TE OGH 2002/6/25 1Ob136/02k

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Veröffentlicht am 25.06.2002
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****aktiengesellschaft *****, vertreten durch Dr. Erwin Markl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Michael T*****, vertreten durch Hoffmann & Brandstätter, Rechtsanwaltspartnerschaft in Innsbruck, wegen 47.477,90 EUR (= S 653.310,14) sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. April 2002, GZ 4 R 45/02b-15, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Tatsächlich hat der Beklagte im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens nur vorgebracht, dass sowohl für die Garantie- wie auch für die Bürgschaftserklärung die Bestimmungen des Konsumentenschutzgesetzes Anwendung zu finden hätten, woraus ebenfalls die Sittenwidrigkeit der vom Beklagten abverlangten Erklärungen abzuleiten sei (S 2 des Protokolls vom 4. 10. 2001). Ob dies als ausreichende Behauptung dahin aufgefasst werden könnte, die Hauptschuldnerin sei zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Bürgschafts (Garantie-)Erklärung in einer wirtschaftlich schlechten Lage gewesen und die klagende Partei hätte erkennen müssen, dass die von ihr gewährten Kredite notleidend werden würden, kann dahingestellt bleiben, weil sowohl die vom Beklagten eingegangene Bürgschaft wie auch die von ihm abgegebene Garantieerklärung von den Vorinstanzen zu Recht als sittenwidrig iSd § 879 ABGB angesehen werden konnten (siehe Punkt 5). Es kommt daher nicht darauf an, ob das Berufungsgericht der klagenden Partei zu Unrecht die Beweis- und allenfalls auch die Behauptungslast für das Wissen um eine wirtschaftlich schlechte Lage des Hauptschuldners auferlegt und ob die klagende Partei den Beklagten aktiv ins Schuldverhältnis mit der Hauptschuldnerin miteinbezogen hat.

2. Es ist gleichgültig, ob der garantierte Erfolg in der Garantieurkunde schriftlich bestimmt werden muss; auch die Garantieerklärung wurde nämlich in einer nicht zu beanstandenden rechtlichen Würdigung als sittenwidrig angesehen (siehe Punkt 5).

3. Die rechtliche Wertung des Schreibens des Beklagtenvertreters vom 8. 8. 2001 (Beilage Q), dass dieses kein konstitutives Anerkenntnis im Bezug auf die in der Bürgschafts- bzw Garantieerklärung eingegangenen Verpflichtungen enthalte, ist frei von Rechtsirrtum. Das konstitutive Anerkenntnis ist ein Feststellungsvertrag, mit dem der Schuldner die aufgrund einer ernstlichen Rechtsbehauptung des Gläubigers entstandene Unsicherheit durch die Erklärung beseitigt, die Verpflichtung auch für den Fall, dass sie bisher nicht bestanden haben sollte, zu begründen (JBl 2001, 593; SZ 68/63 uva). Die vom Beklagtenvertreter verwendete Formulierung, es hafte der Beklagte - wie auch in der Klage ausgeführt - aufgrund der Bürgschaft und der Garantieerklärung, er sei aber nicht in der Lage, den geforderten Betrag zu bezahlen, vielmehr könnte er monatlich S 5.000,-- aufbringen, ist tatsächlich nicht dahin zu werten, dass der Beklagte uneingeschränkt und vorbehaltlos (RdW 2002, 83) eine selbständige neue Verpflichtung hätte eingehen wollen (7 Ob 187/99x). Die gewählte Formulierung deutet vielmehr darauf hin, dass der Beklagte die Abgabe einer Bürgschafts- und Garantieerklärung nicht in Zweifel zieht, lässt aber nicht die Schlussfolgerung zu, dass er die in den Interzessionserklärungen aufscheinenden Verpflichtungen als rechtlichen Bestand habend anerkannt hätte. Ob ein konstitutives Anerkenntnis vorliegt, ist stets durch Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall zu ermitteln (1 Ob 318/97i mwN), und die Vorinstanzen haben den ihnen dabei obliegenden Ermessensspielraum nicht überschritten.

4. Ob die Voraussetzungen für eine Haftungsbefreiung nach § 25c KSchG vorlägen und ob zu diesem Thema Verfahrensmängel unterlaufen seien, braucht deshalb nicht geklärt werden, weil die Interzessionen - wie schon zuvor ausgeführt - zumindest in rechtlich vertretbarer Weise als sittenwidrig erachtet wurden (siehe Punkt 5).

5. Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner grundlegenden Entscheidung SZ 68/64 erstmals mit der Frage der Sittenwidrigkeit von riskanten Bürgschaften vermögensschwacher Familienangehöriger befasst. Danach bleibt es grundsätzlich jedermann unbenommen, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die er nur unter besonders günstigen Bedingungen erbringen kann (6 Ob 38/02k; ÖBA 2000, 619 uva). Dieses Prinzip der Privatautonomie wird nur durch § 879 ABGB begrenzt. In bloßen Ausnahmefällen kann Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts vorliegen. Wichtige Kriterien für die Inhaltskontrolle derartiger Geschäfte in sinngemäßer Anwendung der Grundsätze des Wucherverbots sind nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Vorliegen eines krassen Missverhältnisses zwischen der Vermögenssituation des Interzedenten und dem Umfang der eingegangen Schuld, die Missbildung des Zustandekommens des Interzessionsgeschäftes infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten sowie die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Kreditgeber, wobei die Erfüllung dieser Voraussetzungen im Zeitpunkt der Haftungsübernahme erforderlich ist, um die Sittenwidrigkeit bejahen zu können (JBl 2001, 715; ÖBA 2000, 619; EvBl 2000/197; ÖBA 2000, 626; SZ 71/117; 1 Ob 211/98f; 4 Ob 354/98g; SZ 68/64). Die Anwendung der vom Obersten Gerichtshof entwickelten Grundsätze auf den Einzelfall stellt keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (ecolex 2001, 199; EFSlg 85.341), es sei denn, die Vorinstanzen hätten - was hier aber nicht der Fall ist - das ihnen eingeräumte Ermessen in rechtlich nicht vertretbarer Weise überschritten.

Die Vorinstanzen haben in vertretbarer Weise ein krasses Missverhältnis zwischen der Vermögenssituation des Beklagten und dem Umfang der eingegangenen Schuld bejaht. Bei einem Einkommen von 19.250 S - unter Bedachtnahme auf die Sonderzahlungen (siehe S 12 des Ersturteils) -, bei unbestrittenen Fixkosten für die Mietwohnung von 7.500 S, bei einer unbestrittenen monatlichen Kreditbelastung von etwa 2.000 S aus einem Leasingvertrag, und unter Bedachtnahme auf die für die Ausübung seines Berufs nötigen PKW-Kosten verbleibt dem Beklagten - selbst unter Außerachtlassung einer weiteren Kreditrückzahlung, die die klagende Partei bestreitet - kein übermäßig hoher Betrag, um seine sonstigen Lebensbedürfnisse befriedigen zu können. Dazu kommt noch die massive Zinsenbelastung, die mit der vom Beklagten eingegangenen Bürgschaft bzw der abgegebenen Garantie verbunden wäre (siehe nur S 9 des Ersturteils). In Anbetracht dieser Umstände durften die Vorinstanzen das krasse Missverhältnis zwischen der Vermögenssituation des Beklagten und dem Umfang der eingegangenen Schuld durchaus bejahen.

Ob die Mutter des Beklagten dominant im Sinne von "beherrschend" war und ist, ist nicht von wesentlicher Bedeutung. Unbestritten steht nämlich fest, dass der Beklage "ziemlichen Respekt" vor seiner Mutter hatte und er sich aufgrund dieser Stellung seiner Mutter verpflichtet fühlte, ihr zu helfen (S 12 f des Ersturteils). Geht man weiters davon aus, dass die Mutter des Beklagten diesem die Bürgschaftserklärung in ihrer Wohnung vorlegte, ihn ohne weitwendige Erklärung aufforderte, das Schriftstück zu unterfertigen, und dass der Beklagte ohne entsprechende Aufklärung seitens seiner Mutter die Garantieerklärung unterfertigte, wobei er der Mutter helfen wollte (S 16 und 18 f des Ersturteils), dann erweist sich die rechtliche Schlussfolgerung des Erstgerichts hinsichtlich einer Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Beklagten (S 29 des Ersturteils) als frei von Rechtsirrtum.

Das krasse Missverhältnis zwischen der Vermögenssituation des Interzedenten und dem Umfang der eingegangenen Schuld musste der klagenden Partei auch bekannt sein, hatte sie doch einen Lohnzettel angefordert und auch erhalten; es oblag der klagenden Partei, sich über die zum Teil gar nicht bestrittenen Verbindlichkeiten des Beklagten zum Zeitpunkt der Unterfertigung der Bürgschaft bzw Garantie zu informieren, widrigenfalls ihr fahrlässige Unkenntnis anzulasten wäre. Eine "verdünnte Entscheidungsfreiheit" liegt bei Personen, die infolge eines nahen Verwandtschaftsverhältnisses Bürgschafts- oder Garantieerklärungen abgeben, geradezu auf der Hand. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass der Beklagte die Bürgschaftsvereinbarung nicht unterschrieben hätte, hätte er gewusst, dass sich seine Bürgschaft auf "Altschulden" bezieht und seine Mutter bereits mehrere Verbindlichkeiten bei der klagenden Partei aufwies. Dass irgendwo selbst der "psychologische Zwang" eine Grenze hat, liegt nämlich auf der Hand. Sofern die klagende Partei von dieser Einschränkung der Entscheidungsfreiheit nicht positiv Kenntnis hatte, ist ihr die fahrlässige Unkenntnis dieses Umstands anzulasten.

6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E66103

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2002:0010OB00136.02K.0625.000

Im RIS seit

25.07.2002

Zuletzt aktualisiert am

14.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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