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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §14 Abs1 idF 1998/I/158;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des ES in W, vertreten durch Dr. Christian Winternitz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10. Februar 2003, Zl. UVS- 07/A/2/224/2003/5, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen ein Straferkenntnis wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Bundeshauptstadt Wien vom 27. November 2002 wurde der Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a i.V.m. § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG in vier Fällen zu vier Geldstrafen von je EUR 2.800,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils zwei Wochen) bestraft und wurden ihm Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens auferlegt. Dieses Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 12. Dezember 2002 durch Hinterlegung beim Postamt 1100 Wien zugestellt.
Der Beschwerdeführer brachte dagegen eine mit 2. Jänner 2003 datierte und am 2. Jänner 2003 persönlich bei der Behörde erster Instanz eingebrachte Berufung ein, in welcher er u.a. wie folgt ausführt: "Meine mündliche Berufung gegen den Bescheid vom 27. November 2002 ... fasse ich wie folgt zusammen: ...".
Über telefonische Aufforderung durch die belangte Behörde erstattete die Behörde erster Instanz eine Stellungnahme zur Frage einer allfälligen, nicht aktenkundigen mündlichen Berufung. Mit Schreiben vom 15. Jänner 2003 führte die Behörde erster Instanz dazu aus, dem Sachbearbeiter sei erinnerlich, dass der Beschwerdeführer um die Jahreswende mit dem vom Sachbearbeiter verfassten Straferkenntnis das Magistratische Bezirksamt aufgesucht habe. Im Rahmen der Manuduktionspflicht habe der Sachbearbeiter den Beschwerdeführer dahingehend belehrt, dass ein Rechtsmittel innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung ergriffen werden könne. Da der Sachbearbeiter jedoch mangels genauerer Kenntnisse über den Tag der Zustellung keine Auskunft habe erteilen können, habe er auf die zweiwöchige Berufungsfrist verwiesen. Von der Möglichkeit der Einbringung einer Berufung mittels Niederschrift sei kein Gebrauch gemacht worden. Ob dafür Sprachschwierigkeiten verantwortlich gewesen seien oder die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen gewesen sei, könne vom Sachbearbeiter nicht mehr nachvollzogen werden.
Die belangte Behörde brachte dieses Schreiben der Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Jänner 2003 zur Kenntnis und hielt ihm vor, dass seine Berufung vom 2. Jänner 2003 verspätet erscheine. Es werde Gelegenheit gegeben, zur Frage der Verspätung der Berufung unter gleichzeitiger Vorlage bzw. Bekanntgabe sämtlicher Beweismittel für sein Vorbringen sowie zum Schreiben der Behörde erster Instanz schriftlich Stellung zu nehmen.
Der Beschwerdeführer erstattete daraufhin eine Stellungnahme vom 27. Jänner 2003, in der er ausführte, dass er am 18. Dezember 2002 mit seinen beiden Söhnen zum Magistratischen Bezirksamt, der Behörde erster Instanz gegangen sei. Der Sachbearbeiter habe dem Beschwerdeführer und seinen beiden Söhnen nicht zuhören wollen und sie weggeschickt. Danach seien sie zu einem Rechtsanwalt gegangen, um sich zu erkundigen. Dieser habe gesagt, er könne es klären, benötige dafür jedoch Zeit. Er habe sie zehn Tage aufgehalten und der Beschwerdeführer habe sodann seine Unterlagen vom Rechtsanwalt wieder zurückgenommen. Aus diesem Grund sei es zu einer Verspätung gekommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2003 wies die belangte Behörde daraufhin die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück und begründete dies nach Darstellung des Verfahrensganges im Wesentlichen damit, dass das Straferkenntnis der Behörde erster Instanz eine richtige und vollständige Rechtsmittelbelehrung enthalten habe und gemäß § 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes infolge Hinterlegung am 12. Dezember 2002 als zugestellt gelte. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass Umstände vorgelegen wären, die den Eintritt der Zustellwirkung am ersten Tag der Abholfrist ausschließen würden, weil der Beschwerdeführer weder einen Zustellmangel noch eine Abwesenheit von der Abgabestelle konkret behauptet bzw. dargetan habe.
Der dem Beschwerdeführer vorgehaltenen Stellungnahme der Behörde erster Instanz sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zwar "um die (vor der)" Jahreswende bei der Erstbehörde vorgesprochen, von der Möglichkeit der Einbringung einer mündlichen Berufung mittels Niederschrift aber keinen Gebrauch gemacht habe. Nach der Darstellung des Beschwerdeführers habe er am 18. Dezember 2002 bei der Erstbehörde beim Sachbearbeiter vorgesprochen, wobei dieser nicht habe zuhören wollen und ihn weggeschickt habe. Der Beschwerdeführer sei sodann zu einem Rechtsanwalt gegangen, der ihn zehn Tage lang aufgehalten habe, weswegen es zu einer Verspätung (offensichtlich bezüglich der am 2. Jänner 2003 eingebrachten schriftlichen Berufung) gekommen sei.
Zwar divergierten die Angaben des Zeitpunktes der Vorsprache des Beschwerdeführers bei der Behörde erster Instanz, beiden Stellungnahmen sei aber zumindest zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Vorsprache im Dezember 2002 nicht auf der Entgegennahme einer mündlichen Berufung beharrt habe. Laut Darstellung des Beschwerdeführers sei er wegen des Straferkenntnisses beim Sachbearbeiter der Behörde erster Instanz gewesen, der ihm aber nicht habe zuhören wollen und ihn weggeschickt habe. Abgesehen davon, dass daraus gar nicht hervorgehe, ob der Beschwerdeführer bei dieser Vorsprache (vor der Befassung eines Anwaltes) überhaupt Berufung habe erheben wollen, sei für den Beschwerdeführer offenbar eindeutig erkennbar gewesen, dass keine Niederschrift (§ 14 Abs. 1 AVG) aufgenommen worden sei. Der Beschwerdeführer habe in der Folge eine schriftliche Berufung (verspätet) eingebracht.
Wenn mit einer Partei, die einen mündlichen Antrag stellen wolle, für die Partei erkennbar nicht entsprechend § 14 Abs. 1 AVG eine Niederschrift aufgenommen werde, so müsse die Partei davon ausgehen, dass sie dann, wenn sie nicht auf der Entgegennahme des mündlichen Antrages bzw. Rechtsmittels beharre (sondern einen schriftlichen Antrag stelle bzw. eine schriftliche Berufung erhebe), einen mündlichen Antrag nicht gestellt habe (Hinweis auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1995, Zl. 94/03/0056, und vom 3. August 1993, Zl. 93/11/0054).
Der Beschwerdeführer habe mit dem am 2. Jänner 2003 persönlich eingebrachten Schreiben vom 2. Jänner 2003 Berufung erhoben und die Aufhebung des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz beantragt. Er sei - wie auch seine Stellungnahme zeige - selbst nicht davon ausgegangen, dass bereits anlässlich seiner Vorsprache nach seinen Angaben am 18. Dezember 2002 eine Berufung niederschriftlich festgehalten worden wäre. Damit habe der Beschwerdeführer aber davon ausgehen müssen, dass er eine mögliche Berufung nicht erhoben habe bzw. eine solche entgegen genommen worden sei. Andernfalls hätte es auch einer neuerlichen (schriftlichen) Berufung gar nicht bedurft.
Voraussetzung für die Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet sei allein die Versäumung der Rechtsmittelfrist und nicht auch ein Verschulden der Partei an der Verspätung. Im Falle der verspäteten Einbringung eines Rechtsmittels sei es der Behörde verwehrt, auf das Vorbringen einzugehen und eine Sachentscheidung zu treffen.
Die zweiwöchige Rechtsmittelfrist habe am 12. Dezember 2002 begonnen und am 27. Dezember 2002 geendet. Die am 2. Jänner 2003 eingebrachte Berufung sei somit als verspätet zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid zunächst deswegen für rechtswidrig, weil sich die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung ausschließlich auf die Stellungnahme des zuständigen Sachbearbeiters der Behörde erster Instanz gestützt habe, ohne den Beschwerdeführer selbst gehört zu haben. Diese Rüge ist nicht begründet, weil dem Beschwerdeführer mit Vorhalt vom 15. Jänner 2003 ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist.
Im vorliegenden Fall ist angesichts der kraft § 24 VStG in § 63 Abs. 5 AVG mit zwei Wochen bemessenen Berufungsfrist für die Lösung des gegenständlichen Rechtsfalles von entscheidender Bedeutung, ob die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer anlässlich seiner Vorsprache bei der Behörde erster Instanz tatsächlich keine - wenn auch nur durch eine mündliche Erklärung erfolgte - Berufung erhoben hat.
Der Beschwerdeführer meint, er habe die Behörde erster Instanz in der Absicht und mit dem Willen aufgesucht, eine Berufung einzubringen, und sei auch der festen Überzeugung gewesen, dass mit seiner Vorsprache beim zuständigen Sachbearbeiter die Berufung eingebracht gewesen sei. Auch habe der Sachbearbeiter keine Andeutungen gemacht, dass er die Berufung nicht entgegen genommen hätte.
§ 51 Abs. 3 VStG i.d.F. BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"§ 51. (1) ...
...
(3) Die Berufung kann auch mündlich eingebracht werden und bedarf in diesem Fall keines begründeten Berufungsantrages. Die Behörde hat jedoch die Gründe des Beschuldigten für die Erhebung der Berufung in einer Niederschrift festzuhalten."
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 15. März 1961, Zl. 2075/60, VwSlg 5522/A, zur damaligen Fassung des § 51 Abs. 3 VStG die Auffassung vertreten, aus der Tatsache, dass über eine mündlich erklärte Berufung keine Niederschrift aufgenommen worden sei, folge nur, dass die Behörde ihrer in § 14 AVG festgelegten Aufgabe nicht nachgekommen sei, nicht aber, dass die Berufung nicht wirksam erhoben sei. In seinem Erkenntnis vom 3. Dezember 1981, B 544/79, Slg.Nr. 9289, erblickte der Verfassungsgerichtshof in der Zurückweisung einer mündlich erklärten, aber nicht in einer Niederschrift festgehaltenen Berufung eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0195, dargetan, dass mündliche Anbringen - wo das Gesetz sie vorsieht - auch bei ausdrücklicher Weigerung der Behörde gelten, das Vorgebrachte zu protokollieren.
Versäumt die Behörde die vorgeschriebene Beurkundung einer mündlichen Berufung gemäß § 51 Abs. 3 VStG, so kann dies keinesfalls die Rechtsunwirksamkeit der Berufung zur Folge haben. Das Gesetz sieht im Fall einer mündlichen Berufung eine Verpflichtung des Beschuldigten zur Bekanntgabe der Gründe seiner Berufung im Übrigen - wie eindeutig aus dem ersten Satz der zitierten Rechtsvorschrift hervorgeht - nicht vor, weshalb auch die Verweigerung der Bekanntgabe von Gründen die Wirksamkeit der Berufung nicht hindert (vgl. in diesem Sinne auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, II. Band, 2. Auflage 2000, 948 f, und Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage 2004, 1624 f).
Im Gegensatz dazu hat die belangte Behörde keine ausdrücklichen Feststellungen dahingehend getroffen, ob der Beschwerdeführer bei seiner Vorsprache bei der Behörde erster Instanz eine mündliche Berufung erklärt habe oder ob dies nicht der Fall war. Die Aktenlage zeigt insoferne kein klares Bild. Der Beschwerdeführer hat sich nämlich in seinem an die Erstbehörde gerichteten Schreiben ausdrücklich auf eine "mündliche Berufung" bezogen und ist von diesem Vorbringen auch in seinem Schreiben vom 27. Jänner 2003, mit der Ausführung, der Sachbearbeiter "wollte uns nicht zuhören", nicht abgerückt. Auch die Erstbehörde hat in ihrer Äußerung vom 15. Jänner 2003 bloß mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer von der "Möglichkeit der Einbringung einer
Berufung mittels Niederschrift ... keinen Gebrauch gemacht" habe,
sie hat dabei aber die Frage unbeantwortet gelassen, ob der Beschwerdeführer bei seiner Vorsprache eine mündliche Berufungserklärung abgegeben hat.
Die belangte Behörde erachtete diese Frage aber offensichtlich als nicht entscheidend und legte ihr Hauptaugenmerk vielmehr darauf, ob über eine vom Beschwerdeführer allenfalls mündlich erklärte Berufung eine Niederschrift angefertigt wurde. Sie zog aus der Tatsache, dass er auf der "Entgegennahme" einer mündlichen Berufung und der Aufnahme einer diesbezüglichen Niederschrift nicht beharrt habe, den rechtlichen Schluss, er müsse davon ausgehen, dass er eine mündliche Berufung nicht eingebracht habe: Er habe also eine mündliche Berufung nicht eingebracht. Mit dieser Auffassung hat die belangte Behörde die dargestellte Rechtslage verkannt. Sie konnte sich dabei auf das hg. Erkenntnis vom 22. März 1995, Zl. 94/03/0056, und auf das darin zitierte Vorerkenntnis vom 3. August 1993, Zl. 93/11/0054, deshalb nicht berufen, weil in diesen Erkenntnissen von der bloßen Absicht eines mündlichen Anbringens und nicht davon, dass ein solches erklärt worden sei, ausgegangen wurde (vgl. in Bezug auf das Erkenntnis vom 22. März 1995 die Erwähnung in dem bereits zitierten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 6. Mai 2004, Punkt 3.1. der Entscheidungsgründe, und den im Übrigen ähnlichen Sachverhalt des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes). Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die belangte Behörde zu klären gehabt, welche dieser Sachverhaltskonstellationen - nicht protokolliertes Anbringen oder bloß eine nicht weiter verfolgte Absicht eines solchen Anbringens -
im vorliegenden Fall gegeben war. Dabei wäre auf die geringen Anforderungen des Gesetzes an eine mündliche Berufung - kein Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages - Bedacht zu nehmen und darauf abzustellen gewesen, ob sich die Äußerungen der Partei im vorliegenden Fall so deuten ließen, dass eine die Berufungsfrist wahrende Prozesshandlung damit noch nicht gesetzt werden sollte.
Begründete Zweifel an der Richtigkeit der Angabe des Beschwerdeführers über den Zeitpunkt seiner Vorsprache bei der Erstbehörde hat die belangte Behörde nicht geäußert.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht auf dem in § 1 Z. 1 lit. a der angeführten Verordnung festgesetzten Pauschbetrag sowie darauf, dass die Umsatzsteuer darin bereits enthalten ist.
Wien, am 22. Februar 2007
Schlagworte
VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2003090037.X00Im RIS seit
05.04.2007Zuletzt aktualisiert am
31.03.2011