TE OGH 2002/1/17 Bsw33382/96

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Veröffentlicht am 17.01.2002
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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Josef Fischer gegen Österreich, Urteil vom 17.1.2002, Bsw. 33382/96.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Josef Fischer gegen Österreich, Urteil vom 17.1.2002, Bsw. 33382/96.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK - Fehlende Verständigung des Bf. über die Stellungnahme des Generalprokurators zu seiner Nichtigkeitsbeschwerde an den OGH.Artikel 6, Absatz eins, EMRK - Fehlende Verständigung des Bf. über die Stellungnahme des Generalprokurators zu seiner Nichtigkeitsbeschwerde an den OGH.

Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).Verletzung von Artikel 6, Absatz eins, EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK: Was den Zuspruch von immateriellem Schaden betrifft, stellt das Urteil selbst eine ausreichend gerechte Entschädigung dar. EUR 2.906,98 (= ATS 40.000,-) für Kosten und Auslagen (einstimmig).Entschädigung nach Artikel 41, EMRK: Was den Zuspruch von immateriellem Schaden betrifft, stellt das Urteil selbst eine ausreichend gerechte Entschädigung dar. EUR 2.906,98 (= ATS 40.000,-) für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf. war am 12.5.1995 vom LG für Strafsachen Wien ua. wegen Hehlerei nach § 164 StGB zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er wandte sich darauf mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an den OGH. Der Generalprokurator gab dazu eine Stellungnahme ab, wonach die Nichtigkeitsbeschwerde des Bf. nach § 285d StPO behandelt werden könne. Der OGH wies die Nichtigkeitsbeschwerde am 21.11.1995 zurück und trug dem OLG Wien die Entscheidung über die Berufung auf. Letzteres wies die Berufung am 23.1.1996 ab.Der Bf. war am 12.5.1995 vom LG für Strafsachen Wien ua. wegen Hehlerei nach Paragraph 164, StGB zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er wandte sich darauf mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an den OGH. Der Generalprokurator gab dazu eine Stellungnahme ab, wonach die Nichtigkeitsbeschwerde des Bf. nach Paragraph 285 d, StPO behandelt werden könne. Der OGH wies die Nichtigkeitsbeschwerde am 21.11.1995 zurück und trug dem OLG Wien die Entscheidung über die Berufung auf. Letzteres wies die Berufung am 23.1.1996 ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf ein faires Verfahren), weil der OGH über seine Nichtigkeitsbeschwerde entschieden habe, ohne ihn über die Stellungnahme des Generalprokurators zu informieren bzw. ihm Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben.Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (hier: Recht auf ein faires Verfahren), weil der OGH über seine Nichtigkeitsbeschwerde entschieden habe, ohne ihn über die Stellungnahme des Generalprokurators zu informieren bzw. ihm Gelegenheit zu einer Erwiderung zu geben.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:

Die Reg. legt dar, dass der Generalprokurator eine Partei sui generis sei und insb. keine staatsanwaltlichen Funktionen erfülle. Er handle daher genau genommen nicht als Verfahrensgegner. Jedenfalls sei die kurze Stellungnahme des Generalprokurators nicht als Anmerkung zur Nichtigkeitsbeschwerde oder Argumentationshilfe für den OGH zu verstehen. Es liege daher keine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit vor.

Der GH erinnert daran, dass das Prinzip der Waffengleichheit als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren jeder Verfahrenspartei angemessene Gelegenheit einräumt, ihre Sichtweise unter solchen Bedingungen darzustellen, dass ihr daraus kein Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner erwächst. Was den Inhalt der Stellungnahme des Generalprokurators anlangt, ist hervorzuheben, dass der Grundsatz der Waffengleichheit nicht vom Ausmaß einer Unfairness, die sich aus einem Ungleichgewicht in der Verfahrensstellung der Parteien ergeben kann, abhängig ist. Die Beurteilung, ob eine Stellungnahme eine Reaktion erfordert oder nicht, ist Sache der Verteidigung. Es ist daher unfair, wenn die Anklagebehörde dem Gericht Mitteilungen ohne Wissen der Verteidigung unterbreitet. Im vorliegenden Fall gab der Generalprokurator eine kurze Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde des Bf. ab, die diesem nicht übermittelt wurde. Im Fall Bulut/A hat der GH eine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit festgestellt, weil der Generalprokurator dem OGH eine - vom Wortlaut ähnliche - Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde des damaligen Bf. unterbreitet hatte, ohne sie diesem zur Kenntnis zu bringen. Der GH sieht keine Veranlassung, von seiner Rspr. abzuweichen. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).Der GH erinnert daran, dass das Prinzip der Waffengleichheit als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren jeder Verfahrenspartei angemessene Gelegenheit einräumt, ihre Sichtweise unter solchen Bedingungen darzustellen, dass ihr daraus kein Nachteil gegenüber dem Verfahrensgegner erwächst. Was den Inhalt der Stellungnahme des Generalprokurators anlangt, ist hervorzuheben, dass der Grundsatz der Waffengleichheit nicht vom Ausmaß einer Unfairness, die sich aus einem Ungleichgewicht in der Verfahrensstellung der Parteien ergeben kann, abhängig ist. Die Beurteilung, ob eine Stellungnahme eine Reaktion erfordert oder nicht, ist Sache der Verteidigung. Es ist daher unfair, wenn die Anklagebehörde dem Gericht Mitteilungen ohne Wissen der Verteidigung unterbreitet. Im vorliegenden Fall gab der Generalprokurator eine kurze Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde des Bf. ab, die diesem nicht übermittelt wurde. Im Fall Bulut/A hat der GH eine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit festgestellt, weil der Generalprokurator dem OGH eine - vom Wortlaut ähnliche - Stellungnahme zur Nichtigkeitsbeschwerde des damaligen Bf. unterbreitet hatte, ohne sie diesem zur Kenntnis zu bringen. Der GH sieht keine Veranlassung, von seiner Rspr. abzuweichen. Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (einstimmig).

Entschädigung nach Art. 41 EMRK:Entschädigung nach Artikel 41, EMRK:

Was den Zuspruch von immateriellem Schaden betrifft, stellt das Urteil selbst eine ausreichend gerechte Entschädigung dar. EUR 2.906,98 (= ATS 40.000,--) für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Dombo Beheer B.V./NL v. 27.10.1993, A/274 (= NL 1993/6, 22 = ÖJZ 1994, 464).

Bulut/A v. 22.2.1996 (= NL 1996, 44 = ÖJZ 1996, 430).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 17.1.2002, Bsw. 33382/96, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2002, 16) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/02_1/Fischer.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00373 Bsw33382.96-U

Dokumentnummer

JJT_20020117_AUSL000_000BSW33382_9600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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