11; RIS-Justiz RS0054817; zuletzt 6 Ob 149/01g).Die auf einem im Wesentlichen richtigen Tatsachenkern beruhende Verbreitung einer Kritik ist nicht rechtswidrig. Die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung und zulässiger Kritik erfordert nach Lehre und ständiger Rechtsprechung eine Interessenabwägung, bei der es auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses, aber auch auf den Zweck der Meinungsäußerung ankommt (SZ 61/210; RZ 1999/11, RIS-Justiz RS0022917; zuletzt 6 Ob 149/01g; Korn/Neumayer, Persönlichkeitsschutz 60). Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass dem verfassungsrechtlich gewährleisteten und jedermann eingeräumten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Artikel 10, MRK; Artikel 13, StGG) in einer demokratischen Gesellschaft ein hoher Stellenwert zukommt. So lange wertende Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschreiten, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (MR 1989, 15; 6 Ob 2300/96w; RZ 1999/11; RIS-Justiz RS0054817; zuletzt 6 Ob 149/01g).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der sich der erkennende Senat bereits wiederholt angeschlossen hat, sind die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes - wie auch an Privatpersonen und privaten Vereinigungen, die die politische Bühne betreten (MR 2001, 89 - Jerusalem) - weiter gesteckt als dies bei Privatpersonen der Fall ist. Sie müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, im Speziellen, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (EuGRZ 1986, 424 - Lingens; ÖJZ 1991, 641 - Oberschlick; 6 Ob 149/01g).

Nach diesen Grundsätzen fällt die Interessenabwägung hier zugunsten des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus: Die im Pressedienst der Beklagten kritisierte Berichterstattung im Medium der Kläger betraf Äußerungen im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einer politischen Partei bzw einem Vertreter dieser Partei. Die Zeitschrift der Kläger hat durch die nicht gerade zimperliche Darstellungsweise des im Bericht massiv angegriffenen Politikers selbst die Kritik im Pressedienst jener Partei ausgelöst, deren Repräsentant massiv angegriffen wurde. Die Kläger, Medieninhaber, Herausgeber und Chefredakteure des die Kritik provozierenden Mediums müssen sich daher einen höheren Grad an Toleranz gegenüber der Kritik des angegriffenen politischen Gegners zurechnen lassen. Nach diesen Gesichtspunkten überschreitet die von der Beklagten verbreitete Kritik nicht den Rahmen des in einem politischen Meinungsstreit Zulässigen; schwerwiegende Gründe, die eine Einschränkung der Ausübung der Meinungsfreiheit in diesem Zusammenhang rechtfertigen könnten, sind im vorliegenden Fall nicht zu erkennen (ebenso 6 Ob 168/01a).

Der Sicherungsantrag erweist sich daher insgesamt als nicht berechtigt. Dem Revisionsrekurs der Beklagten wird Folge gegeben und der Sicherungsantrag abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Sicherungsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO iVm §§ 78 und 402 EO.Die Entscheidung über die Kosten des Sicherungsverfahrens beruht auf Paragraphen 41 und 50 ZPO in Verbindung mit Paragraphen 78 und 402 EO.

Anmerkung

E63294 06A01911

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2001:0060OB00191.01H.0927.000

Dokumentnummer

JJT_20010927_OGH0002_0060OB00191_01H0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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