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L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
BauO Wr §129 Abs10;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde der Aussenwerbung Dr. Heinrich Schuster GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Johannes Patzak und Dr. Johannes Krauss, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Johannesgasse 16, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 29. September 2004, Zl. BOB - 195/03, betreffend Beseitigungsauftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Magistratsabteilung 37 erteilte mit Bescheid vom 10. April 2003 gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien (BO) der Beschwerdeführerin als Eigentümerin der Baulichkeiten auf dem Grundstück Nr. 228 in EZ 33 der Katastralgemeinde Unterlaa einen Auftrag dahingehend, binnen einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Bescheides die auf der gegenständlichen Liegenschaft ohne baubehördliche Bewilligung errichteten Baulichkeiten, nämlich zwei Werbeflächen mit einer Länge von 10,5 m bzw. 5,2 m, zu beseitigen.
Dies wurde damit begründet, dass die gemäß § 60 Abs. 1 lit. b BO für die Errichtung dieser Plakatwände erforderliche baubehördliche Bewilligung nicht erwirkt worden sei. Weil sich die Werbeanlagen im Nahebereich einer Grundgrenze befänden, sei keine Bewilligungsfreiheit gemäß § 62a Abs. 1 Z 27 BO gegeben.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung meinte die Beschwerdeführerin, die Werbeanlagen befänden sich nicht im Nahebereich einer Grundgrenze. Darüber hinaus seien sie zu einem Zeitpunkt errichtet worden, in welchem § 62a Abs. 1 Z. 27 BO das Tatbestandsmerkmal "im Nahebereich einer Grundgrenze" noch nicht enthalten habe.
Im Zuge des Ermittlungsverfahrens erhob die belangte Behörde, dass die Plakatwand mit einer Länge von 10,5 m bereits im Juli 1997 errichtet worden sei, die Plakatwand mit einer Länge von 5,2 m hingegen im Mai 2002 noch nicht bestanden habe und die Errichtung bewilligungsfrei nicht möglich gewesen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. September 2004 wurde der Bescheid der MA 37 vom 10. April 2003, soweit er die Werbefläche mit einer Länge von 10,5 m betraf, gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
Dies wurde damit begründet, dass die Erstinstanz im Rahmen des Berufungsverfahrens ergänzend ermittelt habe, dass die längere Werbeanlage im Juli 1997 errichtet worden sei. Bezüglich der anderen Werbefläche (mit einer Länge von 5,20 m und einer Gesamthöhe von nahezu 3,50 m) ergebe sich aus einer Luftbildaufnahme, dass diese im Mai 2002 noch nicht vorhanden gewesen sei. Nach Gegenüberstellung des Wortlautes des § 62a Abs. 1 Z 27 BO sowohl vor der Novelle LGBl. Nr. 90/2001 als auch nach dieser Novelle und der Feststellung ihres Wirksamkeitsbeginnes ab 23. Jänner 2002 hielt die belangte Behörde fest, dass die Werbeanlage mit einer Länge von 5,20 m am 23. Jänner 2002 noch nicht errichtet gewesen sei. Es sei daher für die Beurteilung der Bewilligungspflicht dieser Werbeanlage die Rechtslage nach der Novelle LGBl. Nr. 90/2001 heranzuziehen. Der Abstand der 5,20 m langen Werbeanlage von der Grundgrenze betrage nach den Feststellungen der Erstinstanz ca. 4 m. Bei einer derart geringen Entfernung sei schon nach dem allgemeinen Wortsinn davon auszugehen, dass hier von einem Nahebereich zur Grundgrenze gesprochen werden könne, sehe doch der Gesetzgeber der BO im § 79 Abs. 1 im Allgemeinen eine Vorgartentiefe von 5 m vor und bezeichne den Vorgarten als den an einer Verkehrsfläche gelegenen Grundstreifen, der im Regelfall von einer Bebauung frei zu bleiben habe. Die Werbeanlage befinde sich daher im Nahebereich der Grundgrenze. Damit sei sie entsprechend dem zitierten § 62a Abs. 1 Z 27 BO auch dann nicht bewilligungsfrei, wenn sie eine Höhe von weniger als 3,50 m aufweise.
Aus dem Ausmaß der Plakatwand, diese weise eine Länge von 5 m und eine Gesamthöhe von nahezu 3,50 m auf, ergebe sich, dass zu deren Aufstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich sei, sei diese doch im Hinblick auf ihre Maße einem enormen Winddruck ausgesetzt und bedürfe daher u.a. einer entsprechenden Fundierung. Die Bewilligungspflicht der Plakatwand ergebe sich somit ex lege aus § 60 Abs. 1 lit. b BO. Da die erforderliche Bewilligung aber nicht vorliege, sei bezüglich der 5,20 m langen Plakatwand spruchgemäß zu entscheiden gewesen, zumal auch die festgesetzte Leistungsfrist von einem Monat im Hinblick auf die Art der zu entfernenden Baulichkeiten jedenfalls angemessen sei.
Bezüglich der 10,20 m langen Plakatwand sei der angefochtene Bescheid hingegen zu beheben gewesen, weil diese bereits 1997 und damit zu einem Zeitpunkt errichtet worden sei, in dem eine Baubewilligung nicht erforderlich gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 14. Dezember 2005, B 1366/04-4, u.a. die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie mit Beschluss vom 25. Jänner 2006, B 1366/04-6, dem Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Behandlung abtrat.
Im Beschluss vom 14. Dezember 2005 führte der Verfassungsgerichtshof aus, die Beschwerde bedenke nicht ausreichend, dass das Abstellen des § 62a Abs. 1 Z 27 BO auf die Lage der Werbeanlagen "im Nahebereich von Grundgrenzen" wegen der Gefahr des Umstürzens auf das Nachbargrundstück sachlich gerechtfertigt sei, dass gegen eine unterschiedliche Behandlung von Einfriedungen und Werbeanlagen keine Bedenken bestünden, und dass der Begriff "im Nahebereich von Grundgrenzen" angesichts des Normzwecks, von den Werbeanlagen ausgehende Gefahren zu vermeiden, und der Höhe der Werbeanlagen von bis zu 3,5 m einer Auslegung zugänglich sei.
In der im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensrechten geltend.
Entscheidungswesentlich sei ihrer Ansicht nach, wie weit der Nahebereich einer Grundgrenze reiche, in welchem Werbeanlagen generell nicht bewilligungsfrei sein sollten. Bei einem Abstand von 4 m zur Grundgrenze könne nach Ansicht der Beschwerdeführerin schon nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht mehr von einem Nahebereich gesprochen werden. Gehe man mit dem Verfassungsgerichtshof davon aus, dass der Zweck dieser Norm darin bestehe, die Gefahr durch ein allfälliges Umstürzen der Werbeanlage zu beherrschen (also zu verhindern, dass eine umstürzende Werbeanlage angrenzenden Grund berühre), könne der Schutzbereich nicht weiter sein als die Werbeanlage hoch sei. Es sei auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht von einer starren Mindestentfernung ausgegangen sei, ansonsten hätte er dies ohne Weiteres normieren können. Jedenfalls sei nach Ansicht der Beschwerdeführerin eine Werbeanlage, die 4 m von der Grundgrenze entfernt sei, als bewilligungsfrei anzusehen.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 129 Abs. 10 BO ist jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften zu beheben. Ein vorschriftswidriger Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung oder Kenntnisnahme einer Bauanzeige nicht erwirkt worden ist, ist zu beseitigen. Gegebenenfalls kann die Behörde Aufträge erteilen; solche Aufträge müssen erteilt werden, wenn augenscheinlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Aufträge sind an den Eigentümer (jeden Miteigentümer) des Gebäudes oder der baulichen Anlage zu richten.
Gemäß § 60 Abs. 1 lit. b BO ist bei der Errichtung von baulichen Anlagen über und unter der Erde, zu deren Herstellung ein wesentliches Maß bautechnischer Kenntnisse erforderlich ist, die mit dem Boden in eine kraftschlüssige Verbindung gebracht werden und wegen ihrer Beschaffenheit geeignet sind, öffentliche Rücksichten zu berühren, vor Beginn die Bewilligung der Behörde zu erwirken.
§ 62a Abs. 1 Z 27 BO in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 90/2001 hat folgenden Wortlaut:
"§ 62a. (1) Bei Bauführungen, die folgende Anlagen betreffen, ist weder eine Baubewilligung noch eine Bauanzeige erforderlich:
...
27. Werbeanlagen, wie Plakatwände und dergleichen bis zu einer Höhe von 3,50 m, soweit sie nicht an oder im Nahebereich von Grundgrenzen errichtet werden, sowie Litfasssäulen, beides außerhalb von Schutzzonen; Ankündigungsanlagen für längstens 2 Monate;
28. ..."
Im Mittelpunkt der vorliegenden Beschwerde steht die Frage, ob die verfahrensgegenständliche Werbeanlage ein bewilligungsfreies Bauvorhaben im Sinne des § 62a Abs. 1 Z 27 BO ist oder nicht. Die Ausmaße der Werbeanlage (Gesamthöhe: fast 3,50 m; Länge 5,20 m) sowie der Abstand der Werbetafel zur parallel dazu verlaufenden Grundgrenze im Ausmaß von ungefähr 4 m werden von den Verfahrensparteien nicht bestritten.
Die vorliegende Werbeanlage wäre nur dann bewilligungsfrei, wenn sie nicht "an oder im Nahebereich von Grundgrenzen" errichtet wurde.
§ 62a BO, mit dem eine Liste bewilligungsfreier Bauvorhaben ins Gesetz eingefügt wurde, wurde mit der Novelle LGBl. Nr. 42/1996 in die Bauordnung für Wien aufgenommen. Damals hatte Abs. 1 Z 27 folgenden Wortlaut:
"27. Plakatwände bis zu einer Höhe von 3,50 m, soweit sie keine Einfriedungen darstellen, sowie Litfasssäulen, beides außerhalb von Schutzzonen;"
Aus den Erläuterungen (siehe deren Wiedergabe jeweils bei Geuder/Hauer, Wiener Bauvorschriften5, S. 444f) zu dieser Novelle geht hervor, dass bewilligungsfreie Bauvorhaben, die in dieser Bestimmung taxativ aufgezählt würden, typischerweise solche seien, bei denen die von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen - wenn überhaupt - nur in äußerst geringfügigem und daher vernachlässigbarem Ausmaß berührt werden könnten. Zu beachten sei aber, dass gemäß Abs. 3 auch bewilligungsfreie Bauvorhaben den Bauvorschriften und den Bebauungsvorschriften entsprechen müssten.
Mit der Novelle LGBl. Nr. 90/2001 wurde der nun in Geltung stehende, oben wiedergegebene Text des Abs. 1 Z 27 geschaffen, der auf die Nähe zur Grundgrenze abstellt. Aus den Erläuternden Bemerkungen zu dieser Novelle geht hervor, dass die neue Textierung im Hinblick auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 2001, 98/05/0018, wonach eine Einfriedung dann eben nicht vorliege, wenn im Verlaufe einer an einer Grundgrenze errichteten Plakatwand Abstände freigehalten würden, gefasst worden sei.
Das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes stellte auf eine durchgehende, auch Zwischenräume einschließende Einfriedungsfunktion der Plakatwände ab. Bei einer Einfriedung müsse die grundsätzliche Eignung gegeben sein, die Liegenschaft nach außen hin abzuschließen. Dabei sei es entscheidend, ob die Zwischenräume zwischen den Plakatwänden durch andere Arten einer Einfriedung ausgefüllt seien. Sei dies der Fall, so seien die Plakatwände eine Einfriedung und von der geltend gemachten Ausnahmebestimmung nicht umfasst. Bestünden tatsächlich Durchgänge erheblichen Ausmaßes, so könne von einer Einfriedung im beschriebenen Sinn keine Rede mehr sein.
Mit der novellierten Fassung wurde die ursprünglich auf die Funktion einer "Einfriedung" abstellende Ausnahmebestimmung durch eine Formulierung ersetzt, die gewährleisten sollte, auch nicht durchgängige Plakatwände unter 3,5 m Höhe nicht unter die Ausnahmebestimmungen fallen zu lassen, wenn sie - funktionell vergleichbar einer Einfriedung - an der oder im Nahebereich von Grundgrenzen errichtet werden. Daraus folgt für das Verständnis der gegenständlichen Norm, dass es dem Gesetzgeber offenbar auf die Funktion der Plakatwand als Abschluss einer Grundfläche nach außen hin ankam.
Wie den oben wiedergegebenen Erläuterungen zur Novelle LGBl. Nr. 42/1996 anlässlich der Einführung bewilligungsfreier Tatbestände in die BO zu entnehmen ist, sollten öffentliche Interessen durch solche Bauführungen typischerweise nicht oder kaum berührt werden. In diesem Zusammenhang ist auch das vom Verfassungsgerichtshof in seinem Ablehnungsbeschluss geäußerte Argument zu verstehen, wonach dem Begriff "Nahebereich von Grundgrenzen" ein Schutzmoment innewohne und mit dieser Abgrenzung bezweckt werde, allfällige von den Werbeanlagen ausgehende Gefahren hintan zu halten. Das öffentliche Interesse, das hinter der Vermeidung dieser Gefahren steht, darf durch bewilligungsfreie Bauführungen, auch durch die Errichtung von Werbetafeln, nicht oder kaum berührt werden. Werden solche öffentlichen Interessen berührt, dann fehlt es an der Rechtfertigung für die Bewilligungsfreiheit der errichteten Werbeanlagen.
Der Verfassungsgerichtshof hat nun darauf hingewiesen, dass der Begriff "Nahebereich von Grundgrenzen" vor dem Hintergrund der Gefahrenvermeidung und der Begrenzung der Höhe der Werbetafeln mit 3,5 m einer Auslegung zugänglich ist. Damit hat er aber nicht - wie die Beschwerdeführerin meint - zum Ausdruck gebracht, dass das Ausmaß des "Nahebereiches von Grundgrenzen" mit der Höhe der jeweils betroffenen Werbetafeln gleichzusetzen wäre. Mit dem Hinweis auf den Normzweck, nämlich die von den Werbeanlagen ausgehenden Gefahren zu vermeiden, werden vielmehr alle bei einem Umstürzen einer Werbetafel typischerweise auftretende Gefahrenmomente angesprochen. Es erscheint dem Verwaltungsgerichtshof evident, dass solche Tafeln typischerweise als Folge eines Wind- oder Sturmereignisses umstürzen können, wobei gerade durch die in einem solchen Fall vorherrschende Wettersituation der Gefahrenbereich durch ein Vertragen der umgestürzten oder abgerissenen Teile regelmäßig über den Radius, der der Größe der Tafel entspricht, hinaus erweitert wird.
Angesichts dessen ist die Ansicht der belangten Behörde, im vorliegenden Fall stehe die fast 3,50 m hohe Werbetafel, die von einer Grundgrenze einen Abstand von 4 m hat, im "Nahebereich dieser Grundgrenze," nicht zu beanstanden. Der baupolizeiliche Auftrag, der sich maßgeblich auf die Nichterfüllung des Ausnahmetatbestandes des § 62 Abs. 1 Z 27 BO stützte, verletzte daher keine Rechte der Beschwerdeführerin.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 21. März 2007
Schlagworte
Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Konsenslosigkeit und Konsenswidrigkeit unbefugtes Bauen BauRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006050022.X00Im RIS seit
27.04.2007Zuletzt aktualisiert am
31.03.2011