TE OGH 2002/8/22 15Os18/02

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Veröffentlicht am 22.08.2002
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Der Oberste Gerichtshof hat am 22. August 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Schmucker, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kubina als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Veronika F*****, wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 3 (§ 81 Z 2) StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. November 2001, AZ I Bl 237/01, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, in Abwesenheit der Verurteilten, jedoch in Gegenwart ihres Verteidigers Dr. Prochaska, zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Beschwerde (§§ 292 erster Satz, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) werden die Urteile des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 28. Juni 2001, GZ 3 U 141/01b-6, und des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. November 2001, AZ I Bl 237/01 (= ON 14 des U-Aktes), aufgehoben, die Sache wird zur Verfahrensneudurchführung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Generalprokurator wird mit seiner gegen das bezeichnete Berufungsurteil des Landesgerichtes Innsbruck erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck verhängte über Veronika F***** mit (sogleich in Rechtskraft erwachsenem) Straferkenntnis vom 14. März 2001, Zl Vst.-191397/01A, wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs 1 StVO nach § 99 Abs 1 (offenbar gemeint: lit a) StVO eine Geldstrafe von 12.000 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Tagen. Die Verwaltungsakten enthalten keine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses. Der am selben Tag (als handschriftlich ergänzter Vordruck) aufgenommenen "Niederschrift gem § 44 Abs 3 lit b VStG 1950" ist lediglich die Verkündung des Erkenntnisses mit Angabe der (Vordruck) "Übertretung" (Ergänzung) "nach § 5/1 StVO", der (Vordruck) "Bestrafung nach" (Ergänzung) "§ 99/1 StVO" zu einer (Vordruck) "Geld/(Ersatz) Freihst. S" (Ergänzung) "12.000-/" (Ergänzung) "12" (Vordruck) "Tg" zu entnehmen. Eine Begründung der Entscheidung enthält die Niederschrift nicht. Auf der Aktenseite vor der Niederschrift findet sich die handschriftliche Anmerkung "10/9 wegen Gericht aussetzen!".

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Hall in Tirol vom 28. Juni 2001, GZ 3 U 141/01b-6, wurde Veronika F***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 200 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Danach hatte sie am 27. Februar 2001 in Wattens als Lenkerin des PKW (amtliches Kennzeichen IL-240 AI) dadurch, dass sie, auf der Bahnhofstraße in Richtung Norden fahrend, plötzlich nach links auf die Gegenfahrbahn lenkte und mit dem PKW (amtliches Kennzeichen W-44560 J) des auf der Bahnhofstraße in Richtung Süden fahrenden Christian M***** kollidierte, den Genannten fahrlässig am Körper verletzt (Schädelprellung mit einer Abschürfung links frontal), nachdem sie sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl sie vorhergesehen hatte, dass ihr die Lenkung eines Kraftfahrzeuges, somit eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet war.

Der von Veronika F***** dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit (§ 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO), Schuld und Strafe gab das Landesgericht Innsbruck nach Beweisergänzung unter anderem durch Verlesung des "Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14. 03. 2001, Vst.-191397/01A", mit Urteil vom 6. November 2001, AZ I Bl 237/01 (= ON 14 des U-Aktes), wegen des Ausspruchs über die Schuld teilweise Folge, hob das angefochtene Urteil im Schuldspruch betreffend die Qualifikation nach § 88 Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB und im Strafausspruch auf und schied die Qualifikation nach § 88 Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB aus dem angefochtenen Urteil aus. Für den im Übrigen unberührt bleibenden Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB verhängte es über die Angeklagte nach dieser Gesetzesstelle eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 200 S, im Fall der Uneinbringlichkeit 25 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, die es gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt nachsah. Mit ihrer weiteren Berufung wurde sie auf diese Entscheidung verwiesen.

Obwohl den Akten keine Ausfertigung des Strafkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck angeschlossen ist, welcher der verwaltungsstrafrechtliche Vorwurf konkret zu entnehmen wäre, stellte das Berufungsgericht dennoch "unbedenklich" fest, dass sich dieses Straferkenntnis auf eine Anzeige des Gendarmeriepostens Wattens vom 28. Februar 2001 stütze, "wonach Veronika F***** am 27. Februar 2001 um 17.40 Uhr einen PKW im Ortsgebiet von Wattens auf der Bahnhofstraße Höhe HNr. 1 aus Richtung Süden kommend in nördlicher Richtung gelenkt habe, dabei mit ihrem Fahrzeug aus bisher ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn geraten sei und einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe. Sie habe sich dabei in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden, wobei die Prüfung der Atemluft am geeichten Alkomaten 0,43 mg/l Alkoholgehalt in der Atemluft ergeben habe." (US 4).

Ausgehend von den im Berufungsverfahren ergänzten Feststellungen kam das Berufungsgericht zum Schluss, dass ein Schuldspruch wegen der Qualifikation nach § 88 Abs 3 StGB iVm § 81 Z 2 StGB gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art 4 7. ZP EMRK verstoße. Diese Beurteilung gelte aber nicht für den erstgerichtlichen Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB. In Bekräftigung der bereits vorher getroffenen Konstatierung über die Sachverhaltensgrundlage des Straferkenntnisses wurde (im Rahmen der rechtlichen Überlegungen) nochmals festgestellt: "Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck stützt ihr Straferkenntnis ausdrücklich auf die Tatsache, das Veronika F***** am 27. Februar 2000 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt bzw in einem solchen Zustand einen Verkehrsunfall verursacht hat" (US 5). Damit sei unter anderem ein als Verwaltungsübertretung im Sinne des § 99 Abs 1 StGB zu wertender Verstoß gegen § 5 Abs 1 StVO ausgesprochen worden. Die wesentlichen Elemente der zitierten Verwaltungsübertretung unterschieden sich nicht von den besonderen Umständen iSd § 81 Z 2 StGB. Zweck des Art 4 7. ZP EMRK sei es aber, die Wiederholung von Strafverfahren zu verbieten, die bereits durch eine endgültige Entscheidung abgeschlossen seien. Eine Verurteilung auch wegen der Qualifikation nach § 88 Abs 3 StGB iVm § 81 Z 2 StGB würde daher bedeuten, dass die Angeklagte auf Grundlage einer Tat zweimal vor Gericht gestellt und verurteilt werde. Durch das oben bezeichnete Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck werde aber der Unrechtsgehalt der fahrlässig von Veronika F***** verursachten Körperverletzung nicht in jeder Beziehung mitumfasst, weil sie den PKW bei besten Sicht-, Witterungs- und Fahrbahnverhältnissen im Ortsgebiet trotz Gegenverkehrs auf die linke Fahrbahnhälfte gelenkt habe (§ 7 Abs 1 StVO), weshalb sie ein schweres Verschulden treffe.Ausgehend von den im Berufungsverfahren ergänzten Feststellungen kam das Berufungsgericht zum Schluss, dass ein Schuldspruch wegen der Qualifikation nach § 88 Abs 3 StGB in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Art 4 7. ZP EMRK verstoße. Diese Beurteilung gelte aber nicht für den erstgerichtlichen Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB. In Bekräftigung der bereits vorher getroffenen Konstatierung über die Sachverhaltensgrundlage des Straferkenntnisses wurde (im Rahmen der rechtlichen Überlegungen) nochmals festgestellt: "Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck stützt ihr Straferkenntnis ausdrücklich auf die Tatsache, das Veronika F***** am 27. Februar 2000 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt bzw in einem solchen Zustand einen Verkehrsunfall verursacht hat" (US 5). Damit sei unter anderem ein als Verwaltungsübertretung im Sinne des § 99 Abs 1 StGB zu wertender Verstoß gegen § 5 Abs 1 StVO ausgesprochen worden. Die wesentlichen Elemente der zitierten Verwaltungsübertretung unterschieden sich nicht von den besonderen Umständen iSd § 81 Z 2 StGB. Zweck des Art 4 7. ZP EMRK sei es aber, die Wiederholung von Strafverfahren zu verbieten, die bereits durch eine endgültige Entscheidung abgeschlossen seien. Eine Verurteilung auch wegen der Qualifikation nach § 88 Abs 3 StGB iVm § 81 Z 2 StGB würde daher bedeuten, dass die Angeklagte auf Grundlage einer Tat zweimal vor Gericht gestellt und verurteilt werde. Durch das oben bezeichnete Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck werde aber der Unrechtsgehalt der fahrlässig von Veronika F***** verursachten Körperverletzung nicht in jeder Beziehung mitumfasst, weil sie den PKW bei besten Sicht-, Witterungs- und Fahrbahnverhältnissen im Ortsgebiet trotz Gegenverkehrs auf die linke Fahrbahnhälfte gelenkt habe (§ 7 Abs 1 StVO), weshalb sie ein schweres Verschulden treffe.

Im Zeitpunkt des Urteiles der zweiten Instanz hatte Monika Falkner - nach der dem Obersten Gerichtshof vorliegenden Aktenlage - auf die von der Verwaltungsbehörde verhängte Geldstrafe einen Teil von 7.000 S (welcher eine Ersatzfreiheitsstrafe von sieben Tagen entspricht) bezahlt.

Mit seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes beantragte der Generalprokurator, nach einem gemäß § 292 StPO durchzuführenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu erkennen: "Im Verfahren 3 U 141/01b des Bezirksgerichtes Hall in Tirol verletzt das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 6. November 2001, AZ I Bl 237/01, in der Ausschaltung der Qualifikation nach § 88 Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB und im Unterbleiben der Anrechnung der von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck im Verwaltungsstrafverfahren, Vst.-191397/01A, verhängten und teilweise vollstreckten Verwaltungsstrafe gemäß § 30 Abs 4 VStG das Gesetz in den erwähnten Bestimmungen". Gemäß § 292 letzter Satz StPO wäre dieses Urteil durch den Ausspruch der Anrechnung der Verwaltungsstrafe im Ausmaß ihrer Vollstreckung auf die verhängte Geldstrafe (§ 30 Abs 4 VStG) zu ergänzen.

In der Begründung wird wörtlich ausgeführt:

"Das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Nach gefestigter Rechtsprechung und Lehre gilt bei Annahme von Idealkonkurrenz für den strafgerichtlichen Bereich - zur Vermeidung zwei- oder mehrfacher Ahndung strafbaren Verhaltens - die Interferenzregelung, wonach - unter der Voraussetzung, dass (aus wertender Sicht) durch eine oder mehrere Handlungen zwei oder mehrere Tatbestände erfüllt wurden und durch Subsumtion unter einen Tatbestand der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst wird - eine Bestrafung ausschließlich wegen des vorrangigen - regelmäßig schon durch den in der Strafdrohung zum Ausdruck kommenden höheren gesellschaftlichen Störwert determinierten - Deliktes stattzufinden hat.

Dieser Grundsatz ist (schon) als Konsequenz der Regelung des Art 4 des 7. ZP EMRK auch im Verhältnis idealkonkurrierender strafbarer Handlungen, deren Ahndung zum Teil den Gerichten, zum Teil hingegen den Verwaltungsbehörden übertragen ist, anzuwenden (12 Os 51/01).

Daraus folgt für die hier aktuelle Konkurrenzproblematik zwischen den Tatbeständen nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB einerseits und § 5 Abs 1 StVO iVm § 99 Abs 1 bzw Abs 1b StVO andererseits unzweifelhaft die Prävalenz der strafgerichtlichen Bestimmung, zumal nur diese alternativ zur Geldstrafe auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsieht. Daher hat jeder Denkansatz in Richtung gänzlicher oder auch nur teilweiser Verdrängung der gerichtlich strafbaren Handlung durch das verwaltungsstrafrechtliche Delikt (und zwar nach dem Gesagten unabhängig davon, ob für den verwaltungsstrafrechtlichen Bereich Subsidiaritätsklauseln bestehen oder nicht), vorweg außer Betracht zu bleiben (vgl 12 Os 51/01).Daraus folgt für die hier aktuelle Konkurrenzproblematik zwischen den Tatbeständen nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB einerseits und § 5 Abs 1 StVO iVm § 99 Abs 1 bzw Abs 1b StVO andererseits unzweifelhaft die Prävalenz der strafgerichtlichen Bestimmung, zumal nur diese alternativ zur Geldstrafe auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsieht. Daher hat jeder Denkansatz in Richtung gänzlicher oder auch nur teilweiser Verdrängung der gerichtlich strafbaren Handlung durch das verwaltungsstrafrechtliche Delikt (und zwar nach dem Gesagten unabhängig davon, ob für den verwaltungsstrafrechtlichen Bereich Subsidiaritätsklauseln bestehen oder nicht), vorweg außer Betracht zu bleiben vergleiche 12 Os 51/01).

Somit vermochte das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 14. März 2001 keine Sperrwirkung gegenüber dem gerichtlichen Strafverfahren zu entfalten, die eine Zurechnung der Qualifikation nach § 88 Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB gehindert hätte (so bereits OLG Wien ZVR 1997/27 und die Entscheidungsbesprechung von Walter ZVR 1997, 362).

2./ Abgesehen davon enthält § 99 StVO in seinem Abs 6 lit c eine Subsidiaritätsklausel dahin, dass eine Verwaltungsübertretung dann nicht vorliegt, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.

Um die Beachtung der Subsidiarität durch die Verwaltungsbehörden sicherzustellen, sieht § 30 Abs 2 VStG die Aussetzung des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens vor. Ist demnach eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

Das weitere Vorgehen der Verwaltungsbehörde im Falle der Außerachtlassung ihrer subsidiären Strafkompetenz ist in § 30 Abs 3 VStG geregelt. Demnach darf ein Straferkenntnis vorläufig nicht vollzogen werden, wenn die Behörde dieses vor der in Abs 2 erwähnten Entscheidung gefällt hat. Ergibt sich später, dass das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde erster Instanz, wenn aber in der Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.

Für den Fall der mangelnden Beachtung der Vorschrift des § 30 Abs 3 VStG sieht Abs 4 eine Anrechnung der Strafe vor. Demnach haben die Gerichte und die sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden eine entgegen Abs 3 vollstreckte Verwaltungsstrafe auf die von ihnen wegen derselben Tat verhängte Strafe anzurechnen.

Geht man davon aus, dass Veronika F***** wegen ein und desselben Verhaltens sowohl vom Gericht als auch von der Verwaltungsbehörde belangt wurde (so auch der europäische Gerichtshof für Menschenrecht im ähnlich gelagerten Fall ÖJZ-MRK 2001/22 = ZVR 2001/69; anders der Oberste Gerichtshof zum selben Sachverhalt in 12 Os 51/01), so hätte jedenfalls das Landesgericht Innsbruck gemäß § 30 Abs 4 VStG die zum Urteilszeitpunkt teilweise vollstreckte Verwaltungsstrafe anrechnen müssen.

Das Unterbleiben dieser Anrechnung stellt eine Gesetzesverletzung dar, die der Verurteilten zum Nachteil gereicht, so dass ein Vorgehen des Obersten Gerichtshofes gemäß § 292 letzter Satz StPO geboten erscheint. Das Landesgericht Innsbruck hat zwar im Berufungsverfahren die Geldstrafe von 60 auf 50 Tagessätze herabgesetzt, was einer Reduktion der Ersatzfreiheitsstrafe von 30 auf 25 Tage entspricht, doch war nach der Aktenlage zum Urteilszeitpunkt von der von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck verhängten Geldstrafe von 12.000 S ein Teil von 8.000 S, der einer Ersatzfreiheitsstrafe von acht Tagen entspricht, durch Ratenzahlung bereits vollzogen."

Rechtliche Beurteilung

Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Bei tateinheitlichem Zusammentreffen von Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand (§ 5 Abs 1 iVm § 99 Abs 1b StVO) und der dadurch fahrlässig verschuldeten Tötung oder Körperverletzung (§ 81 Abs 1 Z 2 oder § 88 Abs 1 und Abs 3 iVm § 81 Z 2 StGB) wird die Verwaltungsübertretung zufolge der in § 99 Abs 6 lit c StVO ausdrücklich statuierten Subsidiarität von der - somit nur scheinbar ideell konkurrierenden - strafbaren Handlung nach §§ 81 oder 88 StGB verdrängt, sodass gesetzmäßig nur wegen des gerichtlichen Tatbestandes verurteilt und bestraft werden darf (vgl zu dieser Problematik Markel in WK-StPO § 1 Rz 73 ff).Bei tateinheitlichem Zusammentreffen von Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand (§ 5 Abs 1 in Verbindung mit § 99 Abs 1b StVO) und der dadurch fahrlässig verschuldeten Tötung oder Körperverletzung (§ 81 Abs 1 Z 2 oder § 88 Abs 1 und Abs 3 in Verbindung mit § 81 Z 2 StGB) wird die Verwaltungsübertretung zufolge der in § 99 Abs 6 lit c StVO ausdrücklich statuierten Subsidiarität von der - somit nur scheinbar ideell konkurrierenden - strafbaren Handlung nach §§ 81 oder 88 StGB verdrängt, sodass gesetzmäßig nur wegen des gerichtlichen Tatbestandes verurteilt und bestraft werden darf vergleiche zu dieser Problematik Markel in WK-StPO § 1 Rz 73 ff).

Das die Subsidiarität nicht beachtende Straferkenntnis der Verwaltungsbehörde ist kein wirkungsloser, die Gerichte deswegen nicht bindender Verwaltungsakt ("absolut nichtig"), sondern wegen des doppelten Fehlerkalküls von § 68 Abs 4 lit a AVG, § 30 Abs 3 zweiter Satz VStG, zwar existent, jedoch vernichtbar (Walter/Mayer Verwaltungsverfahren7 Rz 433 ff, 663 f). Mit diesem Straferkenntnis wurde die Beschuldigte (zunächst) abschließend (rechtskräftig) wegen einer strafbaren Handlung verurteilt.

Der Oberste Gerichtshof ist bei seiner Beurteilung an die Feststellungen des Berufungsgerichtes gebunden. Dieses konstatierte einerseits explizit, dass sich das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck auf eine Anzeige stützt, wonach die Beschuldigte "einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe". In Verbindung mit der Verurteilung des Straferkenntnisses wegen Lenkens eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand nach § 5 Abs 1 StVO könnte bei isolierter Betrachtung allenfalls noch davon ausgegangen werden, das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung lediglich die Tatsache der verwaltungsbehördlichen Beurteilung des auf das Lenken des Kraftfahrzeuges bezogenen Sachverhaltsteiles zu Grunde gelegt. Eine solche Annahme verbietet sich aber angesichts der weiteren (im Rahmen rechtlicher Ausführungen enthaltenen, jedoch unzweifelhaft einen Sachverhalt, nämlich die Grundlage einer Entscheidung betreffenden) Konstatierung: "Die BH Innsbruck stützte ihren Bescheid bzw. ihr Straferkenntnis ausdrücklich auf die Tatsache, dass Veronika F***** am 27. 02. 2001 ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt bzw. in einem solchen einen Verkehrsunfall verursacht hat" (nochmals US 5). In Verbindung mit den ansonsten im Rahmen der Beweisergänzung vom Berufungsgericht getroffenen weiteren Feststellungen (Verkehrsunfall mit Personenschaden) stellt es damit fest, dass das Strafkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck denselben Sachverhalt (also einschließlich der Verletzung eines anderen Verkehrsteilnehmers) wie die in Rede stehenden Entscheidungen der Gerichte erster und zweiter Instanz beurteilte. Der rechtliche Schluss des Berufungsgerichtes, die Beurteilung des Straferkenntnisses habe den Grundtatbestand nach § 88 Abs 1 StGB nicht erfasst, erweist sich demnach als nicht feststellungskonform. An dieser Beurteilung vermag - wie die Beschwerde im Ergebnis zutreffend rügt - die vom Berufungsgericht vorgenommene Ausschaltung der Qualifikation nach § 81 Z 2 StGB aus dem erstgerichtlichen Urteil nichts zu ändern, sie ist vielmehr Folge der nicht den getroffenen Feststellungen entsprechenden rechtlichen Schlüsse seiner Entscheidung (vgl zu Art 4 Abs 1 d 7. ZP EMRK insgesamt die Urteile des EGMR vom 23. Oktober 1995, Fall Gradinger gegen Österreich, ÖJZ-MRK 1995/51, und vom 29. Mai 2001, Fall Fischer gegen Österreich, ÖJZ-MRK 2001/22).

Da nun die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in dem hier zu beurteilenden Fall durch die zuvorgekommene (gesetzwidrige) Erlassung des (sogleich in Rechtskraft erwachsenen) Straferkenntnisses über Veronika F***** (§ 30 Abs 2 VStG) und dessen Invollzugsetzung (Abs 3 erster Satz leg cit) nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes den gesamten angezeigten Tatkomplex beurteilte und deshalb eine Strafe verhängte, obwohl das entscheidende Verwaltungsorgan unmissverständlich erkannt hatte, dass die aktuelle Tat eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung bildete, hätte Veronika F***** ohne Verletzung des auf Verfassungsstufe stehenden, über das XX. Hauptstück der Strafprozessordnung hinaus reichenden Doppelverfolgungsverbotes nach Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK "nicht erneut vor Gericht gestellt" werden dürfen (vgl abermals die zitierten Urteile des EGMR; ferner jenes vom 30. Juli 1998, Fall Oliveira gegen Schweiz, ÖJZ-MRK 1999/3).Da nun die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in dem hier zu beurteilenden Fall durch die zuvorgekommene (gesetzwidrige) Erlassung des (sogleich in Rechtskraft erwachsenen) Straferkenntnisses über Veronika F***** (§ 30 Abs 2 VStG) und dessen Invollzugsetzung (Abs 3 erster Satz leg cit) nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes den gesamten angezeigten Tatkomplex beurteilte und deshalb eine Strafe verhängte, obwohl das entscheidende Verwaltungsorgan unmissverständlich erkannt hatte, dass die aktuelle Tat eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung bildete, hätte Veronika F***** ohne Verletzung des auf Verfassungsstufe stehenden, über das römisch XX. Hauptstück der Strafprozessordnung hinaus reichenden Doppelverfolgungsverbotes nach Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK "nicht erneut vor Gericht gestellt" werden dürfen vergleiche abermals die zitierten Urteile des EGMR; ferner jenes vom 30. Juli 1998, Fall Oliveira gegen Schweiz, ÖJZ-MRK 1999/3).

Solange die von Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK statuierte Bedingung für die daran geknüpfte Rechtsfolge existent ist, dh dass ein Beschuldigter (§ 38 Abs 3 StPO) - hier: von der Verwaltungsbehörde - "rechtskräftig verurteilt worden ist", steht der abermaligen strafgerichtlichen Verfolgung das Verbot entgegen, dafür nicht "erneut" vor Gericht gestellt und bestraft zu werden, wobei nur gegen letzteres die von der Beschwerde beantragte Anwendung der (bedenklichen, sh Walter/Thienel StVG2 § 30 Anm 10 u 17) Anrechnungsbestimmung des § 30 Abs 4 VStG vorkehrt. Dieses auf verfassungsrechtlicher Ebene stehende Verfolgungshindernis, welches den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO begründet (Ratz, WK-StPO, § 281 Rz 639), würde aber dann wegfallen, wenn die Verwaltungsbehörde erster Instanz nach der zwingenden Anordnung des § 30 Abs 3 VStG ihr rechtskräftiges Straferkenntnis außer Kraft setzt und das Verfahren einstellt. Dies ist aus Art 4 Abs 2 7. ZP EMRK ableitbar, der die Wiedereröffnung des Verfahrens erlaubt (vgl die völkerrechtlich verbindlichen Fassungen des ZP englisch "reopening", französisch "réouverture").Solange die von Art 4 Abs 1 des 7. ZP EMRK statuierte Bedingung für die daran geknüpfte Rechtsfolge existent ist, dh dass ein Beschuldigter (§ 38 Abs 3 StPO) - hier: von der Verwaltungsbehörde - "rechtskräftig verurteilt worden ist", steht der abermaligen strafgerichtlichen Verfolgung das Verbot entgegen, dafür nicht "erneut" vor Gericht gestellt und bestraft zu werden, wobei nur gegen letzteres die von der Beschwerde beantragte Anwendung der (bedenklichen, sh Walter/Thienel StVG2 § 30 Anm 10 u 17) Anrechnungsbestimmung des § 30 Abs 4 VStG vorkehrt. Dieses auf verfassungsrechtlicher Ebene stehende Verfolgungshindernis, welches den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO begründet (Ratz, WK-StPO, § 281 Rz 639), würde aber dann wegfallen, wenn die Verwaltungsbehörde erster Instanz nach der zwingenden Anordnung des § 30 Abs 3 VStG ihr rechtskräftiges Straferkenntnis außer Kraft setzt und das Verfahren einstellt. Dies ist aus Art 4 Abs 2 7. ZP EMRK ableitbar, der die Wiedereröffnung des Verfahrens erlaubt vergleiche die völkerrechtlich verbindlichen Fassungen des ZP englisch "reopening", französisch "réouverture").

Aus den dargelegten Gründen waren aus Anlass der Beschwerde in amtswegiger Wahrnehmung der unterlaufenen Nichtigkeit die Urteile erster und zweiter Instanz zu kassieren, die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Hall in Tirol zu verweisen und der Generalprokurator mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.

Das Erstgericht wird zunächst das gerichtliche Verfahren gemäß § 412 StPO, weil der Täter (derzeit) nicht vor Gericht gestellt werden kann, zu unterbrechen und bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ein Vorgehen nach § 68 Abs 2 AVG, § 30 Abs 3 VStG anzuregen haben, weil eine Verwaltungsübertretung der Veronika F***** tatsächlich nicht vorliegt, vielmehr die dem Straferkenntnis zugrundeliegende Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht (§ 99 Abs 6 lit c StVO). Sobald die Verwaltungsbehörde erster Instanz ihr Erkenntnis außer Kraft gesetzt und das Verfahren eingestellt hat (§ 30 Abs 3 VStG), steht einer Verfolgung und Urteilsfällung über den Anklagevorwurf wegen Vergehens nach § 88 Abs 1 und 3 iVm § 81 Z 2 StGB nichts mehr im Wege. Im Falle eines Schuldspruchs wäre allerdings das sich lediglich im Sanktionsbereich auswirkende Verschlimmerungsverbot zu beachten. Verweigert aber die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck ein Vorgehen nach § 30 Abs 3 VStG, wäre das Strafverfahren - auch ohne einen darauf zielenden Antrag des Staatsanwaltes - einzustellen (§ 451 Abs 2 StPO).

Textnummer

E66661

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2002:0150OS00018.02.0822.000

Im RIS seit

21.09.2002

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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