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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. P. Trefil, über die Beschwerde des M in H, geboren 1985, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 17. August 2005, Zl. Fr-4250a-100/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 sowie Abs. 3 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde - auf das Wesentlichste zusammengefasst - auf folgende (rechtskräftige) strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers und die ihnen zu Grunde liegenden Tathandlungen:
1. Urteil des Amtsgerichtes Kempten (Bundesrepublik Deutschland) vom 27. August 2004 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 36 Fällen, davon in 30 Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, in einem Fall rechtlich zusammentreffend mit unerlaubter Betäubungsmittelüberlassung in Tatmehrheit mit Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe (Jugendstrafe) von neun Monaten. Der Beschwerdeführer habe zwischen Juni 2003 und Juli 2004 wiederholt bis zu 12 Gramm Haschisch oder Marihuana sowohl für den Eigenkonsum als auch zum Weiterverkauf erworben und - zumeist gegen Entgelt - an Dritte weitergegeben. Am 24. Juli 2004 habe er den Türbügel an einer Bahnhofstoilette abgebrochen (Sachschaden von ca. EUR 50,--). Am 2. August 2004 habe er einen Polizeibeamten, der infolge Wahrnehmung von Cannabisgeruch ein vom Beschwerdeführer benütztes Zimmer durchsuchen wollte, an diesem Vorhaben durch Schläge mit den Händen auf den Brustkorb zu hindern versucht; eine Durchsuchung des Zimmers sei nicht möglich gewesen, weil der Beschwerdeführer weiters versucht habe, den Polizeibeamten an den Armen aus dem Zimmer zu ziehen.
2. Urteil des Amtsgerichtes Kempten (Bundesrepublik Deutschland) vom 15. Dezember 2004 wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe (Jugendstrafe) von einem Jahr. Nach Entlassung aus der Untersuchungshaft am 27. August 2004 habe er zwischen 27. August und Ende September 2004 einmal 9 bis 13 g Haschisch für 50,-- bis 70,-- EUR und einmal ca. 14 bis 15 g Haschisch für 80,-- EUR angekauft und übernommen.
3. Urteil des Bezirksgerichtes Bezau vom 13. September 2004 gemäß § 27 Abs. 1 SMG zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Er habe Cannabisprodukte konsumiert und verkauft.
Den beiden Urteilen des Amtsgerichtes Kempten aus dem Jahr 2004 lägen Straftaten zu Grunde, die auch nach österreichischem Recht (SMG und StGB) gerichtlich strafbar seien. Sie seien nach einem dem Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen und stünden daher einer inländischen Verurteilung gleich.
Da der Beschwerdeführer bereits seit Dezember 2001 - als Schüler - Marihuana konsumiert und in der Folge, bis Dezember 2004, Suchtgift in Österreich und Deutschland in zahlreichen Fällen weitergegeben habe, könne auf Grund der großen Wiederholungsgefahr in Fällen der Suchtgiftkriminalität keine positive Zukunftsprognose gestellt werden. Der Beschwerdeführer habe nämlich Suchtgiftdelikte, eine sehr gefährliche Art der Kriminalität, über drei Jahre lang mehr als 40 mal wiederholt. Seine hohe kriminelle Energie habe dazu geführt, dass er selbst unmittelbar nach Entlassung aus der Untersuchungshaft und nach seiner ersten Verurteilung durch das Amtsgericht Kempten (am 27. August 2004) neuerlich gleichartige Straftaten begangen habe.
Der Beschwerdeführer sei im April 1999 in Begleitung seiner Schwester als Flüchtling von Serbien nach Österreich eingereist, wo sich seine Mutter bereits seit 1990 rechtmäßig aufgehalten habe. Ihm sei in Folge aus humanitären Gründen eine (zuletzt bis 6. Februar 2005) befristete Niederlassungsbewilligung erteilt worden. Sein Vater, ein Großvater sowie eine Großmutter lebten noch in Serbien, die beiden weiteren Großeltern seien bereits verstorben. Er sei im Wesentlichen in Serbien aufgewachsen, wo er von seinen Großeltern aufgezogen worden sei. Dort habe er die Volksschule und die Hauptschule bis zur 7. Klasse besucht. Nach seiner Einreise in Österreich (im Alter von 15 (richtig: 14) Jahren) habe er hier im Jahr 2002 den Schulbesuch (mit einem "qualifizierten" Hauptschulabschluss) beendet. Danach sei er keiner geregelten Arbeit nachgegangen, sondern habe zeitweilig Aushilfstätigkeiten in Deutschland ausgeführt. Von Ende 2004 bis Mitte 2005 habe er die (oben erwähnte einjährige) Strafhaft in einer deutschen Justizvollzugsanstalt zum Teil verbüßt.
Seine Mutter und Schwester hielten sich in Österreich auf, sodass der angefochtene Bescheid einen "gewissen" Eingriff in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers zur Folge habe . Da jedoch keine Aufenthaltsverfestigung vorliege, stünden die dargestellten massiven Rechtsverletzungen, insbesondere im Bereich der Suchtgiftkriminalität, seinem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet entgegen.
Dem in der Berufung erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe in Serbien keine familiären Bindungen, seine Großeltern und sein Vater seien aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, ihn aufzunehmen, sei zu entgegen, dass er nunmehr 20 Jahre alt und somit nicht mehr auf elterliche Pflege angewiesen sei. Auch werde ihm durch ein Aufenthaltsverbot nicht vorgeschrieben, in ein bestimmtes Land auszureisen.
Seinem Vorbringen, er wolle sich einer Drogenberatung unterziehen, sei zu entgegnen, dass selbst eine erfolgreiche Suchtgifttherapie keine Gewähr dafür biete, dass von ihm keine Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen mehr ausginge. Umso mehr gelte dies für eine bloße Drogenberatung. Im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität unter dem Blickwinkel der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit als auch dem Schutz der Gesundheit Dritter (Art. 8 Abs. 2 EMRK) sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt und gemäß § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten. Private und familiäre Interessen des Beschwerdeführers träten dem gegenüber in den Hintergrund, zumal "eventuell vorhandene integrationsbegründende Umstände" dadurch relativiert würden, dass die soziale Komponente der Integration durch das (eingangs dargestellte) vielfältige Fehlverhalten gemindert sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z. 2).
Im § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Nach Z. 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Gemäß § 36 Abs. 3 Satz 2 FrG liegt eine solche Verurteilung (auch) vor, wenn sie durch ein ausländisches Gericht erfolgte und den Voraussetzungen des § 73 StGB (Schuldspruch wegen einer Tat, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, wenn die Verurteilung in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen ist) entspricht.
Der Beschwerdeführer tritt den behördlichen Feststellungen betreffend seine strafgerichtlichen Verurteilungen nicht entgegen, weshalb keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei. Wegen der Vielzahl und Schwere der insgesamt begangenen Delikte besteht auch kein Zweifel am Vorliegen der im § 36 Abs. 1 FrG umschriebenen Annahme, dass sein weiterer Aufenthalt im Inland dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen und dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zuwiderlaufen würde. Der Beschwerdeführer hat - neben anderen Delikten - jahrelang wiederholt Suchtgift weitergegeben, also ein besonders gefährliches strafbares Verhalten an den Tag gelegt. Selbst nach der eingangs dargestellten gerichtlichen Verurteilung vom 27. August 2004 (zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe) und dem - im Rahmen der Untersuchungshaft bis zu diesem Tag - erstmaligen Verspüren eines Freiheitsentzuges ist er - beginnend noch am selben Tag, an dem die bedingte Strafnachsicht ausgesprochen wurde, - wiederholt einschlägig rückfällig geworden. Insgesamt lassen die Fehlverhalten des Beschwerdeführers somit eine massive Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen befürchten, sodass der von der belangten Behörde angestellten Beurteilung nicht entgegengetreten werden kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2007, Zl. 2005/21/0332, mwN).
Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde in diesem Zusammenhang zwar vor, die (dargestellten) Voraussetzungen des § 73 StGB für eine Berücksichtigung bundesdeutscher Verurteilungen nicht ausreichend geprüft zu haben. Für eine Konventionswidrigkeit dieser Urteile fehlen jedoch sowohl Behauptungen in der Beschwerde als auch Anhaltspunkte im Akt.
Ebenso wenig ist es von Bedeutung, dass der Beschwerdeführer aus der über ihn verhängten einjährigen Freiheitsstrafe vorzeitig bedingt entlassen wurde. Die belangte Behörde war nämlich bei ihrer Entscheidung nicht an die Erwägungen des (deutschen) Gerichtes bei der entsprechenden Beschlussfassung gebunden, sondern hatte vielmehr - wie von ihr richtig dargelegt - die Voraussetzungen des § 36 FrG selbständig zu prüfen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 8. März 2005, Zl. 2005/18/0050, und vom 18. Mai 2006, Zl. 2005/21/0257).
Der Beschwerdeführer bestreitet weiters die behördliche Beurteilung nach § 37 FrG und bringt dazu vor, er sei in Österreich lang aufhältig und familiär sowie sozial integriert. Künftig beabsichtige er, seine Lebensgefährtin, eine deutsche Staatsangehörige, zu heiraten, wonach er in den Genuss aller Garantien der RL 64/221/EWG bzw. der RL 2004/38/EG käme.
Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerde jedoch nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen:
Wenn auch - von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen - mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden ist, ist maßgeblich, dass grundsätzlich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angesichts der mit der Suchtgiftkriminalität verbundenen erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden, wovon im Beschwerdefall allerdings keinesfalls die Rede sein kann, nicht als rechtswidrig zu erkennen ist. Dem Beschwerdeführer liegen nicht nur Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz (bzw. dem deutschen Betäubungsmittelgesetz), sondern auch die Delikte des Widerstandes gegen einen Vollstreckungsbeamten und der Sachbeschädigung zur Last. Wenn die belangte Behörde in Anbetracht der Vielzahl der Straftaten und des raschen einschlägigen Rückfalls die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Licht des § 37 Abs. 1 FrG für zulässig, weil zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten, erachtet hat, ist dies nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Unter Zugrundelegung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich: Das persönliche Interesse des bei Erlassung des angefochtenen Bescheides im 21. Lebensjahr stehenden (also längst volljährigen) beschäftigungslosen Beschwerdeführers, dessen Lebensgefährtin in der Bundesrepublik Deutschland aufhältig ist, an einem Verbleib in Österreich ist nicht derart stark ausgeprägt, dass es das - insbesondere aus seinen jahrelang wiederholten Suchtmitteldelikten abzuleitende - öffentliche Interesse an der Verhinderung des weiteren Aufenthalts in Österreich überwiegen könnte.
Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde die gesetzwidrige Ausübung des bei der Anwendung des § 36 Abs. 1 FrG zu handhabenden Ermessens vorwirft, ist er ebenfalls nicht im Recht: Für die belangte Behörde bestand entgegen der Beschwerde keine Veranlassung, von dem ihr nach der genannten Bestimmung bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zukommenden Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch auf Grund der hohen Gefährlichkeit seiner Straftaten keine ausreichend ins Gewicht fallende Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.
Die vom Beschwerdeführer angesprochenen Richtlinien finden auf ihn als Drittstaatsangehörigen keine Anwendung, sodass er hieraus keine Rechtsfolgen ableiten kann. Daran kann die in der Beschwerde erst angekündigte Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen nichts ändern. Auch sind die in der Beschwerde zitierten Urteile des EGMR nach dem zu Grunde liegenden Sachverhalt mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar.
Da eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides somit nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.
Eine Entscheidung über Aufwandersatz hatte gemäß § 59 Abs. 1 VwGG zu unterbleiben, weil die obsiegende belangte Behörde keinen entsprechenden Antrag gestellt hat.
Wien, am 27. Februar 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005210348.X00Im RIS seit
29.03.2007