Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dorda Brugger & Jordis, Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wider die beklagte Partei N***** B*****, Usbekistan, vertreten durch Dr.Irene Welser, Rechtsanwältin in Wien, wegen US-$ 500.000 (=S 6,250.000) sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 16. Oktober 2001, GZ 4 R 158/01m-38, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Mai 2001, GZ 19 Cg 58/98w-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht erklärte sich für unzuständig, weil die Voraussetzungen für die behaupteten Gerichtsstände des Erfüllungsorts (§ 88 JN) und des Vermögens (§ 99 JN) nicht vorlägen bzw nicht erwiesen seien.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach unter Zitierung der "§§ 528 Abs 1, Abs 2 Z 2 ZPO" aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Art 17 LGVÜ könne im vorliegenden Fall nicht angewendet werden, weil es an der Vereinbarung eines Gerichtsstands zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits mangle.
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die klagende Partei zeigte zutreffend auf, dass der Revisionsrekurs nicht aus dem Grunde des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO unzulässig ist. Dies ist aber deshalb bedeutungslos, weil es-wie noch näher darzustellen sein wird-an den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO mangelt.
Der Revisionsrekurswerberin ist ferner zuzubilligen, dass die Unzuständigkeit des Erstgerichts nicht auf den vom Rekursgericht angenommenen Mangel einer zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung gegründet werden kann, sofern der klagenden Partei von ihrer Rechtsvorgängerin deren Ansprüche gegen die beklagte Partei unter Einhaltung der Formvorschriften des Art 17 Abs 1 lit a bis c LGVÜ - dieses ist hier unbestrittenermaßen anzuwenden-abgetreten worden sein sollten. Eine Zuständigkeitsvereinbarung geht nämlich nach österreichischem Recht -die Abtretung ist immer nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht zu beurteilen - sowohl bei Gesamt - wie auch bei Einzelrechtsnachfolge auf den Rechtsnachfolger über und hat auch für diesen Wirksamkeit (ZfRV 1997, 246; EuGHSlg 2000 I 9337; EuGHSlg 1984, 2417; Ritzberger in Burgstaller, Internationales Zivilverfahrensrecht Rz 2.142 und 2.154; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht6 Rz 23 und 55 zu Art 17 LGVÜ). Die Drittwirkung der im Wege der behaupteten Abtretung übergegangenen Gerichtstandsklausel stellt nämlich eine allgemeine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass die jeweiligen Parteien eines Rechtsstreits selbst einen Gerichtsstand vereinbaren müssten, sodass es eines der vom Rekursgericht genannten speziellen Ausnahmetatbestände nicht bedarf (Kropholler aaO Rz 55 zu Art 17). Eine Klärung der Frage, ob die (nach den Behauptungen der klagenden Partei als solche anzusehende) Rechtsvorgängerin der Revisionsrekurswerberin tatsächlich einen Gerichtsstand vereinbarte und ob eine Abtretung der Ansprüche erfolgte, ist aber aus folgenden Gründen nicht erforderlich:
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs reicht es für eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art 17 LGVÜ nicht aus, wenn eine der Parteien, die ihren Sitz in einem Vertragsstaat hat, mit der anderen, die ihren Sitz außerhalb des Vertragsgebiets hat, die Zuständigkeit der Gerichte des ersteren vereinbart. Vielmehr ist Art 17 LGVÜ in solchen Fällen nur dann anzuwenden, wenn eine der Anwendungsvoraussetzungen - Wohnsitz einer Partei und vereinbartes Forum in den Vertragsstaaten - aus der Sicht des inländischen Richters in einem anderen Vertragsstaat liegt (JBl 1998, 726; erschließbar auch aus 6 Ob 127/98i). Der Oberste Gerichtshof hat in JBl 1998, 726 die von ihm vorgenommene - weitgehende - teleologische Reduktion des Art 17 LGVÜ eingehend begründet; er befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung des deutschen BGH und der italienischen Corte di Cassazione, und selbst von den Kritikern dieser Entscheidung wird zugestanden, dass sie "manche Argumente für sich habe" (Burgstaller in JBl 1998, 691 [694]). Der Oberste Gerichtshof war sich bei der Entscheidung JBl 1998, 726 bewusst, dass die Lehre in Österreich und auch in Deutschland den Wortlaut des Art 17 Abs 1 LGVÜ unterschiedlich interpretierte und ist dennoch unter dem Aspekt des internationalen Rechtsanwendungseinklangs zur Ansicht gekommen, Art 17 LGVÜ sei nur dann anzuwenden, wenn aus Sicht des österreichischen Richters entweder der Wohn-(Sitz) einer Partei oder der vereinbarte Gerichtsstand nicht in Österreich, sondern in einem (anderen) Vertragsstaat liege. An dieser Entscheidung - der sich der 6. Senat des Obersten Gerichtshofs anschloss (6 Ob 127/98i), weil auch er davon ausging, dass die Zuständigkeit zufolge des Sitzes der dort beklagten Partei in einem Nichtvertragsstaat des LGVÜ nach nationalem Recht zu prüfen sei - ist trotz der Kritik im Schrifttum (Oberhammer in ecolex 1998, 694 und Burgstaller aaO) festzuhalten, zumal eine Vorabentscheidung durch den EuGH im Anwendungsbereich des LGVÜ nicht in Betracht kommt.
Im vorliegenden Fall hat die klagende Partei ihren Sitz in Österreich; nach den Behauptungen ist auch ein Gerichtsstand im Inland vereinbart. Der Sitz der beklagten Partei befindet sich in einem Nichtvertragsstaat (Usbekistan). Damit ist aber Art 17 LGVÜ nach der zitierten Rechtsprechung nicht anzuwenden.
Die hier maßgebliche Rechtsfrage, deren Beantwortung zur Unzuständigkeit des Handelsgerichts Wien führt, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits gelöst. Eine Rechtsfrage des Verfahrensrechts, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme, liegt aus diesem Grunde nicht vor und wird von der Revisionsrekurswerberin auch nicht aufgezeigt. Dass das Gericht zweiter Instanz eine der anstehenden Rechtsfragen unrichtig löste, ist aus den angeführten Gründen für den Verfahrensausgang unerheblich.
Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei ist mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen (§ 528a in Verbindung mit § 510 Abs 3 ZPO).
Textnummer
E65094European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:0010OB00004.02Y.0129.000Im RIS seit
29.04.2002Zuletzt aktualisiert am
13.04.2011