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E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des Y A in W, geboren 1973, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Februar 2006, Zl. SD 10/06, betreffend Behebung und Zurückverweisung gemäß § 66 Abs. 2 AVG i.A. Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 4. November 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
2. Mit hg. Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0298, wurde dieser Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben, weil die europarechtlich geforderten und gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 3 Z. 1 FrG auch für den Beschwerdeführer als Ehegatten einer österreichischen Staatsangehörigen geltenden Rechtsschutzgarantien nicht eingehalten worden sind. Dazu wird des Näheren auf das zitierte Erkenntnis und die darin zitierte weitere hg. Judikatur verwiesen.
3. Mit Bescheid vom 10. Februar 2006 hat die belangte Behörde den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Juli 2002, mit dem das Aufenthaltsverbot in erster Instanz erlassen worden war, gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen.
Der Behörde sei eine Sachentscheidung ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht möglich, weil der Verwaltungsakt nicht mehr aktuell und daher eine verlässliche Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich sei. Aus diesem Grund sei die Angelegenheit an die Behörde erster Instanz zur ergänzenden Beweisaufnahme bzw. zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen gewesen.
4. Gegen den Bescheid der belangte Behörde vom 10. Februar 2006 richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
1. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, ein nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB) begünstigter türkischer Staatsangehöriger zu sein, weshalb zuständige Berufungsbehörde gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, der unabhängige Verwaltungssenat sei.
2. Gemäß § 125 Abs. 1 des mit 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiter zu führen.
Gemäß § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist, (Z. 1) im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und (Z. 2) in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.
Im hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0119, wurde mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass bei einem Aufenthaltsverbot gegen den Ehegatten eines österreichischen Staatsangehörigen, der sein Recht auf (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, die Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde zuständig ist.
Da sich weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus der Aktenlage Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen hat, erweckt der bloße Umstand der Ehe des Beschwerdeführers mit einer Österreicherin - der im ersten Rechtsgang zur Aufhebung des Aufenthaltsverbotsbescheides geführt hat - keine Bedenken gegen die Zuständigkeit der belangten Behörde.
3. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138, mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist die den unabhängigen Verwaltungssenat als Berufungsbehörde bestimmende Norm des § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG auch auf türkische Staatsangehörige anzuwenden, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 ARB zukommt. Käme somit dem Beschwerdeführer diese Rechtsstellung zu, so wäre die belangte Behörde nicht als Berufungsbehörde - und somit auch nicht zur Vorgangsweise gemäß § 66 Abs. 2 AVG - zuständig gewesen.
4. Gemäß Art. 6 ARB hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat (erster Gedankenstrich) nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt.
Der Beschwerdeführer befindet sich nach dem Beschwerdevorbringen in Übereinstimmung mit der Aktenlage seit dem Jahr 1998 in Österreich. Im Bescheid der Behörde erster Instanz wird u.a. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer "starke ... berufliche Bindungen zum Bundesgebiet" habe. In der Berufung hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, bereits mehr als ein Jahr in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis zu stehen und daher die Voraussetzungen des Art. 6 erster Gedankenstrich ARB zu erfüllen.
Es ist nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen zum Ergebnis gekommen wäre, dass dem Beschwerdeführer die Rechtsstellung gemäß Art. 6 ARB zukommt und die Sicherheitsdirektion daher nicht als Berufungsbehörde zuständig ist. Diesfalls hätte die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 AVG an den unabhängigen Verwaltungssenat weiterzuleiten gehabt.
Die Unterlassung der Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Erlangung der Rechtsstellung gemäß Art. 6 ARB stellt daher einen relevanten Verfahrensmangel dar.
5. Aus dem dargestellten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6. Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 13. März 2007
Schlagworte
Verfahrensbestimmungen BerufungsbehördeInstanzenzugBesondere Rechtsgebietesachliche Zuständigkeit"zu einem anderen Bescheid"European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006180188.X00Im RIS seit
11.05.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009