TE OGH 2002/7/18 10ObS254/02d

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Veröffentlicht am 18.07.2002
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Mutz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Eva-Maria Florianschütz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Wolfgang D*****, *****, vertreten durch Dr. Stefan Hornung, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. April 2002, GZ 12 Rs 71/02a-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Oktober 2001, GZ 20 Cgs 296/00b-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger ist am 27. 11. 1943 geboren. Mit Bescheid vom 6. 10. 2000 hat die beklagte Partei den Antrag vom 31. 5. 2000 auf Gewährung der Invaliditätspension mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger noch imstande sei, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Kläger, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Staplerfahrer und Lagerarbeiter und damit als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen sei, sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und könne dort eine Reihe von nicht kalkülsüberschreitenden Beschäftigungen (Portier, Parkgaragenkassier, Verpackungsarbeiter, Adjustierer) ausüben. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz sah es nicht als gegeben an. Insbesondere habe sich der vor dem Erstgericht qualifiziert vertretene Kläger weder auf einen Berufsschutz berufen noch ein Vorbringen erstattet, aus dem sich eine angelernte Tätigkeit iSd § 255 Abs 1 und 2 ASVG ableiten ließe. Wohl habe der Kläger - ebenso wie im Pensionsantrag - anlässlich seiner informativen Befragung durch das Erstgericht angegeben, als Lagerarbeiter und Lagerleiter beschäftigt gewesen zu sein. Weder aus dem erstgerichtlichen Akt noch aus dem Pensionsakt ergäben sich jedoch Hinweise darauf, dass der Kläger eine Tätigkeit ausgeübt habe, für die es erforderlich gewesen wäre, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, die denen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten wären. Der qualifiziert vertretene Kläger habe jedoch keine weiteren Beweisanträge gestellt, sodass es einer weiteren Erforschung der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht bedurft habe.Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Kläger, der in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag als Staplerfahrer und Lagerarbeiter und damit als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen sei, sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und könne dort eine Reihe von nicht kalkülsüberschreitenden Beschäftigungen (Portier, Parkgaragenkassier, Verpackungsarbeiter, Adjustierer) ausüben. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz sah es nicht als gegeben an. Insbesondere habe sich der vor dem Erstgericht qualifiziert vertretene Kläger weder auf einen Berufsschutz berufen noch ein Vorbringen erstattet, aus dem sich eine angelernte Tätigkeit iSd Paragraph 255, Absatz eins und 2 ASVG ableiten ließe. Wohl habe der Kläger - ebenso wie im Pensionsantrag - anlässlich seiner informativen Befragung durch das Erstgericht angegeben, als Lagerarbeiter und Lagerleiter beschäftigt gewesen zu sein. Weder aus dem erstgerichtlichen Akt noch aus dem Pensionsakt ergäben sich jedoch Hinweise darauf, dass der Kläger eine Tätigkeit ausgeübt habe, für die es erforderlich gewesen wäre, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, die denen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten wären. Der qualifiziert vertretene Kläger habe jedoch keine weiteren Beweisanträge gestellt, sodass es einer weiteren Erforschung der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht bedurft habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrags berechtigt. Den vom Kläger neuerlich gerügten Mangel des Verfahrens erster Instanz, so etwa dass die Ladung eines Sachverständigen zur Gutachtenserörterung unterlassen worden sei, hat bereits das Berufungsgericht verneint, sodass dieser in der Revision wiederholte Verfahrensmangel erster Instanz nach ständiger Rechtsprechung - auch in Verfahren nach dem ASGG - im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg gerügt werden kann (Kodek in Rechberger2 Rz 3 Abs 2 zu § 503 ZPO; SSV-NF 5/116, 7/74, 11/15 ua; RIS-Justiz RS0042963 [T45] und RS0043061).Die Revision ist im Sinne des Eventualantrags berechtigt. Den vom Kläger neuerlich gerügten Mangel des Verfahrens erster Instanz, so etwa dass die Ladung eines Sachverständigen zur Gutachtenserörterung unterlassen worden sei, hat bereits das Berufungsgericht verneint, sodass dieser in der Revision wiederholte Verfahrensmangel erster Instanz nach ständiger Rechtsprechung - auch in Verfahren nach dem ASGG - im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg gerügt werden kann (Kodek in Rechberger2 Rz 3 Absatz 2, zu Paragraph 503, ZPO; SSV-NF 5/116, 7/74, 11/15 ua; RIS-Justiz RS0042963 [T45] und RS0043061).

Zutreffend weist der Revisionswerber aber darauf hin, dass die Vorinstanzen hinsichtlich des Erfordernisses der Prüfung des Berufsschutzes von der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur abgewichen sind. Alle entscheidungsrelevanten Tatsachen, für die sich im Verfahren zumindest Anhaltspunkte ergeben haben, sind im sozialgerichtlichen Verfahren von Amts wegen zu erheben (zuletzt 10 ObS 293/01p, 10 ObS 7/02f, 10 ObS 31/02k). In diesem Sinn ist die Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, ist in allen Fällen, in denen bei Bestehen eines solchen die Verweisbarkeit fraglich wäre, von Amts wegen zu prüfen, insbesondere dann, wenn nach dem Inhalt des Prozessvorbringens hierüber keine Klarheit besteht (SSV-NF 3/136 uva; RIS-Justiz RS0084428). Nur dann, wenn jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, dass ein Versicherter eine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt hat, bedarf es keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen über die genaue Art der Tätigkeit (SSV-NF 6/46, 14/36 ua). Liegen jedoch entsprechende Anhaltspunkte für einen möglichen Berufsschutz vor, trifft den Versicherten im gerichtlichen Verfahren keine explizite Behauptungslast für die Inanspruchnahme eines Berufsschutzes. Der Kläger hat bereits in seinem Pensionsantrag vom 31. 5. 2000 darauf hingewiesen, während der letzten 15 Jahre überwiegend als "Lagerarbeiter (bzw Lagerleiter)" tätig gewesen zu sein. Dies hat er in seiner informativen Befragung vor dem Erstgericht in der Streitverhandlung vom 8. 10. 2001 wiederholt. Somit lagen Anhaltspunkte vor, die die Prüfung erfordert hätten, ob dem Kläger aufgrund der behaupteten Tätigkeit als Lagerleiter ein Berufsschutz zukommt oder nicht (zum Berufsbild siehe etwa SSV-NF 8/38). Da es zur Erörterung und Abklärung der Frage des Berufsschutzes einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren ist es erforderlich, die vom Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausgeübte(n) Tätigkeit(en) im Einzelnen zu erheben, um beurteilen zu können, ob ihm Berufsschutz nach § 273 Abs 1, allenfalls nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG zukommt.Zutreffend weist der Revisionswerber aber darauf hin, dass die Vorinstanzen hinsichtlich des Erfordernisses der Prüfung des Berufsschutzes von der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur abgewichen sind. Alle entscheidungsrelevanten Tatsachen, für die sich im Verfahren zumindest Anhaltspunkte ergeben haben, sind im sozialgerichtlichen Verfahren von Amts wegen zu erheben (zuletzt 10 ObS 293/01p, 10 ObS 7/02f, 10 ObS 31/02k). In diesem Sinn ist die Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, ist in allen Fällen, in denen bei Bestehen eines solchen die Verweisbarkeit fraglich wäre, von Amts wegen zu prüfen, insbesondere dann, wenn nach dem Inhalt des Prozessvorbringens hierüber keine Klarheit besteht (SSV-NF 3/136 uva; RIS-Justiz RS0084428). Nur dann, wenn jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, dass ein Versicherter eine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt hat, bedarf es keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen über die genaue Art der Tätigkeit (SSV-NF 6/46, 14/36 ua). Liegen jedoch entsprechende Anhaltspunkte für einen möglichen Berufsschutz vor, trifft den Versicherten im gerichtlichen Verfahren keine explizite Behauptungslast für die Inanspruchnahme eines Berufsschutzes. Der Kläger hat bereits in seinem Pensionsantrag vom 31. 5. 2000 darauf hingewiesen, während der letzten 15 Jahre überwiegend als "Lagerarbeiter (bzw Lagerleiter)" tätig gewesen zu sein. Dies hat er in seiner informativen Befragung vor dem Erstgericht in der Streitverhandlung vom 8. 10. 2001 wiederholt. Somit lagen Anhaltspunkte vor, die die Prüfung erfordert hätten, ob dem Kläger aufgrund der behaupteten Tätigkeit als Lagerleiter ein Berufsschutz zukommt oder nicht (zum Berufsbild siehe etwa SSV-NF 8/38). Da es zur Erörterung und Abklärung der Frage des Berufsschutzes einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Im fortgesetzten Verfahren ist es erforderlich, die vom Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag ausgeübte(n) Tätigkeit(en) im Einzelnen zu erheben, um beurteilen zu können, ob ihm Berufsschutz nach Paragraph 273, Absatz eins,, allenfalls nach Paragraph 255, Absatz eins und 2 ASVG zukommt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.

Anmerkung

E66518 10ObS254.02d

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2002:010OBS00254.02D.0718.000

Dokumentnummer

JJT_20020718_OGH0002_010OBS00254_02D0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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