TE OGH 2001/12/20 Bsw32381/96

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Veröffentlicht am 20.12.2001
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Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Baischer gegen Österreich, Urteil vom 20.12.2001, Bsw. 32381/96.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Baischer gegen Österreich, Urteil vom 20.12.2001, Bsw. 32381/96.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 51e VStG - Recht auf eine mündliche Verhandlung vor dem UVS.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Paragraph 51 e, VStG - Recht auf eine mündliche Verhandlung vor dem UVS.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: ATS 32.688,50 für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: ATS 32.688,50 für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Die BH Braunau/Inn hat mit Straferkenntnis vom 9.11.1994 über den Bf. wegen Übertretungen des § 103 (2) KFG Geldstrafen von je ATS 4.000,-Die BH Braunau/Inn hat mit Straferkenntnis vom 9.11.1994 über den Bf. wegen Übertretungen des Paragraph 103, (2) KFG Geldstrafen von je ATS 4.000,-

(insgesamt ATS 8.000,--), im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von je sechs Tagen (insgesamt 12 Tage) verhängt. Der Bf. war als Zulassungsbesitzer eines KfZ in zwei Fällen aufgefordert worden, der Behörde jene Person namhaft zu machen, die sein KfZ zu zwei verschiedenen Zeitpunkten gelenkt hatte. Da der Bf. diesbezüglich eine unrichtige Auskunft erteilte, wurden die og. Strafen ausgesprochen.

Dagegen brachte der Bf. am 29.11.1994 eine Berufung an den UVS Oberösterreich ein, der diese jedoch am 2.1.1995 hinsichtlich der Schuldsprüche als unbegründet abwies und die Straferkenntnisse diesbezüglich bestätigte. Hinsichtlich der Strafen wurde der Berufung insofern Folge gegeben, als die verhängten Geldstrafen bzw. Ersatzfreiheitsstrafen herabgesetzt wurden.

Dagegen erhob der Bf. eine Bsw. an den VfGH, da der UVS gemäß Art. 6Dagegen erhob der Bf. eine Bsw. an den VfGH, da der UVS gemäß Artikel 6,

(1) EMRK zu einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre. Der VfGH lehnte am 13.7.1995 die Behandlung der Bsw. wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg ab, die Bsw. wurde an den VwGH abgetreten. Dieser lehnte die Behandlung der Bsw. gemäß § 33a VwGG ab.(1) EMRK zu einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre. Der VfGH lehnte am 13.7.1995 die Behandlung der Bsw. wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg ab, die Bsw. wurde an den VwGH abgetreten. Dieser lehnte die Behandlung der Bsw. gemäß Paragraph 33 a, VwGG ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf eine mündliche Verhandlung in Strafsachen).Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (hier: Recht auf eine mündliche Verhandlung in Strafsachen).

Nach st. Rspr. findet Art. 6 (1) EMRK auf das österr. Verwaltungsstraf- bzw. Verwaltungsstrafverfahrensrecht Anwendung. Ein ‚tribunal' ist in materieller Hinsicht charakterisiert durch seine Aufgabe als Rechtsprechungsorgan, das auf der Grundlage von Rechtsnormen und als Ergebnis eines ordnungsgemäßen Verfahrens alle seiner Zuständigkeit unterliegenden Fragen zu entscheiden hat. Es muss auch eine Reihe anderer Bedingungen erfüllen – Unabhängigkeit, insb. von der Exekutive, Unparteilichkeit, Dauer des Mandats seiner Mitglieder und Verfahrensgarantien, von denen mehrere im Text des Art. 6 (1) EMRK genannt werden. Wenn eine verhängte Strafe ihrer Natur nach strafrechtlich ist, muss die Möglichkeit einer Überprüfung durch ein Gericht, das den Anforderungen von Art. 6 (1) EMRK entspricht, gegeben sein.Nach st. Rspr. findet Artikel 6, (1) EMRK auf das österr. Verwaltungsstraf- bzw. Verwaltungsstrafverfahrensrecht Anwendung. Ein ‚tribunal' ist in materieller Hinsicht charakterisiert durch seine Aufgabe als Rechtsprechungsorgan, das auf der Grundlage von Rechtsnormen und als Ergebnis eines ordnungsgemäßen Verfahrens alle seiner Zuständigkeit unterliegenden Fragen zu entscheiden hat. Es muss auch eine Reihe anderer Bedingungen erfüllen – Unabhängigkeit, insb. von der Exekutive, Unparteilichkeit, Dauer des Mandats seiner Mitglieder und Verfahrensgarantien, von denen mehrere im Text des Artikel 6, (1) EMRK genannt werden. Wenn eine verhängte Strafe ihrer Natur nach strafrechtlich ist, muss die Möglichkeit einer Überprüfung durch ein Gericht, das den Anforderungen von Artikel 6, (1) EMRK entspricht, gegeben sein.

Über den Bf. wurde in erster Instanz von der Bezirksverwaltungsbehörde eine Geldstrafe verhängt, einer Behörde, die nicht den Anforderungen von Art. 6 (1) EMRK entspricht. Es muss nun geprüft werden, ob diese Strafe einer nachprüfenden Kontrolle durch einer dem Art. 6 (1) EMRK hinsichtlich des Tribunalcharakters genügenden Behörde oder Gericht unterlag, und wenn, ob dieses Organ eine öffentliche Verhandlung abhielt.Über den Bf. wurde in erster Instanz von der Bezirksverwaltungsbehörde eine Geldstrafe verhängt, einer Behörde, die nicht den Anforderungen von Artikel 6, (1) EMRK entspricht. Es muss nun geprüft werden, ob diese Strafe einer nachprüfenden Kontrolle durch einer dem Artikel 6, (1) EMRK hinsichtlich des Tribunalcharakters genügenden Behörde oder Gericht unterlag, und wenn, ob dieses Organ eine öffentliche Verhandlung abhielt.

Die Berufung des Bf. wurde vom UVS Oberösterreich behandelt, der als ein ‚tribunal' iSv. Art. 6 (1) EMRK anzusehen ist. Dieser hat gemäß § 51e VStG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Von dieser kann nur abgesehen werden, wenn die betroffenen Parteien ausdrücklich darauf verzichten bzw. die Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet oder sich nur gegen die Höhe der Strafe richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Im vorliegenden Fall hat der Bf. weder ausdrücklich auf dieses Recht verzichtet noch hat es den Anschein, dass seine Berufung auf eine unrichtige rechtliche Beurteilung bzw. die Höhe der Strafe beschränkt gewesen wäre. Gemäß § 51e VStG hätte der UVS daher von Amts wegen eine Verhandlung abhalten müssen. Dies wurde vom Bf. auch in seiner erfolglosen Bsw. vor dem VfGH bzw. VwGH vorgebrachtDie Berufung des Bf. wurde vom UVS Oberösterreich behandelt, der als ein ‚tribunal' iSv. Artikel 6, (1) EMRK anzusehen ist. Dieser hat gemäß Paragraph 51 e, VStG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Von dieser kann nur abgesehen werden, wenn die betroffenen Parteien ausdrücklich darauf verzichten bzw. die Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet oder sich nur gegen die Höhe der Strafe richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Im vorliegenden Fall hat der Bf. weder ausdrücklich auf dieses Recht verzichtet noch hat es den Anschein, dass seine Berufung auf eine unrichtige rechtliche Beurteilung bzw. die Höhe der Strafe beschränkt gewesen wäre. Gemäß Paragraph 51 e, VStG hätte der UVS daher von Amts wegen eine Verhandlung abhalten müssen. Dies wurde vom Bf. auch in seiner erfolglosen Bsw. vor dem VfGH bzw. VwGH vorgebracht

Die Reg. bringt vor, dass der Bf. eine Verhandlung vor dem VwGH beantra­gen hätte müssen, da dessen Überprüfungsbefugnis den Erfordernissen von Art. 6 (1) EMRK genüge. Da der Bf. dies unterließ, hätte er implizit auf das Recht auf eine Verhandlung verzichtet.Die Reg. bringt vor, dass der Bf. eine Verhandlung vor dem VwGH beantra­gen hätte müssen, da dessen Überprüfungsbefugnis den Erfordernissen von Artikel 6, (1) EMRK genüge. Da der Bf. dies unterließ, hätte er implizit auf das Recht auf eine Verhandlung verzichtet.

Im Urteil Gradinger/A hielt der GH fest:

„Die Befugnisse des VwGH müssen im Lichte der Tatsache beurteilt werden, dass das Gericht in diesem Fall in einem Verfahren tätig war, das im Sinn der EMRK strafrechtlicher Natur war. Daraus folgt, dass, wenn die Vereinbarkeit dieser Befugnisse mit Art. 6 (1) EMRK zu beurteilen ist, auf das Beschwerdevorbringen Bedacht zu nehmen ist, das vor diesem Gericht vom Bf. erhoben wurde, wie auch auf die Definitionsmerkmale eines „gerichtlichen Organs, welchem umfassende Zuständigkeit zukommt". Diese umfassen die Befugnis, die Entscheidung einer unteren Instanz in jeder Hinsicht, sowohl bezüglich Tat- als auch Rechtsfragen, aufzuheben. Da dem VwGH diese Befugnis fehlt, kann er nicht als ‚tribunal' iSd. EMRK angesehen werden."„Die Befugnisse des VwGH müssen im Lichte der Tatsache beurteilt werden, dass das Gericht in diesem Fall in einem Verfahren tätig war, das im Sinn der EMRK strafrechtlicher Natur war. Daraus folgt, dass, wenn die Vereinbarkeit dieser Befugnisse mit Artikel 6, (1) EMRK zu beurteilen ist, auf das Beschwerdevorbringen Bedacht zu nehmen ist, das vor diesem Gericht vom Bf. erhoben wurde, wie auch auf die Definitionsmerkmale eines „gerichtlichen Organs, welchem umfassende Zuständigkeit zukommt". Diese umfassen die Befugnis, die Entscheidung einer unteren Instanz in jeder Hinsicht, sowohl bezüglich Tat- als auch Rechtsfragen, aufzuheben. Da dem VwGH diese Befugnis fehlt, kann er nicht als ‚tribunal' iSd. EMRK angesehen werden."

Der GH sieht keine Gründe, warum er im vorliegenden Fall zu einer anderen Beurteilung kommen sollte. Eine mündliche Verhandlung vor dem VwGH hätte daher keinen sinnvollen Zweck gehabt, da dieser nicht die Kriterien des Art. 6 (1) EMRK erfüllt.Der GH sieht keine Gründe, warum er im vorliegenden Fall zu einer anderen Beurteilung kommen sollte. Eine mündliche Verhandlung vor dem VwGH hätte daher keinen sinnvollen Zweck gehabt, da dieser nicht die Kriterien des Artikel 6, (1) EMRK erfüllt.

Zusammenfassend wird festgestellt, dass im gegenständlichen Verfahren der Bf. zu einer Verhandlung vor einem ‚tribunal' iSv. Art. 6 (1) EMRK berechtigt war, jedoch hielt das einzige Organ, das die Kriterien dieser Bestimmung erfüllt hätte – der UVS Oberösterreich – keine Verhandlung ab. Dafür konnte keine überzeugende Erklärung vorgebracht werden. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).Zusammenfassend wird festgestellt, dass im gegenständlichen Verfahren der Bf. zu einer Verhandlung vor einem ‚tribunal' iSv. Artikel 6, (1) EMRK berechtigt war, jedoch hielt das einzige Organ, das die Kriterien dieser Bestimmung erfüllt hätte – der UVS Oberösterreich – keine Verhandlung ab. Dafür konnte keine überzeugende Erklärung vorgebracht werden. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Belilos/CH v. 29.4.1988, A/132 (= EuGRZ 1989, 21).

Gradinger/A v. 23.10.1995, A/328-C (= NL 1995, 195 = ÖJZ 1995, 954).

Malige/F v. 23.9.1998 (= ÖJZ 1999, 654).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 20.12.2001, Bsw. 32381/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2002, 9) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/02_1/Baischer.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00370 Bsw32381.96-U

Dokumentnummer

JJT_20011220_AUSL000_000BSW32381_9600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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