Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Brandl und Mag. Johann Ellersdorfer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. Hans P*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei B*****gesellschft mbH, ***** vertreten durch Mag. Dr. Herbert Schrittesser, Rechtsanwalt in Mödling, wegen EUR 13.518,16 brutto sA (Revisionsinteresse EUR 6.828,64), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 2001, GZ 9 Ra 325/00f-72, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wien als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. März 2000, GZ 9 Cga 233/96s-57, im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens von EUR 6.828,64 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 468,18 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 78,03 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Frage der Berechtigung der Entlassung des Klägers.
Dazu ist von folgendem wesentlichen Sachverhalt auszugehen:
Das Arbeitsverhältnis des seit 1. 4. 1995 bei der Beklagten angestellten Klägers wurde mit Schreiben vom 9. 5. 1996 zum 30. 6. 1996 gekündigt; der Kläger wurde für die Dauer der Kündigungsfrist dienstfrei gestellt und aufgefordert, seinen restlichen Urlaub zu konsumieren und das Firmenfahrzeug unverzüglich abzuliefern. Am 13. 5. 1996 suchte der Kläger einen Arzt auf, der bei ihm eine hypertone Krise diagnostizierte, ihn auf unbestimmte Zeit krank schrieb und ihm eine Ausgehzeit von 11,00 Uhr bis 16,00 Uhr genehmigte. Der Kläger wies den Arzt nicht darauf hin, dass er die Absicht habe, mit dem Auto eine Reise nach Nürnberg zu unternehmen. Aus einer schriftlichen Bestätigung des Arztes vom 17. 2. 1997 ergibt sich, dass er gegen einen "kurzzeitigen Domizilwechsel" und auch gegen eine Fahrt mit dem Auto keinen Einwand gehabt hätte. Nach seiner Ansicht sollte lediglich starker Stress ausgeschlossen werden, der hypertone Krisen fördert. Blutdruckmessungen am 13. 5. 1996 ergaben zunächst einen Wert von 190/100, fünf Minuten später einen Wert von 150/105.
Im Akutfall einer hypertonen Krise ist der Patient nicht arbeitsfähig. Bei Vorliegen einer hyptertonen Krise ist Autofahren nicht indiziert. Sind die hypertone Krise und ihre Nebenwirkungen vorbei, liegt Arbeitsfähigkeit wieder vor.
Am 16. 5. 1996 fuhr der Kläger mit dem Firmenfahrzeug, das er selbst lenkte, nach Nürnberg. Dabei fuhr er teilweise mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h.
Spätestens zum Zeitpunkt des Antritts dieser Fahrt war der Kläger arbeitsfähig.
Der Geschäftsführer der Beklagten glaubte nicht an die Arbeitsunfähigkeit des Klägers und ließ ihn durch einen Detektiv überwachen. Dieser informierte die Beklagte am 16. 5. 1996 um 18,00 Uhr telefonisch von der Reise des Klägers. Er konnte aber den Aufenthalt des Klägers in Nürnberg nicht ausforschen. Er erhielt von der Beklagten den Auftrag, den Kläger am 18. 5. in Nürnberg zu suchen, falls dieser in seiner Wohnung telefonisch nicht erreichbar sei. Zahlreiche Versuche, den Kläger in den nächsten Tagen in seiner Wohnung zu erreichen, blieben erfolglos. Eine Anfrage beim Dienstgeber der Gattin des Klägers ergab, dass diese mit ihrem Gatten weggefahren sei und erst wieder am 20. 5. 1996 erreichbar sein werde. Am 20. 5. 1996 erhielt der Geschäftsführer den schriftlichen Detektivbericht, den er zum Anlass nahm, mit Schreiben vom 21. 5. 1996 die Entlassung des Klägers auszusprechen.
Am 20. 5. 1996 suchte der Kläger seinen Arzt auf, der bei ihm einen normalen Blutdruck (160/100) feststellte und ihn weiter krank schrieb. Am 24. 5. 1996 teilte der Kläger dem Arbeitgeber mit, dass er zur Rückstellung des Dienstfahrzeuges aufgrund seines Krankenstandes weder verpflichtet "noch in der Lage" sei. Aufgrund dieses Sachverhaltes erachtete das Berufungsgericht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (§ 27 Z 1 AngG, 3. Tatbestand) als verwirklicht und daher die Entlassung als berechtigt. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insoweit ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).Am 20. 5. 1996 suchte der Kläger seinen Arzt auf, der bei ihm einen normalen Blutdruck (160/100) feststellte und ihn weiter krank schrieb. Am 24. 5. 1996 teilte der Kläger dem Arbeitgeber mit, dass er zur Rückstellung des Dienstfahrzeuges aufgrund seines Krankenstandes weder verpflichtet "noch in der Lage" sei. Aufgrund dieses Sachverhaltes erachtete das Berufungsgericht den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit (Paragraph 27, Ziffer eins, AngG, 3. Tatbestand) als verwirklicht und daher die Entlassung als berechtigt. Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es insoweit ausreicht, auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu verweisen (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).
Rechtliche Beurteilung
Ergänzend ist auszuführen:
Soweit der Kläger in seinem Rechtsmittel in Frage stellt, dass er spätestens am 16. 5. 1996 (also spätestens zum Zeitpunkt des Antritts seiner Autofahrt) arbeitsfähig war, weicht er von den aufgrund eines Sachverständigengutachtens von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ab, sodass seine dazu erstatteten Ausführungen unbeachtlich sind.
Nach der vom Revisionswerber zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das Fernbleiben des Arbeitnehmers vom Dienst nicht nur dann entschuldigt, wenn er - objektiv betrachtet - arbeitsunfähig war, sondern auch dann, wenn er von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt in Krankenstand genommen wurde, obwohl objektiv dazu keine Veranlassung bestand, er aber auf die Richtigkeit der ausgestellten ärztlichen Bescheinigung vertrauen durfte. Dem Arbeitnehmer muss in dieser Situation in aller Regel (aber nicht ausnahmslos !) der gute Glaube zugebilligt werden, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit gelangt. Bei diesen Regeln handelt es sich aber um Erfahrungssätze, die dem Arbeitgeber nicht das Recht nehmen, den Beweis anzutreten, dass der Arbeitnehmer trotz Vorlage einer entsprechenden Krankenstandsbescheinigung arbeitsfähig war und davon auch Kenntnis hatte oder nach den Umständen des Falles offenbar haben musste. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer die ärztliche Bestätigung durch bewusst unrichtige oder stark übertriebene Angaben gegenüber dem Arzt erwirkt hätte (Arb 10.004; RIS-Justiz RS0028875; zuletzt etwa 9 ObA 182/01g; 8 ObA 189/01d). Lässt der Arzt das Ende des Krankenstandes offen, ist der Arbeitnehmer, der sich subjektiv besser fühlt, verpflichtet, sich untersuchen zu lassen, ob die Voraussetzungen des Krankenstandes noch vorliegen (DRdA 1995/49; 9 ObA 52/98g).
Unbestreitbar ist, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Antritts seiner Fahrt nicht nur objektiv arbeitsfähig war, sondern sich auch so gut gefühlt hat, dass er sich - gegen die ihm vom Arzt erteilte Weisung über die Ausgehzeiten - die vielstündige Autofahrt nach Nürnberg, teilweise mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h, zumutete. Dass dies im Falle einer hypertonen Krise schädlich gewesen wäre, liegt auf der Hand und ergibt sich auch aus den aufgrund des Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen. Fühlte sich daher der Kläger am 16. 5. 1996 so gut, dass er sich in der Lage sah, die Anstrengung einer Autofahrt nach Nürnberg (als Lenker) auf sich zu nehmen, musste ihm wohl klar sein, dass er wieder arbeitsfähig war; zumindest hätte er das Gefühl einer derartigen Besserung zum Anlass nehmen müssen, den Arzt zu konsultieren, ob die Voraussetzungen des Krankenstandes noch vorliegen.
Der Einwand des Klägers, er müsse nicht klüger sein als der Arzt, versagt. Zum einen hatte der Kläger diese Bedenken offenbar nicht, als er sich über die Weisungen des Arztes betreffend die Ausgehzeiten hinwegsetzte und dabei ein überaus anstrengendes Verhalten setzte. Zum anderen konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass ihm der Arzt Monate später bestätigen werde, dass er gegen einen "kurzen Domizilwechsel" und eine Autofahrt nichts eingewendet hätte. Überdies besagt der Hinweis auf einen "kurzen Domizilwechsel" und eine dafür notwendige Autofahrt noch nicht, dass damit wirklich auch das stundenlange und anstrengende Lenken des Autos auf der Fahrt nach Nürnberg, teilweise mit 160 km/h, gebilligt worden wäre. Auch auf seine Überzeugung, der Krankenstand sei dessen ungeachtet noch notwendig gewesen, um ihn vom besonders starken Stress an seinem Arbeitsplatz abzuschirmen, kann sich der Kläger nicht berufen, weil ihm ja zu diesem Zeitpunkt bekannt war, dass er bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses dienstfrei gestellt war. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, dass sich der Kläger entweder seiner Arbeitsfähigkeit bewusst war oder sich ihrer hätte bewusst sein müssen, ist daher nicht zu beanstanden.
Der Umstand, dass der Kläger dienstfrei gestellt war und daher keine Arbeitspflicht mehr bestand, ändert an der Verwirklichung des Entlassungsgrundes nichts.
Es darf nicht übersehen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Antritts seiner mehrtägigen Reise noch 32,5 Tage Urlaubsanspruch hatte und vom Arbeitgeber aufgefordert worden war, diesen Urlaub in der Kündigungsfrist zu verbrauchen. Nun ist zwar richtig, dass der Arbeitgeber den Urlaubsverbrauch nicht einseitig anordnen kann, sondern dass es einer Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über den Urlaubsverbrauch bedarf, die hier aber deshalb nicht ausdrücklich zustande kam, weil der Kläger nach den Feststellungen auf das Anbot des Arbeitgebers nicht reagierte. Liegt aber - wie hier - im Zusammenhang mit einer Dienstfreistellung ein (hier sogar ausdrückliches) Anbot des Arbeitgebers auf Abschluss einer Urlaubsvereinbarung vor, so wird dem Arbeitnehmer damit eine Option eingeräumt, die er durch einseitige Erklärung annehmen kann, und zwar auch im Sinne einer Realannahme gemäß § 864 ABGB, indem er den Urlaub tatsächlich antritt (8 ObA 282/95; 8 ObA 140/95; 8 ObA 98/98i).Es darf nicht übersehen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Antritts seiner mehrtägigen Reise noch 32,5 Tage Urlaubsanspruch hatte und vom Arbeitgeber aufgefordert worden war, diesen Urlaub in der Kündigungsfrist zu verbrauchen. Nun ist zwar richtig, dass der Arbeitgeber den Urlaubsverbrauch nicht einseitig anordnen kann, sondern dass es einer Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über den Urlaubsverbrauch bedarf, die hier aber deshalb nicht ausdrücklich zustande kam, weil der Kläger nach den Feststellungen auf das Anbot des Arbeitgebers nicht reagierte. Liegt aber - wie hier - im Zusammenhang mit einer Dienstfreistellung ein (hier sogar ausdrückliches) Anbot des Arbeitgebers auf Abschluss einer Urlaubsvereinbarung vor, so wird dem Arbeitnehmer damit eine Option eingeräumt, die er durch einseitige Erklärung annehmen kann, und zwar auch im Sinne einer Realannahme gemäß Paragraph 864, ABGB, indem er den Urlaub tatsächlich antritt (8 ObA 282/95; 8 ObA 140/95; 8 ObA 98/98i).
Dass der Arbeitnehmer dienstfrei gestellt ist, schließt den Verbrauch von Urlaub keineswegs aus: In der Entscheidung SZ 67/95 hat der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung vertreten, dass mit der Teilnahme an einer Reise während der Zeit einer Dienstfreistellung bezahlte Freizeit für Zwecke verbraucht wird, die während des aufrechten Arbeitsverhältnisses anders als durch die Inanspruchnahme von Urlaub nicht rechtmäßig verwirklicht werden können. Da durch die Dienstfreistellung lediglich die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers wegfällt, nicht aber seine Treuepflicht, ist er in einem solchen Fall verpflichtet, den Arbeitgeber von der beabsichtigten Verwendung bezahlter Freizeit zu verständigen. Mit der Treuepflicht des Arbeitnehmers ist es nicht vereinbar, das Anbot des Arbeitgebers zum Abschluss einer Urlaubsvereinbarung während der Dienstfreistellung nicht anzunehmen, um dann doch hinter dem Rücken des Arbeitgebers die bezahlte Freizeit für Zwecke zu verwenden, die die Gewährung von Urlaub erfordert hätten (SZ 67/95).
Dies bedeutet, dass der Kläger angesichts der Besserung seines Zustandes seinen Krankenstand hätte beenden und der Beklagten von seiner mehrtägigen Reise Mitteilung machen müssen, was diese in die Lage versetzt hätte, seinen Urlaubsverbrauch zur Kenntnis zu nehmen und bei der unmittelbar bevorstehenden Abrechnung der Urlaubsentschädigung zu berücksichtigen. Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger, dem - wie gezeigt - klar sein musste, dass er nicht mehr arbeitsunfähig war, verstoßen, wodurch er - hätte ihn die Beklagte nicht durch einen Detektiv überführt - die angemessene Verringerung seines Anspruchs auf Urlaubsentschädigung verhindert hätte. Er hat damit seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen in einer Weise verletzt, die ihn des dienstlichen Vertrauens des Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten musste, dass der Angestellte seine noch verbliebenen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (Treuepflicht) nicht mehr getreulich erfüllen werde, so dass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (Kuderna, Entlassungsrecht2 86).
Die Entlassung ist auch nicht verspätet erfolgt. Dazu kann ebenfalls auf die Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden, das zutreffend darauf verwiesen hat, dass die Beklagte zunächst nur eine telefonische Vorinformation erhalten und weitere zweckmäßige Erhebungen angeordnet hat. Unmittelbar nach Vorliegen des ohne Verzögerung erstatteten schriftlichen Berichtes des Detektivs wurde die Entlassung ohnedies ausgesprochen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Über diese Kosten war schon jetzt zu entscheiden, weil sich das Revisionsverfahren auf das vom Berufungsgericht erlassene Teilurteil als eigenen Anfechtungsgegenstand bezieht und dessen Schicksal für die Verteilung der in diesem Prozessabschnitt aufgelaufenen Kosten maßgeblich ist (9 ObA 247/99k; 9 ObA 82/98v; 1 Ob 611/95; Fasching, Kommentar II 364).Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die Paragraphen 41,, 50 ZPO. Über diese Kosten war schon jetzt zu entscheiden, weil sich das Revisionsverfahren auf das vom Berufungsgericht erlassene Teilurteil als eigenen Anfechtungsgegenstand bezieht und dessen Schicksal für die Verteilung der in diesem Prozessabschnitt aufgelaufenen Kosten maßgeblich ist (9 ObA 247/99k; 9 ObA 82/98v; 1 Ob 611/95; Fasching, Kommentar römisch II 364).
Anmerkung
E66172 9ObA113.02mEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:009OBA00113.02M.0605.000Dokumentnummer
JJT_20020605_OGH0002_009OBA00113_02M0000_000