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25/01 Strafprozess;Norm
StbG 1985 §10 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des S E in I, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 11. Juli 2005, Zl. Ia-22.631/13, betreffend Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 iVm Abs. 5 Z 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (StbG) abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, sei am 2. Februar 1999 illegal nach Österreich eingereist und lebe seit diesem Zeitpunkt im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer habe am 2. Februar 1999 einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt. Das Verfahren sei (nach Durchlaufen mehrerer Instanzenzüge) derzeit beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und noch nicht abgeschlossen.
Seit 10. Mai 1999 wohne der Beschwerdeführer in Innsbruck in einer Dienstwohnung des Pfarrhauses Saggen, welche er unentgeltlich zur Verfügung gestellt bekomme. Dort arbeite er geringfügig beschäftigt als Mesner. In einem Schreiben der Pfarrgemeinde werde bestätigt, dass der Beschwerdeführer in der Pfarre sehr beliebt sei, seine Arbeit vorbildlich und verlässlich erfülle, außerdem sehr rasch und gut Deutsch gelernt habe. Zusätzlich arbeite der Beschwerdeführer seit 26. August 1999 jährlich als Saisonarbeiter mit Beschäftigungszeiten zwischen 3,18 und 8,35 Monaten pro Jahr bei den Bundesgärten Innsbruck, so zuletzt in der Zeit zwischen dem 1. Februar 2005 und dem 31. März 2005 im Ausmaß von 20 Stunden und einem Einkommen von EUR 430,50 und ab dem 1. April 2005 bis voraussichtlich 31. Juli 2005 im Ausmaß von 40 Stunden und einem Einkommen von EUR 860,15. Laut Bestätigung der Bundesgärten Innsbruck sei der Beschwerdeführer als fleißiger Mitarbeiter bekannt. Der Beschwerdeführer habe vom 1. Dezember 2004 bis 31. Jänner 2005 Arbeitslosenunterstützung bezogen. Weiters habe er in den Jahren 1999 und 2001 Sozialhilfe bezogen.
Ein Verfahren wegen Diebstahles sei am 1. August 2000 gemäß "§ 90 c (s) StPO" beendet worden.
Der Beschwerdeführer lebe seit 6 Jahren in Österreich und habe seinen Antrag auf § 10 Abs. 5 Z 3 StbG gestützt. Er könne zwar die für diese Bestimmung wesentliche Voraussetzung eines sechsjährigen Aufenthaltes in Österreich nachweisen, nicht jedoch eine nachhaltige berufliche und persönliche Integration.
Der Beschwerdeführer sei zwar in der Lage, seinen Unterhalt selbst zu bestreiten und könne aufgrund seiner Arbeitserlaubnis auch jegliche Arbeitsstelle annehmen. Doch sei er bei der Pfarre Saggen nur geringfügig beschäftigt und müsse sich daher zusätzlich mit einer saisonalen Arbeitsstelle bei den Bundesgärten Innsbruck ein hinreichendes Einkommen verschaffen. Bei beiden Arbeitsstellen handle es sich um keine Stellen, bei denen eine besondere Qualifikation erforderlich wäre, also Schlüsselkräfte wie im Fremdengesetz definiert "zum Zug" kämen. Der Beschwerdeführer sei daher zwar beruflich integriert, seine berufliche Situation hebe sich aber nicht deutlich über die Situation hinaus, wie sie sich für einen Fremden üblicherweise nach einem 6-jährigen Aufenthalt in Österreich mit einem entsprechenden Integrationsbemühen darstelle.
Darüber hinaus sei auch keine nachhaltige persönliche Integration des Beschwerdeführers gegeben: Der Beschwerdeführer könne seinen fremdenrechtlichen Status nur aus der "Aufenthaltsbewilligung" nach dem Asylgesetz herleiten, welcher wesentlich vom Ausgang des Asylverfahrens abhängig und deshalb künftig nicht gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei als Asylwerber in der Pfarre Saggen offen aufgenommen und es sei ihm dort auch eine Unterkunft und eine Beschäftigung in kleinerem Umfang gewährt worden. Dadurch habe er Kontakt zu anderen Personen erhalten. Die gesamte Familie des Beschwerdeführers, der alleine nach Österreich geflüchtet sei, lebe aber nach wie vor in seiner bisherigen Heimat. Auch wenn der Beschwerdeführer in den 6 Jahren einen Freundeskreis gefunden habe und auch seine Arbeitsleistungen und sein Verhalten zufriedenstellend gewesen seien, so könne im Hinblick auf die fehlende fremdenrechtliche und familiäre Einbindung nicht von einer nachhaltigen persönlichen Integration gesprochen werden. Das Vorliegen guter Deutschkenntnisse ändere daran nichts, da entsprechende Deutschkenntnisse Grundvoraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft seien. Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers seien nicht derart überdurchschnittlich hoch, dass sie auf eine besondere Integration hinweisen würden. Auch sei die Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen Diebstahls, auch wenn das Verfahren mit Diversion eingestellt worden sei, für den Nachweis einer nachhaltigen Integration ungünstig.
Insgesamt habe der Beschwerdeführer daher die Behörde nicht von seiner nachhaltigen beruflichen und persönlichen Integration in dem Sinn überzeugen können, dass sich seine Situation sehr deutlich von der Situation eines in einer vergleichbaren Situation befindlichen Fremden bei üblicherweise zu erwartenden Integrationsbemühungen befinde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde wendet gegen den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen ein, die Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer im Verfahren seine nachhaltige berufliche und persönliche Integration nicht habe nachweisen können. So habe der Beschwerdeführer am Arbeitsmarkt eine gesicherte Rechtsposition innegehabt, was sich daran zeige, dass der Beschwerdeführer bereits im Sommer 2005 die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 15 AuslBG erfüllt habe und ihm dieser auch am 1. August 2005 ausgestellt worden sei.
Im Hinblick auf seine soziale Integration habe die Behörde nicht gewürdigt, dass der Beschwerdeführer perfekt Deutsch spreche und - wie sich aus der Bestätigung der Pfarre Saggen vom 16. Februar 2005 ergebe - in dieser Pfarre sehr geschätzt sei und sich nahezu nur "im österreichischen Umfeld" aufhalte, wo er "voll akzeptiert" sei. Vielmehr "reduziere" die Behörde unzulässigerweise die Beweisergebnisse und verkenne, dass der Beschwerdeführer absolut verlässlich sei und seinen Dienst vorbildlich erfülle.
Der Empfang der Sozialhilfe sei nur in jeweils kurzen Zeiträumen erfolgt und dies zeige, dass der Beschwerdeführer Überdurchschnittliches geleistet habe, um überhaupt im Gegensatz zu vielen Asylwerbern eine Beschäftigungsbewilligung zu erhalten. Die Anzeige wegen Diebstahls sei mit Diversion eingestellt worden und dürfe daher nicht zu Lasten des Beschwerdeführers herangezogen werden.
2. Gemäß § 10 Abs. 4 Z 1 zweiter Satz iVm Abs. 5 Z 3 StbG in der hier maßgeblichen Fassung vor der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I 37/2006, kann die Verleihung der Staatsbürgerschaft auch ohne den in § 10 Abs. 1 Z 1 StbG vorausgesetzten 10-jährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet erfolgen, wenn der Verleihungswerber seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat und der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration erbracht ist.
Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der nachhaltigen persönlichen und beruflichen Integration kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0227, und die folgende ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl.2003/01/0329).
3. Ob in diesem Sinne die Tatbestandsmerkmale einer nachhaltigen beruflichen und persönlichen Integration erfüllt sind, lässt sich nicht beurteilen, weil die belangte Behörde - wie nachstehend dargelegt - die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage verkannt hat:
3.1. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid tragend auf das Argument, der Nachweis nachhaltiger beruflicher Integration des Beschwerdeführers sei nicht erbracht, weil dieser zwar eine Arbeitserlaubnis habe, jedoch keine besondere berufliche Qualifikation aufweise und sich somit nicht deutlich von vergleichbaren Fremden mit einem entsprechenden Integrationsbemühen abhebe.
Damit verkennt die belangte Behörde, dass es bei der Beurteilung der beruflichen Integration maßgeblich auf die beschäftigungsrechtliche Situation des Verleihungswerbers ankommt und bereits die Arbeitserlaubnis den Nachweis einer beschäftigungsrechtlich bis auf weiteres gesicherten Position in Österreich erbringt. Auf die Art der beruflichen Tätigkeit kommt es darüber hinaus nicht an, da dem StbG keine Präferenz für eine bestimmte Form der Erwerbstätigkeit entnehmbar ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2002, Zl. 2002/01/0002).
3.2. Weiters vertritt die belangte Behörde die Auffassung, der Nachweis nachhaltiger persönlicher Integration des Beschwerdeführers sei nicht erbracht, weil der Beschwerdeführer seinen fremdenrechtlichen Status nur aus der Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz herleiten könne, dieser daher wesentlich vom Ausgang des Asylverfahrens abhängig und deshalb künftig nicht gesichert sei. Damit verkennt die belangte Behörde, dass eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG einer nachhaltigen persönlichen Integration nicht entgegensteht und keinen Ausschlussgrund für eine solche Integration eines Staatsbürgerschaftswerbers bildet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0515, und vom 9. September 2003, Zl. 2002/01/0185, auf deren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
3.3. Zudem hat die belangte Behörde das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Diebstahls, das gemäß § 90 c StPO mit Diversion eingestellt worden sei, für den Nachweis einer nachhaltigen Integration ungünstig gewürdigt. Das StbG berücksichtigt aber strafrechtliches Fehlverhalten und die allein damit allenfalls schon abstrakt verbundene Minderung einer Integration schon im Rahmen der allgemeinen Einbürgerungserfordernisse (§ 10 Abs. 1 Z 2 und Z 6 StbG). Weder aus dem Gesetz noch aus dessen Materialien ist ersichtlich, dass unterhalb der Schwelle des § 10 Abs. 1 Z 2 bzw. Z 6 StbG liegendes Fehlverhalten die Tatbestandsmerkmale der "persönlichen Integration" und der "beruflichen Integration" beeinträchtigen könnte. Aus der konkreten Tathandlung kann zwar im Einzelfall das eine oder andere Mal spezifisch auf ein "Integrationsdefizit" geschlossen werden (vgl. zu allem das hg. zitierte Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, mwN). Vorliegend trifft das jedoch schon deshalb nicht zu, da die Einstellung eines Strafverfahrens nach dieser Bestimmung keiner - Bindung entfaltenden - rechtskräftigen Verurteilung gleichzuhalten ist und sich die Behörde daher beweiswürdigend nicht mit einem Hinweis auf die Anzeige begnügen durfte (vgl. zur Diversion nach § 90 c StPO das hg. Erkenntnis vom 9. September 2003, Zl. 2002/01/0238, und zur Diversion nach § 90 g StPO das hg. Erkenntnis vom 22. August 2006, Zl. 2005/01/0026, mwN).
4. Da sich der angefochtene Bescheid schon aus diesen Gründen aus inhaltlich rechtswidrig erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
5. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr 333.
Wien, am 27. Februar 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005010384.X00Im RIS seit
28.03.2007