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L55007 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Tirol;Norm
NatSchG Tir 1997 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Köhler, Dr. Schick und Mag. Nussbaumer-Hinterauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde der Elektrizitiätswerk S reg. Gen.m.b.H. in S, vertreten durch Dr. Andreas Brugger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 16, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 6. Dezember 2004, Zl. U-13.738/26, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführenden Partei hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 6. Dezember 2004 wurde der beschwerdeführenden Partei die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung der Wasserkraftanlage "Gurgler Ache" gemäß den § 6 lit. a und d, § 7 Abs. 1 lit. a, b und c sowie Abs. 2 lit. a Z. 1 und 2, § 9 lit. c und § 27 Abs. 3 und Abs. 6 des Tiroler Naturschutzgesetzes 1997 (Tir NatSchG), iVm Art. 7 des Protokolls "Energie", BGBl. III Nr. 237/2002, und § 2 Abs. 2 Z. 27 und 28 der Naturschutzverordnung 1997 versagt. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, die Gurgler Ache bilde nach dem Zusammenfluss mit der orographisch links kommenden Wenter Ache in Zwieselstein die Ötztaler Ache. Das Einzugsgebiet der Gurgler Ache bis zur Wasserfassung der geplanten Wasserkraftanlage sei ca. 100 km2 groß. Es liege im Gebiet der Ötztaler Alpen, fast ausschließlich oberhalb der Baumgrenze und werde durch diverse Berggipfel begrenzt. Ausgehend von der Wasserfassung auf 1.767 m Höhe (einem "Tiroler Wehr") solle ein Speicherstollen über einem Querschnitt von ca. 11,4 m2 und einer Länge von 430 m bis zum geplanten Wasserschloss errichtet werden. Von hier weg sei eine Druckrohrleitung zunächst östlich der Gurgler Ache, nach Querung neben einer Fußgängerbrücke westlich in einem Wanderweg, der auf eine Breite von 3,5 m erweitert werde, und schließlich am östlichen Rand der Landesstraße geplant. In der bestehenden Schneise einer Überlandstromleitung erfolge der Steilabstieg zum Krafthaus auf 1.475 m.ü.A. Das Kraftwerk solle orographisch links der Gurgler Ache situiert und in die Uferböschung bzw. in den unmittelbar anschließenden Hang hineingebaut werden. Die Wasserrückgabe erfolge direkt aus dem Krafthaus in die Gurgler Ache vor dem Siedlungsgebiet Zwieselstein. Zum Krafthaus führe ein öffentlicher Weg, der ausgebaut werden solle.
Bei Verwirklichung des Vorhabens seien starke und irreversible Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und des Erholungswertes zu erwarten. Auch in Ansehung der bestehenden Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen sowie des Naturhaushaltes seien starke und dauerhafte Beeinträchtigungen zu erwarten, insbesondere für die Grünerlengebüsche, die Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren darstellten. Weiters würden Spießweide, Salweide, Sumpfvergissmeinnicht, Schmalblättriges Weidenröslein, Birke und Rasenschmiele beeinträchtigt bzw. zerstört. Die laufende Funktionsfähigkeit des Gewässers werde allerdings nicht beeinträchtigt.
Diese Feststellungen stützten sich auf das Gutachten des naturschutzfachlichen Amtssachverständigen. Dieser habe ausgeführt, dass das im Bereich der Wasserfassung vorhandene Grünerlengebüsch zwar lediglich zur ökologischen Aufwertung des hier bereits verbauten Baches beitrage. Allerdings sei der bestehende kurze Ufersaum der einzige noch vorhandene Rest einer ehemals größeren Saumgesellschaft, sodass dessen Verlust besondere Bedeutung besitze. Es sei auch nicht vorgesehen, ähnliche Einheiten (Übergangslebensräume zwischen Gewässer und Umland) wieder zu schaffen. Die Errichtung des Ausleitungsstollens werde das Grünerlengebüsch ebenfalls stark beeinträchtigen, weil diese prägende und auch seltene Vegetationseinheit hier auf einer Breite von 3,5 m und mit Böschungshöhen bis zu 7,5 m zerstört werde. Die Grünerlengebüsche erstreckten sich vom Uferhang der Gurgler Ache bis hinauf zur Ötztaler Straße. Sie würden in ihrer Einheit auf einer Länge von 290 m durch die zur Stützung des Weges nötigen Böschungen und auf einer weiteren Länge von 200 m durch den Weg unwiederbringlich zerstört. Neben der Grünerle kämen auch die - oben erwähnten - anderen Arten vor, wobei Erlen und Weiden nach der Tiroler Naturschutzverordnung teilweise geschützte Pflanzenarten seien. Ihr derzeitiger Bestand werde unwiederbringlich zerstört, weil sie im Wegbereich und auf den durch Steinschlichtung verbauten Böschungsbereichen nicht mehr die natürlichen Bodengegebenheiten vorfänden, die erforderlich seien, um eine ähnlich dichte und ungestörte Einheit wie die bestehende auszubilden. Schließlich gingen durch die Anlage des Wasserschlosses, der Zufahrt zu diesem und zum Krafthaus Flächen des Lärchen- bzw. Lärchen/Fichtenwaldes verloren, ebenso die entlang des Flussweges relativ naturnahe eingewachsene Saumvegetation, deren Ersatz nicht geplant sei. Dadurch gehe ein Lebensraum im Ortsverbund verloren, der einerseits eine Vielzahl von Strauch- und Baumarten enthalte und andererseits ein wichtiger Lebensraum für Vogelarten sei, die den Saum als Ansitzwarte, zum Teil auch als Nahrungs- und Brutraum verwendeten. Von der errechneten Gesamtfläche von ca. 2,25 ha Grünerlengebüsch würden ca. 0,3 ha, also ca. 15 % der Einheit zerstört. Allerdings müsse als Folge von Sprengungen und Bauarbeiten von einer noch größeren betroffenen Fläche ausgegangen werden. Auch fänden die unterhalb des Weges gelegenen Grünerlenbestände nach Vollendung der Bauarbeiten nicht mehr die bestehenden Boden- und Hangwasserverhältnisse vor; sie wären außerdem nur mehr auf einer Breite von 7 bis 20 m ausgeprägt. Es fehle eine Verbindung zu den oberhalb des Weges belassenen Boden- und Hangwasserverhältnissen. Die Grünerlenbestände könnten ihre ökologische Funktion (Vernetzung des Gewässers mit dem Umland) nur mehr untergeordnet wahrnehmen. Die verbleibenden Bestände würden eine Fläche von ca. 1,25 ha aufweisen. Das bedeute, dass der Lebensraum des Grünerlengebüsches im Falle der Errichtung der Druckrohrleitung einschließlich Weg und Böschungen zur Hälfte direkt zerstört und unwiederbringlich gestört werde. Diese Beeinträchtigung sei irreversibel, weil die Weganlage bestehen bleibe.
Die Verringerung der Wasserführung werde auch einen merkbaren Verlust der Erlebbarkeit des Gletscherabflussbaches mit sich bringen. Im Mai werde ca. die Hälfte, im September ca. ein Drittel und im Oktober ca. drei Viertel des anfallenden Mittelwassers ausgebaut werden. Dieser Verlust werde sowohl optisch als auch akustisch wahrzunehmen sein. Eigenart und Schönheit des betroffenen Talabschnittes würden durch den mit seinen schäumenden Wassern und seiner hohen Wasserfracht tosenden Gletscherbach sowie den schluchtartigen Charakter zwischen Zwieselstein und Untergurgel bewirkt. In den erwähnten Monaten, der "wanderbaren Zeit", werde die Verminderung des Abflusses zu einer Verminderung des Erholungswertes für den Wanderer führen. Durch die Umgestaltung des ca. 1 m breiten Fußweges von Beginn der "Lehner-Galerie" bis zur "Hohen Brücke" in einen 3,5 m breiten Weg werde weder Eigenart noch Schönheit des Wanderweges durch den zurzeit noch unberührten und unzugänglichen Naturuferbereich der Gurgler Ache erhalten bleiben. Auch der Erholungswert des Ortsgebietes um Zwieselstein würde zumindest während der Bauarbeiten stark in Mitleidenschaft gezogen. Schließlich sei der Bach das optisch beherrschende Element des engen Talraumes. Die Verringerung der Wasserführung werde besonders in den Monaten Dezember, November, Oktober, September, Mai und April wahrgenommen und bewirke eine starke und irreversible landschaftliche Beeinträchtigung. Der natürliche Abfluss des Gletscherbaches werde nicht mehr nur durch die Jahreszeiten, den tageszeitlichen Temperaturverlauf und die Eisverhältnisse am Gletscher bestimmt, sondern auch anderen, technischen Gegebenheiten unterworfen, die weder optisch noch funktionell in die Eigenart des Talraumes einzubinden seien. Die weiße Wasserabflusslinie werde deutlich verschmälert. Seitenarme, die derzeit noch gut durchströmt würden, könnten nicht mehr anspringen. Dies führe dazu, dass das Gewässer schmäler und weniger dominant in Erscheinung trete; in dem Maße, in dem die "urgewaltigsten Ereignisse reduziert" würden, werde auch der stärkste Abfluss in seiner Optik und seiner indirekten Auswirkung (Geschiebetransport, Grobblockumlagerung) eingeschränkt. Durch die Errichtung des Weges im Bereich des Grünerlengebüsches erfahre der enge Talraum eine gänzliche Veränderung. Auf Grund der Nähe des Weges zum Bachbett und dessen naturnahen Ufern bewirke er mit seinen technischen Bauwerken (Böschungen) eine lineare Störung, die als starke Beeinträchtigung des Landschaftsbildes anzusehen sei. Die Errichtung der Wasserfassung und des Wasserschlosses einschließlich Zufahrt würde zu weiteren Beeinträchtigungen führen. So entstünden im unmittelbaren Sichtbereich der Ötztalstraße sowie im Sichtbereich des "Ötztaler Urweges" ca. 1 m bis 4 m hohe Felsböschungen.
Die von der beschwerdeführenden Partei vorgelegte Stellungnahme des Technischen Büros für Ökologie Mag. H. könne die amtssachverständigen Ausführungen schon deshalb nicht in Zweifel setzen, weil es sich bei diesem Vorbringen nur um "fachliche Gegenäußerungen" handle, nicht aber um ein taugliches Gegengutachten; die Gegenäußerungen enthielten weder Befundung noch Schlussfolgerungen.
Ein langfristiges öffentliches Interesse am Projekt der beschwerdeführenden Partei sei nicht glaubhaft dargelegt worden, obwohl die Errichtung von Anlagen für die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energiequellen grundsätzlich im langfristigen öffentlichen Interesse liege.
Die limnologische Amtssachverständige habe dargelegt, dass auf Grund der stark gletscherbeeinflussten geringen Abflüsse im Winter damit zu rechnen sei, dass die Anlage während fünf Monaten im Jahr fallweise gar nicht betrieben werden könne. Aus der Sicht der Gewässerökologie sei nämlich eine weitere Wasserentnahme im Winter nicht möglich und es scheine das vorliegende Projekt daher in dieser Form nicht realisierbar.
Der wasserwirtschaftliche Amtssachverständige habe dargelegt, dass mit der Gurgler Ache für das in Rede stehende Vorhaben ein Gebirgsgewässer in Anspruch genommen werde, das hinsichtlich der Größe seines Einzugsgebietes (an der geplanten Fassungsstelle rund 100 km2) in Relation zu der - in der Steilstrecke zwischen Gurgel und Zwieselstein - zur Verfügung stehenden Fallhöhe (brutto 290 m) an sich günstige Voraussetzungen für die Nutzung der Wasserkraft in Kleinkraftwerksdimensionen (also unter 100.000 kW) bieten würde. Auch das Höhen-Längen-Verhältnis der geplanten Anlage von rund 6 % könne gerade noch als zufrieden stellend angesehen werden. Das Einzugsgebiet der Gurgler Ache sei jedoch zu einem nicht unbeträchtlichen Teil vergletschert und verfüge deshalb im Winter über nur sehr geringe Abflüsse, welche durch mehrere Wasserentnahmen für Beschneiungsanlagen (Obergurgl und Hochgurgl) zusätzlich geschmälert würden. Die Gurgler Ache weise infolge dessen ein extremes Verhältnis zwischen dem Wasserdargebot im Hochwinter - vor allem, wenn lediglich der dafür tatsächlich nutzbare Anteil betrachtet werde - und jenem in den Sommermonaten auf (etwa 1:170). Diese Tatsache würde es normalerweise praktisch unmöglich machen, ein Kleinwasserkraftwerk so auszulegen, dass es jahresdurchgängig technisch und wirtschaftlich vernünftig betrieben werden könne, d.h. die Abflüsse im Sommer in einem angemessenen Ausmaß zu nutzen, ohne im Winter mangels Minimalbeaufschlagung der Turbinen still zu stehen. Dementsprechend sehe das vorliegende Projekt - ohnehin nur unter Zugrundelegung eines bestehenden mäßigen Ausbaugrades - eine sehr aufwendige Lösung zur Gewährleistung einer ständigen Betriebsfähigkeit der geplanten Anlage vor, welche u.a. die Installierung zweier Maschinensätze unterschiedlicher Größe und vor allem den Bau eines immerhin 430 m langen Speicherstollens mit einem Querschnitt von fast 12 m2 (knapp 5.000 m3 Inhalt) beinhalte. Diese Maßnahmen würden zweifellos nicht unbeträchtliche Zusatzkosten für die Kraftwerkserrichtung bedingen. Dass die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens trotzdem gegeben zu sein scheine, sei ganz offensichtlich auf die derzeitigen Voraussetzungen des Ökostromgesetzes BGBl. Nr. 149/2002 zurückzuführen, wonach für den Verkauf der erzeugten elektrischen Energie 13 Jahre lang äußerst lukrative Preise erlöst werden könnten, sofern für das Kraftwerk bis spätestens 31. Dezember 2004 alle Bewilligungen vorlägen und es bis spätestens 30. Juni 2006 in Betrieb genommen werden könne. Nichts desto weniger sei das gegenständliche Projekt eines kleinen de facto-Laufwerks (5,3 mW) an der Gurgler Ache wegen des beschriebenen hydrologischen Sachverhalts und der unvollständigen Ausnutzung der - im Sommer reichlich - verfügbaren Wasserkraft kraftwasserwirtschaftlich als nicht den Dargebotsverhältnissen angepasst und daher im öffentlichen Interesse als sehr problematisch zu beurteilen. Die außergewöhnliche Abflusscharakteristik der Gurgler Ache prädestiniere dieses Gewässer geradezu - wenn schon seine Wasserkraft in Anspruch genommen werden solle - für eine Beileitung und sommerliche Füllung eines so genannten Jahresspeichers, es eigne sich aber nur äußerst schlecht für den Betrieb eines Laufkraftwerkes, das mehr oder weniger lediglich den Momentanzufluss nutzen und dabei eine bestimmte Spanne zwischen Minimal- und Maximaldurchfluss niemals überschreiten könne. Insbesondere im Ötztal sei jedes Kleinkraftwerksprojekt auch deswegen aus wasserwirtschaftlicher Sicht einer sehr kritischen Betrachtung zu unterziehen, weil dieses Tal mit seinem bisher weitgehend ungenutzten Gewässern die größte geschlossene Wasserkraftreserve (für Spitzen- bzw. Speicherkraftwerke) darstelle, über die Tirol, wenn nicht - je nach Ausbaugrad - ganz Österreich noch verfüge. Die "rein wasserbautechnische Machbarkeit" des geplanten Vorhabens sei allerdings gegeben, weil die Anlage baulich - mit Ausnahme des erwähnten Speicherstollens - keine Besonderheiten aufweise bzw. bei der Ausführung keine gravierenden geländebedingten Schwierigkeiten zu erwarten seien.
Die beschwerdeführende Partei habe wohl darauf hingewiesen, dass die Vermeidung von Emissionen (insbesondere die Einsparung von jährlich fast 5.700 t Heizöl) im Interesse der Welt, Europas und Österreichs liege und zudem keine Atomkraftwerke gebaut werden müssten. Sie habe weiters die Vermeidung von Öl- und Gasimporten, die Ziele der Kyoto-Beschlüsse, des Ökostromgesetzes uä. ins Treffen geführt. Sämtlichen Argumenten könne sich die Behörde grundsätzlich anschließen. Dennoch könne sie eine Verwirklichung dieser grundsätzlichen öffentlichen Interessen durch das beantragte Kraftwerk nicht erkennen. Vielmehr sei die Errichtung eines Laufkraftwerkes an der Gurgler Ache aus der Sicht des öffentlichen Interesses als problematisch zu beurteilen, weil die bloß unvollständige Ausnutzung der - im Sommer reichlich - verfügbaren Wasserkraft wirtschaftlich den Dargebotsverhältnissen nicht angepasst sei. Es könne daher keineswegs davon ausgegangen werden, dass an der Verwirklichung des beantragten Vorhabens langfristige öffentliche Interessen bestünden, durch die die zu erwartenden Beeinträchtigungen der Naturschutzinteressen überwogen würden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Tiroler Naturschutzgesetzes 1997 (Tir NatSchG) hat dieses Gesetz zum Ziel, die Natur als Lebensgrundlage des Menschen so zu erhalten und zu pflegen, dass
a)
ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit,
b)
ihr Erholungswert,
c)
der Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume und
d) ein möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt
bewahrt und nachhaltig gesichert oder wiederhergestellt werden. Die Erhaltung und die Pflege der Natur erstrecken sich auf alle ihre Erscheinungsformen, insbesondere auch auf die Landschaft, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befindet oder durch den Menschen gestaltet wurde. Der ökologisch orientierten land- und forstwirtschaftlichen Nutzung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die Natur darf nur soweit in Anspruch genommen werden, dass ihr Wert auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Tir NatSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften im Bereich von fließenden natürlichen Gewässern und von stehenden Gewässern mit einer Wasserfläche von mehr als 2.000 m2 die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen (lit. b) sowie die Ableitung und die Entnahme von Wasser zum Betrieb von Stromerzeugungsanlagen (lit. c) einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.
Gemäß § 7 Abs. 2 Tir NatSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften im Bereich der Uferböschung von fließenden natürlichen Gewässern und eines 5 m breiten, von der Uferböschungskrone landeinwärts zu messenden Geländestreifens (lit. a)
1.
die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen und
2.
Geländeabtragungen und Geländeaufschüttungen außerhalb eingefriedeter bebauter Grundstücke
einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.
Gemäß § 9 lit. c Tir NatSchG bedürfen in Feuchtgebieten außerhalb geschlossener Ortschaften die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen sowie die Änderung von Anlagen, sofern die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 berührt werden, einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.
Gemäß § 27 Abs. 2 lit. a Tir NatSchG darf eine naturschutzrechtliche Bewilligung u.a. für Vorhaben nach den §§ 7 Abs. 1 und 2, 8 und 9 nur erteilt werden, wenn das Vorhaben die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt (Z. 1), oder wenn langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen (Z. 2).
Wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Bewilligung nicht vorliegen, ist sie gemäß § 27 Abs. 6 Tir NatSchG zu versagen.
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist die Bewilligungsbedürftigkeit des Vorhabens im Sinne des § 27 Abs. 2 Tir NatSchG unbestritten.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist im Verfahren über eine Bewilligung gemäß § 27 Abs. 2 Tir NatSchG in einem ersten Schritt zu prüfen, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 Tir NatSchG (Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur, Erholungswert, Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume, möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt) durch das Vorhaben zukommt. Dem sind die langfristigen öffentlichen Interessen, denen die Verwirklichung des Vorhabens dienen soll, gegenüberzustellen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2006, Zl. 2005/10/0023, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Betreffend die im erwähnten ersten Schritt zu beurteilende Frage, ob und inwieweit es durch das Vorhaben der beschwerdeführenden Partei zu einer Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Tir NatSchG kommt, liegt dem angefochtenen Bescheid u.a. die auf sachverständiger Basis gewonnenen Auffassung zu Grunde, durch die Errichtung der Wasserfassung der Anlage, der Druckrohrleitung sowie der Weganlage samt Böschungen werde ein Grünerlengebüsch durchschnitten und in seinem Bestand etwa auf die Hälfte reduziert. Es handle sich hiebei um den Bestand einer im Sinne der Tiroler Naturschutzverordnung geschützten Pflanzenart, der im vorliegenden Fall ein prägendes Element der Vernetzungszone zwischen dem Gewässer und dem Umland darstelle.
Die beschwerdeführende Partei hält dagegen, es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen diese Veränderung negativ zu bewerten sei, warum es sich bei dem betroffenen Gebüsch um eine Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren handle und ob die "unerwünschten Wirkungen" nur während des Kraftwerksbetriebes oder auch nach Auflassung des Kraftwerks weiter bestünden. Auch sei die ökologische Funktion des Grünerlengebüsches nicht klargelegt worden; es bleibe offen, was man sich unter der "Vernetzung des Gewässers mit dem Umland" praktisch vorzustellen habe. Schließlich fehle eine Begründung für die Annahme, es werde eine unwiederbringliche Zerstörung der Grünerlenbestände erfolgen, obwohl die beschwerdeführende Partei durch Vorlage einer sachverständigen Stellungnahme des Mag. H. darauf hingewiesen habe, dass das anzutreffende Grünerlengebüsch auf dem - anlässlich des Ausbaus der Ötztalstraße in den 80er Jahren - in den Hang eingebrachten Abraum- und Aushubmaterial gewachsen sei. Es müsse daher eine natürliche Wiederbegrünung der Trasse innerhalb der nächsten 15 Jahre gleichfalls möglich sein. Die Zerstörung könne also nicht unwiederbringlich sein. Wenn "dort jemand wieder Grünerlen haben wolle, könnte er wohl doch wieder welche pflanzen".
Gegen die weitere Auffassung der belangten Behörde, die merkliche Verringerung der Wasserführung der Gurgler Ache führe dazu, dass diese weniger dominant in Erscheinung trete und solcher Art Landschaftsbild und Erholungswert (Erlebniswert) beeinträchtigt würden, weiters vermindere die Umgestaltung des Weges den Erholungswert und führe zu einer "linearen Störung" des Landschaftsbildes, wendet die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen ein, angesichts der unmittelbaren Nähe zur viel befahrenen Ötztal-Bundesstraße bestehe im fraglichen Gebiet ohnedies nur ein geringer Erholungswert. Im Übrigen könne der Weg durch die Umgestaltung im Gegenteil interessanter werden, jedenfalls sei die Schlussfolgerung der belangten Behörde, der Erholungswert werde dadurch beeinträchtigt, nicht gerechtfertigt. Die Begründung des angefochtenen Bescheides lasse auch völlig offen, worin die Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes zu sehen seien. Dass ein lineares Element bereits als Störung des Landschaftsbildes zu bewerten sei, könne nicht nachvollzogen werden. Außerdem könnte durch eine Bepflanzung der Wegränder annähernd der jetzige Zustand wieder hergestellt werden.
Gemessen an der hg. Judikatur zu den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes angenommen werden kann, (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2006, Zl. 2002/10/0191, und die dort zitierte Vorjudikatur), lässt der angefochtene Bescheid zunächst Darlegungen vermissen, denen nachvollziehbar entnommen werden könnte, inwiefern das Bild der Landschaft prägende Elemente durch die geplante Anlage optisch derart verändert würden, dass von einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zu sprechen wäre. Vielmehr beschränkt er sich zum Einen auf die Behauptung, durch die verringerte Wasserführung werde die Dominanz des Gewässers im Talraum und damit seine prägende Wirkung auf das Landschaftsbild vermindert. Zum Andern wird behauptet, dass die Führung der Weganlage durch das Grünerlengebüsch den engen Talraum optisch "zur Gänze" verändere. Weder kann diesen Darlegungen jedoch entnommen werden, welchen Einfluss die projektgemäße Verringerung der - bereits jahreszeitlich höchst unterschiedlichen - Wasserführung der Gurgler Ache auf das näher zu beschreibende Bild der betroffenen Landschaft konkret hat, noch, aus welchen Gründen der geplanten Weganlage unter Bedachtnahme auf die übrigen, das Bild der Landschaft prägenden Elemente ein den Talraum optisch gänzlich verändernder Einfluss zukommen soll.
In ähnlicher Weise unzureichend begründet ist die Annahme, die geplante Anlage beeinträchtige den Erholungswert des betroffenen Gebietes (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2006, Zl. 2002/10/0191, und die dort zitierte Vorjudikatur; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2006, Zl. 2003/10/0211). Weder wurden nämlich die für den Erholungswert des Gebietes maßgebenden Umstände dargelegt, noch, inwieweit diese in quantitativer und qualitativer Hinsicht beeinträchtigt würden.
Allerdings hat die belangte Behörde in einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Weise dargelegt, die Ausführung des beantragten Vorhabens würde den vorhandenen Bestand an Grünerlen, einer im Sinne des § 22 Tir NatSchG geschützten Pflanzenart, zu einem nicht unerheblichen Teil zerstören, wobei die belangte Behörde von einer unwiederbringlichen Zerstörung von ca. der Hälfte des Grünerlenbestandes ausgegangen ist. Die beschwerdeführende Partei erachtet zwar - wie dargelegt - die fachlichen Grundlagen der behördlichen Annahmen betreffend das Ausmaß der Zerstörung und die Beeinträchtigung der ökologischen Funktionsfähigkeit des Grünerlengebüsches für unzureichend, sie räumt allerdings - durch Hinweis auf die Ausführungen des von ihr beigezogenen Mag. H. - ein, dass die "Zerstörung" bzw. die "unwiederbringliche Störung maximal ein Viertel des Bestandes" betrifft.
Selbst wenn man nun annimmt, dass durch die Ausführung des Projektes lediglich ein Viertel des - geschützten - Grünerlenbestandes unwiederbringlich vernichtet würde, so konnte die belangte Behörde schon aus diesem Grund von einer nicht bloß vernachlässigbaren Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Tir NatSchG ausgehen. Damit kommt jedoch - ohne dass hiefür bereits auf die Frage eingegangen werden müsste, in welchem konkreten Ausmaß die Interessen nach § 1 Abs. 1 Tir NatSchG beeinträchtigt würden - eine Bewilligung gemäß § 27 Abs. 2 lit. a Z. 1 Tir NatSchG nicht (mehr) in Betracht. Vielmehr ist diesfalls gemäß § 27 Abs. 2 lit. a Z. 2 Tir NatSchG eine Bewilligung nur dann zulässig, wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 Tir NatSchG überwiegen. Selbst eine vergleichsweise geringfügige Beeinträchtigung der durch das Tir NatSchG geschützten öffentlichen Interessen des Naturschutzes macht eine Bewilligung nach § 27 Abs. 2 lit. a Z. 1 Tir NatSchG nämlich unzulässig und eine Interessenabwägung erforderlich (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2006, Zl. 2005/10/0023).
Im Zuge der Interessenabwägung gemäß § 27 Abs. 2 lit. a Z. 2 Tir NatSchG hat die belangte Behörde ein langfristiges öffentliches Interesse an der beantragten Anlage verneint. Angesichts des extremen Verhältnisses zwischen dem Wasserdargebot im Hochwinter - vor allem, wenn man lediglich den tatsächlich nutzbaren Anteil davon betrachte - und jenem in den Sommermonaten von 1:170 eigne sich die Gurgler Ache nur äußerst schlecht für den Betrieb eines Laufkraftwerkes. Ein solches Kraftwerk könne im Wesentlichen nämlich nur den Momentanzufluss nutzen und eine bestimmte Spanne zwischen Minimal- und Maximaldurchfluss niemals überschreiten. Wegen des hydrologischen Sachverhaltes und der notwendigerweise unvollständigen Ausnutzung der verfügbaren Wasserkraft durch die beantragte Anlage bestehe an deren Ausführung kein öffentliches Interesse. Auch sei die Wirtschaftlichkeit nur unter den derzeitigen Bedingungen des Ökostromgesetzes (und daher nicht langfristig gesichert) zu bejahen.
Die beschwerdeführende Partei hält dagegen, es könnten durch das beantragte Kraftwerk ungeachtet der nur unvollständigen Ausnutzung der Wasserkraft jährlich fast 5.700 t Heizöl eingespart werden. Um die Einhaltung der von Österreich im Kyoto-Abkommen übernommenen Verpflichtungen zu gewährleisten, müsse jede Gelegenheit wahrgenommen werden, um Energie zu erzeugen, ohne gleichzeitig CO2 zu emittieren. Ein Speicherkraftwerk, wie es der belangten Behörde vor Augen stehe, wäre mit den Interessen des Naturschutzes überdies weniger vereinbar als das beantragte Kraftwerk; es könne daher das Kriterium der unvollständigen Ausnutzung der Wasserkraft kein Kriterium sein, das im Naturschutzverfahren entscheidende Bedeutung besitze. Im Übrigen verhindere eine Verwirklichung des beantragten Projektes die Errichtung eines Speicherkraftwerks nicht.
Mit diesem Vorbringen zeigt die beschwerdeführende Partei nicht auf, dass die belangte Behörde das Vorliegen langfristiger öffentlicher Interessen im Sinne des § 27 Abs. 2 lit. a Z. 2 Tir NatSchG am beantragten Vorhaben zu Unrecht verneint hätte. Zum Einen räumt sie nämlich selbst ein, dass mit der beantragten Anlage das verfügbare Wasserdargebot nur unvollständig ausgenützt werden könnte, wenngleich sie - worauf noch einzugehen sein wird - diesen Umstand als Thema des wasserrechtlichen, nicht aber des naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahrens verstanden wissen will. Zum Andern ist sie der sachverständig fundierten Auffassung, die Gurgler Ache eigne sich angesichts ihrer Abflusscharakteristik "nur äußerst schlecht" für ein Laufkraftwerk, wie es mit dem vorliegenden Projekt beantragt wurde, konkret nicht entgegen getreten. Der Umstand, dass mit der beantragten Anlage gleichwohl, wenn auch in einem - in Relation zum verfügbaren Wasserdargebot - bescheidenem Ausmaß Energie gewonnen werden könne, besagt jedoch noch nicht, dass diese Art der Energiegewinnung, ungeachtet der fehlenden Optimierung der Nutzung der Wasserkraft und entgegen den Darlegungen des wasserwirtschaftlichen Amtssachverständigen im öffentlichen oder sogar im langfristigen öffentlichen Interesse gelegen wäre.
Soweit die beschwerdeführende Partei vorbringt, es könne in der vollständigen Ausnutzung der verfügbaren Wasserkraft kein für die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung wesentliches Kriterium liegen, übersieht sie, dass es bei der Beurteilung, ob ein langfristiges öffentliches Interesse am Projekt besteht, nicht um die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den Interessen des Naturschutzes geht. Vielmehr sind im Sinne des § 27 Abs. 2 lit. a Z. 2 Tir NatSchG die am Projekt bestehenden "anderen" langfristigen öffentlichen Interessen gegen die durch das Projekt verletzten Interessen des Naturschutzes abzuwägen. Maßgeblich ist daher, ob am Projekt unter anderen als Naturschutzgesichtspunkten ein langfristiges öffentliches Interesse besteht. Dies aber hat die belangte Behörde, die dabei den Darlegungen des wasserwirtschaftlichen Amtssachverständigen folgte, in nicht als unschlüssig zu erkennender Weise verneint.
Schließlich ist auch der Einwand der beschwerdeführenden Partei nicht zielführend, das beantragte Projekt verhindere die Errichtung eines Speicherkraftwerkes nicht. Selbst wenn dies nämlich zuträfe, änderte das nichts daran, dass die gegen die beantragte Anlage sprechenden wasserwirtschaftlichen Erwägungen die Begründung eines öffentlichen Interesses an ihrer Errichtung verhindern.
Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 26. Februar 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005100009.X00Im RIS seit
29.03.2007