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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §1 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. P. Trefil, über die Beschwerde des M in G, geboren 1978, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 18. Mai 2006, Zl. 2F 94/1-2006, betreffend Rückkehrverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 Abs. 1 bis 4 sowie den §§ 61, 63, 66 und 125 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 4. Oktober 2005 nach den §§ 269 Abs. 1; 15, 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 14. August 2005 auf der Pyhrnautobahn einen Pkw gelenkt und einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht habe. Auf Grund der offensichtlichen Alkoholisierung sei er von unbeteiligten Verkehrsteilnehmern an der Weiterfahrt gehindert und von Beamten der Autobahnpolizeiinspektion Graz-West "beamtshandelt" worden, wobei er sich mit Körperkraft der Amtshandlung bzw. der Aufforderung, einen "Alko-Test" durchzuführen, widersetzt habe. Er habe dabei auch mit den Händen auf die amtshandelnden Beamten eingeschlagen. Der Tatbestand des § 62 Abs. 2 FPG sei erfüllt, "zumal" der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sei.
Der Asylantrag des an diesem Tag eingereisten Beschwerdeführers vom 5. Mai 2002 sei erstinstanzlich mit Bescheid des Bundesasylamtes "gem. § 7, 8 Asylgesetz 1997" abgewiesen worden; über die dagegen erhobene Berufung sei bis dato noch nicht entschieden worden.
Der Beschwerdeführer sei ledig, habe im Bundesgebiet keine familiären Bindungen; er sei nach seinen Angaben mit einer slowakischen Staatsangehörigen eng befreundet, die er zu heiraten beabsichtige. Er gehe keiner Berufsausübung nach. Somit werde nicht in relevanter Weise in sein Privat- oder Familienleben eingegriffen. Selbst unter der Annahme eines solchen Eingriffs könne es keinem Zweifel unterliegen, dass das Rückkehrverbot zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit dringend geboten sei. Die Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen gerichtlichen Straftat lasse ein Charakterbild erkennen, das zweifelsohne den Schluss rechtfertige, der Beschwerdeführer sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit anderer Personen erlassenen Vorschriften "bzw. gegenüber der österr. Rechtsordnung überhaupt" negativ eingestellt und bilde solcherart eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Daraus folge, dass im Blick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation. Somit sei das Rückkehrverbot auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
Auf Grund der konkreten Feststellungen könne von der Erlassung des Rückkehrverbotes nicht Abstand genommen werden, weil der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde bzw. anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Ein Zusammenleben des Beschwerdeführers mit seiner slowakischen Freundin in einem eheähnlichen Verhältnis sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Die bloße Absicht, eine slowakische Staatsangehörige zu heiraten, vermöge das persönliche Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht maßgeblich zu verstärken.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Die §§ 1 und 62 FPG lauten:
"Anwendungsbereich
§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetiteln.
(2) Auf Asylwerber (§ 2 Z 14 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100) sind die §§ 41 bis 43, 53, 58, 68, 69, 72 und 76 Abs. 1 nicht anzuwenden. Ein vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eingeleitetes Aufenthaltsverbotsverfahren ist nach Stellung eines solchen Antrages als Verfahren zur Erlassung eines Rückkehrverbotes weiterzuführen. Es ist nur über das Rückkehrverbot abzusprechen. Auf Fremde, denen der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, sind darüber hinaus die §§ 39, 60 und 76 nicht anzuwenden. Die Durchsetzung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Asylwerber ist erst zulässig, wenn die Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 durchgesetzt werden kann. Ein Rückkehrverbot kann gegen einen Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, erlassen werden.
Voraussetzungen für das Rückkehrverbot
§ 62. (1) Gegen einen Asylwerber kann ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt
1.
die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2.
anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen
zuwiderläuft. Das Rückkehrverbot gilt als Entzug des Aufenthaltsrechtes. § 13 AsylG 2005 gilt.
(2) Bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 sind insbesondere jene des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 5, 8 bis 10 und 12 bis 14.
(3) Die §§ 60 Abs. 3 bis 5 und 66 gelten.
(4) Ein rechtskräftig durchgesetztes Rückkehrverbot gilt als Aufenthaltsverbot.
(5) Wenn es aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig ist, kann mit Erlassung des Rückkehrverbotes der Aufenthalt des Asylwerbers auf einen bestimmten Bereich des Bundesgebietes beschränkt werden; dieser Bereich umfasst jedenfalls den Sprengel einer Bezirksverwaltungsbehörde. Des Weiteren können, wenn es aus denselben Gründen notwendig ist, dem Asylwerber Aufträge, insbesondere sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden, erteilt werden. Die Auflagen sind im Reisedokument oder in der Karte nach dem Asylgesetz 2005 des Fremden ersichtlich zu machen.
(6) Wird der Aufenthalt des Asylwerbers auf einen bestimmten Bereich des Bundesgebietes beschränkt, sind diesem die Grenzen dieses Gebietes unter Ausfolgung eines Planes nachweislich zur Kenntnis zu bringen."
Zu dieser Bestimmung geht der Gesetzgeber (952 BlgNR 22. GP 100) davon aus, dass ein Aufenthaltsverbot "eine Ausweisung mit einem korrespondierenden Rückkehrverbot nach Österreich" darstelle und die "Verhängung einer Ausweisung während eines laufenden Asylverfahrens" dem Grundsatz widerspreche, "während eines Asylverfahrens keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu setzen. Bei Vorliegen von Gründen, die die Erlassung eines Rückkehrverbots (gemeint wohl: Aufenthaltsverbotes) rechtfertigen würden, wäre der Fremde nicht Asylwerber, wird vorgeschlagen, die Möglichkeit eines Rückkehrverbots schon während des Asylverfahrens zu ermöglichen."
Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, FPG, Anm. vor § 60, weisen zu Recht darauf hin, dass weder dem Gesetz noch den Erläuterungen zur RV mit der an sich gebotenen Klarheit zu entnehmen sei, warum die Verhängung (nicht die Durchsetzung) von Aufenthaltsverboten gegen Asylwerber als nicht mehr zulässig erachtet werde. Es trifft auch zu, dass keine Bestimmung des FPG ausdrücklich eine Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen Asylwerber enthält (Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner aaO., § 62 Anm. 2).
Unklar ist die Anordnung des § 62 Abs. 4 FPG, wonach ein durchgesetztes Rückkehrverbot als Aufenthaltsverbot gelte. Zum einen kann denknotwendig lediglich die Befolgung eines Rückkehrverbotes im Sinn eines Verbots einer Wiedereinreise durchgesetzt werden, während die in § 62 Abs. 4 FPG offenbar gemeinte Außerlandesschaffung in Vollstreckung einer Ausweisung bewirkt werden muss. Zum anderen bedarf es des Wechsels von einem "durchgesetzten" Rückkehrverbot in ein Aufenthaltsverbot nicht, um die Wirksamkeit der Außerlandesschaffung über einen bestimmten Zeitraum oder auf Dauer zu erreichen; im Gegenteil entspricht die Aufrechterhaltung dieses Zustandes eben einem Rückkehrverbot, somit dem zweiten Bestandteil eines Aufenthaltsverbotes.
Davon abgesehen ist jedoch an der Intention des Gesetzgebers nicht zu zweifeln, dass das Rückkehrverbot gegen Asylwerber in Verbindung mit einer (im Regelfall: im Asylverfahren gesetzten) Ausweisung nichts anderes als die korrespondierende Bestimmung zu einem Aufenthaltsverbot gegen Nicht-Asylwerber darstellt.
Nun kommt in Fällen wie dem vorliegenden, in dem das Asylverfahren noch nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 zu Ende zu führen ist (§ 75 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 44 Asylgesetz 1997), eine asylrechtliche Ausweisung nicht in Betracht. Eine fremdenpolizeiliche Ausweisung kann erst erfolgen, wenn dem Fremden ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen nicht mehr zukommt (§ 31 Abs. 1 Z 4 FPG idF BGBl. I Nr. 157/2005). Es besteht kein Grund für die Annahme, nicht auch in solchen Fällen von der bereits anhand der zitierten Materialien abzuleitenden gesetzlichen Intention auszugehen, dass während eines laufenden Asylverfahrens keine aufenthaltsbeendigende Maßnahme gesetzt werden soll. Demnach besteht keine Veranlassung, in § 62 FPG den Begriff "Asylwerber" dahin einschränkend auszulegen, dass nur dem AsylG 2005 unterliegende Asylwerber gemeint seien, zumal die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 3 letzter Satz FPG anordnet, dass ein gegen einen Fremden, der am 1. Jänner 2006 Asylwerber ist, bestehendes Aufenthaltsverbot als Rückkehrverbot gilt. Zum einen kann "Asylwerber" in diesem Sinn nur ein solcher nach § 1 Z 3 Asylgesetz 1997 und nicht nach der Definition in § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 sein. Zum anderen wurde dadurch die Absicht ausgedrückt, dass im Geltungsbereich des FPG keine Aufenthaltsverbote gegen "Asylwerber" bestehen und somit auch nicht erlassen werden sollen.
Zusammenfassend darf somit auch gegen den Beschwerdeführer, dessen Asylverfahren weiter nach dem Asylgesetz 1997 zu führen ist, ein Rückkehrverbot, nicht jedoch ein Aufenthaltsverbot, erlassen werden.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die von der belangten Behörde festgestellte Verurteilung. Demnach wurde der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 dritter Fall FPG verwirklicht, sodass gemäß § 62 Abs. 2 FPG eine bestimmte Tatsache für die Erlassung eines Rückkehrverbotes vorliegt. Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Im Blick auf das aggressive Verhalten des Beschwerdeführers gegen Beamte, die im öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines sicheren Straßenverkehrs eingeschritten sind, bestehen keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass für den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine negative Prognose zu stellen sei.
Was den Hinweis auf die bedingte Strafnachsicht betrifft, ist dem Beschwerdevorbringen zu entgegnen, dass der Gesetzgeber selbst ein Aufenthalts- bzw. Rückkehrverbot als Konsequenz auch einer bedingt nachgesehenen Verurteilung normiert hat.
Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 62 Abs. 3 FPG ist ein Rückkehrverbot, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 iVm § 62 Abs. 3 FPG darf ein Rückkehrverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen. Diesbezüglich stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer über keine familiäre Bindung im Bundesgebiet verfüge und keinen Beruf ausübe. Er sei nach eigenen Angaben mit einer slowakischen Staatsangehörigen eng befreundet, die er zu heiraten beabsichtige. Der Beschwerdeführer halte sich seit 5. Mai 2002 im Bundesgebiet auf.
Angesichts dieser Umstände kann der Ansicht der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, dass, selbst wenn mit dem Rückkehrverbot ein relevanter Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden wäre, das Rückkehrverbot sowohl dringend geboten als auch nach einer Interessenabwägung zulässig sei. Der Beschwerdevorwurf ist unrichtig, dass die belangte Behörde keinerlei Interessenabwägung durchgeführt habe. Weiters hat die belangte Behörde ohnedies die Heiratsabsicht des Beschwerdeführers berücksichtigt, dieser aber - weil nicht näher konkretisiert - zu Recht keinen besonderen Stellenwert eingeräumt. Inwieweit der Beschwerdeführer als finanziell abgesichert anzusehen sei, wird in der Beschwerde nicht näher dargelegt. Dies trifft auch auf den Vorwurf einer antizipierenden Beweiswürdigung zu.
Welche Angaben der Beschwerdeführer im Fall einer ergänzenden Vernehmung hätte tätigen können, wird von ihm nicht dargelegt, weshalb es an der Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels fehlt.
Nicht nachvollziehbar, jedenfalls nicht zielführend ist die Behauptung des Beschwerdeführers, er wäre im Fall weiterer strafbarer Handlungen bereit, seinen Asylantrag zurückzuziehen und in sein Heimatland zurückzukehren. Dem behaupteten Studium an der Montan-Universität in Leoben kommt keine maßgebliche Bedeutung zu.
Weiters sind keine Umstände ersichtlich, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass dem angefochtenen Bescheid eine Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 27. Februar 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210164.X00Im RIS seit
30.03.2007Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011