TE Vfgh Beschluss 2002/9/24 B2767/97 ua

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Veröffentlicht am 24.09.2002
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1 Z7
ZPO §538 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Wiederaufnahmeantrags

Spruch

Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der nunmehrige Antragsteller brachte zu B2767/97 eine Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 31.10.1997 ein; mit diesem war er zu einer Geldstrafe wegen Übertretung des §1 Ausbildungsvorbehaltsgesetz, BGBl. Nr. 378/1996, gem. §2 dieses Gesetzes zur Zahlung einer Geldstrafe verpflichtet worden.

Der Beschwerdeführer hatte eine Lehrveranstaltung zur Ausbildung zum Heilpraktiker abgehalten, sowie Anmeldeformulare zu weiteren Kursen sowie Prospekte in näher genannten Studienräumen aufgelegt.

2. Ebenso brachte er Beschwerde gegen zwei weitere Bescheide des UVS Wien (zu B1185/98 und B2205/98 protokolliert), sowie gegen einen Bescheid des UVS Vorarlberg (zu B1814/98 protokolliert) ein, mit denen er wegen Übertretung derselben Gesetzesbestimmungen des Ausbildungsvorbehaltsgesetzes bestraft worden war.

3. Das damalige Beschwerdevorbringen warf der jeweils belangten Behörde Willkür vor: Das Auslegungsergebnis der belangten Behörde, daß das AusbildungsvorbehaltsG auch die Ausbildung zu Teiltätigkeiten medizinischer Berufe verbiete "schieße weit übers Ziel", sei willkürlich und verstoße gegen Art6, Art17 und Art18 StGG. Die Behörde habe es jeweils unterlassen, im einzelnen zu ermitteln und darzulegen, ob die inkriminierten Veranstaltungen tatsächlich unter ein Berufsbild im Sinne der Verbotsnorm fielen. Das AusbildungsvorbehaltsG sei gemeinschaftsrechtswidrig.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat die Beschwerden mit Erkenntnis vom 15. März 2000 abgewiesen, und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten:

4.1. Er hegte keine Bedenken dagegen, daß der Gesetzgeber, der die Ausübung der Heilkunde den Ärzten vorbehalten und den Beruf des Heilpraktikers nicht zugelassen hat, dementsprechende Beschränkungen auch hinsichtlich der Ausbildung zu diesem Beruf vorsieht, wie sie in den Bestimmungen des Ausbildungsvorbehaltsgesetzes enthalten sind.

Ist die Ausübung der Tätigkeiten eines Heilpraktikers aber den Ärzten vorbehalten, so ist es verfassungsrechtlich ebenso unbedenklich, wenn die Ausbildung zu solchen Tätigkeiten ausschließlich jenen Personen und Institutionen übertragen wird, die fachlich in der Lage und gesetzlich autorisiert sind, die für eine solche Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln.

4.2. Der Verfassungsgerichtshof vermochte aber auch die vom Beschwerdeführer im damaligen Verfahren aufgeworfenen gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen das AusbildungsvorbehaltsG unter dem Aspekt der "Inländerdiskriminierung" nicht zu teilen: Da es eine auf Art47 Abs2 EG gestützte Richtlinie zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend arztähnlicher Berufe nicht gebe, sei davon auszugehen, daß Österreich gemeinschaftsrechtlich zulässigerweise Tätigkeiten, wie sie in Deutschland zugelassene Heilpraktiker verrichteten, den Ärzten vorbehalte. Es verstoße weiters nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, die Ausbildung zu (Teil)Tätigkeiten des ärztlichen Berufes in jener Weise der ärztlichen Ausbildung vorzubehalten, wie dies das AusbildungsvorbehaltsG vorsehe.

4.3. Der Verfassungsgerichtshof erachtete die Auslegung der jeweils belangten Behörde somit als nicht denkunmöglich.

4.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die abgetretene Beschwerde noch nicht entschieden.

II. 1. Vor dem OGH war ein Rechtsstreit zwischen einer Heilpraktikerschule und einem Kursteilnehmer anhängig; letzterer hatte sich geweigert, die Kursgebühr zu zahlen, da der Ausbildungsvertrag nichtig sei. Der OGH legte mit Beschluß vom 31. Juli 2000 gem. Art234 EG dem EuGH zwei Fragen zur Auslegung der Art43 und 49 EG sowie der Richtlinie 92/51/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung zur Richtlinie 89/48/EWG vor.

2. Mit Urteil vom 11. Juli 2002 hat der EuGH auf die ihm gestellten Fragen für Recht erkannt:

"1. Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts hindert keine seiner Bestimmungen einen Mitgliedstaat, die Ausübung einer Tätigkeit wie der des Heilpraktikers im Sinne des deutschen Rechts den Inhabern eines Arztdiploms vorzubehalten.

2. Die Artikel 52 und 59 des Vertrages (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG und 49 EG) stehen dem nicht entgegen,

-

dass ein Mitgliedstaat, der in seinem Hoheitsgebiet die Ausübung der Tätigkeit des Heilpraktikers im Sinne des deutschen Rechts durch Personen verbietet, die nicht Inhaber eines Arztdiploms sind, auch die Organisation von Ausbildungen für diese Tätigkeit in seinem Hoheitsgebiet durch hiefür nicht zugelassene Einrichtungen verbietet, sofern dieses Verbot so angewandt wird, dass es nur solche Modalitäten der Organisation dieser Ausbildungen betrifft, die geeignet sind, in der Öffentlichkeit Unklarheit darüber entstehen zu lassen, ob der Beruf des Heilpraktikers im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem die Ausbildung stattfindet, rechtmäßig ausgeübt werden kann,

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dass ein Mitgliedstaat, der in seinem Hoheitsgebiet die Ausübung der Tätigkeit des Heilpraktikers durch Personen, die nicht Inhaber eines Arztdiploms sind, und die Ausbildungen für die Tätigkeit des Heilpraktikers verbietet, auch die Werbung für solche in seinem Hoheitsgebiet erteilte Ausbildungen verbietet, wenn sich diese Werbung auf Modalitäten der Ausbildung bezieht, die als solche in diesem Mitgliedsstaat im Einklang mit dem Vertrag verboten sind.

Artikel 59 des Vertrages verwehrt es jedoch einem Mitgliedsstaat, der in seinem Gebiet die Ausübung des Berufes des Heilpraktikers und die Ausbildungen für die Tätigkeit des Heilpraktikers verbietet, auch die Werbung für solche Ausbildungen, die in einem anderen Mitgliedstaat erteilt werden, zu verbieten, wenn in dieser Werbung angegeben ist, an welchem Ort die Ausbildung stattfinden soll, und darauf hingewiesen wird, dass der Beruf des Heilpraktikers im erstgenannten Mitgliedstaat nicht ausgeübt werden darf."

III. 1. Mit Schriftsatz vom 8. August 2002 begehrt der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme der mit Erkenntnis vom 15. März 2000 abgeschlossenen verfassungsgerichtlichen Verfahren: Ungeachtet der Tatsache, daß der Verwaltungsgerichtshof über die Eventualanträge noch nicht entschieden habe, seien die Verfahren beim Verfassungsgerichtshof abgeschlossen. Durch das EuGH-Urteil habe sich ergeben, daß das Ausbildungsvorbehaltsgesetz in der vorliegenden Form "jedenfalls nicht europarechtskonform" sei. Berücksichtige man den absoluten Anwendungsvorrang des Europarechts einerseits und das "Auslegungsmonopol" des EuGH andererseits, so stehe fest, daß das EuGH-Urteil die Kenntnis von neuen Tatsachen verschafft habe, die - wären sie bereits im Verfahren vorgelegen - "zwangsläufig" eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten. Gem. §530 Abs1 Z7 ZPO liege somit eine neue Tatsache vor.

2. Im Lichte der Ausführungen des EuGH stehe nunmehr fest, daß das Ausbildungsvorbehaltsgesetz in der geltenden Fassung jedenfalls unter dem Blickwinkel der erwähnten Art43 und 49 EG nicht europarechtskonform und damit in der vorliegenden Fassung verfassungswidrig sei, und zwar sowohl hinsichtlich des gänzlichen Ausbildungsverbotes als auch hinsichtlich des völligen Werbeverbotes.

3. Dabei verkenne er aber nicht, daß das Urteil des EuGH "bei strenger Auslegung" des §530 Abs1 Z7 ZPO kein für die Wiederaufnahme taugliches Beweismittel wäre, weil es nicht vor der Zeit des Erkenntnisses entstanden sei. Das Urteil vermittle jedoch zumindest Kenntnis von einer Tatsache, die schon vor der Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren vorgelegen sei. Es sei nämlich der Anwendungsvorrang des EG-Rechtes zu beachten.

III. 1. Gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO iVm. §35 Abs1 VfGG ist Voraussetzung für die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage das Hervorkommen von neuen Tatsachen oder Beweismitteln, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren für die Partei eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Diese müssen darüber hinaus gem. §530 Abs2 ZPO ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag auch die Bestimmung des §538 Abs1 ZPO über das Vorprüfungsverfahren anzuwenden, wonach eine (Wiederaufnahme-)Klage insbesondere dann zurückzuweisen ist, wenn sie nicht auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe gestützt ist (VfSlg. 11313/1987, 12993/1992).

2. Dies trifft auf den vorliegenden Wiederaufnahmeantrag zu:

2.1. Hinsichtlich des Wiederaufnahmegrundes des §530 Abs1 Z7 ZPO kommen für eine Wiederaufnahme nur neue Tatsachen und Beweismittel in Betracht. Eine Wiederaufnahme aus rein rechtlichen Gründen, wie es etwa ein Urteil mit einer - wie der Antragsteller vermeint - anderen Rechtsauffassung darstellt, ist ausgeschlossen (vgl. VfSlg. 12993/1992, 13196/1992; zur ähnlichen Rechtslage im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vgl. VwGH vom 19.2.1997, 96/21/1118).

Da im Wiederaufnahmeantrag somit keine tauglichen Tatsachen im Sinne des §530 Abs1 Z7 ZPO geltend gemacht werden, ist der Wiederaufnahmeantrag gemäß den §§34 VfGG, 538 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (zur Rechtsfolge der Zurückweisung eines Antrages - bzw. einer Klage - auf Wiederaufnahme im Falle unzureichenden Sachvorbringens vgl. VfSlg. 11247/1987; ebenso Fasching, Lehrbuch², Rz 2068 und OGH 4.12.1991, 9 Ob A236/91 = EvBl 1992/77).

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:B2767.1997

Dokumentnummer

JFT_09979076_97B02767_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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