Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Februar 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Holzweber, Dr. Schmucker und Dr. Habl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lehr als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wolfgang M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Wolfgang M***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 29. März 2001, GZ 8 Vr 279/98-100, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufungen werden zurückgewiesen.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang M***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und Abs 2 zweiter Satz StGB und des Finanzvergehens des Schmuggels nach §§ 11, 35 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt und hiefür zu zwei Freiheitsstrafen, einer Geldstrafe und einer Wertersatzstrafe verurteilt.
Der Angeklagte hat gegen das Urteil rechtzeitig die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung angemeldet.
Die Ausführung der Rechtsmittel erfolgte jedoch verspätet.
Das Ersturteil wurde der ausgewiesenen Wahlverteidigerin des Angeklagten, Dr. Gabriele Sch*****, am 19. September 2001 zugestellt. Am 17. Oktober 2001 - also am letzten Tag der Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel - brachte diese unter ausdrücklicher Berufung auf die erteilte Vollmacht namens des Angeklagten einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Landesgericht Eisenstadt ein, in dem sie ersuchte, sie selbst zur Verfahrenshilfeverteidigerin zu bestellen (ON 105). Ungeachtet dessen, dass der Angeklagte demnach unverändert durch eine gewählte Verteidigerin vertreten war (eine Beendigung des Vollmachtsverhältnisses erfolgte vor Ablauf der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel nach der Aktenlage nicht), beschloss der Vorsitzende des Schöffengerichts am selben Tag die Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs 2 StPO (S 1 r verso/I), worauf die Rechtsanwaltskammer für Burgenland am 19. Oktober 2001 Mag. Michael W***** zum Verteidiger bestellte (ON 106), welchem am 25. Oktober 2001 eine Urteilsabschrift zugestellt wurde (S 1 r verso/I). Am 22. November 2001 brachten dieser Verfahrenshilfeverteidiger und die Wahlverteidigerin Dr. Sch***** in getrennten Schriftsätzen zwei wortgleiche Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung ein.
Rechtliche Beurteilung
Die Frist zur Ausführung dieser Rechtsmittel ist jedoch bereits mit Ende des 17. Oktober 2001 abgelaufen. Denn der am selben Tag eingebrachte Antrag auf Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs 2 StPO wirkte im konkreten Fall nicht fristverlängernd iSd § 43a StPO.
Sinn und Zweck der letztgenannten Bestimmung ist es, eine faktische Verkürzung der Rechtsmittelausführungsfrist des Angeklagten durch eine Verteidigerbeigabe erst während der bereits laufenden Frist zu vermeiden (vgl Foregger/Fabrizy StPO8 § 43a Rz 1); dem rechtskundigen Vertreter des Angeklagten soll die ganze gesetzliche Frist ungekürzt zur Ausarbeitung der Beschwerdeschrift zur Verfügung stehen. Nicht im Sinn dieser Bestimmung liegt es dagegen, einem während der gesamten Rechtsmittelausführungsfrist ohnehin durch seinen Verteidiger vertretenen Angeklagten deren Verlängerung zu ermöglichen. Dass aber der Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers im konkreten Fall ersichtlich (bloß) dem Zweck einer faktischen Verlängerung der 4-Wochen-Frist zur Rechtsmittelausführung diente, zeigt sich schon darin, dass die Rechtsmittel (auch) von der Wahlverteidigerin ausgeführt wurden.Sinn und Zweck der letztgenannten Bestimmung ist es, eine faktische Verkürzung der Rechtsmittelausführungsfrist des Angeklagten durch eine Verteidigerbeigabe erst während der bereits laufenden Frist zu vermeiden vergleiche Foregger/Fabrizy StPO8 § 43a Rz 1); dem rechtskundigen Vertreter des Angeklagten soll die ganze gesetzliche Frist ungekürzt zur Ausarbeitung der Beschwerdeschrift zur Verfügung stehen. Nicht im Sinn dieser Bestimmung liegt es dagegen, einem während der gesamten Rechtsmittelausführungsfrist ohnehin durch seinen Verteidiger vertretenen Angeklagten deren Verlängerung zu ermöglichen. Dass aber der Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers im konkreten Fall ersichtlich (bloß) dem Zweck einer faktischen Verlängerung der 4-Wochen-Frist zur Rechtsmittelausführung diente, zeigt sich schon darin, dass die Rechtsmittel (auch) von der Wahlverteidigerin ausgeführt wurden.
§ 43a StPO ist dahin teleologisch zu reduzieren, dass er Anträge unvertretener Angeklagter umfasst. Hingegen tritt ein Fristenneulauf im Sinn dieser Gesetzesstelle nicht ein, wenn der Angeklagte während der gesamten ursprünglichen Frist bereits durch einen Verteidiger vertreten ist (in diesem Sinn 13 Os 182/01, 2/02).
Die Ansicht, jeder iSd § 43a StPO gestellte Antrag wirke unterschiedslos fristverlängernd, hätte das Ergebnis, dass ein ohnehin durch einen Verteidiger vertretener Angeklagter durch ständig wiederholte Antragstellung auf Beigebung eines (weiteren) Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO innerhalb der Rechtsmittelausführungsfrist immer wieder deren Neulauf iSd § 43a StPO auslösen und sie daher nicht nur nach Belieben verlängern, sondern in letzter Konsequenz auch ihren Ablauf auf Dauer wirksam verhindern könnte. Dass dies vom Gesetzgeber nicht gewollt war, liegt auf der Hand.
Die Möglichkeit einer Fristverlängerung wegen extremen Verfahrensumfangs ist hingegen in § 285 Abs 2 und 3 StPO abschließend geregelt; ein darauf abzielender Antrag wurde jedoch vom Angeklagten nicht gestellt.
Ungeachtet dessen, dass der Vorsitzende des Schöffengerichts hier dem (ohnehin durch eine Verteidigerin vertretenen) Angeklagten ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Verteidiger gemäß § 41 Abs 2 StPO beigegeben hat (vgl §§ 41 Abs 6, 44 Abs 2 StPO), vermochte somit der gestellte Antrag einen Fristenneulauf nicht herbeizuführen, sodass die Nichtigkeitsbeschwerde mangels rechtzeitiger Ausführung zurückzuweisen war (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO). Dieses Schicksal teilt die Berufung, weil mangels Rechtzeitigkeit der Ausführung nicht erklärt worden ist, gegen welchen der mehreren Strafaussprüche sich diese richtet (§ 294 Abs 2 und Abs 4 StPO; zur Zuständigkeit Mayerhofer StPO4 § 296 Anm 1 und E 10).
Bei der Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde ergaben sich aufgrund der vorliegenden Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Schuldspruch zu den "Fakten 4 bis 6" des Ersturteils (mängelfrei) festgestellten und diesem damit zugrunde gelegten Tatsachen, sodass sich der Oberste Gerichtshof die Ausübung der ihm nach § 362 Abs 1 und Abs 2 StPO zustehenden Befugnis bei einem dazu gesondert anzuordnenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung vorbehält.
Textnummer
E64926European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:0150OS00179.01.0221.000Im RIS seit
23.03.2002Zuletzt aktualisiert am
20.10.2010