TE OGH 2002/4/18 2Ob88/02h

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Veröffentlicht am 18.04.2002
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** C***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Franz J. Salzer, Rechtsanwalt in Wien, und deren Nebenintervenientin 1. Sussan K*****, vertreten durch Dr. Georg Herz, Rechtsanwalt in Wien, und 2. K***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Gunther Gahleitner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Bank ***** AG, ***** vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, 2. V***** GmbH, und 3. Werner R*****, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen EUR 872.074,01 sA, infolge Rekurses der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 20. März 2001, GZ 5 R 230/00f-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der Nebenintervenienten auf Seite der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 25. August 2000, GZ 23 Cg 41/99a-50, zum Teil aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Gemäß §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.Gemäß Paragraphen 528 a,, 510 Absatz 3, ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof bei Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Gegenstand des Verfahrens zu 11 Cg 207/96w des Handelsgerichtes Wien (in der Folge Vorverfahren genannt) war eine Klage der erstbeklagten Bank auf Kreditrückzahlung mit der ua die hier klagende Partei auf Zahlung von S 1,530.000 und S 872.021,67 sA belangt wurde. Die hier klagende Partei wendete verschiedene Gegenforderungen ein, darunter eine solche über S 9,044.000 sA. Dazu brachte sie vor, die erstbeklagte Partei habe abredewidrig und eigenmächtig zu ihren Lasten im Wege einer Bankgarantie Auszahlungen in dieser Höhe an Werklohn an die zweitbeklagte Partei getätigt, wodurch ihr ein Schaden in dieser Höhe wegen ungerechtfertigter Werklohnauszahlung entstanden sei.

Mit dem im Vorverfahren ergangenen Urteil wurde dem Klagebegehren stattgegeben und die Gegenforderung "abgewiesen". Das Erstgericht führte dazu aus, die Bankgarantien seien vereinbarungsgemäß ausgestellt worden und sei die Werklohnauszahlung zu Recht erfolgt. Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben, die außerordentliche Revision wurde zurückgewiesen. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin ua die Zahlung von S 9,844.000 mit der Begründung, die Erstbeklagte habe rechtswidrig und ohne vertragliche Deckung zu ihren Lasten am 19. 6. 1996 S 800.000 und am 24. 6. 1996 S 5,044.000 an die zweitbeklagte Partei ausbezahlt. Der klagenden Partei sei ein Schaden in der Höhe von S 9,844.000 entstanden, der darin liege, dass Werklohnzahlungen an die zweitbeklagte Partei erfolgt seien, obwohl dieser ein Zahlungsanspruch aufgrund mangelhafter Werkleistungen nicht zugestanden sei.

Das Erstgericht wies dieses Klagebegehren ab und wies darauf hin, dass dann, wenn mangels Identität des Begehrens zweier Rechtsstreite keine Rechtskraftwirkung gegeben sei, eine Urteilsfällung über den neuen Anspruch zu erfolgen habe. Es bestehe aber eine Bindung an die Entscheidung des Vorprozesses, wenn der inhaltliche Zusammenhang der beiden Begehren so eng sei, dass die Gebote der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben in beiden Fällen zu entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatteten. Das Berufungsgericht hob die angefochtene Entscheidung im Umfange der Abweisung eines Begehrens auf Zahlung von S 800.000 sA und in Ansehung der Kostenentscheidung auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es sprach aus, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig. Das Berufungsgericht führte aus, dass die klagende Partei im vorliegenden Verfahren Auszahlungen der Erstbeklagten an die zweitbeklagte Partei in der Höhe von S 9,844.000 behauptet habe, während sie im Vorverfahren nur behauptet und unter Beweis gestellt habe, dass die erstbeklagte Partei S 9,044.000 ausbezahlt habe. In Ansehung des Betrages der die im Vorverfahren geltend gemachte Gegenforderung übersteige (somit S 800.000) könne auch eine Bindungswirkung der Vorentscheidung nicht angenommen werden, weil dieser Teil des nunmehrigen Begehrens der klagenden Partei niemals zur Begründung ihrer Gegenforderung im Vorverfahren erhoben worden sei. In der Rechtsprechung werde zwar teilweise die Auffassung vertreten, dass neben der unmittelbaren Rechtskraftwirkung auch ein Sonderfall der Präjudizialität dann vorliegen könne, wenn durch die Vorentscheidung die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für das neue Begehren verneint worden seien, wenn also ein im Gesetz begründeter Sachzusammenhang zwischen den beiden Begehren bestehe und dieser inhaltliche Zusammenhang so eng sei, dass die Gebote der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben in beiden Fällen zu entscheidenden Rechtsfragen nicht gestatteten. Allerdings werde diese Rechtsprechung sowohl von der Lehre und auch von einigen neueren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes abgelehnt: So habe der Oberste Gerichtshof in WoBl 2000/26 ausdrücklich ausgeführt, dass die Entscheidungsharmonie zwar grundsätzlich erstrebenswert sei, die Grenzen der materiellen Rechtskraft könnten deshalb aber nicht ausgeweitet werden. Mit dem Gedanken der Rechtssicherheit sei es durchaus vereinbar, bei der Beurteilung eines neuen Anspruchs Konsequenzen aus der erkannten Unrichtigkeit einer Vorentscheidung zu ziehen und jene nicht einfach fortzuschreiben. Dieser Auffassung schließe sich das Berufungsgericht auch an. Daraus ergebe sich, dass in Ansehung des im Vorverfahren nicht verfahrensgegenständlichen Betrages von S 800.000 eine inhaltliche Prüfung durch das Erstgericht zu erfolgen habe. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes teilweise auch über die engen Grenzen der Präjudizialität eine Bindungswirkung annehme. Lege man dieses Rechtskraftverständnis zugrunde, könne man zur Beurteilung gelangen, dass auch in Ansehung der im Vorverfahren nicht erhobenen Gegenforderung von S 800.000 wegen des engen Zusammenhanges eine Bindungswirkung zu bejahen sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der erstbeklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung als nichtig aufzuheben; in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die erste Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei erstattete Rekursbeantwortung und beantragte, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, es bestehe keine Bindung an die Entscheidung im Vorprozess hinsichtlich des Anspruches über S 800.000 sA entspricht der nunmehr herrschenden Judikatur. Die materielle Rechtskraftwirkung gilt grundsätzlich nur bei Identität des Anspruches, der Parteien und des rechtserzeugenden Sachverhaltes (RIS-Justiz RS0041752). Im vorliegenden Fall fehlt es aber an der Anspruchsidentität. Allerdings wird auch die Meinung vertreten, dass selbst mangels Identität des Begehrens ein Urteil eines Vorprozesses zufolge seiner materiellen Rechtskraft zur inhaltlichen Bindung des später entscheidenden Gerichtes führen könne, insbesondere, wenn Parteien und rechtserzeugender Sachverhalt identisch seien und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfragen nicht gestatteten. Nach nunmehr herrschender Rechtsprechung ist aber die Entscheidungsharmonie zwar grundsätzlich erstrebenswert, die Grenzen der materiellen Rechtskraft dürfen aber allein deshalb nicht ausgeweitet werden. Es ist mit dem Gedanken der Rechtssicherheit durchaus vereinbar, bei der Beurteilung eines neuen Anspruches Konsequenzen aus der Unrichtigkeit einer Vorentscheidung zu ziehen und jene nicht einfach fortzuschreiben (RIS-Justiz RS0102102; SZ 69/54; zuletzt 2 Ob 47/01b mwN). Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt sohin nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO. Aber auch im Rekurs der erstbeklagten Partei werden derartige Rechtsfragen nicht dargetan. Diese vertritt in ihrem Rechtsmittel - abgesehen von der Ansicht es bestünde wegen der Entscheidungsharmonie eine Bindung an die Entscheidung des Vorprozesses - die Meinung, die beklagten Parteien hätten es im Vorprozess unterlassen, ein Vorbringen zu erstatten, dass weitere S 800.000 zu ihren Lasten unberechtigt ausbezahlt worden seien. Damit treffe sie im gegenständlichen Aktivprozess aber die Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren, weil bereits über den Einwand der unberechtigten Auszahlungen im Zusammenhang mit den zwei Bankgarantien entschieden worden sei. Die materielle Rechtskraft als Prozesshindernis sei vom Gericht von Amts wegen wahrzunehmen, weshalb die angefochtene Entscheidung und das Berufungsverfahren in diesem Umfang nichtig seien.Die Ansicht des Berufungsgerichtes, es bestehe keine Bindung an die Entscheidung im Vorprozess hinsichtlich des Anspruches über S 800.000 sA entspricht der nunmehr herrschenden Judikatur. Die materielle Rechtskraftwirkung gilt grundsätzlich nur bei Identität des Anspruches, der Parteien und des rechtserzeugenden Sachverhaltes (RIS-Justiz RS0041752). Im vorliegenden Fall fehlt es aber an der Anspruchsidentität. Allerdings wird auch die Meinung vertreten, dass selbst mangels Identität des Begehrens ein Urteil eines Vorprozesses zufolge seiner materiellen Rechtskraft zur inhaltlichen Bindung des später entscheidenden Gerichtes führen könne, insbesondere, wenn Parteien und rechtserzeugender Sachverhalt identisch seien und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben, in beiden Fällen entscheidenden Rechtsfragen nicht gestatteten. Nach nunmehr herrschender Rechtsprechung ist aber die Entscheidungsharmonie zwar grundsätzlich erstrebenswert, die Grenzen der materiellen Rechtskraft dürfen aber allein deshalb nicht ausgeweitet werden. Es ist mit dem Gedanken der Rechtssicherheit durchaus vereinbar, bei der Beurteilung eines neuen Anspruches Konsequenzen aus der Unrichtigkeit einer Vorentscheidung zu ziehen und jene nicht einfach fortzuschreiben (RIS-Justiz RS0102102; SZ 69/54; zuletzt 2 Ob 47/01b mwN). Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage erfüllt sohin nicht die Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO. Aber auch im Rekurs der erstbeklagten Partei werden derartige Rechtsfragen nicht dargetan. Diese vertritt in ihrem Rechtsmittel - abgesehen von der Ansicht es bestünde wegen der Entscheidungsharmonie eine Bindung an die Entscheidung des Vorprozesses - die Meinung, die beklagten Parteien hätten es im Vorprozess unterlassen, ein Vorbringen zu erstatten, dass weitere S 800.000 zu ihren Lasten unberechtigt ausbezahlt worden seien. Damit treffe sie im gegenständlichen Aktivprozess aber die Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren, weil bereits über den Einwand der unberechtigten Auszahlungen im Zusammenhang mit den zwei Bankgarantien entschieden worden sei. Die materielle Rechtskraft als Prozesshindernis sei vom Gericht von Amts wegen wahrzunehmen, weshalb die angefochtene Entscheidung und das Berufungsverfahren in diesem Umfang nichtig seien.

Diese Ansicht ist aber nicht zutreffend. Dass die Forderung über S 800.000 sA im Vorprozess nicht als Gegenforderung eingewendet wurde, ist unstrittig. Diese Forderung war daher nicht Gegenstand des Vorprozesses. Die klagende Partei erstattet daher nicht ein (neues) Vorbringen zur Dartuung ihrer Gegenforderung im Vorprozess, sondern klagt eine Forderung ein, die eben nicht Gegenstand des Vorprozesses war. Wie Fasching in der im Rekurs zitierten Stelle (LB², Rz 1535) zutreffend ausführt, ist die Präklusionswirkung einer Entscheidung untrennbar mit dem Begriff des Streitgegenstandes und des Urteilsgegenstandes verbunden. Die Forderung über S 800.000 war aber, wie schon oben ausgeführt, nicht Gegenstand des Vorprozesses, weshalb auch insoweit keine Präklusionswirkung besteht, doch liegt auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vor.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.Der Kostenvorbehalt gründet sich auf Paragraph 52, ZPO.

Anmerkung

E65382 2Ob88.02h

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2002:0020OB00088.02H.0418.000

Dokumentnummer

JJT_20020418_OGH0002_0020OB00088_02H0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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