TE Vfgh Erkenntnis 2002/9/27 G16/02 ua

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Veröffentlicht am 27.09.2002
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
VfGG §62 Abs1
VStG §64
VStG §65
Eurogesetz BGBl I 72/2000

Leitsatz

Keine Gleichheitsbedenken gegen die Regelung über die Tragung der Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens im Hinblick auf die Ausnahme von der Verpflichtung zur Leistung eines Verfahrenskostenbeitrags im Falle der auch nur teilweisen Stattgabe einer Berufung; keine Anwendbarkeit dieser Ausnahmebestimmung bei bloßer Abrundung des Strafbetrages in Folge der Umrechnung in Euro; keine Zulässigkeit der Eventualanträge mangels Darlegung der Bedenken im Einzelnen

Spruch

I. Die (Haupt-)Anträge werden abgewiesen.

II. Die Eventualanträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (im folgenden: UVS) sind Berufungen gegen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld, der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg, der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf, der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach und der Bezirkshauptmannschaft Melk anhängig, mit denen über die Berufungswerber jeweils eine Geldstrafe verhängt wurde; die Berufungswerber wurden mit diesen Bescheiden auch zum Ersatz der jeweiligen Verfahrenskosten verpflichtet.

Der UVS geht davon aus, daß er in den genannten Berufungsverfahren die §§64 und 65 VStG anzuwenden hat. Aus Anlaß der Verfahren entstanden bei ihm Bedenken ob der Verfassungs-mäßigkeit des §65 VStG idF BGBl. I 158/1998 bzw. der Wortfolge "für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe" in §64 Abs2 VStG idF BGBl. I 137/2001.

1.2. Gestützt auf Art140 Abs1 B-VG iVm. Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG stellte der UVS daher die zu G16/02, G28/02, G46/02, G167/02, G174/02, G175/02, G241/02, G242/02, G255/02, G260/02, G261/02 und G262/02 protokollierten Anträge, §65 VStG idF BGBl. I 158/1998 (in den zu G16/02, G28/02, G46/02 protokollierten Anträgen irrtümlich als idF BGBl. I 137/2001 bezeichnet) als verfassungswidrig aufzuheben.

In eventu beantragt der UVS, die Wortfolge "für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe" in §64 Abs2 VStG idF BGBl. I 137/2001, in eventu die genannte Wortfolge in §64 Abs2 und §65 VStG (in der jeweils genannten Fassung) als verfassungswidrig aufzuheben.

2. §64 Abs1 und 2 und §65 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. 52/1991 idF BGBl. I 137/2001 bzw. BGBl. I 158/1998, lauten:

"Kosten des Strafverfahrens

§64. (1) In jedem Straferkenntnis und in jeder Entscheidung eines unabhängigen Verwaltungssenates, mit der ein Straferkenntnis bestätigt wird, ist auszusprechen, daß der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.

(2) Dieser Beitrag ist für das Verfahren erster Instanz mit 10% der verhängten Strafe, für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit je 1,50 Euro zu bemessen; bei Freiheitsstrafen ist zur Berechnung der Kosten ein Tag Freiheitsstrafe gleich 15 Euro anzurechnen. Der Kostenbeitrag fließt der Gebietskörperschaft zu, die den Aufwand der Behörde zu tragen hat.

(3) [...]

§65. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind dem Berufungswerber nicht aufzuerlegen, wenn der Berufung auch nur teilweise Folge gegeben worden ist."

3. Seine Bedenken gegen die angefochtenen Gesetzesbestimmungen legte der UVS in dem zu G16/02 protokollierten Antrag wie folgt dar (die anderen Anträge sind im wesentlichen gleichlautend):

"Gemäß §64 Abs1 VStG ist in jedem Straferkenntnis und in jeder Entscheidung eines unabhängigen Verwaltungssenates, mit der ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat. Dieser Beitrag ist gemäß Abs2 für das Verfahren erster Instanz mit 10% der verhängten Strafe, für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit je € 1,50 zu bemessen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens sind dem Berufungswerber jedoch gemäß §65 VStG nicht aufzuerlegen, wenn der Berufung auch nur teilweise Folge gegeben worden ist.

Gemäß dem - nach §24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden - §66 Abs4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauungen an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Nach §3 Abs2 Z3 des Euro-Gesetzes, BGBl. I 2000/72, sind ab dem 1. Jänner 2002 Geldbeträge in Verordnungen und Bescheiden in Euro auszudrücken. Demzufolge ist es seit diesem Zeitpunkt Sache der Berufungsbehörde, vor dem 1. Jänner 2001 in Schilling verhängte Strafen in Euro umzurechnen und den Schillingausdruck im Spruch des angefochtenen Bescheides gegen einen Euroausdruck zu ersetzen. Die Umrechnung hat unter Zugrundelegung des fixierten Wechselkurses (1 Euro = 13,7603 Schilling) zu erfolgen, wobei das Ergebnis - nach Maßgabe des Artikels 5 der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro - auf volle Cent-Beträge auf- oder abzurunden ist. Diese Rundungsregelung verdrängt in ihrem Anwendungsbereich das an sich im (Verwaltungs-) Strafrecht bestehende Verbot der reformatio in peius (§51 Abs6 VStG), sodass eine - wenn auch nur geringfügige - Erhöhung der Strafe nicht ausgeschlossen ist.

Hält man sich nun vor Augen, dass der Euro gemäß Art6 der Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro auch in die nationalen Währungseinheiten gemäß den Umrechnungskursen unterteilt wird, so bewirkt eine Umrechnung von Schilling- in Eurobeträge aufgrund der notwendigerweise anzustellenden Rundung i.d.R. eine - wenn auch nur marginale - Änderung des Strafbetrages zugunsten oder zulasten des Berufungswerbers. Abweichendes gilt nur dann, wenn seitens der Erstbehörde Strafen in Höhe von S 1376,03 oder einem Vielfachen dieses Betrages verhängt wurden; dass dies nie der Fall war, darf gemutmaßt werden.

Hat die Rundung eine Reduzierung der Strafe zur Folge und wird solcherart der Strafausspruch des erstinstanzlichen Bescheides zugunsten des Berufungswerbers abgeändert, greift die Bestimmung des §65 VStG Platz. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind dem Berufungswerber nicht aufzuerlegen. Führt die Rundung hingegen zu einer Anhebung der Strafe, kommt der Berufungswerber nicht in den Genuss des §65 VStG.

[...] Verfassungsrechtliche Bedenken:

Gemäß Art2 StGG sind vor dem Gesetz alle Staatsbürger gleich. Der Gleichheitssatz verbietet es dem Gesetzgeber, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zu schaffen, Gleiches ungleich und Ungleiches gleich zu behandeln.

Gerade eine solche Ungleichbehandlung gleichartiger Fälle statuiert aber nach Ansicht des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenats §65 VStG.

Wie oben dargelegt, ist der Berufungswerber dann nicht zur Tragung der Kosten des Berufungsverfahrens verpflichtet, wenn der Berufung auch nur teilweise Folge gegeben wird. Dies entweder durch die Einschränkung der von der Erstbehörde angenommenen strafbaren Handlung oder durch eine Herabsetzung oder Nachsicht der ursprünglich verhängten Strafe.

Dabei differenziert das Gesetz weder nach dem Ausmaß der Einschränkung oder Herabsetzung noch nach ihrem Grund, sodass zunächst auch eine noch so geringe Einschränkung oder Herabsetzung die Rechtsfolge des §65 VStG nach sich zieht. Eine 'Erheblichkeitsschwelle' oder dergleichen ist dem Gesetz fremd, sodass auch Änderungen im Groschen- oder Centbereich - wenngleich bislang höchst atypisch - nicht unbeachtlich sind.

Unerheblich ist aber - lege non distinguente - auch die Ursache dafür, dass der Berufung Folge zu geben ist. Das Gesetz erfasst gleichermaßen Fälle, in denen diese in einer von jener der Erstbehörde abweichenden Beurteilung der Schuld- oder Straffrage durch die Berufungsbehörde liegt, wie solche, in denen sich die Notwendigkeit, der Berufung (teilweise) Folge zu geben aus einer nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eintretenden Änderung der Rechtslage, etwa in Form einer Herabsetzung von Strafrahmenobergrenzen oder dergleichen, ergibt. Auch in den letzten Fällen, in denen es mitunter nicht im Ermessen der Vollziehung, konkret der Berufungsbehörde, liegt, der Berufung Folge zu geben oder nicht, entfällt gemäß §65 VStG die Kostentragungspflicht.

Nichts Anderes kann nach Ansicht des antragstellenden Unabhängigen Verwaltungssenats in Fällen gelten, in denen sich die Reduktion der Strafe aus der durch die obgenannten Verordnungen angeordneten Rundungen ergibt. Weder das geringe Ausmaß der Reduktion noch die Tatsache, dass die Reduktion nicht im Ermessen der Berufungsbehörde steht, vermag daran - wie dargelegt - etwas zu ändern. Dafür, dass Strafreduktionen infolge von Abrundungen nicht als 'Folge geben' i.S.d. §65 VStG beurteilt werden dürften, vermag der Unabhängige Verwaltungssenat keine dogmatischen Anhaltspunkte zu erkennen. Dass eine solche Lösung - etwa in Form einer entsprechenden Übergangsbestimmung bzw. einer Fiktion - rechtspolitisch wünschenswert wäre bzw. gewesen wäre, steht der antragstellende Unabhängige Verwaltungssenat jedoch nicht an, zuzugestehen; auf die - hier alleine interessierende - dogmatische Beurteilung muss dies jedoch außer Betracht bleiben.

Daraus ergibt sich jedoch, dass die Frage der Kostenbefreiung bzw. Kostentragung in den hier interessierenden Fällen ausschließlich von den Zufälligkeiten der Rundung abhängt. Dass aber ein allein von Zufälligkeiten abhängender Eintritt von Rechtsfolgen dem Erfordernis an eine sachliche Rechtfertigung nicht genügen und somit dem Gleichheitssatz nicht entsprechen kann, kann wohl nicht in Zweifel gezogen werden (i.d.S. schon VfSlg 14.802/1997).

Nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenats ist daher §65 VStG seit 1. Jänner 2002 mit Gleichheitswidrigkeit behaftet. Eine Möglichkeit zur verfassungskonformen Interpretation dieser Bestimmung besteht nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenats nicht.

Im Hinblick darauf, dass als Sitz der Verfassungswidrigkeit abgesehen von §65 VStG auch die, die Kostentragungspflicht begründende, Passage 'für das Berufungsverfahren mit weiteren 20 % der verhängten Strafe' in §64 Abs2 AVG gesehen werden könnte, wird in eventu beantragt diese, sofern der Gerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass sich die Verfassungswidrigkeit aus der Kombination dieser Passage mit §65 VStG ergibt, in eventu beide als verfassungswidrig aufzuheben."

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, die Eventualanträge auf Aufhebung der Wortfolge "für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe" in §64 Abs2 VStG mangels Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Wortfolge sprechenden Bedenken iSd §62 Abs1 VfGG zurückzuweisen. Die Zulässigkeit der Anträge auf Aufhebung des §65 VStG wird von der Bundesregierung nicht bestritten; sie beantragt die Abweisung dieser Anträge. Ihre Auffassung in der Sache begründet die Bundesregierung im wesentlichen wie folgt:

"Nach Ansicht des antragstellenden UVS invalidierte §65 VStG durch Nicht-Anpassung. Die sachliche Rechtfertigung im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes spricht der UVS der genannten Bestimmung primär mit dem Argument ab, dass der Eintritt der Kostenbefreiung bzw. Kostentragung von Zufälligkeiten abhänge.

Diese Interpretation beruht jedoch auf einem falschen Verständnis des Begriffes 'Folge geben' in §65 VStG, denn die Folgegebung setzt eine inhaltliche Änderung des erstinstanzlichen Bescheides 'zu Gunsten' des Bestraften voraus (siehe Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), Anm 4 zu §65 VStG). Die Motive der Berufungsbehörde dafür können, wie der UVS zunächst zutreffend darlegt, verschieden gelagert sein: etwa indem die Berufungsbehörde zu einer abweichenden Beurteilung der Schuld- oder Straffrage kommt oder sich die Notwendigkeit einer der Berufung folgegebenden Entscheidung aus einer nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eintretenden Änderung der Rechtslage - wie etwa in Form einer Herabsetzung von Strafrahmenobergrenzen - ergibt.

Aber auch wenn der UVS, wie vom antragstellenden UVS dargelegt, den in erster Instanz festgelegten Strafbetrag in Euro umrechnet und die Strafhöhe mit diesem Umrechnungsergebnis festlegt, besteht darin keine inhaltliche Änderung:

Seit der 2. Euro-Einführungsverordnung ist der Euro per 1. Jänner 1999 bereits die Währung der (teilnehmenden) Mitgliedsstaaten. Innerhalb der Übergangszeit vom 1. Jänner 1999 bis 31. Dezember 2001 bis zur tatsächlichen Einführung der Euro-Bargeldnoten und Euro-Münzen waren bereits die nationalen Währungseinheiten (nicht-dezimale) Untereinheiten des Euro und beide Währungseinheiten einander rechtlich gleichwertig (8. Erwägungsgrund zur 2. Euro-Einführungsverordnung).

Das zwischen Schilling- und Euro-Beträgen bestehende Verhältnis einschließlich der vorzunehmenden Rundung ist daher schon vor dem Erkenntnis des UVS gegeben.

Zöge etwa der Berufungswerber jetzt seine Berufung zurück, so hätte er genau jenen Betrag zu begleichen, den der UVS im Berufungsbescheid festsetzen zu müssen meint. Es ist also der vom Bestraften geschuldete Betrag völlig identisch, gleich ob er ipso jure in Euro umzurechnen ist oder ob die Umrechnung vom UVS vorgenommen wird.

Für diese Sichtweise spricht auch Art3 in Verbindung mit Art1 der 1. Euro-Einführungsverordnung, wonach die Einführung des Euro keine Veränderung von Bestimmungen in Rechtsvorschrift bzw. Verwaltungsakten bewirkt.

Wenn aber durch die Entscheidung des UVS nicht die geringste Besserstellung des Berufungswerbers erfolgt, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Berufung auch nur teilweise Folge gegeben würde.

Selbst wenn der dargelegten Auffassung der Bundesregierung nicht gefolgt würde, zöge die nach Ansicht des antragstellenden UVS divergente Beurteilung der Kostenfrage nicht die Unsachlichkeit des §65 VStG nach sich. Der Umstand, dass eine - an sich sachliche - Regelung in einzelnen Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen und Härten führt, berührt nicht die Sachlichkeit der Regelung (vgl. VfSlg. 7891/1976 und die dort angeführte Vorjudikatur). Denn nicht jede Unbilligkeit, die eine einheitliche Regelung mit sich bringt, kann als unsachlich gewertet werden. Es muß dem Gesetzgeber gestattet sein, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (vgl. VfSlg. 3682/1960, 5958/1969, 7873/1976, 9645/1983).

Das Vorbringen des antragstellenden UVS ist daher unbegründet."

5. Der antragstellende UVS hat darauf repliziert.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die gemäß den §§187 und 404 ZPO iVm. §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof geht entsprechend seiner ständigen Judikatur (zB VfSlg. 9811/1983, 12.189/1989, 15.199/1998) davon aus, daß er nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung ein Gericht oder einen unabhängigen Verwaltungssenat, der einen Gesetzesprüfungsantrag gemäß Art140 Abs1 B-VG stellt, an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung des Gerichts oder des unabhängigen Verwaltungssenats in der Hauptsache vorgreifen würde. Ein Antrag eines dieser Rechtsschutzorgane gemäß Art140 Abs1 B-VG darf daher vom Verfassungsgerichtshof mangels Präjudizialität nur dann zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig, also gleichsam denkunmöglich ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung eines Gerichts bzw. eines unabhängigen Verwaltungssenats im Anlaßfall bildet.

1.2. Unter Zugrundelegung der vorliegenden Sachverhalte ist es nicht als denkunmöglich anzusehen, wenn der UVS davon ausgeht, daß §65 VStG in den bei ihm anhängigen Berufungsverfahren anzuwenden sei. Die Primäranträge auf Aufhebung des §65 VStG idF BGBl. I 158/1998 sind daher - da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen - zulässig.

2. Die Anträge sind jedoch nicht begründet:

2.1. Der UVS führt in seinen Anträgen aus, daß vor dem 1. Jänner 2002 in Schilling verhängte Strafen von der Berufungsbehörde unter Zugrundelegung des gemeinschaftsrechtlich fixierten Wechselkurses (1 Euro = 13,7603 Schilling) in Euro umzurechnen seien; die Berufungsbehörde habe den Schillingausdruck im Spruch des angefochtenen Bescheids durch einen Euroausdruck zu ersetzen. Das Ergebnis der Umrechnung sei auf volle Cent-Beträge auf- oder abzurunden; dadurch werde in aller Regel eine - wenn auch nur marginale - Änderung des Strafbetrags zugunsten oder zulasten des Berufungswerbers bewirkt.

Eine derartige - durch eine Abrundung des sich aus der Umrechnung von Schilling in Euro ergebenden Betrags bewirkte - Reduzierung der Strafe sei nach Ansicht des UVS als "wenn ... auch nur teilweise Folge" geben iSd. §65 VStG anzusehen; in solchen Fällen seien dem Berufungswerber daher die Kosten des Berufungsverfahrens nicht aufzuerlegen.

Da die Frage der Kostenbefreiung bzw. Kostentragung somit allein von den Zufälligkeiten der Rundung abhänge, verstoße die Regelung des §65 VStG gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag der vom UVS vertretenen Auffassung, daß die bloße Abrundung des aus der Umrechnung resultierenden Strafbetrags die Rechtsfolgen des §65 VStG nach sich ziehe, nicht zu folgen. Wie auch die Bundesregierung in ihrer Äußerung (unter Hinweis auf Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), Anm. 4 zu §65 VStG) darlegt, setzt der Begriff "Folge geben" in §65 VStG eine inhaltliche Änderung des erstinstanzlichen Bescheids zugunsten des Bestraften voraus. Wenn die Berufungsbehörde aber bloß die erforderliche Umrechnung des Strafbetrags von Schilling in Euro vornimmt und sodann gemäß Art5 der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro eine Auf- oder Abrundung auf den vollen Centbetrag vornimmt, kann dies nicht als inhaltliche Änderung des Bescheids angesehen werden. Eine ausschließlich aufgrund einer solchen Abrundung erfolgte Reduzierung des Strafbetrags [in der Größenordnung von max. 0,005 Euro/0,5 Cent] vermag daher nicht die Anwendbarkeit des §65 VStG zu begründen. Da somit bereits die den Anträgen des UVS zugrundeliegende Prämisse nicht zutrifft, gehen die vorgebrachten gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen §65 VStG ins Leere.

2.3. Die Anträge sind daher abzuweisen.

3. Die Eventualanträge auf Aufhebung der Wortfolge "für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe" in §64 Abs2 VStG idF BGBl. I 137/2001 bzw. auf Aufhebung der genannten Wortfolge in §64 Abs2 VStG idF BGBl. I 137/2001 und des §65 VStG idF BGBl. I 158/1998 erweisen sich als unzulässig. Diese Anträge entsprechen nicht dem Erfordernis des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG, wonach ein Antrag nach Art140 Abs1 B-VG die gegen die Verfassungsmäßigkeit des bekämpften Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen hat. Sie enthalten nämlich keine dem Gesetz entsprechende Darlegung solcher Bedenken gegen die genannte Wortfolge des §64 Abs2 VStG. Die angefochtene Wortfolge steht mit §65 VStG aber auch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, sodaß es nicht möglich ist, die gegen §65 VStG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken als auch gegen die Wortfolge "für das Berufungsverfahren mit weiteren 20% der verhängten Strafe" in §64 Abs2 VStG gerichtet anzusehen.

Die Eventualanträge sind daher gemäß §62 Abs1 VfGG mangels Darlegung der Bedenken im Einzelnen als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 14.318/1995, 15.199/1998).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Verfahrenskostenbeitrag, VfGH / Antrag, Eventualantrag, VfGH / Bedenken, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G16.2002

Dokumentnummer

JFT_09979073_02G00016_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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