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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §76 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. P. Trefil, über die Beschwerde des RS, geboren 1978, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 13. Oktober 2006, Zl. Senat-FR-06-1078, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 2. Oktober 2006 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Baden über den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, der davor im unmittelbaren Anschluss an eine Vernehmung zu seinem 2. Asylantrag festgenommen worden war, gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung. Sie führte dazu aus, dass der Beschwerdeführer bereits am 10. Oktober 2003 einen Asylantrag gestellt habe, der seit 13. Juni 2006 in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen worden sei, und fügte wörtlich hinzu: "Es ist daher davon auszugehen, dass Ihr Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen werden wird. Aus diesem Grund wird die Schubhaft verhängt." Der Beschwerdeführer habe keine Familie in Österreich. Es sei anzunehmen, dass er sich im Fall einer negativen Asylentscheidung dem Zugriff der österreichischen Behörden "wiederum entziehen" werde, um nicht nach Indien abgeschoben werden zu können. Er zeige mit seiner neuerlichen Asylantragstellung, dass er nicht gewillt sei, die österreichischen "Rechtsentscheidungen" zu akzeptieren.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2006 wies die belangte Behörde die gegen den genannten Bescheid erhobene Schubhaftbeschwerde ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Sie führte dazu aus, dass gegen den Beschwerdeführer am 2. Oktober 2006 - im Zusammenhang mit seinem zweiten Asylverfahren - gemäß § 27 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet worden sei. Der Beschwerdeführer sei bereits im Oktober 2003 illegal nach Österreich gereist. Er habe kein Vermögen und es liege keine Verpflichtungserklärung konkret genannter indischer Freunde vor. Die neuen Asylgründe seien schlüssig nicht nachvollziehbar. Da der Beschwerdeführer neuerlich am 26. September 2006 einen Asylantrag gestellt habe, könne die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG aufrecht erhalten werden, "zumal gegenständlich die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 FPG vorliegen". Da der Beschwerdeführer über eine Unterkunft in Wien gemeinsam mit vier weiteren Indern verfüge, könne im Hinblick auf das Vorbringen der Schwangerschaft seiner "Lebensgefährtin bzw. Ehegattin" von keinem gemeinsamen Wohnsitz und somit nicht von enger familiärer Bindung gesprochen werden. Das Fehlen des Nachweises der Mittel zur Bestreitung des Unterhalts sei eine bestimmte Tatsache dafür, dass sich der Fremde dem Verfahren entziehen werde. Er habe "offenbar durch Hungerstreik" zum Ausdruck gebracht, dass er nicht abgeschoben werden möchte und es reiche dieses Verhalten in Zusammenschau mit dem Fehlen jeglicher legaler Erwerbsmöglichkeit und verwandtschaftlicher oder familiärer Bindungen in Österreich aus, die Schubhaft anzuordnen.
Die Anwendung eines gelinderen Mittels im Sinn des § 77 FPG komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer mehrfach geäußert habe, dass er nicht in sein Heimatland zurückkehren möchte und eine "Sicherstellung" nicht erwartet werden könne, dass der Aufenthalt des Fremden in Österreich die öffentliche Ordnung (insbesondere im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen und einen geordneten Arbeitsmarkt) sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes nicht gefährde. Wegen seiner fehlenden Integration in Österreich und des Fehlens stabiler familiärer Bindungen sei die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft im Interesse des öffentlichen Wohles dringend erforderlich und geboten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde irrt, wenn sie § 76 Abs. 6 FPG als anwendbar erachtet. Der Beschwerdeführer hat nämlich - so von der belangten Behörde selbst festgestellt - den neuen Asylantrag am 26. September 2006 und somit noch vor seiner Inschubhaftnahme am 2. Oktober 2006 gestellt.
Weiters unterlag die belangte Behörde einem Rechtsirrtum, soweit sie in der Bescheidbegründung auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung abgestellt hat, ist doch eine solche Überlegung für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, nicht jedoch für die Prüfung der Erforderlichkeit der Schubhaft relevant (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2006/21/0087).
In der Beschwerde wird die Behauptung nicht mehr aufrecht gehalten, dass es sich bei der in Österreich lebenden Asylwerberin, die ein gemeinsames Kind mit dem Beschwerdeführer erwarte, um seine Ehefrau handle. Der Beschwerdeführer legt auch nicht konkret dar, dass er mit ihr eine Lebensgemeinschaft pflege. Zu seinen finanziellen Verhältnissen bringt er vor, dass er "derzeit von Unterstützung von Landsleuten" lebe. Der belangten Behörde ist somit zuzugestehen, dass der Beschwerdeführer über keine berufliche oder wesentliche soziale Verankerung im Inland verfügt. Dennoch erweist sich der angefochtene Bescheid in seiner Bejahung eines Sicherungsbedürfnisses als rechtswidrig.
Gemäß § 76 Abs. 2 FPG kann über einen Asylwerber Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung unter anderem dann angeordnet werden, wenn gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z 2). Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 24. Juni 2006, B 362/06, festgehalten, dass die in § 76 Abs. 2 FPG festgelegte Ermächtigung im Licht des Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen und eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat (zu § 76 Abs. 1 FPG) ausgesprochen, dass das Sicherungserfordernis nicht in einer fehlenden Ausreisewilligkeit allein begründet sein könne, sondern weitere Umstände - etwa eine mangelnde berufliche oder soziale Verankerung im Inland - vorliegen müssten, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen (vgl. das bereits genannte Erkenntnis Zl. 2006/21/0087). Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs freilich auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen. Den Verwaltungsakten sind keine Hinweise dafür zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Einreise im Oktober 2003 irgendwann versucht hätte, sich dem (ersten) Asylverfahren zu entziehen und "unterzutauchen". Es finden sich auch keine Hinweise für einen derartigen Versuch nach rechtskräftiger Beendigung dieses Asylverfahrens. Dem Akteninhalt zufolge wurde er nach Stellung des weiteren Asylantrages am 26. September 2006 zu einer Vernehmung vor das Bundesasylamt geladen und leistete dieser Ladung am 2. Oktober 2006 Folge. Er wurde daraufhin schlichtweg im Hinblick auf die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens unmittelbar nach Beendigung seiner Einvernahme festgenommen.
Insgesamt liegt somit kein Verhalten vor, das die Annahme rechtfertigen könnte, dass sich der Beschwerdeführer dem Asyl- bzw. Ausweisungsverfahren entziehen würde und untertauchen möchte. Dagegen spricht auch der Aufenthalt einer Person in Österreich, die ein Kind vom Beschwerdeführer erwartet.
Somit hat die belangte Behörde, indem sie aus den vorliegenden Umständen einen Sicherungsbedarf im Sinn des § 76 Abs. 2 Z 2 FPG ableitete, die Rechtslage verkannt. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. Februar 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210311.X00Im RIS seit
28.03.2007Zuletzt aktualisiert am
14.10.2009