TE OGH 2001/10/9 Bsw35673/97 (Bsw35674/97, Bsw36082/97, Bsw37579/97)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.10.2001
beobachten
merken

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Schweighofer u.a. gegen Österreich, Urteil vom 9.10.2001, Bsw. 35673/97, Bsw. 35674/97, Bsw. 36082/97 und Bsw. 37579/97.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Schweighofer u.a. gegen Österreich, Urteil vom 9.10.2001, Bsw. 35673/97, Bsw. 35674/97, Bsw. 36082/97 und Bsw. 37579/97.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 33 FinStrG, § 35 FinStrG, § 91 GOG - Recht auf angemessene Verfahrensdauer.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Paragraph 33, FinStrG, Paragraph 35, FinStrG, Paragraph 91, GOG - Recht auf angemessene Verfahrensdauer.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ATS 60.000,- für immateriellen Schaden und ATS 52.650,- für Kosten und Auslagen an den ErstBf. ATS 90.000,- für immateriellen Schaden und ATS 42.650,- für Kosten und Auslagen an den ZweitBf. ATS 1,- für immateriellen Schaden und ATS 52.650,- für Kosten und Auslagen an den DrittBf. ATS 85.000,- für immateriellen Schaden und ATS 52.650,- für Kosten und Auslagen an den ViertBf. (alle einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: ATS 60.000,- für immateriellen Schaden und ATS 52.650,- für Kosten und Auslagen an den ErstBf. ATS 90.000,- für immateriellen Schaden und ATS 42.650,- für Kosten und Auslagen an den ZweitBf. ATS 1,- für immateriellen Schaden und ATS 52.650,- für Kosten und Auslagen an den DrittBf. ATS 85.000,- für immateriellen Schaden und ATS 52.650,- für Kosten und Auslagen an den ViertBf. (alle einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Am 12.12.1985 wurde der ZweitBf. am Flughafen Wien unter dem Verdacht des Schmuggels von Goldmünzen festgenommen. Tatsächlich hatte er 3200 Goldmünzen und 2 Goldbarren unter seiner Kleidung versteckt. Im Zuge der Befragungen durch den Untersuchungsrichter bzw. das Zollamt kam ein System ans Licht, bei dem durch das Zusammenwirken mehrerer Personen Goldmünzen in die Schweiz exportiert, danach nach Österreich zurückgeschmuggelt, an Banken verkauft und erneut in die Schweiz exportiert wurden. Die durch die Aneinanderreihung von Export und Rückschmuggel bewirkte Rotation möglichst großer Dukatenkontingente bedingte wegen der Inanspruchnahme ausfuhrbedingter Vorsteuerrückvergütungen eine beträchtliche Abgabenverkürzung. Die Bf. wurden deshalb mehrerer strafbarer Handlungen nach dem FinStrG und dem DevisenG verdächtigt. Am 27.7.1986 wurde über den ViertBf. die Untersuchungshaft verhängt. Desgleichen wurde am 30.10.1986 über den DrittBf. – einen stellvertretenden Bankdirektor - die Untersuchungshaft verhängt, die jedoch am 2.11.1987 wieder aufgehoben wurde. Am 30.6.1988 wurde der ViertBf. vom LG für Strafsachen Wien ua. wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 (2) (a) FinStrG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 500 Millionen ATS verurteilt. Die Voruntersuchung gegen den ErstBf. begann am 21.12.1988, die Hauptverhandlung vor dem LG für Strafsachen Wien wurde am 1.6.1994 eröffnet. Am 16.10.1991 erhob der Staatsanwalt nach zehn Monaten Vorbereitung gegen 13 Personen, darunter die vier Bf., Anklage. Am 1.6.1994 begann die Hauptverhandlung vor dem LG für Strafsachen Wien. An insg. 29 Verhandlungstagen während der Monate Juni, September, Oktober, November und Dezember 1994 wurden dutzende Zeugen gehört. Mehrere Beweisanträge des ZweitBf. und des DrittBf. wurden abgewiesen.Am 12.12.1985 wurde der ZweitBf. am Flughafen Wien unter dem Verdacht des Schmuggels von Goldmünzen festgenommen. Tatsächlich hatte er 3200 Goldmünzen und 2 Goldbarren unter seiner Kleidung versteckt. Im Zuge der Befragungen durch den Untersuchungsrichter bzw. das Zollamt kam ein System ans Licht, bei dem durch das Zusammenwirken mehrerer Personen Goldmünzen in die Schweiz exportiert, danach nach Österreich zurückgeschmuggelt, an Banken verkauft und erneut in die Schweiz exportiert wurden. Die durch die Aneinanderreihung von Export und Rückschmuggel bewirkte Rotation möglichst großer Dukatenkontingente bedingte wegen der Inanspruchnahme ausfuhrbedingter Vorsteuerrückvergütungen eine beträchtliche Abgabenverkürzung. Die Bf. wurden deshalb mehrerer strafbarer Handlungen nach dem FinStrG und dem DevisenG verdächtigt. Am 27.7.1986 wurde über den ViertBf. die Untersuchungshaft verhängt. Desgleichen wurde am 30.10.1986 über den DrittBf. – einen stellvertretenden Bankdirektor - die Untersuchungshaft verhängt, die jedoch am 2.11.1987 wieder aufgehoben wurde. Am 30.6.1988 wurde der ViertBf. vom LG für Strafsachen Wien ua. wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach Paragraph 33, (2) (a) FinStrG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe von 500 Millionen ATS verurteilt. Die Voruntersuchung gegen den ErstBf. begann am 21.12.1988, die Hauptverhandlung vor dem LG für Strafsachen Wien wurde am 1.6.1994 eröffnet. Am 16.10.1991 erhob der Staatsanwalt nach zehn Monaten Vorbereitung gegen 13 Personen, darunter die vier Bf., Anklage. Am 1.6.1994 begann die Hauptverhandlung vor dem LG für Strafsachen Wien. An insg. 29 Verhandlungstagen während der Monate Juni, September, Oktober, November und Dezember 1994 wurden dutzende Zeugen gehört. Mehrere Beweisanträge des ZweitBf. und des DrittBf. wurden abgewiesen.

Am 22.12.1994 verurteilte das LG für Strafsachen Wien als Schöffengericht die vier Bf. und die Mitangeklagten wegen Abgabenhinterziehung nach § 33 (2) (a) FinStrG und Schmuggel nach § 35 (1) FinStrG. Darüber hinaus wurden der ErstBf. und der ViertBf. der Urkundenfälschung gemäß § 223 (2) StGB für schuldig befunden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die strafbaren Handlungen durch eine langfristig und aufwendig organisierte, durch vernetzte Beteiligung mehrerer Komplizen, wiederholte Ausfuhr von Edelmetallen (überwiegend österr. Golddukaten) verwirklicht wurden. Nach jedem tatsächlich durchgeführten und demgemäß zollbehördlich erfassten Export wurde die gesetzlich vorgesehene Rückvergütung der tatplangemäß durchwegs urkundlich bescheinigten Umsatzsteuerleistung an die ausgewiesenen vorsteuerabzugsberechtigten (in Wahrheit im inkriminierten Umfang steuerunredlichen) Zulieferer der Exportkontingente in Anspruch genommen. Die Bf. legten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein, denen der OGH in einem Urteil vom 14.11.1996 nicht Folge gab.Am 22.12.1994 verurteilte das LG für Strafsachen Wien als Schöffengericht die vier Bf. und die Mitangeklagten wegen Abgabenhinterziehung nach Paragraph 33, (2) (a) FinStrG und Schmuggel nach Paragraph 35, (1) FinStrG. Darüber hinaus wurden der ErstBf. und der ViertBf. der Urkundenfälschung gemäß Paragraph 223, (2) StGB für schuldig befunden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die strafbaren Handlungen durch eine langfristig und aufwendig organisierte, durch vernetzte Beteiligung mehrerer Komplizen, wiederholte Ausfuhr von Edelmetallen (überwiegend österr. Golddukaten) verwirklicht wurden. Nach jedem tatsächlich durchgeführten und demgemäß zollbehördlich erfassten Export wurde die gesetzlich vorgesehene Rückvergütung der tatplangemäß durchwegs urkundlich bescheinigten Umsatzsteuerleistung an die ausgewiesenen vorsteuerabzugsberechtigten (in Wahrheit im inkriminierten Umfang steuerunredlichen) Zulieferer der Exportkontingente in Anspruch genommen. Die Bf. legten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein, denen der OGH in einem Urteil vom 14.11.1996 nicht Folge gab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).Die Bf. behaupten eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).

Das Verfahren dauerte für den ErstBf. acht Jahre und ein Monat; elf Jahre und ein Monat für den ZweitBf; zehn Jahre und zweieinhalb Monate für den DrittBf. sowie zehn Jahre und sechs Monate für den ViertBf.

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer muss nach st. Rspr. des GH im Lichte der besonderen Umstände des Falles eingeschätzt werden; dabei ist va. die Komplexität des Falles, das Verhalten der Bf. und das Verhalten der zuständigen Behörden zu berücksichtigen. Das Strafverfahren vor dem LG für Strafsachen Wien war sehr komplex. Dieser Umstand kann aber für sich allein noch nicht die Dauer des Verfahrens rechtfertigen.

Im vorliegenden Fall hätten die Bf. seit dem 1.1.1990 einen Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG (Anm: Eingefügt durch Art. XII Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1989, BGBl. Nr. 343; in Kraft seit 1.1.1990) stellen können. Diese Möglichkeit muss insbesondere für die Zeit von 16.10.1991 (Datum der Anklageerhebung) bis 1.6.1994 (Beginn der Hauptverhandlung) in Betracht gezogen werden. Der GH folgt nicht der Behauptung der Bf., dass ein solcher Antrag von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.Im vorliegenden Fall hätten die Bf. seit dem 1.1.1990 einen Fristsetzungsantrag gemäß Paragraph 91, GOG Anmerkung, Eingefügt durch Art. römisch XII Erweiterte Wertgrenzen-Novelle 1989, Bundesgesetzblatt Nr. 343; in Kraft seit 1.1.1990) stellen können. Diese Möglichkeit muss insbesondere für die Zeit von 16.10.1991 (Datum der Anklageerhebung) bis 1.6.1994 (Beginn der Hauptverhandlung) in Betracht gezogen werden. Der GH folgt nicht der Behauptung der Bf., dass ein solcher Antrag von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Diese Bestimmung ist jedoch auf die durch die Staatsanwaltschaft verursachten Verzögerungen nicht anwendbar. Die Bf. können daher nicht für Verzögerungen vor der Anklageerhebung verantwortlich gemacht werden.

Was das Verhalten der Behörden in der Zeit vor dem 1.1.1990 betrifft, als den Bf. der Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG noch nicht zur Verfügung gestanden ist, stellt der GH fest, dass bis zu diesem Datum die Voruntersuchung beim ErstBf. bereits ein Jahr, beim ZweitBf. vier Jahre, beim DrittBf. drei Jahre und beim ViertBf. dreieinhalb Jahre andauerte. Verzögerungen in diesem Zeitrahmen können nicht den Bf. zugerechnet werden. Die Reg. konnte die Dauer der Voruntersuchungen nicht detailliert erklären. Zusammenfassend kann die Gesamtdauer der Verfahren nicht als angemessen iSv. Art. 6 (1) EMRK angesehen werden. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).Was das Verhalten der Behörden in der Zeit vor dem 1.1.1990 betrifft, als den Bf. der Fristsetzungsantrag gemäß Paragraph 91, GOG noch nicht zur Verfügung gestanden ist, stellt der GH fest, dass bis zu diesem Datum die Voruntersuchung beim ErstBf. bereits ein Jahr, beim ZweitBf. vier Jahre, beim DrittBf. drei Jahre und beim ViertBf. dreieinhalb Jahre andauerte. Verzögerungen in diesem Zeitrahmen können nicht den Bf. zugerechnet werden. Die Reg. konnte die Dauer der Voruntersuchungen nicht detailliert erklären. Zusammenfassend kann die Gesamtdauer der Verfahren nicht als angemessen iSv. Artikel 6, (1) EMRK angesehen werden. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).

Anm.: Vgl. die vom GH zitierte Judikatur:Anmerkung, Vgl. die vom GH zitierte Judikatur:

Holzinger/A (Nr.2) v. 30.1.2001 (= ÖJZ 2001, 479).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 9.10.2001, Bsw. 35673/97, Bsw. 35674/97, Bsw. 36082/97 und Bsw. 37579/97, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2001, 198) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/01_5/Schweighofer.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00359 Bsw35673.97-U

Dokumentnummer

JJT_20011009_AUSL000_000BSW35673_9700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten