Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adolf H*****, vertreten durch Dr. Hans Lehofer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Patricia U*****, 2. Ingemar B***** und 3. ***** Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Stenitzer & Stenitzer, Rechtsanwälte OEG in Leibnitz, wegen Zahlung von EUR 61.955,77 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 6. November 2001, GZ 5 R 88/01b-76, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Juni 2001, GZ 21 Cg 121/99g-69, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes insgesamt wie folgt zu lauten hat:
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger den Betrag von EUR 61.955,77 samt 4 % Zinsen seit 18. Juni 1999 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien dem Kläger zur ungeteilten Hand für sämtliche künftigen Folgen, die sich aus dem Unfall vom 3. Jänner 1998 ergeben, haften; dies hinsichtlich der drittbeklagten Partei bis zur Höhe der Haftpflichtversicherungssumme. Die beklagten Partein sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit EUR 11.916,68 (darin enthalten Umsatzsteuer von EUR 1.430,21 und Barauslagen von EUR 3.335,39) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit EUR 7.764,79 (darin enthalten Umsatzsteuer von EUR 785,45 und Barauslagen von EUR 3.052,08) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall am 3. 1. 1998 als Fußgänger von dem von der Erstbeklagten gelenkten, vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW schwer verletzt.
Nach Einschränkung in Ansehung einzelner Schadenspositionen und Ausdehnung in Ansehung des (ungekürzten) Schmerzengeldes schlüsselt sich der von ihm begehrte Betrag von S 852.530 wie folgt auf:
Schmerzengeld S 860.000
Kleiderschaden S 1.000
Kieferprothese S 8.500
Kosten der Verwandtenbesuche S 35.000
Nierengurt S 700
Schuheinlage S 900
Waschmittelmehrverbrauch S 15.500
Medikamentenkosten S 10.850
Mehraufwand für Automatikaus-
stattung des Fahrzeuges S 26.680
Aufwand für Blumen S 3.000
Armbanduhr S 200
Hundeleine S 200
zusammen S 962.530
abzüglich Akontozahlung S 110.000
ergibt S 852.530.
Der Kläger brachte vor, das Alleinverschulden an dem Unfall treffe die Erstbeklagte. Diese habe im Ortsgebiet eine weit überhöhte Fahrgeschwindigkeit zwischen 80 und 90 km/h eingehalten und ihn als überquerenden Fußgänger während der Heranfahrt im Zuge eines Fahrstreifenwechsels übersehen.
Neben der Zahlung von S 852.530 sA begehrte der Kläger die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für die zukünftigen Unfallsfolgen, in Ansehung der drittbeklagten Partei beschränkt mit den für das Unfallfahrzeug bestehenden Haftpflichtsummen. Die beklagten Parteien anerkannten ihre Haftung dem Grunde nach im Ausmaß von 50 %, bestritten aber ein darüber hinausgehendes Mitverschulden sowie auch einzelne Positionen der klägerischen Forderung; vor allem machten sie geltend, das Schmerzengeld sei weit überhöht. Zum Mitverschulden des Klägers führten sie aus, dieser hätte bei aufmerksamer Fahrbahnüberquerung den herannahenden PKW wahrnehmen und durch bloßes Innehalten die Kollision leicht verhindern können. Es wäre im zumutbar gewesen, in der Fahrbahnmitte stehen zu bleiben. Er habe auch keine auffällige Kleidung getragen und sei so für die Lenker von Kraftfahrzeugen schwer wahrnehmbar gewesen.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur Zahlung von S 307.233 sA und sprach deren Haftung zu 2/3 aus. Es teilte das Verschulden im Verhältnis 2 : 1 zu Gunsten des Klägers und ging von einem ungekürzten Schmerzengeldbetrag von S 550.000 aus. Es erachtete die übrigen klägerischen Forderungen von insgesamt S 75.850 (ausgenommen die Mehrkosten für Anschaffung eines PKWs mit Automatik) als berechtigt. Ausgehend von einem um die Verschuldensquote gekürzten Schmerzengeldanspruch von S 366.666 und den übrigen Kosten von S 50.566,66 errechnete es unter Berücksichtigung der Akontozahlung von S 110.000 einen dem Kläger zustehenden Betrag von S 307.223 sA.
Dabei wurden im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die Kärntnerstraße verläuft im Unfallsbereich unmittelbar nördlich der Einmündung der Wetzelsdorferstraße im Bereiche der Eisenbahnunterführung annähernd horizontal und geradlinig in Nord-Süd-Richtung und ist mit einer 10,6 m breiten Asphaltdecke befestigt. Südlich des Unfallsbereiches beschreibt die Kärntnerstraße in Richtung Süden ein unübersichtliche langgezogene Linkskurve. Nördlich davon ist dem geradlinigen Straßenstück eine langgezogene Rechtskurve vorgelagert.
Beiderseits der Asphaltdecke sind 0,3 m breite Rigolstreifen angelegt, die jeweils vor den Bordsteinkanten der anschließenden Gehsteige verlaufen. Die Gehsteige sind mit einer Asphaltdecke befestigt und weisen eine Breite von 1,1 m auf.
In einem Abstand von 5,2 m vom westlichen Asphaltrand entfernt verläuft eine doppelte Sperrlinie. Auf der westlichen Fahrbahnhälfte sind für den in Richtung Süden fließenden Verkehr zwei Fahrstreifen durch eine Leitlinie markiert, der westliche Fahrstreifen hat eine Breite von 2,4 m und der östliche daran anschließende Fahrstreifen zur doppelten Sperrlinie hin eine solche von 2,8 m. Im Bereich der Unfallstelle führt die Kärntnerstraße unter der Eisenbahn. Die Unterführung hat eine Länge von 18 m. In diesem Bereich bilden die Begrenzung vom Gehsteig beiderseits der Straße senkrecht ansteigende Steinmauern. Die Unterführung verläuft von Südosten nach Nordwesten in einem Winkel von 45° zur Längsachse der Kärntnerstraße. Unmittelbar südlich der Unterführung mündet aus Westen die Wetzelsdorferstraße ein.
Im Unfallsbereich besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h aufgrund des Ortsgebietes. In der Unterführung sind auf der Unterseite Beleuchtungskörper montiert, wobei sowohl über dem westlichen wie auch über dem östlichen Fahrstreifen jeweils eine Beleuchtungseinheit angebracht ist. Im Bereich der Bezugslinie befinden sich zwei derartige Lampen. 9 m nördlich der Bezugslinie sind wiederum zwei Lampen an der Unterseite montiert. Nördlich der Eisenbahnunterführung sind zwei Beleuchtungskörper auf der Position 21 m nördlich der Bezugslinie angebracht.
Aus Norden kommend ist der Unfallsbereich erstmals aus einer Position von etwa 160 m nördlich der Bezugslinie einsehbar. Die Sicht reicht dabei bis 120 m südlich der Bezugslinie.
Der Kläger näherte sich über die Südbahnstraße der Kärntnerstraße, die er in Richtung Westen überqueren wollte. Er war mit einem Hund, den er angeleint hatte und der unmittelbar neben ihm rechts ging, unterwegs. Als er noch auf dem östlichen Gehsteig stand, nahm er in einer Position ca 130 m nördlich der Bezugslinie einen stadtauswärts fahrenden PKW wahr. Er wollte sodann die Fahrbahn senkrecht zu ihrer Längsachse überqueren. Dabei hielt er einen normalen Gehschritt ein. Als er sich noch ein bis zwei Schritte vom westlichen Gehsteig entfernt befand, wurde er von dem von der Erstbeklagten gelenkten PKW erfasst.
Diese fuhr mit dem PKW des Zweitbeklagten auf der Kärntnerstraße stadtauswärts. Bis zu einem Bereich von rund 150 bis 200 m nördlich der Bezugslinie fuhr sie auf der rechten Fahrspur. Im Zuge eines Überholmanövers wechselte sie auf die linke Fahrspur und fuhr sodann wieder auf die rechte Spur, weil sie die Absicht hatte, an der nächsten Kreuzung nach rechts abzubiegen. Aus einer Entfernung von ca 6 m bemerkte sie erstmals einen Fußgänger, der sich zu diesem Zeitpunkt knapp westlich der Leitlinie der stadtauswärtsführenden Fahrbahn befand. Der Fußgänger befand sich in rascher Bewegung von links nach rechts. Der Abstand zwischen dem Hund und dem Fußgänger betrug 1 bis 1 ½ m. Die Erstbeklagte bremste bis zum Stillstand des Fahrzeuges. Trotzdem wurde der Kläger vom PKW aufgegabelt und sodann wieder abgeworfen.
Zum Unfallszeitpunkt nieselte es, die Fahrbahn war nass und rutschig, am PKW der Erstbeklagten war Abblendlicht eingeschaltet. Der Kläger war bei dem Unfall dunkel bekleidet, trotzdem konnte ihn ein Zeuge auf 80 m sehen.
Bei dem von der Erstbeklagten gelenkten Fahrzeug handelt es sich um einen Mazda 323 mit einer Länge von 4,25 m und einer Breite von 1,69
m.
Die Kollisionsstelle befand sich ca 8 m nördlich der Bezugslinie, die Vorkollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeuges der Zweitbeklagten betrug ca 80 km/h. Die Gehgeschwindigkeit des Klägers lag bei etwa 12 km/h. Die gesamte Zeit vom Herabsteigen des Gehsteigs auf die Fahrbahn bis zur Kollision betrug 4,2 Sekunden. 4,2 Sekunden vor der Kollision befand sich das Fahrzeug der Zweitbeklagten in einem Abstand von 93 m vor der späteren Kollision. 1,2 Sekunden vor der späteren Kollision befand es sich noch in einer Distanz von ca 27 m vor dem späteren Kollisionspunkt. 4,2 Sekunden vor der späteren Kollision war das Fahrzeug der Zweitbeklagten in jedem Fall im Sichtbereich des Klägers. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h betrug der Anhalteweg 28,5 m, bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h hingegen 61 m. Der Fußgänger hätte lediglich eine weitere Fluchtzeit von etwas mehr als 0,1 Sekunden benötigt, um den Unfall zu vermeiden. Hätte die Erstbeklagte mit einer Lenkreaktion reagiert, so hätte eine solche ca 1 Sekunde vor der späteren Kollision ausgereicht, um einen Seitenversatz von 40 cm zu erreichen. Dies entspricht einer Distanz von ca 22 m vor der späteren Kollisionsstelle.
Hätte die Erstbeklagte keinen Spurwechsel zurück auf die erste Spur durchgeführt, sondern wäre sie gerade auf der zweiten Spur weitergefahren, so wäre die Kollision unterblieben. Hätte der Kläger die Überquerung der Mittellinie an der doppelten Sperrlinie unterbrochen, so wäre die Kollision ebenfalls unterblieben. Wäre er 1,2 Sekunden vor der späteren Kollision stehen geblieben - zu diesem Zeitpunkt befand sich der Fahrzeug der Zweitbeklagten noch in einer Distanz von 27 m vor der Kollisionsstelle - wäre die Kollision unterblieben. Ab einer Position von ca 80 m vor der Kollisionsstelle wäre der Fußgänger in jedem Fall für die Erstbeklagte erkennbar gewesen. Bei einer Reaktion in dieser Distanz - zu diesem Zeitpunkt befand sich der Fußgänger bereits auf der Fahrbahn - wäre selbst mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von ca 80 km/h eine Bremsverzögerung von ca 4 m/sec² ausreichend gewesen, um das Fahrzeug noch vor der späteren Kollisionsstelle zum Stillstand zu bringen.
Zur besseren Verständlichkeit ist der Entscheidung eine Skizze der örtlichen Gegebenheiten angeschlossen.
Der Kläger erlitt durch den Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Skalpverletzung im Hinterkopfbereich, einen Schlüsselbeinbruch rechts, eine Verrenkung des rechten Schlüsselbein-Brustgelenks, einen Bruch der vierten bis sechsten Rippe rechts, einen Bruch der Darmbeinschaufel rechts mit Fußheberschwäche rechts, eine Symphysenzerreißung, eine Sprengung des linken Kreuz-Darmbeingelenkes, eine durchbohrende Verletzung des Hodensackes, eine durchbohrende Dammverletzung rechts, ein Leberhämatom, ein Hodensackhämatom und intrapulmonale Hämatome. Er befand sich vom Unfallstag (3. 1. 1998) bis 5. 3. 1998 in stationärer Behandlung und sodann bis 9. 6. 1998 in einem Rehabilitationszentrum. Vom 3. 3. bis 10. 3. 2000 befand er sich wiederum in stationärer Behandlung. Zusammenfassend erlitt er bis zum 4. 5. 2001, komprimiert auf einen 24 Stunden-Tag, 45 Tage starke Schmerzen, 79 Tage mittlere Schmerzen und 165 Tage leichte Schmerzen.
Als Dauerfolge resultiert eine reizlose Narbe in der Stirngegend mit einer Länge von ca 7 bis 8 cm. Der Brustkorb ist etwas asymetrisch, das mediale Schlüsselbeinende nach ventral verschoben, das Gelenk aber bandstabil und ohne Druckschmerz. Die Beweglichkeit der Schulter ist geringgradig im Seitenvergleich eingeschränkt und wird ein diffuser Druckschmerz an der Vorderseite der Schulter angegeben. Das Becken ist etwas asymetrisch und besteht eine massive Überempfindlichkeit ab dem rechten Kniegelenk abwärts. Eine reizlose Narbe von etwa 12 cm endet am Nabel. Im Bereich der linken Leistenregion besteht eine Insuffizienz der Bauchdecke. Es besteht eine erektile Dysfunktion sowie beidseitige Ansammlung von Flüssigkeit in beiden Hoden mit entzündlichem Granulationsgewebe in beiden Hydrocelen. Weiters eine funktionelle Blasenentleerungstörung mit einer Dranginkontinenz. Eine Hernia cicatricia besteht im Bereich des Pfannenstielschnittes links. Eine Minderempfindlichkeit im Bereich der rechten Hodenseite austrahlend in den Oberschenkel ist ebenfalls auf den Unfall zurückzuführen.
Die psychische Alteration ist im körperlichen Schmerzkatalog bis zu einem gewissen Grad inkludiert, über diesen Zeitraum hinaus sind aber noch seelische Alterationen vorhanden.
Wegen des Unfalls wurde die Erstbeklagte wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Deliktsfall StGB verurteilt.Wegen des Unfalls wurde die Erstbeklagte wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach Paragraph 88, Absatz eins und 4 erster Deliktsfall StGB verurteilt.
Zur Verschuldensteilung führte das Erstgericht aus, es sei der Erstbeklagten eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung anzulasten, weiters treffe sie der Vorwurf, dass sie mangels entsprechender Beobachtung den Kläger erst auf eine Distanz von 6 m wahrgenommen habe. Dem Kläger warf das Erstgericht allerdings vor, er hätte in der Fahrbahnmitte an der Sperrlinie seine Überquerung unterbrechen müssen. Das Erstgericht gewichtete das Verschulden im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten der Beklagten. Der Höhe nach erachtete es einen ungekürzten Schmerzengeldbetrag von S 550.000 als gerechtfertigt. Die übrigen Positionen seien in der außer Streit gestellten oder eingeschränkten Höhe gerechtfertigt. Lediglich der Mehraufwand für “Automatik-Ausstattung” von (ungekürzt) S 26.680 bestehe nicht zu Recht, weil das linke Bein des Klägers keine unfallsbedingten Behinderungen aufweise.Zur Verschuldensteilung führte das Erstgericht aus, es sei der Erstbeklagten eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung anzulasten, weiters treffe sie der Vorwurf, dass sie mangels entsprechender Beobachtung den Kläger erst auf eine Distanz von 6 m wahrgenommen habe. Dem Kläger warf das Erstgericht allerdings vor, er hätte in der Fahrbahnmitte an der Sperrlinie seine Überquerung unterbrechen müssen. Das Erstgericht gewichtete das Verschulden im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten der Beklagten. Der Höhe nach erachtete es einen ungekürzten Schmerzengeldbetrag von S 550.000 als gerechtfertigt. Die übrigen Positionen seien in der außer Streit gestellten oder eingeschränkten Höhe gerechtfertigt. Lediglich der Mehraufwand für “Automatik-Ausstattung” von (ungekürzt) S 26.680 bestehe nicht zu Recht, weil das linke Bein des Klägers keine unfallsbedingten Behinderungen aufweise.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, dass es die Beklagten zur Zahlung von S 454.397,50 sA verurteilte und feststellte, deren Haftung bestehe zu ¾ zu Recht, hinsichtlich der drittbeklagten Partei beschränkt bis zur Höhe der Haftpflichtversicherungssumme.
Das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 398.132,50 sA gerichtete Leistungsbegehren sowie das Begehren auf Feststellung der weiteren Haftung zu einem weiteren Viertel wurden abgewiesen; das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.
Das Berufungsgericht führte aus, dass nach ständiger Rechtsprechung Fußgänger vor Betreten der Fahrbahn sorgfältig zu prüfen hätten, ob sie diese noch vor Eintreffen eines herannahenden Fahrzeuges mit Sicherheit überqueren könnten. Beim Überqueren einer breiten Fahrbahn müsse sich ein Fußgänger bei Erreichung ihrer Mitte neuerlich vergewissern, ob sich nicht inzwischen ein Fahrzeug genähert habe; er müsse in dieser Position stehen bleiben, wenn ein Fahrzeug schon so nahe sei, dass er die Fahrbahn vor diesem nicht mehr gefahrlos überschreiten könne. Diesem Erfordernis habe der Kläger nicht entsprochen. Allerdings habe die Erstbeklagte durch die Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h im Ortsgebiet bei Dunkelheit und nasser Fahrbahn in Verbindung mit ihrer mangelnden Beobachtung derart gravierend gegen Bestimmungen der StVO verstoßen, dass das Verschulden im Verhältnis 1 : 3 zugunsten des Klägers zu teilen sei. Die vom Kläger erlittenen Schmerzen im Zusammenhang mit den Dauerfolgen (Bewegungseinschränkungen und vor allem die erektile Disfunktion [Impotenz]) stellten signifikante Beeinträchtigungen des Wohlbefindens dar, weshalb ein Gesamtschmerzengeld von S 650.000 angemessen sei.
Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes rechtfertigten die Verletzungen des Klägers auch die Anschaffung eines PKW mit Automatikgetriebe.
Daraus errechne sich folgender Anspruch des Klägers:
Schmerzengeld S 650.000
die übrigen Positionen im unbekämpft
zuerkannten Ausmaß S 75.850
Mehranschaffungskosten durch
Automatikgetriebe S 26.680
zusammen S 752.530
hievon ¾ S 564.397,50
abzüglich Akontozahlung S 100.000
ergibt S 454.397,50.
Gegen den klagsabweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien haben in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben. Die Revision des Klägers ist aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zulässig und auch berechtigt.
Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, dass er für die Erstbeklagte leicht erkennbar gewesen sei. Im Gegensatz dazu habe er bei Beginn der Überquerung der Kärntnerstraße nur jenes Fahrzeug sehen können, das sich vor dem Überholmanöver der Erstbeklagten vor deren Fahrzeug befunden habe. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass nach Beginn seines Querungsmanövers die Erstbeklagte plötzlich ein Überholmanöver mit weitaus überhöhter Geschwindigkeit beginnen werde. Die Erstbeklagte habe neben der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit und Unterlassung der nötigen Aufmerksamkeit gegen jegliche Vernunft nach dem Überholmanöver wieder nach rechts gelenkt und habe in der Folge wieder nach links auslenken müssen, um nicht in Fortführung ihres Rechtslenkmanövers gegen die Fundamente der Unterführung zu fahren. Sie habe eine Schlangenlinie eingehalten, weil sich der Unfall ca 1,5 m von der westlichen Bordsteinkante entfernt zugetragen habe. Wenn man nun den Rigolstreifen von 0,3 m abziehe, habe sich der Unfall ca 1 bis 0,6 m vom westlichen Fahrbahnrand entfernt innerhalb der Fahrbahn ereignet. Der Kläger habe also praktisch die Fahrbahn schon überquert gehabt. Er habe aufgrund der Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges durchaus annehmen können, dass er vor diesem ohne Probleme die Fahrbahn der Kärntnerstraße überqueren könne. Dass diese Annahme richtig gewesen sei, ergebe sich schon daraus, dass dieses Fahrzeug auch problemlos trotz des Überholmanövers der Erstbeklagten angehalten worden sei. Es sei daher zu prüfen, ob der Kläger verpflichtet gewesen wäre, straßenmittig aufgrund des Fahrverhaltens der Erstbeklagten stehenzubleiben. Dies sei zu verneinen, weil das überholte Fahrzeug eine Geschwindigkeit eingehalten habe, die ein weiteres Überqueren der Fahrbahn problemlos ermöglicht hätte. Überdies hätte der Kläger, als er sich straßenmittig befand, noch nicht wissen können, welche Fahrlinie die Erstbeklagte einnehmen werde. Er hätte damit rechnen müssen, von deren Fahrzeug, wenn er straßenmittig angehalten hätte, auch hier “abgeschossen” zu werden. Er habe nicht ahnen können, dass die Erstbeklagte unmittelbar nach dem Überholmanöver wiederum nach rechts fahren und ihn geradezu mit ihrem Fahrzeug verfolgen werde. Wäre nämlich die Erstbeklagte geradeaus weitergefahren, wäre es nicht zum Unfall gekommen. Selbst wenn den Kläger aber ein Mitverschulden treffen würde, wäre dies so gering, dass es vernachlässigt werden könnte.Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, dass er für die Erstbeklagte leicht erkennbar gewesen sei. Im Gegensatz dazu habe er bei Beginn der Überquerung der Kärntnerstraße nur jenes Fahrzeug sehen können, das sich vor dem Überholmanöver der Erstbeklagten vor deren Fahrzeug befunden habe. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass nach Beginn seines Querungsmanövers die Erstbeklagte plötzlich ein Überholmanöver mit weitaus überhöhter Geschwindigkeit beginnen werde. Die Erstbeklagte habe neben der Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit und Unterlassung der nötigen Aufmerksamkeit gegen jegliche Vernunft nach dem Überholmanöver wieder nach rechts gelenkt und habe in der Folge wieder nach links auslenken müssen, um nicht in Fortführung ihres Rechtslenkmanövers gegen die Fundamente der Unterführung zu fahren. Sie habe eine Schlangenlinie eingehalten, weil sich der Unfall ca 1,5 m von der westlichen Bordsteinkante entfernt zugetragen habe. Wenn man nun den Rigolstreifen von 0,3 m abziehe, habe sich der Unfall ca 1 bis 0,6 m vom westlichen Fahrbahnrand entfernt innerhalb der Fahrbahn ereignet. Der Kläger habe also praktisch die Fahrbahn schon überquert gehabt. Er habe aufgrund der Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges durchaus annehmen können, dass er vor diesem ohne Probleme die Fahrbahn der Kärntnerstraße überqueren könne. Dass diese Annahme richtig gewesen sei, ergebe sich schon daraus, dass dieses Fahrzeug auch problemlos trotz des Überholmanövers der Erstbeklagten angehalten worden sei. Es sei daher zu prüfen, ob der Kläger verpflichtet gewesen wäre, straßenmittig aufgrund des Fahrverhaltens der Erstbeklagten stehenzubleiben. Dies sei zu verneinen, weil das überholte Fahrzeug eine Geschwindigkeit eingehalten habe, die ein weiteres Überqueren der Fahrbahn problemlos ermöglicht hätte. Überdies hätte der Kläger, als er sich straßenmittig befand, noch nicht wissen können, welche Fahrlinie die Erstbeklagte einnehmen werde. Er hätte damit rechnen müssen, von deren Fahrzeug, wenn er straßenmittig angehalten hätte, auch hier “abgeschossen” zu werden. Er habe nicht ahnen können, dass die Erstbeklagte unmittelbar nach dem Überholmanöver wiederum nach rechts fahren und ihn geradezu mit ihrem Fahrzeug verfolgen werde. Wäre nämlich die Erstbeklagte geradeaus weitergefahren, wäre es nicht zum Unfall gekommen. Selbst wenn den Kläger aber ein Mitverschulden treffen würde, wäre dies so gering, dass es vernachlässigt werden könnte.
Überdies habe das Berufungsgericht auch das Schmerzengeld zu gering bemessen. Der Kläger sei zum Unfallszeitpunkt 59 Jahre alt gewesen. Durch die schweren Verletzungen sei er impotent, inkontinent, gehbehindert und auch psychisch ein gebrochener Mann geworden. Die Summe der Inkontinenz und Impotenz ergebe eine Situation, die jegliche Lebensfreude abtöte, weil diese beiden Komponenten gerade die Kommunikation mit anderen Personen unmöglich machten. Mit 59 Jahren sei ein Mann noch immer in seiner vollen Lebenskraft. Wenn ihm durch Impotenz, Inkontinenz und ernste Bewegungseinschränkung die Lebensfreude genommen werde, könne dies auch mit S 650.000 nicht abgegolten werden.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
Grundsätzlich muss jeder Fußgänger vor dem Überqueren der Fahrbahn
sorgfältig prüfen, ob er diese noch vor dem Herankommen von
Kraftfahrzeugen mit Sicherheit überschreiten kann. Bei Erreichen der
Straßenmitte muss er sich ebenfalls vergewissern, ob sich nicht von
seiner rechten Seite her ein Fahrzeug nähert, und er muss
stehenbleiben, wenn ein Fahrzeug schon so nahe ist, dass er die
Fahrbahn nicht mehr vor diesem gefahrlos überschreiten kann
(RIS-Justiz RS0075656; ZVR 1990/160). Daraus folgt, dass der Kläger
straßenmittig stehenbleiben hätte müssen. Es ist ihm daher
grundsätzlich eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten
anzulasten. Bei schwerwiegendem Verschulden eines Beteiligten ist
allerdings ganz geringfügiges Verschulden eines anderen Beteiligten
zu vernachlässigen (Apathy, KommzEKHG, § 11 Rz 34 mwN). Eine
derartige Vernachlässigung der Sorglosigkeit des Klägers in eigenen
Angelegenheiten hat hier zu erfolgen. Der Erstbeklagten ist eine
derartig massive Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit,
verbunden mit der Unterlassung der notwendigen Aufmerksamkeit
anzulasten, dass die Sorglosigkeit des Klägers gerade noch außer
Betracht bleiben kann.
Nach Ansicht des erkennenden Senates haben die Vorinstanzen auch das
Schmerzengeld des Klägers zu gering gemessen. Zutreffend weist die
Revision darauf hin, dass neben den bereits erlittenen Schmerzen die
Dauerfolgen enorm beeinträchtigend sind. Der Kläger ist nunmehr
impotent, inkontinent und gehbehindert. Berücksichtigt man diese Umstände im Zusammenhang mit den von ihm bereits erlittenen Schmerzen, so erscheint das von ihm begehrte Schmerzengeld von S 860.000 in Anbetracht des Umstandes, dass eine gewisse Erhöhung der Schmerzengeldbeträge geboten erscheint, angemessen. Daraus folgt, dass in Stattgebung der Revision dem Klagebegehren Folge zu geben war.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 43 Abs 2, 50 ZPO.Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die Paragraphen 41,, 43 Absatz 2,, 50 ZPO.
Anmerkung
E65192 2Ob12.02gEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:0020OB00012.02G.0321.000Dokumentnummer
JJT_20020321_OGH0002_0020OB00012_02G0000_000